S 4 U 172/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 172/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Begriff des Kraft Gesetzes unfallversicherten Beschäftigten im Familienunternehmen einer Ltd.
Tenor: Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2008 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2008 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Unfallereignis des Klägers vom 5. Dezember 2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Der Kläger macht die Anerkennung eines am 5. Dezember 2005 erlittenen Unfallgeschehens als Arbeitsunfall geltend.

Der am ...1943 geborene Kläger, ein Kaufmann, fuhr am 5. Dezember 2005 gegen 15:00 Uhr auf der B 294 auf dem Autobahnzubringer Freiburg Nord in Richtung Gundelfingen als ange-schnallter Fahrer eines Pkw auf einen quer zur Fahrbahn stehenden Lkw auf. Dabei erlitt er eine Lendenwirbelkörperfraktur Typ A 1 sowie eine Thoraxprellung, Schürfung am Kopf und am rechten Knie. Wegen der erlittenen Verletzungen wurde der Kläger zunächst stationär im Universitätsklinikum Freiburg im Zeitraum vom 5. bis zum 9. Dezember 2005 behandelt. Anschließend unterzog er sich vom 15. Dezember 2005 bis zum 5. Januar 2006 einer stationären Reha-Heilbehandlung in der Orthopädischen Rehabilitationsklinik Höhenblick. Anlässlich einer Nachuntersuchung im Universitätsklinikum Freiburg am 25. Januar 2006 hieß es laut Zwischenbericht des Klinikums vom 26. Januar 2006, der Kläger habe kaum mehr Beschwerden vonseiten der unfallbedingt erlittenen Verletzungen. Das ihm verordnete Korsett trage er weiter. Eine MdE im rentenrelevanten Bereich werde voraussichtlich nicht verbleiben.

Bereits zuvor, unter dem 16. Januar 2006, hatte die E ... Ltd. Baden-Baden auf Anfrage des Beklagten erklärt, der Kläger sei bei ihr als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Die Arbeitszeit betrage arbeitstäglich 8 Stunden. Er sei im Vertrieb und kaufmännischen Bereich tätig. Seine monatliche Vergütung betrage 2.000,- EUR. Diese werde auch tatsächlich ausgezahlt. Dem Kläger stünden 28 bezahlte Urlaubstage jährlich zu. Der vorgelegte, auf den 31. August 2005 datierende Arbeitsvertrag wies den Kläger als Leiter im kaufmännischen und Vertriebsbereich aus. Zum Entgelt hieß es in § 2 des Arbeitsvertrages, der Arbeitnehmer erhalte eine monatliche Bruttovergütung von 2.000,- EUR. Zusätzlich erhalte er die Hälfte des an die Krankenversicherung zu zahlenden Beitrags zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 174,- EUR erstattet. § 3 des Arbeitsvertrages bestimmte sodann, dass der Kläger Anspruch auf jährlichen Urlaub von 28 Tagen habe, dabei seien berechtigte Wünsche des Klägers im Hinblick auf den Urlaubszeitpunkt nach Möglichkeit zu berücksichtigen. § 6 des Arbeitsvertrags regelte, dass das Vertragsverhältnis von beiden Seiten unbeschadet des Rechts zur fristlosen Kündigung mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende oder zum 15. eines Monats gekündigt werden könne.

Auf Anfrage der Beklagten teilte der Kläger unter dem 6. März 2006 schriftlich mit, dass er nach seiner Entlassung aus der Reha am 5. Januar 2006 seine Tätigkeit bei der E ... Ltd bereits am 9. Januar 2006 "mit reduziertem Einsatz" wieder aufgenommen habe. Gleichwohl befinde er sich seither in ambulanten Weiterbehandlungen. Das Stützkorsett müsse er seit dem Unfall ununterbrochen tragen. Er habe bisher ganz bewusst darauf verzichtet, über die Behandlungskosten hinausgehende Ansprüche bei der Beklagten und der Krankenkasse anzumelden, weil seine Unfallangelegenheit über einen Anwalt laufe, der auch Verdienstausfallzeiten und sonstige Ansprüche gegenüber des Unfallverursachers geltend machen werde und davon auszugehen sei, dass ein "doppelter Ersatz" ohnehin nicht genehmigt werde.

Nachdem die Haftpflichtversicherungdes Unfallverursachers die Erstattung von Lohnfortzahlungen und Umsatzeinbußen des Klägers abgelehnt hatte, machte der anwaltlich vertretene Kläger nunmehr am 21. Juli 2008 Ansprüche auf Verletztengeld und vorläufige Verletztenrente gegen die Beklagte geltend. Dazu führte er unter dem 13. August 2008 erläuternd aus, bei der Firma E ...Ltd handele es sich um einen Familienbetrieb, bei dem der Kläger als Arbeitnehmer beschäftigt sei. Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Firma E ...Ltd sei die Tochter des Klägers, die aber im Betrieb der Firma der E ...Ltd überhaupt nicht tätig sei. Allein der Kläger erbringe die wertschöpfende Leistung für die Firma E ... Ltd. Der Grund für diese Gesellschaftskonstellation habe darin gelegen, dass der Kläger nach über 30jähriger erfolgreicher geschäftsführender Gesellschaftertätigkeit in mehreren Firmen, bedingt durch eine veränderte Politik der Banken überraschend finanzielle Probleme bekommen habe. Infolge persönlich geleisteter Bürgschaften für die von ihm geführten Firmengruppen sei er in Anspruch genommen worden, so dass es zum damaligen Zeitpunkt nicht tunlich gewesen wäre, ihn wieder als Gesellschafter und Geschäftsführer der neu gegründeten Firma E ...Ltd zu berufen. Hierfür sei vielmehr eine Person einzusetzen gewesen, die von Schulden unbelastet gewesen sei. Dies sei die Tochter des Klägers gewesen. Der Kläger sei aber die einzige Person, die den Geschäftszweck der Firma E ...Ltd habe realisieren können. Er habe die not-wendigen Geschäfte betrieben. Sein Unfall vom 5. Dezember 2005 und die damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit bis zum 10. April 2006 habe sich dann erwartungsgemäß verheerend auf die Geschäftsentwicklung der neu gegründeten Firma E ... Ltd. ausgewirkt. Der der Firma entstandene Schaden habe sich auf 75.000,- EUR belaufen. Die Erstattung dieses Schadens habe die Haftpflicht des Unfallgegners abgelehnt.

Darauf entschied die Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2008, das Unfallereignis des Klägers vom 5. Dezember 2005 nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen, dementsprechend auch keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Zur Begründung hieß es, der Kläger sei nach der vorläufigen Prüfung, zunächst und der vom Unternehmen und der Steuerkanzlei eingereichten Unterlagen als versicherter Arbeitnehmer betrachtet worden, weil er weder Gesellschafter noch Geschäftsführer der E ... Ltd. sei. Aufgrund des Vortrags seines Bevollmächtigten vom 13. August 2008 seien nunmehr aber Tatsachen bekannt geworden, die eine andere Beurteilung erforderten. Nach diesem Vortrag sei die Tochter des Klägers für die E ... Ltd. lediglich formal als Geschäftsführerin und Gesellschafterin eingesetzt, ohne dass sie für die Firma tätig sei und über einschlägige Fachkenntnisse verfüge. Die wertschöpfende Leistung des Unternehmens erbringe vielmehr allein der Kläger, der faktischer Inhaber des Unternehmens sei. Nach ständiger Rechtsprechung seien auf die im Inland tätigen juristischen Personen britischen Rechts die deutschen Rechtsmaßstäbe anzuwenden. Vorliegend handele es sich um eine aus zwei Personen bestehende Familiengesellschaft, in der die Tochter des Klägers als formal führende Person nicht am Geschäfts-verkehr teilnehme und sie auch formal das Unternehmen weder leite noch bestimmend dominiere. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fehle es bei einer solchen Konstellation an der gesetzlichen Unfallversicherungspflicht begründeten Abhängigkeit mit der Folge, dass der Kläger nach den tatsächlichen Verhältnissen zum Unfallzeitpunkt nicht zum unfallversicherungspflichtigen Personenkreis der Berufsgenossenschaft zähle.

Den dagegen vom Kläger am 17. Oktober 2008 erhobenen, aber nicht weiter begründeten Widerspruch wies die Beklage mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2008 unter Be-zugnahme auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid als unbegründet zurück. Der Wider-spruchsbescheid wurde am 12. Dezember 2008 zur Post gegeben.

Am 15. Januar 2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erheben lassen.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, zum Unfallzeitpunkt, am 5. Dezember 2005, als Arbeitnehmer gesetzlich unfallversichert gewesen zu sein. Aufgrund des mit der E ... Ltd. bestehenden Arbeitsvertrages habe er als Person der Firma und seiner Tochter als Vorgesetzte unterstanden. Es möge zwar sein, dass er seinen Tagesablauf weitgehend selbständig bestimmen könne, dies ändere aber nichts am Abhängigkeitsverhältnis. Maßgeblich sei insoweit alleine, dass er in dem Betrieb und damit in der Arbeitsorganisation des Unternehmens seiner Tochter eingegliedert gewesen sei. Er habe allein die Arbeitsmittel benutzt, die ihm von seiner Arbeitgeberin, der Firma E ...Ltd, zur Verfügung gestellt worden seien. Zudem habe er ständige Dienstbereitschaft geschuldet. Neben seiner Tätigkeit für die Firma E ...Ltd habe er keine andere Tätigkeit erbringen dürfen, schon allein dies spreche für einen typischen Fall von abhängiger Beschäftigung. Auch den Urlaub habe er nicht frei nehmen können. Und wenn er hinsichtlich der Ausführungen seiner Pflichten keine Weisungen von seiner Arbeitgeberin erhalten habe, sei dies allein auf seine Erfahrung und seine Kenntnisse zurückzuführen, die er gegenüber der Geschäftsleitung besessen habe. Dies sei aber bei Diensten höherer Art nicht unüblich, so dass hier Weisungsgebundenheit nur eine geringe Rolle spiele. Gerade im vom Kläger wahrgenommenen Bereich des Außendienstes könne auf dem Arbeitsmarkt erwartet werden, dass Außendienstmitarbeiter sehr frei agierten, ohne dass man auch nur ansatzweise daran zweifelte, dass es sich bei diesen Außendienstmitarbeitern nicht um Arbeitnehmer handele. Des Weiteren widerspreche es auch nicht seiner Arbeitnehmereigenschaft, dass er die wertschöpfenden Leistungen für das Unternehmen alleine erbracht hat. Dies sei auch bei anderen Unternehmen zu beobachten, wie z. B. bei Banken, bei denen noch bis vor kurzem die Börsenhändler der Banken den maßgeblichen Gewinn erwirtschaftet hätten. Gleichwohl seien die Börsenhändler nicht zu Unternehmern der Banken geworden. Die Auffassung der Beklagten gehe an der heutigen wirtschaftlichen Realität vorbei und übersehe, dass bei leitenden Angestellten die Entscheidungsfreiheit nicht nur gefördert, sondern geradezu erwartet werde. Deshalb sei er auch als Beschäftigter im Sinne des Sozialgesetzbuchs VII anzusehen und sein Unfall vom 5. Dezember 2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2008 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 11. Dezember 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Unfallereignis vom 5. Dezember 2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist weiter der Auffassung, der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt nicht gesetzlich unfallversichert gewesen. Auch habe der Kläger am 31. August 2005 der E ... Ltd. einen Arbeitsvertrag als Leiter im kaufmännischen Bereich und im Vertriebsbereich abgeschlossen. Der Kläger sei gleichwohl nicht als Beschäftigter dieser Firma tätig geworden, sondern habe wie ein Selbständiger agiert. Mangels freiwilliger Versicherung habe dem Kläger daher für den Verkehrsunfall kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz zugestanden. Maßgeblich seien insoweit nicht die formalen vertraglichen Beziehungen, sondern die tatsächlichen Verhältnisse in dem Unternehmen. Die verfeinerte Weisungsabhängigkeit von höheren Angestellten sei das eine, vorliegend bestehe jedoch überhaupt kein Indiz dafür, dass der Kläger in irgendeiner Weise in Bezug auf Ort, Zeit oder Art seiner Tätigkeit irgendwelchen Weisungen seiner Arbeitgeberin oder seiner Tochter unterlegen gewesen wäre, die objektive Beweislast treffe daher den Kläger. Ob Familienangehörige im Unternehmen beschäftigt oder selbständig tätig seien, sei stets eine Frage des Einzelfalls. Insbesondere gebe es keine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Familienmitglied als abhängig beschäftigte Person im Unternehmen tätig sei.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung die Tochter des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführerin der E ... Ltd., den Steuerberater S. als Steuerberater der Firma E ... Ltd. sowie Frau G. als Kundenbetreuerin der Firma E ... Ltd. der D ... Bank Baden-Baden als Zeugen vernommen. Für das Ergebnis der zeugenschaftlichen Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen und dem Gericht vorliegenden Behördenakten und den Inhalt der Gerichtsakte (S 4 U 172/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in der Sache begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18. September 2008 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 11. Dezember 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das vom Kläger am 5. Dezember 2005 erlittene Unfallereignis ist als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII - sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII be-gründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Dass der Kläger am 5. Dezember 2005 einen Pkw-Unfall erlitten und sich dabei Verletzungen - insbesondere eine Lendenwirbelkörperfraktur Typ A 1, eine Thoraxprellung sowie Schürfungen am Kopf und am rechten Knie - zugezogen hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Bei seiner Unfallfahrt ist der Kläger - entgegen der Auffassung der Beklagten - als abhängig Beschäftigter der E ... Ltd. (künftig: Ltd.) im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII auch unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind Beschäftigte kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfall-versicherung versichert. Beschäftigung wird in § 7 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII - definiert als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Ob der Betroffene Arbeiter, Angestellter oder Auszubildender ist, ist bedeutungslos, entscheidend ist vielmehr, ob er Arbeitnehmer ist, d.h. ob er - im Gegensatz zu den jedenfalls in dieser Eigenschaft nicht nach Nr. 1 versicherten Selbständigen - eine abhängige, weisungsgebundene Tätigkeit ausübt. Kennzeichnend für den Arbeitnehmer ist die persönliche Abhängigkeit von einem Dritten, dem Arbeitgeber (vgl. BSGE 8, 278; 10, 41; 13, 130). Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsführung (vgl. BSGE 13, 196, 201 f.; 20, 6, 8; 58, 53, 57 und 51, 164, 167). Zwar kann das Weisungsrecht erheblich eingeschränkt sein, wie das insbesondere bei Diensten höherer Art der Fall ist, vollständig entfallen darf es jedoch nicht; es muss eine fremd ¬bestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von der anderen Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebs aufgehen (vgl. BSGE 38, 53, 57). Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende seine Tätigkeit also wesentlich frei gestalten, insbeson¬dere über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen oder fügt er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebs ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbständige Tätigkeit vor, die zusätzlich durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet zu sein pflegt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Juni 1997, HVBG-Info 1998, 918 ff.).

Auch Ehegatten, Lebenspartner und Verwandte können als abhängig Beschäftigte versichert sein. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Ehegatte oder Verwandte - hier der Vater der Gesellschafter-Geschäftsführerin - aufgrund eines echten Anstellungsverhältnisses oder aus familiären Gründen tätig geworden ist. Die Abgrenzung hat weniger anhand der vertraglichen Abmachungen zu erfolgen als vielmehr aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse. Indizien für die Annahme eines echten Beschäftigungsverhältnisses sind insbesondere die Eingliederung in den Betrieb in einer Weise, die dazu führt, dass keine fremde Arbeitskraft eingestellt wird, die Regelung der Höhe der Bezüge, die Angemessenheit der Bezüge in Relation zu dem Entgelt, das an fremde Arbeitskräfte gezahlt wird, die Einbehaltung und Abführung von Steuern und Sozialabgaben sowie die ordnungsgemäße Verbuchung des gezahlten Entgelts oder Gehalts als Betriebsausgabe (vgl. BSG Breith 1974, 102 und SozR 2200 § 539 Nr. 32; Schmitt, SGB VII, Kommentar, 4. Aufl. 2009, § 2 Rn. 7 m. w. N.).

An diesem Maßstab orientiert, ist der Kläger um Zeitpunkt des Unfallereignisses, am 5. Dezember 2005, Arbeitnehmer der Ltd. gewesen. Der Kläger ist damals weder Gesellschafter noch Geschäftsführer der Ltd. gewesen, sondern rechtlich wie tatsächlich betrachtet "nur" einfacher Angestellter. Er hat weder Prokura noch Kontovollmacht gehabt und keinerlei unternehmerisches Risiko getragen. Das Geschäftsrisiko der Ltd. hat 2005 vielmehr ausschließlich auf der Tochter des Klägers als der Geschäftsführerin und Gesellschafterin der Ltd. gelegen. Sie und soweit die Prokura ihrer Mutter, der Ehefrau des Klägers, gereicht hat, auch diese, haben nach außen für die Ltd. gehaftet und diese auch nach außen wahrnehmbar geleitet und vertreten. Gesellschafter-Geschäftsführerin und Prokuristin - nicht etwa der Kläger - haben die Bankgeschäfte betrieben, die Termine beim Steuerberater wahrgenommen und die Bilanzen unterzeichnet. Vor diesem Hintergrund tritt der von der Beklagten hervorgehobene Umstand des Lebensmittelpunkts der Gesellschafter-Geschäftsführerin als Publizistikstudentin in Berlin zurück, der zudem durch die der am Geschäftsort wohnhaften Mutter der Gesellschafter-Geschäftsführerin erteilten Prokura relativiert wird. Der Kläger als Angestellter hat 2005 dadurch unter doppelter Aufsicht - sowohl der Gesellschafter-Geschäftsführerin als auch der Prokuristin der Ltd. - gestanden und ist sowohl de jure als auch de facto von beiden persönlich abhängig gewesen. Der Kläger als einziger Angestellter und einziger Branchenkundiger hat zwar die Wertschöpfung der Ltd. maßgeblich bestimmt und geprägt. Aber selbst faktisch ist sein Einfluss auf die Geschicke der Ltd. zum Unfallzeitpunkt doch eher begrenzt gewesen. Jederzeit hätte seine Tochter als Gesellschafterin und Geschäftsführerin die Ltd. liquidieren und den Kläger entlassen können; auch Personal und Sachmittel hat der Kläger nicht selbstbestimmt einstellen, entlassen oder anschaffen können. Nach außen hat der Kläger für die Ltd. keine einzig rechtlich relevante Entscheidung treffen können und nach der glaubhaften Aussage der Kundenbetreuerin des kontoführenden Instituts der Ltd. nicht einmal Kontovollmacht für das Geschäftskonto gehabt. Kredite hätte er angesichts der insolvenzbedingten Vorgeschichte seiner vorherigen beiden Unternehmen im Übrigen wohl auch de facto gar nicht erhalten.

Des Weiteren ist auch der Anstellungsvertrag zwischen Ltd. und Kläger vom 31. August 2005 jedenfalls im Wesentlichen vollzogen worden. Insbesondere hat der Kläger ein absolut angemessenes und jeden Fremdvergleich aushaltendes monatliches Gehalt von 2.000 EUR erhalten; zu offenen oder verdeckten Gewinnausschüttungen an den Kläger ist es der glaubhaften Aussage des Steuerberaters S. der Ltd. nicht gekommen. Das dem Kläger von der Ltd. gezahlte Gehalt ist nach der Aussage des Steuerberaters zudem auch ordnungsgemäß als Betriebsausgabe der Ltd. gebucht worden. Dass der Kläger im Jahre 2005 den ihm arbeitsvertraglich zustehenden Urlaub nicht oder jedenfalls im Wesentlichen nicht genommen hat, wertet das Gericht weniger als unternehmerähnlich, denn als dem damals mageren Geschäftsergebnis der Ltd. - Jahresumsatz von nur 40.000 EUR - geschuldet.

Aus der vorstehend dargelegten fallbezogenen Gesamtbetrachtung folgt für das Gericht im Ergebnis klar, den Kläger zum Unfallzeitpunkt am 5. Dezember 2005 als Beschäftigten im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zu sehen, der kraft Gesetzes bei der Beklagten unfallversichert ist.

Die am Erfolg der Klägers orientierte Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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