L 13 AS 3811/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 2509/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3811/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 11. August 2010 wird zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 11. August 2010 aufgehoben, soweit das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, dem Antragsteller ab 1. August 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Direktüberweisung an die EnBW in Höhe von monatlich 45,00 EUR und 78,00 EUR auszuzahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Drittel seiner außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners ist das Schriftformerfordernis (für die Beschwerde normiert in § 173 Satz 1 SGG) auch bei einer mittels Computerfax übermittelten Beschwerdeschrift gewahrt, wenn die Unterschrift des Beschwerdeführers eingescannt ist. Dies hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes bereits mit Beschluss vom 5. April 2000 (GmS-OGB 1/98 - BGHZ 144, 160 = SozR 3-1750 § 130 Nr. 1, veröffentlicht auch in Juris) entschieden; von dieser Rechtsprechung abzuweichen besteht für den erkennenden Senat kein Anlass. Die selbstständige Anschlussbeschwerde des Antragsgegners ist ebenfalls zulässig; auch sie genügt den Formerfordernissen des § 173 Satz 1 SGG. Die Beschwerdeschrift des Antragsgegners vom 24. August 2010 ist - unter Zugrundelegung seiner eigenen Ausführungen dem Schriftformerfordernis nicht genügend - dem Senat (zunächst) ebenfalls mittels Computerfax übermittelt worden. Anders als im Fall der Beschwerdeschrift des Antragstellers war der Schriftsatz des Antragsgegners aber nicht mit einer (eingescannten) Unterschrift sondern nur mit dem Zusatz "(per PC-Fax versandt, daher ohne Unterschrift)" versehen. Der hierin zu sehende Formmangel, der zur Unzulässigkeit der Beschwerde geführt hätte, ist jedoch durch die anschließende Übersendung der nun mit einer Unterschrift versehenen Beschwerdeschrift auf dem Postweg geheilt worden.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat dem im Beschwerdeverfahren konkretisierten Begehren des Antragstellers im Ergebnis zu Recht nicht entsprochen (dazu unter 1.). Demgegenüber ist die Beschwerde des Antragsgegners begründet, soweit er im angegriffenen Beschluss verpflichtet worden ist, dem Antragsteller Leistungen ohne Direktüberweisung von Stromabschlägen und Ratenzahlungen an den Stromversorger zu gewähren. Das SG hat den Antragsteller hingegen zu Recht verpflichtet, im Wege der Darlehensgewährung die Stromschulden des Antragstellers in Höhe von 299,00 EUR zu übernehmen; insoweit ist die Beschwerde des Antragsgegners unbegründet (dazu unter 2.).

1. Mit seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begehrt der Kläger - anders als im angegriffenen Beschluss des SG angenommen - die Übernahme seiner Stromschuldung und der laufenden Stromabschläge, soweit sie über den im Regelsatz enthaltenen Anteil für Strom (den der Antragsteller auf 20,45 EUR beziffert) hinausgehen, als Zuschuss. In diesem Sinne hat der Antragsteller sein Begehren im Beschwerdeverfahren konkretisiert. Seinem Vorbringen, sachdienlich ausgelegt, ist ferner zu unterstellen, dass er hilfsweise die Übernahme der Stromschulden als Darlehen (weiterhin) geltend machen will. Über die angegriffene Entscheidung des SG hinaus vermag der Antragsteller mit seinem Begehren jedoch nicht durchzudringen.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistung für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Rechtshängigkeit des Eilverfahrens, herbeizuführen ist, von einer in die Gegenwart fortwirkenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER-B - veröffentlicht in Juris). Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert in der Regel nur eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O. m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen - über die Entscheidung des SG hinaus - die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor; der Antragsteller hat hinsichtlich der begehrten Übernahme der Stromkosten als Zuschuss weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Auch unter Würdigung des umfangreichen Vorbringens des Antragstellers zur Begründung seiner Beschwerde vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, dass die erheblichen Aufwendungen für Strom ausschließlich durch die aus medizinischen Gründen notwendige Verwendung einer Wärmelampe entstehen sollen. Der Kläger hat überdies nicht glaubhaft gemacht, dass die zugrundeliegende Erkrankung ausschließlich auf diese Weise erfolgversprechend behandelt werden kann und - zumindest bis zur Entscheidung in der Hauptsache - nicht andere im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gewährte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund ist weder ersichtlich, dass die Voraussetzungen des hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 21 Abs. 6 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 27. Mai 2010 [BGBl. I S. 671]) vorliegen, noch dass dem Kläger ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten wäre. Eine Übernahme der Stromkosten als Zuschuss nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil diese Kosten nach § 20 Abs. 1 SGB II, mit Ausnahme der auf die Heizung entfallenden Anteile, Teil der Regelleistung sind und nicht zu Kosten der Unterkunft zählen (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 26. Mai 2010 - B 4 AS 7/10 B - veröffentlicht in Juris). Ergänzend verweist der Senat zur weiteren Begründung auf den Beschluss des SG vom 25. Mai 2010 (S 11 AS 1572/10) - die Beschwerde gegen diesen Beschluss wurde vom Landessozialgerichts Baden-Württemberg als unzulässig verworfen (Beschluss vom 1. Juli 2010 - L 7 AS 2532/10) - mit dem das SG einen weitgehend inhaltsgleichen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt hat. Dieser Beschluss macht den streitgegenständlichen Antrag wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, insbesondere des weiteren Anstiegs der aufgelaufenen Rückstände und der Erhöhung der vom Antragsteller zu leistenden Abschlagszahlung, zwar nicht unzulässig (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 45a m.w.N.); die Begründung der dort getroffenen Entscheidung erweist sich aber inhaltlich weiterhin als in vollem Umfang zutreffend.

2. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des SG vom 11. August 2010 ist nicht bereits deshalb begründet, weil das SG den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht als zulässig angesehen hätte. Aus den oben zur Zulässigkeit der Beschwerde genannten Gründen genügt auch die mit einer eingescannten Unterschrift versehene Antragsschrift vom 19. Juli 2010 dem Schriftformerfordernis. Zweifelhaft erscheint dem Senat hingegen, dass der Antragsteller mit diesem an eine Mitarbeiterin des Beklagten gerichteten und dem SG nur "nachrichtlich" übersandten Schreiben tatsächlich bereits gerichtlichen Rechtsschutz beanspruchen wollte. Der Antragsteller hat nämlich ausdrücklich nur um eine Unterstützung durch die ihm bekannten Mitarbeiterinnen des Antragsgegners gebeten, die in seinem Namen eine Tilgungsvereinbarung mit dem Stromversorger treffen sollten. Der dem Schreiben beigefügte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vermag daran nichts zu ändern, da der Kläger einen entsprechenden Antrag textbausteinartig allen Schreiben beifügt, ohne dass dies einen zuverlässigen Rückschluss darauf zuließe, dass er tatsächlich gerichtlichen Rechtsschutz begehrt. Erst durch die nachfolgenden Schriftsätze hat der Antragsteller dann aber klargestellt, dass sein Begehren als Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gewertet werden soll. Die Beschwerde des Antragsgegners erweist sich aber als begründet, soweit das SG jenen verpflichtet hat, dem Antragsteller Leistungen ohne Direktüberweisung von Stromabschlägen und Ratenzahlungen an den Stromversorger zu gewähren. Das SG hat einen hierauf gerichteten Antrag zu Unrecht unterstellt. Bereits dem erstinstanzlichen Vorbringen des Antragstellers kann nicht entnommen werden, dass er sich mit seinem Antrag (auch) gegen die bereits seit geraumer Zeit praktizierte direkte Überweisung der Stromabschläge an den Energieversorger richten wollte. Zudem haben beide Beteiligten im Beschwerdeverfahren übereinstimmend darauf hingewiesen, ein solches Begehren sei vom Antragsteller zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht worden. Da das SG dementsprechend mit seiner Entscheidung über den Streitgegenstand des Verfahrens hinausgegangen ist, war der angegriffene Beschluss im tenorierten Umfang aufzuheben. Soweit das SG den Antragsgegner darüber hinaus verpflichtet hat, dem Antragsteller Leistungen ohne Zahlung von Raten (in Höhe von 45,00 EUR) an den Stromversorger zu zahlen, bedurfte es bereits deshalb keiner Entscheidung, weil sich durch die zugesprochene Übernahme der Stromschulden als Darlehen weitere Ratenzahlungen des Antragstellers an den Stromversorger ohnehin erübrigen.

Demgegenüber hat das SG den Antragsgegner zu Recht verpflichtet, die Stromschulden des Antragstellers in Höhe von 299,00 EUR als Darlehen zu übernehmen. In Übereinstimmung mit dem SG bejaht auch der Senat insoweit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Ein anderes Ergebnis ist auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit, die Stromschulden im Einvernehmen mit dem Energieversorger durch Zahlung monatlicher Raten in Höhe von 45,00 EUR zu tilgen, gerechtfertigt. Angesichts der Höhe der darüber hinaus vom Antragsteller aus der Regelleistung noch zu bestreitenden monatlichen Abschlagszahlung (78,00 EUR) hält auch der Senat eine Ratenzahlung in dieser Höhe nicht mehr für zumutbar. Im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Gründe der mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung des SG Bezug und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung eigener Gründe ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

III.

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, denn bis zur Entscheidung in der Hauptsache (hier: das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes) ist keine Entscheidungsreife des PKH-Antrags eingetreten. In gerichtskostenfreien Verfahren wie dem vorliegenden ist ausschließliches Ziel des Antrags auf Bewilligung von PKH die Beiordnung eines Rechtsanwalts (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 73a Rdnr. 9). Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der PKH beantragende Beteiligte die Wahl, entweder selbst den beizuordnenden Rechtsanwalt zu benennen oder den Antrag zu stellen, dass Gericht möge diesen auswählen (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Antragsteller hat gegenüber dem Senat jedoch weder einen Rechtsanwalt namentlich benannt noch hat er einen Antrag nach § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG gestellt. Bei dieser Sachlage konnte dem Antrag auf Bewilligung von PKH - dessen Zulässigkeit und Begründetheit unterstellt - bereits aus tatsächlichen Gründen nicht entsprochen werden. Darüber hinaus genügt der Antrag nicht den Anforderungen des § 117 Abs. 2 und 4 ZPO. Der Antragsteller ist unter ausdrücklichem Hinweis auf die Vorschrift des § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO aufgefordert worden, bis 1. September 2010 eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen. Der Antragsteller hat zwar in der Folge (mehrfach) eine solche Erklärung per Computerfax übersandt; diese Erklärungen sind jedoch durchgängig nicht lesbar. Außerdem waren keinerlei Belege zur Glaubhaftmachung der Angaben beigefügt.

Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Eilrechtsschutzes hat es der Senat wegen der hiermit zwingend verbundenen zeitlichen Verzögerung der Entscheidung in der Hauptsache (hier: Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes) für untunlich gehalten, dem Antragsteller Gelegenheit zu Nachbesserung seines Antrags zu geben. Dem Antragsteller sind zunächst keine Kosten entstanden, da er im Verfahren (bislang) nicht von einem Rechtsanwalt vertreten worden ist. Außerdem stünde im Falle einer Verzögerung der Entscheidung über die Beschwerde zu befürchten, dass der Beschwerde des Antragsgegners allein wegen Verstreichens der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO stattzugeben wäre, nachdem - das Vorbringen des Antragstellers zugrundegelegt - der Antragsgegner den Beschluss des SG vom 11. August 2010 bislang nicht ausgeführt und der Antragsteller die Vollstreckung offenbar noch nicht betrieben hat.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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