L 5 AS 880/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 159 AS 4602/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 880/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Stromkosten sind grundsätzlich keine Kosten der Unterkunft und Heizung. Soweit die tatsächlichen Kosten eines Hilfebedürftigen für Haushaltsenergie höher sind als der in der Regelleistung insoweit berücksichtigte Betrag von 20,86 Euro, besteht kein Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags nach § 22 Abs. 1 SGB II.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2009 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme den Betrag von 20,86 Euro monatlich übersteigender Stromkosten zusätzlich zu den Kosten der Unterkunft.

Der im Juni 1983 geborene Kläger, der bei dem Beklagten im Leistungsbezug steht, beantragte mit Schreiben vom 26. September 2007 die Übernahme der den Betrag von 20,86 Euro monatlich übersteigenden Stromkosten als Kosten der Unterkunft. Zur Begründung führte er aus, sein monatlicher Abschlag für Strom betrage 30,- Euro. Die monatliche Regelleistung enthalte jedoch insoweit nur einen Betrag in Höhe von 20,86 Euro. Die Differenz in Höhe von derzeit 9,14 Euro sei seiner Ansicht nach als Bedarf für die Unterkunft anzuerkennen, da durch eine Wohnung auch automatisch Kosten für Strom entstünden.

Den Antrag des Klägers lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Oktober 2007 ab und führte aus, der pauschalierte Regelsatz berücksichtige die bei allen Hilfesuchenden etwa gleich hohen notwendigen Lebenshaltungskosten, die durch Untersuchungen des Bedarfs ermittelt würden. Die Regelleistung umfasse insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Sei im Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt, so könne dem Hilfebedürftigen bei entsprechendem Nachweis eine Sachleistung oder ein entsprechendes Darlehen gewährt werden. Unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse sei der Kläger aber in der Lage, die beantragte Sonderleistung aus eigenen Kräften und Mitteln in vollem Umfang zu decken, so dass eine Übernahme der Kosten nicht möglich sei.

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 12. Oktober 2007 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Bescheid vom 17. Januar 2008 zurückwies. Er führte ergänzend aus, der Gesetzgeber habe die in den Regelleistungen enthaltenen Einzeltatbestände pauschaliert. Damit werde eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass ein hundertprozentiger Ausgleich der Einzelbedarfe nicht beabsichtigt sei. Durch die Gewährung der Regelleistungen werde den Leistungsberechtigten die Möglichkeit gegeben, frei über den Einsatz der zur Verfügung gestellten Mittel zu entscheiden und entsprechende Prioritäten zu setzen. Eine zusätzliche Leistung zur Deckung anfallender Energiekosten sei daher nicht vorgesehen.

Daraufhin hat der Kläger am 8. Februar 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Der Betrag von 30,- Euro monatlich für Strom sei angemessen und liege im Vergleich im Durchschnitt für einen Einpersonenhaushalt. Eine Deckung des den Betrag von 20,86 Euro monatlich übersteigenden Bedarfs aus der Regelleistung sei nicht möglich, ohne das Existenzminimum zu unterschreiten. Ein menschenwürdiges Leben in der Allgemeinheit sei dann nicht mehr zu gewährleisten.

Der Beklagte hat an seiner Auffassung festgehalten.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Berlin die Klage durch Gerichtsbescheid vom 12. Mai 2009 abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, die pauschalierte Regelleistung enthalte unter anderem die für die Stromversorgung anfallenden Kosten. Es obliege der Selbstverantwortung und dem Selbstbestimmungsrecht des Grundsicherungsempfängers, seinen Stromverbrauch zu steuern. Er könne selbst entscheiden, inwieweit er mit dem ihm eingeräumten monatlichen Budget für Stromkosten auskommen wolle. Eine Verletzung der Menschenwürde sei dadurch gerade nicht gegeben. Strom sei damit gerade nicht Teil der Unterkunftskosten. Das Bundessozialgericht habe ausdrücklich festgestellt, dass die Kosten für Haushaltsenergie aus der Regelleistung zu bestreiten seien. Im Gegensatz etwa zur üblichen Warmwasserversorgung erfolge die Stromversorgung nicht über den Vermieter, sondern aufgrund eines eigenständigen Stromlieferungsvertrages mit einem lokalen Stromversorger. Über die Regelleistung hinausgehende Leistungen könnten lediglich bei Vorliegen eines Mehrbedarfs gewährt werden. Die diesbezüglichen Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Die Gewährung eines Darlehens habe der Kläger nicht beantragt.

Gegen den ihm am 15. Mai 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Mai 2009 Berufung eingelegt. Er meint, die in der Regelleistung enthaltene Pauschale für Strom in Höhe von 20,86 Euro monatlich sei durch den Gesetzgeber willkürlich festgelegt worden; sie sei unrealistisch und decke den tatsächlichen Bedarf nicht ab. Es stelle sich, gerade auch im Hinblick auf die ständigen, vom Verbraucher nicht zu beeinflussenden Preisschwankungen, grundsätzlich die Frage, ob der Energiebedarf pauschalierbar sei. Der Gesetzgeber habe zudem nicht ausreichend bzw. gar nicht dem Umstand Rechnung getragen, dass jemand, der keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, sich wesentlich länger in seiner Wohnung aufhalte als einer, der arbeiten gehe, und somit auch einen höheren Energiebedarf und damit höhere Kosten habe. Dass der Gesetzgeber keinen vollen Ausgleich der einzelnen Bedarfe beabsichtigt habe, verstoße gegen die Verfassung. Seiner Auffassung nach sei die Verfassungsmäßigkeit des Regelsatzes auch in seiner Frage von Entscheidungsrelevanz. Es sei eine "Frechheit", dass ihm seitens des Gerichts geraten worden sei, sich erforderlichenfalls nach einer anderen Wohnung umzusehen. Seine Wohnung sei 34,78 m² groß und sein Stromverbrauch liege jährlich zwischen 650 und 800 KW/h, was zweifelsfrei Durchschnitt sei. Die Wohnung sei in Größe und Kosten angemessen; eine andere Wohnung würde an dem Stromverbrauch wenig bzw. nichts verändern, jedenfalls nicht nach unten. Besondere elektrische Geräte betreibe er nicht, nur Kühlschrank, Waschmaschine, Staubsauger, Fernseher, Kaffeemaschine, Toaster und ansonsten die normale Raumbeleuchtung.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2009 sowie den Bescheid vom 5. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm ab dem 26. September 2007 seine tatsächlichen Stromkosten abzüglich eines Betrags in Höhe von 20,86 Euro monatlich als Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (BGNR ) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, da mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG). Sie ist aber nicht begründet, denn das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht abgewiesen. Einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihm seine tatsächlichen Stromkosten abzüglich eines Betrags in Höhe von 20,86 Euro monatlich als Kosten der Unterkunft zu gewährt, hat der Kläger nicht. Zutreffend hat der Beklagte seinen darauf gerichteten Antrag abgelehnt und den Widerspruch zurückgewiesen.

Streitgegenstand ist ausschließlich die Höhe der dem Kläger zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung. Der Streitgegenstand konnte darauf beschränkt werden. Zwar sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bei einem Streit um höhere Leistungen grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen. Ein Bescheid kann im Einzelfall jedoch gleichwohl mehrere abtrennbare Verfügungen enthalten. Um eine derartige abtrennbare Verfügung handelt es sich bei dem für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II bewilligten Betrag (vgl hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 217).

Dass der Kläger Berechtigter im Sinne des § 7 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Bezüglich der geltend gemachten Kosten von Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II besteht kein Streit über die Angemessenheit der Wohnung. Der Kläger meint aber, der Beklagte habe ihm zusätzlich zu dem bereits anerkannten Bedarf die Differenz zwischen dem Betrag von 20,86 Euro, der den in der Regelleistung enthaltenen Anteil für Stromkosten darstelle, und seinen tatsächlichen monatlichen Stromkosten von derzeit 30,- Euro, im Moment also 9,14 Euro monatlich, zu gewähren.

Ein Anspruch auf die Übernahme dieses Differenzbetrags besteht jedoch nicht. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Grundsätzlich besteht damit gemäß § 22 Abs. 1 SGB II - im Rahmen der Angemessenheit - ein Anspruch auf Übernahme der vollständigen und tatsächlichen Kosten, die im Zusammenhang mit dem Wohnen anfallen. Allerdings besteht der Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft nur, soweit der Bedarf nicht bereits anderweitig gedeckt ist. Dies ist hier der Fall. Die Kosten für Strom sind bereits von der Regelleistung gemäß § 20 SGB II umfasst. Sie können nicht zweifach gedeckt werden: Im Rahmen der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II und im Rahmen der Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II.

Welche Bedarfe von der Regelleistung umfasst werden, umschreibt § 20 Abs. 1 SGB II. Die ursprüngliche Fassung der Vorschrift (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954, künftig: a.F.) war allerdings insofern nicht eindeutig. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. umfasste die Regelleistung insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Die Haushaltsenergie war in dieser Aufzählung nicht ausdrücklich erwähnt. Allerdings hat der Gesetzgeber des SGB II von vornherein deutlich gemacht, dass die Regelleistung im Rahmen des § 20 SGB II dem Modell des Regelsatzes nach dem Sozialhilferecht folgt (grundlegend BT-Drucks 15/1516, Seite 56). Die Sozialhilfe wird als "Referenzsystem" für das SGB II bezeichnet. Zum Zeitpunkt der Schaffung des SGB II bestand im Rahmen der Sozialhilfe keinerlei Zweifel daran, dass die Kosten für Haushaltsenergie dem Regelsatz und nicht den Kosten der Unterkunft zuzuordnen waren. In § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (Regelsatzverordnung, zitiert nach juris) hieß es bis zum 31. Dezember 2004: "Die Regelsätze umfassen die laufenden Leistungen für Ernährung, hauswirtschaftlichen Bedarf einschließlich Haushaltsenergie sowie für persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens". Auch im SGB II geht die herrschende Meinung davon aus, dass bereits unter Geltung des § 20 Abs. 1 SGB II a.F. die Regelleistung die Kosten für Haushaltsenergie umfasste (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/11b AS 15/07 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Mai 2007 - L 7 AS 3135/06; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Februar 2007 - L 9 AS 14/06 alle drei zitiert nach juris; Berlit in LPK SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22 Rdnr 19; Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand September 2009, § 22 Rdnr 28; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, § 22 SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rdnr 34). Bestätigt wird diese Auslegung durch die Neufassung, die die Norm durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) erhalten hat. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II wurde dahingehend geändert, dass die Regelleistung auch die "Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile" umfasst. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II greift damit den Wortlaut der gleichlautenden Vorgängervorschriften des Sozialhilferechts auf. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 16/1410, Seite 23) handelt es sich bei der Neufassung um eine Klarstellung (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 48/08 R, BSGE 102, 274). Ausdrücklich wird in der Gesetzesbegründung angeführt, dass anderenfalls systemwidrig "doppelte" Leistungen erbracht würden (BT-Drucks 16/1410, Seite 23).

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren die Verfassungsmäßigkeit von § 20 Abs. 1 SGB II in Frage gestellt und Ausführungen dazu gemacht hat, bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit seinem Vortrag, weil Streitgegenstand des Verfahrens nicht die Regelleistung, sondern allein die Höhe der Kosten von Unterkunft und Heizung ist. Nur darüber hat das Sozialgericht geurteilt und nur darüber ist der Senat dementsprechend befugt zu entscheiden. Soweit der Kläger im Übrigen den in der Regelleistung für Haushaltsenergie vorgesehenen Anteil für falsch hält, ist ihm entgegenzuhalten, dass es dem Wesen einer pauschalierten Leistung entspricht, dass sie dem Empfänger in ihrer Gesamtheit zur selbstverantwortlichen Gestaltung seines Lebens zur Verfügung gestellt wird. Dementsprechend ist es nicht möglich, die für einzelne Bedarfe oder Verbrauchspositionen angesetzten Beträge einer jeweils gesonderten Richtigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/11b AS 15/07, BSGE 100, 94). Dass der Gesamtbetrag der in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II festgesetzten monatlichen Regelleistung zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums unzureichend wäre, ist nicht feststellbar. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift auch lediglich mit dem nicht realitätsgerechten Verfahren der Ermittlung des Existenzminimums begründet und keine Rückwirkung der vom Gesetzgeber vorzunehmenden Neuregelung gefordert (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09, NJW 2010, 505).

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
Saved