Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 78 AS 29067/09 ER I
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1767/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2009 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit ab 16. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2010 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 184,- EUR zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D bewilligt.
Gründe:
Wegen der Dringlichkeit der Sache war in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter zu entscheiden.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde nicht begründet und war zurückzuweisen.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der dem Beschwerdegericht durch die angefochtene Entscheidung angefallene Streitgegenstand, der auf die vom Sozialgericht (SG) verlautbarte Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG für die Zeit vom 16. Oktober 2009 bis – längstens – 31. März 2010 beschränkt ist. Diese war unter entsprechender Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wie aus dem Tenor ersichtlich zu ändern und der weitergehende Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückzuweisen.
Soweit die Antragstellerin Leistungen für Unterkunft und Heizung geltend macht, fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund für die begehrte gerichtliche Anordnung iS eines unaufschiebbar eiligen Regelungsbedürfnisses. Eine derzeit drohende Wohnungs- oder gar Obdachlosigkeit der bereits seit Mai 2002 in Deutschland lebenden Antragstellerin ist weder vorgetragen worden noch im Übrigen ersichtlich. Der Antragstellerin ist daher ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumutbar, zumal in § 22 Abs. 5 Satz 1 und 2 und Abs. 6 SGB II Regelungen zur Sicherung der Unterkunft selbst für den Fall einer – hier nicht in Rede stehenden – Räumungsklage enthalten sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 BvR 535/07 – nicht veröffentlicht).
Für die Zeit ab 16. Oktober 2009 (Zeitpunkt der SG-Entscheidung) bis 31. Januar 2010 war der Antragsgegner jedoch im tenorierten Umfang zu verpflichten, und zwar unter Berücksichtigung einer verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung und im Hinblick auf die bislang in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht abschließend geklärte Tragweite des gesetzlichen Leistungsausschlusses bei nichtdeutschen Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), deren Aufenthaltsrecht sich – wie hier – aus dem Zweck der Arbeitsuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizgG) ergibt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II). Dahinstehen kann, ob die Antragstellerin auch nach Maßgabe von § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizgG als niedergelassene selbständige Erwerbstätige aufenthaltsberechtigt ist, worauf sich das SG maßgeblich gestützt hat. Unter Berücksichtigung der durch Art. 39 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) verbürgten Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU begegnet es nämlich erheblichen rechtlichen Bedenken, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II insoweit mit Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – EuGH - (vgl. Urteil vom 4. Juni 2009 – C-22/08 – juris) kann ein Arbeitsuchender, der tatsächliche Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates hergestellt hat, sich auf Art. 39 Abs. 2 EGV berufen, um eine finanzielle Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Das Bestehen einer solchen tatsächlichen Verbindung kann sich bereits daraus ergeben, dass der Betreffende während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem Mitgliedstaat gesucht hat, wie dies die Antragstellerin auch vorliegend behauptet. Die Ausnahmevorschrift in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 betrifft demgegenüber nur einen "Anspruch auf Sozialhilfe". Der EuGH (vgl. aaO) weist insoweit aber ausdrücklich darauf hin, dass eine Voraussetzung, wie sie in Deutschland für die Grundsicherung für Arbeitsuchende vorgesehen sei, wonach der Betreffende erwerbsfähig sein müsse, ein Hinweis darauf sein könne, dass diese Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern solle. Im letztgenannten Fall greift Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 aber von vornherein nicht.
Da insbesondere die – den innerstaatlichen Gerichten obliegende (vgl. EuGH aaO) - Prüfung, ob die Antragsteller eine tatsächliche Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt hergestellt haben, weiterer Sachermittlungen erfordert, war im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris). Gleiches gilt für die Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin gemäß § 8 Abs. 2 SGB II. Angesichts des existenzsichernden Charakters der begehrten Leistungen wiegen die der Antragstellerin drohenden Nachteile bei einer (vollen) Ablehnung des Antrags und einem späteren Obsiegen im Hauptsacheverfahren ungleich schwerer als der Nachteil einer Überzahlung für den Antragsgegner. Aus diesem Grund war der Antragsgegner einstweilen zu verpflichten, das absolute Existenzminimum der Antragstellerin zu sichern. Das Gericht hat sich insoweit an dem Wert für den notwendigen Bedarf ohne Unterkunftskosten orientiert, der sich aus § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz ergibt. Die einstweilige Anordnung ergeht für die Zeit bis 31. Januar 2010. Es bleibt der Antragstellerin unbenommen, nach Ablauf dieses Zeitraums bei dem SG erneut um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen, sofern bis dahin das Hauptsacheverfahren nicht abgeschlossen sein sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Der – bedürftigen - Antragstellerin war Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin D zu bewilligen, weil der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit ab 16. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2010 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 184,- EUR zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D bewilligt.
Gründe:
Wegen der Dringlichkeit der Sache war in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter zu entscheiden.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde nicht begründet und war zurückzuweisen.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der dem Beschwerdegericht durch die angefochtene Entscheidung angefallene Streitgegenstand, der auf die vom Sozialgericht (SG) verlautbarte Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG für die Zeit vom 16. Oktober 2009 bis – längstens – 31. März 2010 beschränkt ist. Diese war unter entsprechender Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wie aus dem Tenor ersichtlich zu ändern und der weitergehende Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückzuweisen.
Soweit die Antragstellerin Leistungen für Unterkunft und Heizung geltend macht, fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund für die begehrte gerichtliche Anordnung iS eines unaufschiebbar eiligen Regelungsbedürfnisses. Eine derzeit drohende Wohnungs- oder gar Obdachlosigkeit der bereits seit Mai 2002 in Deutschland lebenden Antragstellerin ist weder vorgetragen worden noch im Übrigen ersichtlich. Der Antragstellerin ist daher ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumutbar, zumal in § 22 Abs. 5 Satz 1 und 2 und Abs. 6 SGB II Regelungen zur Sicherung der Unterkunft selbst für den Fall einer – hier nicht in Rede stehenden – Räumungsklage enthalten sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 BvR 535/07 – nicht veröffentlicht).
Für die Zeit ab 16. Oktober 2009 (Zeitpunkt der SG-Entscheidung) bis 31. Januar 2010 war der Antragsgegner jedoch im tenorierten Umfang zu verpflichten, und zwar unter Berücksichtigung einer verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung und im Hinblick auf die bislang in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht abschließend geklärte Tragweite des gesetzlichen Leistungsausschlusses bei nichtdeutschen Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), deren Aufenthaltsrecht sich – wie hier – aus dem Zweck der Arbeitsuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizgG) ergibt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II). Dahinstehen kann, ob die Antragstellerin auch nach Maßgabe von § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizgG als niedergelassene selbständige Erwerbstätige aufenthaltsberechtigt ist, worauf sich das SG maßgeblich gestützt hat. Unter Berücksichtigung der durch Art. 39 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) verbürgten Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU begegnet es nämlich erheblichen rechtlichen Bedenken, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II insoweit mit Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – EuGH - (vgl. Urteil vom 4. Juni 2009 – C-22/08 – juris) kann ein Arbeitsuchender, der tatsächliche Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates hergestellt hat, sich auf Art. 39 Abs. 2 EGV berufen, um eine finanzielle Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Das Bestehen einer solchen tatsächlichen Verbindung kann sich bereits daraus ergeben, dass der Betreffende während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem Mitgliedstaat gesucht hat, wie dies die Antragstellerin auch vorliegend behauptet. Die Ausnahmevorschrift in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 betrifft demgegenüber nur einen "Anspruch auf Sozialhilfe". Der EuGH (vgl. aaO) weist insoweit aber ausdrücklich darauf hin, dass eine Voraussetzung, wie sie in Deutschland für die Grundsicherung für Arbeitsuchende vorgesehen sei, wonach der Betreffende erwerbsfähig sein müsse, ein Hinweis darauf sein könne, dass diese Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern solle. Im letztgenannten Fall greift Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 aber von vornherein nicht.
Da insbesondere die – den innerstaatlichen Gerichten obliegende (vgl. EuGH aaO) - Prüfung, ob die Antragsteller eine tatsächliche Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt hergestellt haben, weiterer Sachermittlungen erfordert, war im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris). Gleiches gilt für die Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin gemäß § 8 Abs. 2 SGB II. Angesichts des existenzsichernden Charakters der begehrten Leistungen wiegen die der Antragstellerin drohenden Nachteile bei einer (vollen) Ablehnung des Antrags und einem späteren Obsiegen im Hauptsacheverfahren ungleich schwerer als der Nachteil einer Überzahlung für den Antragsgegner. Aus diesem Grund war der Antragsgegner einstweilen zu verpflichten, das absolute Existenzminimum der Antragstellerin zu sichern. Das Gericht hat sich insoweit an dem Wert für den notwendigen Bedarf ohne Unterkunftskosten orientiert, der sich aus § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz ergibt. Die einstweilige Anordnung ergeht für die Zeit bis 31. Januar 2010. Es bleibt der Antragstellerin unbenommen, nach Ablauf dieses Zeitraums bei dem SG erneut um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen, sofern bis dahin das Hauptsacheverfahren nicht abgeschlossen sein sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Der – bedürftigen - Antragstellerin war Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin D zu bewilligen, weil der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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