Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 578/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3961/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. August 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zur Übernahme der Kosten für eine ambulant durchzuführende Liposuktion (Fettabsaugung) an den beiden Beinen der Klägerin verpflichtet ist.
Die am 1948 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Nach einem Bericht ("Fachärztliches Gutachten") des Facharztes für Allgemeinmedizin, Phlebologie und Lymphologie R. vom 30. Juni 2008 besteht bei der Klägerin ein ausgedehntes Lip- bzw. Lymphödem beider Beine mit einer Umfangsvermehrung der Ober- und Unterschenkel. Die Behandlung finde mit einer komplexen physikalischen Entstauungstherapie mit anschließendem Anlegen von straffen Kompressionsverbänden statt. Weiterhin werde ein Kompressionsstrumpf der Kompressionsklasse 3 nach Maß verordnet, der lebenslänglich getragen werden solle. Diese Therapie werde bei der Klägerin bereits schon über mehrere Jahre hinweg konsequent durchgeführt, eine wesentliche Besserung der Symptomatik oder die Zumutbarkeit dieser Maßnahme hätten jedoch nicht bestätigt werden können. In den letzten Jahren werde als erfolgreiche Therapie dieser kombinierten Lip- und Lymphödeme die Liposuktion in der Literatur angegeben. Dabei werde mit stumpfen Kanülen in Tumeszenz-Lokalanästhesie das subcutane Fettgewebe abgesaugt. Die Ergebnisse seien hervorragend und brächten für die Patienten dauerhaft eine wesentliche Besserung ihres Beschwerdebildes. Neben diesem Bericht legte die Klägerin der Beklagten einen Artikel über das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 26. Februar 2004 (S 30/25 KR 2369/02, veröffentlich in juris) zur Liposuktion vor und füllte den Fragebogen der Beklagten zum Antrag auf außervertragliche Behandlungsmethoden aus. Die Beklagte legte die am 07. August 2008 eingegangenen Antragsunterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in Karlsruhe vor. Dr. d. R.-W. erstellte am 15. August 2008 ein Gutachten nach Aktenlage und führte aus, die Liposuktion beseitige lediglich rein kosmetische Probleme. Sie gehöre nicht zum medizinischen Standard der Behandlung eines Lipödems, da weder das Fortschreiten der Erkrankung verhindert werde noch die Neigung zur Hämatom- und Ödembildung definitiv beseitigt werden könne.
Mit Bescheid vom 22. September 2008 teilte die Beklagte daraufhin der Klägerin mit, eine Kostenübernahme für die von ihr beantragte Liposuktion sei nicht möglich. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen habe entschieden, dass die Wirksamkeit des beantragten Verfahrens nicht durch eindeutige wissenschaftliche Studien bewiesen sei. Die gesetzlichen Krankenkassen dürften deshalb für diese Methode keine Kosten übernehmen.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein unter Berufung auf die Ausführungen von Dr. R. sowie auf die genannte Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt, wonach ein Fall des so genannten "Systemversagens" vorliege. Eine Behandlungsalternative, die eher an der Ursache der Erkrankung ansetze, gebe es nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2009 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Die Krankenkasse dürfe bereits deshalb keine Kosten für die Liposuktion übernehmen, weil es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handle und eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses hierfür nicht vorliege. Dennoch habe sie den beratend tätigen MDK um eine Beurteilung gebeten. Dieser habe die Kostenübernahme nicht befürwortet. Die Entscheidung stehe auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung.
Am 13. Februar 2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Sie trug weiterhin vor, es stünden auch unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes keine sinnvollen Behandlungsalternativen zur Verfügung.
Die Beklagte trat der Klage entgegen mit dem Hinweis, mittlerweile habe auch das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 16. Dezember 2008 (B 1 KR 11/08 R = SozR 4-2500 § 13 Nr. 19) bestätigt, dass die ambulante Liposuktion nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2009 wies das SG die Klage ab. Es führte aus, die Fettabsaugung bei einem Lipödem gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, da sie nicht als abrechnungsfähige Leistung im Einheitlichen Bemessungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten sei und der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen auch keine positive Empfehlung hinsichtlich ihres therapeutischen Nutzens abgegeben habe. Es liege aber auch kein Systemversagen vor, das die Krankenkasse ausnahmsweise zur Leistung verpflichten könne, da es weder ersichtlich noch vorgetragen sei, dass ein Antrag zur Überprüfung der Methode Liposuktion hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem Gemeinsamen Bundesausschuss sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sei.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 28. August 2009 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, die Beklagte sei aufgrund der Tatsache, dass bei ihr außer der beantragten Liposuktion keine anderen Therapiemöglichkeiten mehr Wirkung zeigten, verpflichtet, die Kosten hierfür zu übernehmen. Die Leitlinie Lipödem der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie sehe diese Methode auch vor und nenne Studien hierzu. Eine lebenslange Durchführung der konservativen Maßnahmen (komplexe physikalische Entstauungstherapie, manuelle Lymphdrainage, Kompression) sei demgegenüber nicht angezeigt, weil unwirtschaftlich. Sie hat zur Stützung ihrer Auffassung die weitere Stellungnahme des Arztes R. vom 24. Mai 2010 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. August 2009 und des Bescheids vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2009 zu verurteilen, die Kosten für eine ambulante Liposuktion zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Da mit der Berufungsbegründung im Wesentlichen keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden seien, verweise sie auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren, in der Vorinstanz sowie auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Der Berichterstatter des Senats hat die Sach- und Rechtslage in einem Erörterungstermin am 31. März 2010 mit den Beteiligten erörtert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nachdem die Klägerin nicht vorgetragen hat, die begehrte Liposuktion sei bereits durchgeführt worden und die Beklagte habe die Kosten hierfür zu erstatten, richtet sich das Begehren der Klägerin auf die ambulante Erbringung der Sachleistung Liposuktion durch die Beklagte.
Die Beklagte ist aber nicht verpflichtet, der Klägerin diese Sachleistung zu erbringen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V) durch zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigte Behandler (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Senat geht zwar davon aus, dass das Beschwerdebild bei der Klägerin ausweislich der Berichte des Facharztes R. nicht lediglich ein kosmetisches Problem, sondern eine behandlungsbedürftige Krankheit darstellt. Der Behandlungsanspruch eines Versicherten bei Vorliegen einer Krankheit unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Beschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Für "neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" im Bereich der ambulanten ärztlichen Behandlung ist schließlich das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 und Nr. 12) maßgebend. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der seit 01. Juli 2008 geltenden Fassung bestimmt insoweit: Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen, sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Die entsprechende Richtlinie ist seit 01. April 2006 die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Methoden-Richtlinie), zuvor die Richtlinien zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien). An die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 8).
Der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V ist vorliegend einschlägig. Eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode in diesem Sinne ist die auf einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhende systematische Vorgehensweise einer Untersuchung und Behandlung einer Krankheit (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 5; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Neu in diesem Sinne ist eine ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann, wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im EBM aufgeführt wird und somit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung ist (vgl. § 9 Abs. 1 Buchst. a der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses; auch BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8). Diese Voraussetzungen sind für die Liposuktion gegeben.
Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liegt nicht vor. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. etwa BSGE 97, 190 oder BSGE 96, 170). In der hier maßgeblichen Methoden-Richtlinie in der Fassung vom 17. Januar 2006, zuletzt geändert mit Wirkung zum 29. August 2009, ist jedoch eine Prüfung und positive Bewertung der Liposuktion nicht enthalten. Auch die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass aufgrund einer entsprechenden Antragstellung zwischenzeitlich ein Prüfungsverfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss mit einer entsprechenden Beschlussfassung durchgeführt worden wäre. Da ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Liposuktion nicht vorliegt, ist die Liposuktion nicht Gegenstand des vertragsärztlichen Versorgung (vgl. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 19).
Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels. Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss von den antragsberechtigten Stellen oder dem Gemeinsamen Bundesausschuss selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 8). Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Überprüfung der Liposuktion trotz Vorliegens der notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich nicht durchgeführt hat. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte (vgl. Urteil des Senats vom 27. Juni 2008 - L 4 KR 3239/06 -, nicht veröffentlicht).
Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass die Lip- und Lymphödeme der Klägerin eine seltene Erkrankung in dem Sinne darstellten, dass ein Prüfungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses entbehrlich sein könnte. Es handelt sich nicht um eine einzigartige Erkrankung, die weltweit nur extrem selten aufträte und deshalb im nationalen wie internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch behandelt werden könnte (vgl. dazu BSG SozR 4 2500 § 27 Nr. 1). Wie sich aus der Stellungnahme des Dr. de Roche-Weber vom 15. August 2008 ergibt, erfolgen Publikationen zur Anwendung der Liposuktion. Diese lassen nicht den Schluss zu, dass ein Lipödem oder ein Lymphödeme an den Beinen so selten auftritt, dass eine systematische Erforschung praktisch ausgeschlossen sei (vgl. Urteil des Senats vom 27. Juni 2008 - L 4 KR 3239/06 -, nicht veröffentlicht).
Die Klägerin kann sich auch nicht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG berufen. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (z.B. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7; SozR 4-2500 § 31 Nr. 4; SozR 4-2500 § 13 Nr. 19). Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist (BSG a.a.O,). Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen u.a. nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schwergrad erreichen die Lip- und Lymphödeme der Klägerin nicht (so auch für einen vergleichbaren Fall BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 19). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die konservativen Therapien wie etwa die komplexe physikalische Entstauungstherapie für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zur Übernahme der Kosten für eine ambulant durchzuführende Liposuktion (Fettabsaugung) an den beiden Beinen der Klägerin verpflichtet ist.
Die am 1948 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Nach einem Bericht ("Fachärztliches Gutachten") des Facharztes für Allgemeinmedizin, Phlebologie und Lymphologie R. vom 30. Juni 2008 besteht bei der Klägerin ein ausgedehntes Lip- bzw. Lymphödem beider Beine mit einer Umfangsvermehrung der Ober- und Unterschenkel. Die Behandlung finde mit einer komplexen physikalischen Entstauungstherapie mit anschließendem Anlegen von straffen Kompressionsverbänden statt. Weiterhin werde ein Kompressionsstrumpf der Kompressionsklasse 3 nach Maß verordnet, der lebenslänglich getragen werden solle. Diese Therapie werde bei der Klägerin bereits schon über mehrere Jahre hinweg konsequent durchgeführt, eine wesentliche Besserung der Symptomatik oder die Zumutbarkeit dieser Maßnahme hätten jedoch nicht bestätigt werden können. In den letzten Jahren werde als erfolgreiche Therapie dieser kombinierten Lip- und Lymphödeme die Liposuktion in der Literatur angegeben. Dabei werde mit stumpfen Kanülen in Tumeszenz-Lokalanästhesie das subcutane Fettgewebe abgesaugt. Die Ergebnisse seien hervorragend und brächten für die Patienten dauerhaft eine wesentliche Besserung ihres Beschwerdebildes. Neben diesem Bericht legte die Klägerin der Beklagten einen Artikel über das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 26. Februar 2004 (S 30/25 KR 2369/02, veröffentlich in juris) zur Liposuktion vor und füllte den Fragebogen der Beklagten zum Antrag auf außervertragliche Behandlungsmethoden aus. Die Beklagte legte die am 07. August 2008 eingegangenen Antragsunterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in Karlsruhe vor. Dr. d. R.-W. erstellte am 15. August 2008 ein Gutachten nach Aktenlage und führte aus, die Liposuktion beseitige lediglich rein kosmetische Probleme. Sie gehöre nicht zum medizinischen Standard der Behandlung eines Lipödems, da weder das Fortschreiten der Erkrankung verhindert werde noch die Neigung zur Hämatom- und Ödembildung definitiv beseitigt werden könne.
Mit Bescheid vom 22. September 2008 teilte die Beklagte daraufhin der Klägerin mit, eine Kostenübernahme für die von ihr beantragte Liposuktion sei nicht möglich. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen habe entschieden, dass die Wirksamkeit des beantragten Verfahrens nicht durch eindeutige wissenschaftliche Studien bewiesen sei. Die gesetzlichen Krankenkassen dürften deshalb für diese Methode keine Kosten übernehmen.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein unter Berufung auf die Ausführungen von Dr. R. sowie auf die genannte Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt, wonach ein Fall des so genannten "Systemversagens" vorliege. Eine Behandlungsalternative, die eher an der Ursache der Erkrankung ansetze, gebe es nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2009 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Die Krankenkasse dürfe bereits deshalb keine Kosten für die Liposuktion übernehmen, weil es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handle und eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses hierfür nicht vorliege. Dennoch habe sie den beratend tätigen MDK um eine Beurteilung gebeten. Dieser habe die Kostenübernahme nicht befürwortet. Die Entscheidung stehe auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung.
Am 13. Februar 2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Sie trug weiterhin vor, es stünden auch unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes keine sinnvollen Behandlungsalternativen zur Verfügung.
Die Beklagte trat der Klage entgegen mit dem Hinweis, mittlerweile habe auch das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 16. Dezember 2008 (B 1 KR 11/08 R = SozR 4-2500 § 13 Nr. 19) bestätigt, dass die ambulante Liposuktion nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2009 wies das SG die Klage ab. Es führte aus, die Fettabsaugung bei einem Lipödem gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, da sie nicht als abrechnungsfähige Leistung im Einheitlichen Bemessungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten sei und der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen auch keine positive Empfehlung hinsichtlich ihres therapeutischen Nutzens abgegeben habe. Es liege aber auch kein Systemversagen vor, das die Krankenkasse ausnahmsweise zur Leistung verpflichten könne, da es weder ersichtlich noch vorgetragen sei, dass ein Antrag zur Überprüfung der Methode Liposuktion hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem Gemeinsamen Bundesausschuss sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sei.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 28. August 2009 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, die Beklagte sei aufgrund der Tatsache, dass bei ihr außer der beantragten Liposuktion keine anderen Therapiemöglichkeiten mehr Wirkung zeigten, verpflichtet, die Kosten hierfür zu übernehmen. Die Leitlinie Lipödem der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie sehe diese Methode auch vor und nenne Studien hierzu. Eine lebenslange Durchführung der konservativen Maßnahmen (komplexe physikalische Entstauungstherapie, manuelle Lymphdrainage, Kompression) sei demgegenüber nicht angezeigt, weil unwirtschaftlich. Sie hat zur Stützung ihrer Auffassung die weitere Stellungnahme des Arztes R. vom 24. Mai 2010 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. August 2009 und des Bescheids vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2009 zu verurteilen, die Kosten für eine ambulante Liposuktion zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Da mit der Berufungsbegründung im Wesentlichen keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden seien, verweise sie auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren, in der Vorinstanz sowie auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Der Berichterstatter des Senats hat die Sach- und Rechtslage in einem Erörterungstermin am 31. März 2010 mit den Beteiligten erörtert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nachdem die Klägerin nicht vorgetragen hat, die begehrte Liposuktion sei bereits durchgeführt worden und die Beklagte habe die Kosten hierfür zu erstatten, richtet sich das Begehren der Klägerin auf die ambulante Erbringung der Sachleistung Liposuktion durch die Beklagte.
Die Beklagte ist aber nicht verpflichtet, der Klägerin diese Sachleistung zu erbringen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V) durch zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigte Behandler (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Senat geht zwar davon aus, dass das Beschwerdebild bei der Klägerin ausweislich der Berichte des Facharztes R. nicht lediglich ein kosmetisches Problem, sondern eine behandlungsbedürftige Krankheit darstellt. Der Behandlungsanspruch eines Versicherten bei Vorliegen einer Krankheit unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Beschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Für "neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" im Bereich der ambulanten ärztlichen Behandlung ist schließlich das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 und Nr. 12) maßgebend. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der seit 01. Juli 2008 geltenden Fassung bestimmt insoweit: Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen, sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Die entsprechende Richtlinie ist seit 01. April 2006 die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Methoden-Richtlinie), zuvor die Richtlinien zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien). An die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 8).
Der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V ist vorliegend einschlägig. Eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode in diesem Sinne ist die auf einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhende systematische Vorgehensweise einer Untersuchung und Behandlung einer Krankheit (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 5; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Neu in diesem Sinne ist eine ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann, wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im EBM aufgeführt wird und somit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung ist (vgl. § 9 Abs. 1 Buchst. a der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses; auch BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8). Diese Voraussetzungen sind für die Liposuktion gegeben.
Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liegt nicht vor. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. etwa BSGE 97, 190 oder BSGE 96, 170). In der hier maßgeblichen Methoden-Richtlinie in der Fassung vom 17. Januar 2006, zuletzt geändert mit Wirkung zum 29. August 2009, ist jedoch eine Prüfung und positive Bewertung der Liposuktion nicht enthalten. Auch die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass aufgrund einer entsprechenden Antragstellung zwischenzeitlich ein Prüfungsverfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss mit einer entsprechenden Beschlussfassung durchgeführt worden wäre. Da ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Liposuktion nicht vorliegt, ist die Liposuktion nicht Gegenstand des vertragsärztlichen Versorgung (vgl. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 19).
Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels. Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss von den antragsberechtigten Stellen oder dem Gemeinsamen Bundesausschuss selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 8). Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Überprüfung der Liposuktion trotz Vorliegens der notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich nicht durchgeführt hat. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte (vgl. Urteil des Senats vom 27. Juni 2008 - L 4 KR 3239/06 -, nicht veröffentlicht).
Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass die Lip- und Lymphödeme der Klägerin eine seltene Erkrankung in dem Sinne darstellten, dass ein Prüfungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses entbehrlich sein könnte. Es handelt sich nicht um eine einzigartige Erkrankung, die weltweit nur extrem selten aufträte und deshalb im nationalen wie internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch behandelt werden könnte (vgl. dazu BSG SozR 4 2500 § 27 Nr. 1). Wie sich aus der Stellungnahme des Dr. de Roche-Weber vom 15. August 2008 ergibt, erfolgen Publikationen zur Anwendung der Liposuktion. Diese lassen nicht den Schluss zu, dass ein Lipödem oder ein Lymphödeme an den Beinen so selten auftritt, dass eine systematische Erforschung praktisch ausgeschlossen sei (vgl. Urteil des Senats vom 27. Juni 2008 - L 4 KR 3239/06 -, nicht veröffentlicht).
Die Klägerin kann sich auch nicht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG berufen. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (z.B. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7; SozR 4-2500 § 31 Nr. 4; SozR 4-2500 § 13 Nr. 19). Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist (BSG a.a.O,). Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen u.a. nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schwergrad erreichen die Lip- und Lymphödeme der Klägerin nicht (so auch für einen vergleichbaren Fall BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 19). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die konservativen Therapien wie etwa die komplexe physikalische Entstauungstherapie für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved