Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AL 96/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 63/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 52/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.02.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind unter den Beteiligten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ab 01.02.1999 Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zusteht.
Die im Jahre 19 ... geborene Klägerin war von November 1983 bis 31.01.1999 als Nahtweberin bei der Firma K ... GmbH in M ... beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis wurde am 18.09.1998 durch Aufhebungsvertrag zum 31.01.1999 beendet.
In der Zeit vom 05.12.1995 bis 03.12.1998 befand sich die Klägerin im Erziehungsurlaub; während dieser Zeit bezog sie weder Erziehungs- noch Pflegegeld.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 26.08.1997 wurde ausgesprochen, dass das am 12.03.19 ... geborene Kind D ... A ... von der Klägerin und ihrem Ehemann als Kind angenommen wurde.
Am 14.12.1998 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.03.1999 ab und führte aus, die Klägerin habe innerhalb der Rahmenfrist nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe scheitere daran, dass die Klägerin innerhalb der Vorfrist von einem Jahr vor dem 31.01.1999 weder Arbeitslosengeld bezogen noch mindestens 5 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.
Hiergegen legte die Klägerin im selben Monat Widerspruch ein und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Sie habe bis zum 31.01.1999 in einem Arbeitsverhältnis gestanden, welches nur durch den dreijährigen Erziehungsurlaub unterbrochen gewesen sei. Im Dezember 1998 habe sie ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Das Arbeitsverhältnis sei aufgrund einer Betriebsstilllegung beendet worden; die Bezirksregierung Düsseldorf habe dem Arbeitgeber gegenüber der Kündigung während des Erziehungsurlaubs der Klägerin zugestimmt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.1999 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin als unbegründet zurück, weil in ihrem Fall die Anwartschaftszeit für die Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe nicht erfüllt sei.
Am 23.04.1999 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben, mit welcher sie weiterhin die Gewährung von Arbeitslosengeld, hilfsweise Arbeitslosenhilfe begehrt hat. Sie hat die Auffassung vertreten: Die Beklagte berücksichtige zu Unrecht die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) i. V. m. § 1 Abs. 3 Nr. 1 BErzGG nicht. In ihrem Fall sei auf die Bezugsberechtigung für das Erziehungsgeld abzustellen. Für den Adoptivsohn D ..., welcher nach dem 31.12.1991 geboren sei, sei dabei die Vollendung des 7. und nicht die Vollendung des 3. Lebensjahrs von Bedeutung.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 11.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.l999 zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld, hilfsweise Arbeitslosenhilfe ab dem 01.02.1999 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Gesetzeswortlaut des § 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III sei eindeutig und nicht im Sinne der Klägerin auslegbar. Die Vorschriften des BErzGG seien hier nicht maßgebend.
Das Sozialgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 10.02.2000 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Anspruch auf Arbeitslosengeld hätten nach § 117 Abs. 1 SGB III Arbeitnehmer, die arbeitslos seien, sich beim Arbeitsamt gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hätten. Die Anwartschaftzeit habe gemäß § 123 S. 1 SGB III in der im Falle der Klägerin allein in Betracht kommenden Alternative erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (§ 123 S. 1 Nr. 1 SGB III). Die Rahmenfrist betrage 3 Jahre und beginne mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III). Im Falle der Klägerin umfasse die Rahmenfrist die Zeit vom 01.02.1996 bis 31.01.1999. In diesem Zeitraum habe die Klägerin nur vom 04.12.1998 bis 31.01.1999 eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt.
Die Rahmenfrist verlängere sich allerdings nach § 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III um die Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes des Arbeitslosen, das das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Die Rahmenfrist verlängere sich damit um 40 Tage, denn der Adoptivsohn D ... der Klägerin habe am 12.03.1996 sein 3. Lebensjahr vollendet.
In der danach bis zum 22.11.1995 nach hinten zu verlängernden Rahmenfrist habe die Klägerin weitere versicherungspflichtige Tätigkeiten in dem Zeitraum vom 22.11. - 05.12.1995 zurückgelegt, also weitere 14 Tage. Dies ergebe jedoch insgesamt nicht wenigstens 12 Monate innerhalb der Rahmenfrist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin komme eine weitere Verlängerung der Rahmenfrist nicht in Betracht. Der Wortlaut des § 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III sei eindeutig und keiner Auslegung fähig. Insbesondere gehörten zu dem dort verwendeten Begriff der "Kinder des Arbeitslosen" auch angenommene Kinder. Der Hinweis der Klägerin auf die Vorschriften des BErzGG gehe fehl. Im Gegensatz zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG) enthalte das SGB III keine Bezugnahme mehr auf dieses Gesetz. Dass insbesondere eine Verlängerung der Rahmenfrist bei Adoptivkindern hinsichtlich der Zeiten der Betreuung und Erziehung des Kindes über Erreichen des 3. Lebensjahrs hinaus nicht beabsichtigt gewesen sei, sei auch den Gesetzesmotiven zu entnehmen.
Auch ein Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe bestehe mangels Erfüllung der dafür erforderlichen Anwartschaftzeit nicht. Nach § 190 Abs. 1 SGB III hätten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe solche Arbeitnehmer, die u. a. die besonderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt hätten (§ 190 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Die besonderen Anspruchsvoraussetzungen habe ein Arbeitnehmer erfüllt, der in der Vorfrist 1. Arbeitslosengeld bezogen habe, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen sei, 2. mindestens 5 Monate, sofern der letzte Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen sei, danach mindestens 8 Monate in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt habe, die zur Erfüllung der Anwartschaft dienen könnten (§ 191 Abs. 1 SGB III).
Die Vorfrist betrage gemäß § 192 S. 1 SGB III 1 Jahr und beginne mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Sie verlängere sich um Zeiten, in denen der Arbeitslose innerhalb der letzten 3 Jahre vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfüllt seien, u. a. ein Kind, das das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, betreut oder erzogen habe (§ 192 S. 2 Nr. 3 1. Halbsatz SGB III). Eine versicherungspflichtige Tätigkeit innerhalb der Vorfrist vom 01.02.1998 bis 31.01.1999 habe die Klägerin nur vom 04.12.1998 bis 31.01.1999 ausgeübt. Zu verlängern sei die Vorfrist auch hier um 40 Kalendertage; insoweit werde auf die Ausführungen im Rahmen des § 124 SGB III hingewiesen. Auch in der um 40 Tage verlängerten Vorfrist habe die Klägerin aber keine weiteren Versicherungszeiten zurückgelegt.
Gegen dieses ihr am 23.02.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. des Folgemonats Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Das Kind D ... sei am 05.12.1995 in ihren Haushalt aufgenommen worden; der Erziehungsurlaub habe vom 05.12.1995 bis 04.12.1998 gedauert.
Mit dem angefochtenen Urteil sei zu Unrecht die Verlängerung der Rahmenfrist bei Adoptivkindern mit Rücksicht auf die Begründung zum 1. AFRG-Ausschuss-Bericht abgelehnt worden. Zum einen fänden sich dort keine konkreten Ausführungen zur Behandlung der Rahmen frist bei Adoptivkindern. Zum anderen erscheine für die Anwendung der Rahmenfrist-Bestimmungen bei Adoptivkindern eine einschränkende Gesetzesauslegung des SGB III im Wege einer teleologischen Reduktion angezeigt. Dies ermögliche auch weiterhin die Berücksichtigung der besonderen Regelung des § 4 Abs. 1 BErzGG, welche bei angenommenen Kindern, die wie das Kind D ... nach dem 31.12.1991 geboren seien, längstens eine Bezugsdauer bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres vorsehe.
Eine solche Gesetzesauslegung im Wege einer teleologischen Reduktion rechtfertige sich aus dem Umstand, dass im Gegensatz zu leiblichen Kindern bei adoptierten Kindern auf den Zeitpunkt der Inobhutnahme und nicht auf den Zeitpunkt der Geburt abzustellen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.02.2000 zu ändern und nach dem Klageantrag 1. Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass die Klägerin weder die Anwartschaftszeit für den Bezug von Arbeitslosengeld noch für den von Arbeitslosenhilfe erfüllt habe. Ob wegen der Regelung des § 1744 BGB das SGB III im Wege einer extensiven Auslegung oder Analogie angepasst werden müsse, sei vom Bundessozialgericht zu entscheiden. Nach den Vorschriften des SGB III bestehe ein Anspruch der Klägerin jedenfalls nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen; diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Zur Vermeidung von überflüssigen Wiederholungen verweist der Senat zunächst im vollen Umfang auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Anders als bei der Vorgängervorschrift des § 107 S. 1 Nr. 5 c AFG kommt es im Rahmen des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III auf den grundsätzlichen Anspruch oder den Bezug von Erziehungsgeld nicht mehr an.
Die Vorschrift des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III ist insoweit eindeutig und differenziert nicht zwischen leiblichen und adoptierten Kindern. Auch Pflegekinder, die mit dem Ziel der Adoption zunächst eine angemessene Zeit von den später Annehmenden wie eigene gepflegt werden (vgl. § 1744 BGB), sind nach der herrschenden Meinung in die Regelung des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III einbezogen (vgl. Hennig/Henke SGB III, § 124 Rdnr. 6; Niesel-Brand SGB III § 124 Rdnr. 6 + 7; Gagel-Radüge, SGB III § 124 Rdnr. 38). Die Beklagte und das Sozialgericht sind deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Zeiten der Betreuung und Erziehung des Kindes D., die vor Vollendung seines 3. Lebensjahres (12.03.1996) liegen, die für die Klägerin maßgebliche Rahmenfrist nach § 124 Abs. 1 SGB III verlängern, obwohl D ... am 12.03.1996 noch nicht von der Klägerin und ihrem Ehemann adoptiert worden war.
Dass es im Rahmen des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III nicht mehr auf den Bezug oder die grundsätzliche Möglichkeit des Bezugs von Erziehungsgeld ankommt, ergibt sich nicht nur aus den Gesetzesmotiven, sondern dies entspricht auch der herrschenden Meinung (vgl. Gagel-Radüge, § 124 Rdnr. 38,42; Niesel-Brand, § 124 Rdnr. 6,7; Hennig/Henke, § 124 Rdnr. 6; GK-SGB III-v. Knickrehm, § 124 Rdnr. 18).
In der Begründung zum 1. AFRG-Ausschuss-Bericht (BT-Drucksache 13/5936, S. 28 zu § 124 SGB III) wird folgendes ausgeführt: "Der Gesetzentwurf sieht im Gegensatz zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht mehr die Gleichstellung von Zeiten des Anspruches auf Erziehungsgeld nach bundes- und landesrechtlichen Vorschriften mit Beschäftigungszeiten vor. Ein Ausgleich soll durch die Änderung der Rahmenfrist unabhängig von der Kinderzahl längstens auf 6 Jahre geschaffen werden. Damit wird einerseits der Schutz nach der Geburt eines Kindes über die nach geltendem Recht mögliche Dauer verlängert und andererseits wird nicht berücksichtigt, wenn mehrere Kinder in kurzen Abständen geboren werden. Sachgerecht erscheint daher, Zeiten der Betreuung und Erziehung aufsichtsbedürftiger Kinder in den ersten 3. Lebensjahren nicht in die Rahmenfrist einzurechnen."
Diesen Motiven ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Berücksichtigung von Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes bewusst anders regeln wollte als im AFG und dass es insbesondere nicht mehr auf den Anspruch auf Erziehungsgeld ankommen sollte. Vielmehr hat der Gesetzgeber nun die Aufsichtsbedürftigkeit von Kindern in den ersten 3 Lebensjahren betont; diese dürfte sich bei einem leiblichen Kind von der eines z. B. nach dem ersten Lebensmonat "in Obhut genommenen" Pflegekindes kaum unterscheiden. Offenbar wollte der Gesetzgeber der hier streitigen Regelung eine einfach zu handhabende, klare Regelung schaffen. Dass er hierbei Fälle wie den vorliegenden planwidrig übersehen hat, erschliesst sich dem Senat nicht.
Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber ausweislich der Motive die Berücksichtigung von Zeiten der Betreuung und Erziehung von Kindern bewusst anders und nicht mehr in Anlehnung an die Zeiten des Anspruchs auf Erziehungsgeld berücksichtigen wollte, scheidet nach Auffassung des Senats die von der Klägerin geforderte Auslegung des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III aus, durch welche letztendlich wieder auf die alte AFG-Regelung zurückgegriffen werden soll.
Mangels Erfüllung der jeweils erforderlichen Anwartschaftszeit scheitert sowohl ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld (§§ 123, 124 SGB III) wie auch auf Arbeitslosenhilfe (§ 190, 192 SGB III); diesbezüglich wird im vollen Umfang auf die zutreffende Darstellung im angefochtenen Urteil verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revison zugelassen, weil er der Auslegung des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugemessen hat.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ab 01.02.1999 Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zusteht.
Die im Jahre 19 ... geborene Klägerin war von November 1983 bis 31.01.1999 als Nahtweberin bei der Firma K ... GmbH in M ... beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis wurde am 18.09.1998 durch Aufhebungsvertrag zum 31.01.1999 beendet.
In der Zeit vom 05.12.1995 bis 03.12.1998 befand sich die Klägerin im Erziehungsurlaub; während dieser Zeit bezog sie weder Erziehungs- noch Pflegegeld.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 26.08.1997 wurde ausgesprochen, dass das am 12.03.19 ... geborene Kind D ... A ... von der Klägerin und ihrem Ehemann als Kind angenommen wurde.
Am 14.12.1998 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.03.1999 ab und führte aus, die Klägerin habe innerhalb der Rahmenfrist nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe scheitere daran, dass die Klägerin innerhalb der Vorfrist von einem Jahr vor dem 31.01.1999 weder Arbeitslosengeld bezogen noch mindestens 5 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.
Hiergegen legte die Klägerin im selben Monat Widerspruch ein und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Sie habe bis zum 31.01.1999 in einem Arbeitsverhältnis gestanden, welches nur durch den dreijährigen Erziehungsurlaub unterbrochen gewesen sei. Im Dezember 1998 habe sie ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Das Arbeitsverhältnis sei aufgrund einer Betriebsstilllegung beendet worden; die Bezirksregierung Düsseldorf habe dem Arbeitgeber gegenüber der Kündigung während des Erziehungsurlaubs der Klägerin zugestimmt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.1999 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin als unbegründet zurück, weil in ihrem Fall die Anwartschaftszeit für die Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe nicht erfüllt sei.
Am 23.04.1999 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben, mit welcher sie weiterhin die Gewährung von Arbeitslosengeld, hilfsweise Arbeitslosenhilfe begehrt hat. Sie hat die Auffassung vertreten: Die Beklagte berücksichtige zu Unrecht die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) i. V. m. § 1 Abs. 3 Nr. 1 BErzGG nicht. In ihrem Fall sei auf die Bezugsberechtigung für das Erziehungsgeld abzustellen. Für den Adoptivsohn D ..., welcher nach dem 31.12.1991 geboren sei, sei dabei die Vollendung des 7. und nicht die Vollendung des 3. Lebensjahrs von Bedeutung.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 11.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.l999 zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld, hilfsweise Arbeitslosenhilfe ab dem 01.02.1999 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Gesetzeswortlaut des § 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III sei eindeutig und nicht im Sinne der Klägerin auslegbar. Die Vorschriften des BErzGG seien hier nicht maßgebend.
Das Sozialgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 10.02.2000 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Anspruch auf Arbeitslosengeld hätten nach § 117 Abs. 1 SGB III Arbeitnehmer, die arbeitslos seien, sich beim Arbeitsamt gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hätten. Die Anwartschaftzeit habe gemäß § 123 S. 1 SGB III in der im Falle der Klägerin allein in Betracht kommenden Alternative erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (§ 123 S. 1 Nr. 1 SGB III). Die Rahmenfrist betrage 3 Jahre und beginne mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III). Im Falle der Klägerin umfasse die Rahmenfrist die Zeit vom 01.02.1996 bis 31.01.1999. In diesem Zeitraum habe die Klägerin nur vom 04.12.1998 bis 31.01.1999 eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt.
Die Rahmenfrist verlängere sich allerdings nach § 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III um die Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes des Arbeitslosen, das das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Die Rahmenfrist verlängere sich damit um 40 Tage, denn der Adoptivsohn D ... der Klägerin habe am 12.03.1996 sein 3. Lebensjahr vollendet.
In der danach bis zum 22.11.1995 nach hinten zu verlängernden Rahmenfrist habe die Klägerin weitere versicherungspflichtige Tätigkeiten in dem Zeitraum vom 22.11. - 05.12.1995 zurückgelegt, also weitere 14 Tage. Dies ergebe jedoch insgesamt nicht wenigstens 12 Monate innerhalb der Rahmenfrist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin komme eine weitere Verlängerung der Rahmenfrist nicht in Betracht. Der Wortlaut des § 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III sei eindeutig und keiner Auslegung fähig. Insbesondere gehörten zu dem dort verwendeten Begriff der "Kinder des Arbeitslosen" auch angenommene Kinder. Der Hinweis der Klägerin auf die Vorschriften des BErzGG gehe fehl. Im Gegensatz zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG) enthalte das SGB III keine Bezugnahme mehr auf dieses Gesetz. Dass insbesondere eine Verlängerung der Rahmenfrist bei Adoptivkindern hinsichtlich der Zeiten der Betreuung und Erziehung des Kindes über Erreichen des 3. Lebensjahrs hinaus nicht beabsichtigt gewesen sei, sei auch den Gesetzesmotiven zu entnehmen.
Auch ein Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe bestehe mangels Erfüllung der dafür erforderlichen Anwartschaftzeit nicht. Nach § 190 Abs. 1 SGB III hätten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe solche Arbeitnehmer, die u. a. die besonderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt hätten (§ 190 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Die besonderen Anspruchsvoraussetzungen habe ein Arbeitnehmer erfüllt, der in der Vorfrist 1. Arbeitslosengeld bezogen habe, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen sei, 2. mindestens 5 Monate, sofern der letzte Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen sei, danach mindestens 8 Monate in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt habe, die zur Erfüllung der Anwartschaft dienen könnten (§ 191 Abs. 1 SGB III).
Die Vorfrist betrage gemäß § 192 S. 1 SGB III 1 Jahr und beginne mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Sie verlängere sich um Zeiten, in denen der Arbeitslose innerhalb der letzten 3 Jahre vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfüllt seien, u. a. ein Kind, das das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, betreut oder erzogen habe (§ 192 S. 2 Nr. 3 1. Halbsatz SGB III). Eine versicherungspflichtige Tätigkeit innerhalb der Vorfrist vom 01.02.1998 bis 31.01.1999 habe die Klägerin nur vom 04.12.1998 bis 31.01.1999 ausgeübt. Zu verlängern sei die Vorfrist auch hier um 40 Kalendertage; insoweit werde auf die Ausführungen im Rahmen des § 124 SGB III hingewiesen. Auch in der um 40 Tage verlängerten Vorfrist habe die Klägerin aber keine weiteren Versicherungszeiten zurückgelegt.
Gegen dieses ihr am 23.02.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. des Folgemonats Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Das Kind D ... sei am 05.12.1995 in ihren Haushalt aufgenommen worden; der Erziehungsurlaub habe vom 05.12.1995 bis 04.12.1998 gedauert.
Mit dem angefochtenen Urteil sei zu Unrecht die Verlängerung der Rahmenfrist bei Adoptivkindern mit Rücksicht auf die Begründung zum 1. AFRG-Ausschuss-Bericht abgelehnt worden. Zum einen fänden sich dort keine konkreten Ausführungen zur Behandlung der Rahmen frist bei Adoptivkindern. Zum anderen erscheine für die Anwendung der Rahmenfrist-Bestimmungen bei Adoptivkindern eine einschränkende Gesetzesauslegung des SGB III im Wege einer teleologischen Reduktion angezeigt. Dies ermögliche auch weiterhin die Berücksichtigung der besonderen Regelung des § 4 Abs. 1 BErzGG, welche bei angenommenen Kindern, die wie das Kind D ... nach dem 31.12.1991 geboren seien, längstens eine Bezugsdauer bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres vorsehe.
Eine solche Gesetzesauslegung im Wege einer teleologischen Reduktion rechtfertige sich aus dem Umstand, dass im Gegensatz zu leiblichen Kindern bei adoptierten Kindern auf den Zeitpunkt der Inobhutnahme und nicht auf den Zeitpunkt der Geburt abzustellen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.02.2000 zu ändern und nach dem Klageantrag 1. Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass die Klägerin weder die Anwartschaftszeit für den Bezug von Arbeitslosengeld noch für den von Arbeitslosenhilfe erfüllt habe. Ob wegen der Regelung des § 1744 BGB das SGB III im Wege einer extensiven Auslegung oder Analogie angepasst werden müsse, sei vom Bundessozialgericht zu entscheiden. Nach den Vorschriften des SGB III bestehe ein Anspruch der Klägerin jedenfalls nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen; diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Zur Vermeidung von überflüssigen Wiederholungen verweist der Senat zunächst im vollen Umfang auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Anders als bei der Vorgängervorschrift des § 107 S. 1 Nr. 5 c AFG kommt es im Rahmen des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III auf den grundsätzlichen Anspruch oder den Bezug von Erziehungsgeld nicht mehr an.
Die Vorschrift des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III ist insoweit eindeutig und differenziert nicht zwischen leiblichen und adoptierten Kindern. Auch Pflegekinder, die mit dem Ziel der Adoption zunächst eine angemessene Zeit von den später Annehmenden wie eigene gepflegt werden (vgl. § 1744 BGB), sind nach der herrschenden Meinung in die Regelung des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III einbezogen (vgl. Hennig/Henke SGB III, § 124 Rdnr. 6; Niesel-Brand SGB III § 124 Rdnr. 6 + 7; Gagel-Radüge, SGB III § 124 Rdnr. 38). Die Beklagte und das Sozialgericht sind deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Zeiten der Betreuung und Erziehung des Kindes D., die vor Vollendung seines 3. Lebensjahres (12.03.1996) liegen, die für die Klägerin maßgebliche Rahmenfrist nach § 124 Abs. 1 SGB III verlängern, obwohl D ... am 12.03.1996 noch nicht von der Klägerin und ihrem Ehemann adoptiert worden war.
Dass es im Rahmen des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III nicht mehr auf den Bezug oder die grundsätzliche Möglichkeit des Bezugs von Erziehungsgeld ankommt, ergibt sich nicht nur aus den Gesetzesmotiven, sondern dies entspricht auch der herrschenden Meinung (vgl. Gagel-Radüge, § 124 Rdnr. 38,42; Niesel-Brand, § 124 Rdnr. 6,7; Hennig/Henke, § 124 Rdnr. 6; GK-SGB III-v. Knickrehm, § 124 Rdnr. 18).
In der Begründung zum 1. AFRG-Ausschuss-Bericht (BT-Drucksache 13/5936, S. 28 zu § 124 SGB III) wird folgendes ausgeführt: "Der Gesetzentwurf sieht im Gegensatz zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht mehr die Gleichstellung von Zeiten des Anspruches auf Erziehungsgeld nach bundes- und landesrechtlichen Vorschriften mit Beschäftigungszeiten vor. Ein Ausgleich soll durch die Änderung der Rahmenfrist unabhängig von der Kinderzahl längstens auf 6 Jahre geschaffen werden. Damit wird einerseits der Schutz nach der Geburt eines Kindes über die nach geltendem Recht mögliche Dauer verlängert und andererseits wird nicht berücksichtigt, wenn mehrere Kinder in kurzen Abständen geboren werden. Sachgerecht erscheint daher, Zeiten der Betreuung und Erziehung aufsichtsbedürftiger Kinder in den ersten 3. Lebensjahren nicht in die Rahmenfrist einzurechnen."
Diesen Motiven ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Berücksichtigung von Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes bewusst anders regeln wollte als im AFG und dass es insbesondere nicht mehr auf den Anspruch auf Erziehungsgeld ankommen sollte. Vielmehr hat der Gesetzgeber nun die Aufsichtsbedürftigkeit von Kindern in den ersten 3 Lebensjahren betont; diese dürfte sich bei einem leiblichen Kind von der eines z. B. nach dem ersten Lebensmonat "in Obhut genommenen" Pflegekindes kaum unterscheiden. Offenbar wollte der Gesetzgeber der hier streitigen Regelung eine einfach zu handhabende, klare Regelung schaffen. Dass er hierbei Fälle wie den vorliegenden planwidrig übersehen hat, erschliesst sich dem Senat nicht.
Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber ausweislich der Motive die Berücksichtigung von Zeiten der Betreuung und Erziehung von Kindern bewusst anders und nicht mehr in Anlehnung an die Zeiten des Anspruchs auf Erziehungsgeld berücksichtigen wollte, scheidet nach Auffassung des Senats die von der Klägerin geforderte Auslegung des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III aus, durch welche letztendlich wieder auf die alte AFG-Regelung zurückgegriffen werden soll.
Mangels Erfüllung der jeweils erforderlichen Anwartschaftszeit scheitert sowohl ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld (§§ 123, 124 SGB III) wie auch auf Arbeitslosenhilfe (§ 190, 192 SGB III); diesbezüglich wird im vollen Umfang auf die zutreffende Darstellung im angefochtenen Urteil verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revison zugelassen, weil er der Auslegung des § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB III grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugemessen hat.
Rechtskraft
Aus
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