L 6 U 21/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 3/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 21/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses vom 3. April 2006 als Arbeitsunfall.

Der am ... 1951 geborene Kläger nahm nach einem Infarkt und einem Verfahren zur Erweiterung der Arterien (PTCA) seit September 2004 an einem Rehabilitationssport der Herzgruppe des Gesundheitssportvereins W. e. V. teil. Am 3. April 2006 gegen 17.15 Uhr verspürte er nach eigenen Angaben während der Erwärmung zum Rehabilitationssport beim Laufen zur Aufnahme eines Balles einen plötzlichen Stich in der rechten Wade. Er begab sich zum Durchgangsarzt und Facharzt f. Chirurgie Dr. M. (P.-G.-St.), der eine deutliche Schwellung des rechten Unterschenkels bei starken Schmerzen feststellte und den Verdacht auf einen Teilriss des Wadenmuskels rechts äußerte. Am 4. April 2006 eröffneten der Facharzt f. Chirurgie Dr. B. und der Oberarzt B. des Evangelischen Krankenhauses P.-G.-St. die Innenseite des rechten Unterschenkels. Nach dem Operationsbericht hätten sich dabei 200 ml altes Blut im Schwall entleert. Als Ursache gaben sie eine partielle Muskelruptur des Wadenmuskels an.

Auf telefonische Nachfrage der Beklagten teilte die Betriebskrankenkasse Verkehrsbau Union (BKK VBU) am 11. Juli 2006 mit, der Kläger habe an einer Reha-Maßnahme nach § 43 SGB V teilgenommen.

Mit Bescheid vom 1. August 2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 3. April 2006 als Arbeitsunfall ab und wies darauf hin, dass das Laufen kein äußeres Ereignis sei. Vielmehr habe es sich dabei um einen zielgerichteten und gewollten Bewegungsablauf gehandelt. Die Wadenschmerzen seien nicht durch eine äußere Gewalteinwirkung verursacht worden. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2006 zurück. Der angeschuldigte Ablauf sei als willentliche und zielgerichtete Anstrengung anzusehen. Eine für eine unfallbedingte partielle Ruptur erforderliche überfallartige Spitzenbelastung der Muskulatur habe nicht bestanden. Die Beklagte hat den Widerspruchsbescheid dem Kläger per Post zugesandt.

Mit der am 29. Januar 2007 vor dem Sozialgericht Dessau erhobenen Klage hat der Kläger die Anerkennung des Ereignisses vom 3. April 2006 als Arbeitsunfall weiter verfolgt. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Sozialgericht den Chefarzt der Klinik f. Unfall- und Handchirurgie des St. K ... D. Dr. Z. mit der Erstattung des Gutachtens vom 19. August 2007 beauftragt, der ausgeführt hat, der Kläger habe zu dem Unfallhergang berichtet, er habe einen Ausfallschritt nach rechts gemacht. Dieser Unfallhergang sei nicht geeignet, eine traumatische Muskelruptur zu verursachen. Wesentliche Ursache für den Eintritt des Schadens sei die Ermüdung der Muskulatur nach 45-minütiger Belastung sowie die Einnahme der Thrombozytenaggregationshemmer gewesen. Die Kraftentfaltung eines Ausfallschrittes führe bei einer nicht ermüdeten Muskulatur keinesfalls zu einer Muskelruptur. Bei der Ermüdung der Muskulatur entstehe eine fehlerhafte Kommunikation zwischen Muskel und Nerven, so dass auch bei physiologischer Belastung eine Überlastung des Muskels eintrete. Die Ermüdung der Muskulatur sei nicht Folge der versicherten Tätigkeit.

Mit Urteil vom 3. Januar 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung auf das Gutachten von Dr. Z. Bezug genommen, wonach der Geschehensablauf nicht geeignet gewesen sei, eine traumatische Muskelruptur zu verursachen. Ursache für den Eintritt des Körperschadens sei vielmehr die Ermüdung der Muskulatur gewesen.

Gegen das am 15. Januar 2008 zugegangene Urteil hat der Kläger am 15. Februar 2008 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Die Ermüdung der Muskulatur habe nicht zu dem schädigenden Ereignis geführt. Er habe erst um 16.30 Uhr seine körperlichen Bewegungen aufgenommen. Bereits um 16.45 Uhr sei der Unfall geschehen. Dr. Z. gehe daher von einem fehlerhaften Zeitablauf aus. Ferner sei es unbeachtet geblieben, dass er einem anderen Patienten unmittelbar vor dem Unfall habe ausweichen müssen. Sein Kardiologe Dr. H. habe ihm nach dem Infarkt empfohlen, am Reha-Sport teilzunehmen. Eine entsprechende Unterlage von Dr. H. habe er der Krankenkasse vorgelegt.

Der Kläger hat dem Gericht eine von Dr. H. unterzeichnete Erklärung zur Notwendigkeit des Reha-Sportes mit der Bewilligung der BKK BVU vom 9. November 2004 sowie eine Erklärung der Vorsitzenden des Gesundheitssportvereins WB e. V. K. vom 19. März 2009 vorgelegt. Auf Blatt 173 und 178 der Akte wird verwiesen. Frau K. hat in ihrem Schreiben erklärt, der Verein führe keinen medizinischen Rehabilitationssport nach § 40 SGB V durch, sondern biete ein Funktionstraining auf der Grundlage des § 44 SGB IX als ergänzende Rehabilitationsmaßnahme gemäß der Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport an.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 3. Januar 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 1. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2006 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 3. April 2006 ein Arbeitsunfall ist,

hilfsweise den Oberarzt der Klinik f. Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Evangelischen Krankenhauses P.-G.-St. W. Dr. D. nach § 109 SGG gutachtlich anzuhören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurück zu weisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. Z ... Sie ist im Übrigen der Auffassung, der Kläger habe während der Teilnahme am Reha-Sport nicht dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterlegen, weil er nicht in einer von einem Sozialversicherungsträger zugelassenen Reha-Einrichtung eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt habe.

Das Landessozialgericht hat die Verwaltungsakte der BKK VBU beigezogen. Unterlagen zum Reha-Sport konnte die BKK VBU, mit Ausnahme der Stundenabrechnungen, nicht vorlegen. Es hat weitere Befundberichte von Dr. H. eingeholt.

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Verwaltungsakten der BKK VBU haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 3. April 2006 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Bescheid der Beklagten vom 1. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2006 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger war während des Reha-Sports der Herzgruppe des Gesundheitsportvereins WB e. V. am 3. April 2006 nicht Versicherter im Sinne des § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Nach § 8 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod geführt haben.

Ob der Kläger am 3. April 2006 während des Reha-Sports einen Unfall im Sinne dieser Vorschrift erlitten hat, kann dahingestellt bleiben. Denn der Kläger war während des Reha-Sports nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII sind unter anderem Personen in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert, die auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten. Bei dem von Dr. H. im Jahr 2004 verordneten Reha-Sport mit 50 Übungseinheiten innerhalb von 18 Monaten handelt es sich um eine ambulante Leistung. Sie gehört aber nicht zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII. Denn die Verordnung von Dr. H. weist den Reha-Sport als Leistung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Nr. 3 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) aus. Obgleich in der Verordnung auch der § 43 SGB V erwähnt wird, handelt es sich ausschließlich um eine Leistung nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX. Dort wird der ärztlich verordnete Reha-Sport ausdrücklich erwähnt. Eine ergänzende Leistung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB V liegt demnach nicht vor. Denn § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB sieht u. a. über § 44 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 SGB IX hinaus gehende ergänzende Leistungen als Kann-Leistungen des Krankenversicherungsträgers vor. Da der ärztlich verordnete Reha-Sport bereits in § 44 SGB IX geregelt ist, findet § 43 SGB V vorliegend keine Anwendung.

Bei den ergänzenden Leistungen nach § 44 SGB IX handelt es sich nicht um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation" sind in den §§ 26 bis 32 des 4. Kapitels des 1. Teils des SGB IX geregelt. Demgegenüber gehört § 44 zum 6. Kapitel des 1. Teils des SGB IX, der mit "Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen" überschrieben ist. Aus dieser Stellung des § 44 im SGB IX wird deutlich, dass es sich bei den Leistungen nach § 44 SGB IX nicht um Leistungen des 4. Kapitels und damit nicht um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation handelt. Auch der Wortlaut des § 44 SGB IX weist hierauf hin. Denn § 44 SGB IX ergänzt nicht nur die Leistungen des 4. Kapitels, sondern auch die im 5. Kapitel aufgeführten "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben", die ebenfalls keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind.

Paragraph 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII ist über seinen Wortlaut hinaus nicht auf andere Leistungen nach dem SGB IX zu beziehen. Der Wortlaut ist eindeutig und bezieht sich allein auf die als medizinische Leistungen zur Rehabilitation geregelten Tatbestände. Neben den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB IX gehören hierzu auch die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach §§ 40, 41 SGB V. Für eine erweiternde Auslegung besteht kein Raum. Zu den Leistungen nach §§ 40 und 41 SGB V gehört der ärztlich verordnete Reha-Sport nicht.

Dem Hilfsantrag des Klägers nach § 109 SGG, den Oberarzt der Klinik f. Unfall- und Wiederherstellungschirurgie P.-G.-St. Dr. D. zu hören, war nicht stattzugeben, weil es auf medizinische Einschätzungen gar nicht ankommt. Da der Kläger während der Ausübung des Reha-Sports kein Versicherter in der gesetzlichen Unfallversicherung war, fehlt es bereits an einer der rechtlichen Voraussetzungen des § 8 SGB VII. Auf den medizinischen Ursachenzusammenhang zwischen dem Gesundheitsschaden und der ausgeübten Tätigkeit kommt es in diesem Falle nicht mehr entscheidend an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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