Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 12 SB 261/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 SB 122/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Bildung des Gesamtbildes GdB bei leichten Gesundheitsstörungen
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 21. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein höherer Grad der Behinderung.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.03.2006 bei dem 1944 geborenen Kläger die Feststellung einer Behinderung und eines Grades der Behinderung (GdB) ab; für die Gesundheitsstörungen Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Knorpelschäden beider Kniegelenke betrage der GdB nicht wenigstens 20. Der dagegen eingelegte Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.06.2006).
Hiergegen erhob der Kläger am 05.07.2006 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage. Aufgrund des Sachverständigengutachtens von Dr. T. vom 24.07.2007 schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom gleichen Tag einen Vergleich, wonach unter anderem der Beklagte einen GdB von 20 ab 20.07.2007 (Untersuchungstag) anerkennt. Das SG führte aufgrund der vom Kläger erklärten Anfechtung des Vergleichs vom 27.08.2007 das Verfahren fort und beraumte am 11.12.2007 eine mündliche Verhandlung an, in der der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage zurücknahm.
Daraufhin erließ der Beklagte am 07.08.2007 einen Ausführungsbescheid, in dem er ab 24.07.2007 einen GdB von 20 für folgende Gesundheitsstörungen feststellte:
1. Fehlhaltung der Wirbelsäule bei Osteochondrose der Lendenwirbelsäule, Bandscheibenvorfälle der Brustwirbelsäule mit Neigung zu muskulären und Nervenwurzelreizerscheinungen, Zervikalsyndrom (Einzel-GdB: 20),
2. Tinnitus (Einzel-GdB: 10),
3. schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigungen (Einzel-GdB: 10),
4. Bluthochdruck (Einzel-GdB:10) und
5. Knieknorpelschaden (Einzel-GdB: 10).
Der Kläger beantragte am 17.12.2007 die Neufeststellung seiner Behinderung mit einem höheren GdB und die Anerkennung einer erheblichen Gehbehinderung (Merkzeichen G). Nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 26.03.2008 diesen Antrag ab; die Prüfung des Antrags anhand der beigezogenen ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Behinderung, des GdB sowie des Anspruchs auf das Merkzeichen maßgebend waren, keine wesentliche Änderung eingetreten sei.
Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2008 den Widerspruch zurück. Eine wesentliche Änderung liege nicht vor; der gesamte, auf die Gesundheitsstörung zurückzuführende Beschwerdekomplex sei nach wie vor angemessen berücksichtigt mit einem Gesamt-GdB von 20.
Hiergegen hat der Kläger am 16.06.2008 beim SG Klage erhoben, mit der er einen höheren GdB geltend macht. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und ein Sachverständigengutachten von Dr. A. (Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sportmedizin, Sozialmedizin) vom 25.11.2008 eingeholt, der den GdB insgesamt ab Dezember 2007 mit 40 unter Berücksichtigung einer seelischen Störung sowie einer Verschlimmerung der Knorpelschäden beider Kniegelenke eingeschätzt hat. Das SG hat im Erörterungstermin vom 25.11.2008 dem Kläger Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern und u.U. einen Antrag auf Anhörung eines Arztes seines Vertrauens zu stellen. Der vom SG erneut gehörte Dr. A. ist in der ergänzenden Stellungnahme vom 12.01.2009 bei seiner bisherigen Einschätzung verblieben. Der Kläger hat das Vergleichsangebot des Beklagten vom 11.02.2009 abgelehnt, den GdB ab 07.12.2007 mit 40 festzustellen.
Das SG hat ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Psychiatrie Dr. F. (Klinik H. A-Stadt) eingeholt, die den Gesamt-GdB mit 40 ab Dezember 2007 eingeschätzt hat. Hierzu hat das SG ein weiteres Mal den Sachverständigen Dr. A. gehört, der in der ergänzenden Stellungnahme vom 26.06.2009 wieder die bisherige Bewertung der einzelnen orthopädischen Gesundheitsstörungen für zutreffend bezeichnet hat.
Mit Gerichtsbescheid zum 21.07.2009 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, eine Neufeststellung des GdB nach Maßgabe des Vergleichsangebots vom 11.02.2009 vorzunehmen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen Dr. A. und Dr. F. leide der Kläger an einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen, Muskelverspannungen, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB: 20), seelischen Störung, Somatisierung (Einzel-GdB: 20), Knorpelschäden beider Kniegelenke (Einzel-GdB: 20), Bluthochdruck (Einzel-GdB: 10) und Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB: 10). Unter Würdigung der jeweiligen Einzel-GdB betrage der Gesamt-GdB 40 ab Dezember 2007, aber nicht 50.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 29.07.2009, mit der er erklärt, die vom SG eingeholten Gutachten seien für seine behandelnden Ärzte meist nicht nachvollziehbar. Er hat zahlreiche ärztliche Bescheinigungen, Atteste und Arztbriefe vorgelegt, die zum Teil schon Gegenstand des erstinstanziellen Verfahrens gewesen sind. Der Beklagte hat am 03.08.2009 aufgrund des Gerichtsbescheids einen Ausführungsbescheid erlassen, mit dem er ab 17.12.2007 den GdB mit 40 festgestellt hat für die im Gerichtsbescheid genannten Gesundheitsstörungen. Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, BL, H, RF, 1. Klasse, GL lägen nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht vor.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Orthopäden Professor Dr. B. vom 22.01.2010, der die Behinderung des Klägers weiterhin insgesamt mit einem GdB von 40 bewertet. Der Kläger hat hierzu wieder ärztliche Unterlagen (aus der Zeit vor der Untersuchung durch den Sachverständigen) vorgelegt.
Er beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008 zu verurteilen, bei ihm ab Dezember 2007 einen höheren GdB als 40 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten des Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143,144 Abs. 1,151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008. Der Ausführungsbescheid des Beklagten vom 03.08.2009 ist nicht gemäß § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. BSG, SozR 4-4300 § 193 Nr. 10).
Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden; das SG hat zu Recht entschieden, dass der GdB insgesamt 40 beträgt. Da der Kläger detaillierte Einwendungen gegen den Gerichtsbescheid nicht vorgebracht, sondern sich lediglich mit dem Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen nicht einverstanden erklärt hat, und das SG in den Gründen des Gerichtsbescheides eine zutreffende und ausführliche Begründung der Feststellung der Behinderung und Höhe des Gesamt-GdB abgegeben hat, nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe insoweit Bezug.
Die Beweisaufnahme des Senats durch das orthopädische Sachverständigengutachten von Professor Dr. B. vom 25.01. 2010 hat gleichfalls ergeben, dass bei dem Kläger derzeit ein höheren GdB als 40 nicht gegeben ist. Der Sachverständige hat bei dem Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
a) Bewegungsbehinderung der Halswirbelsäule ohne nachweisbare Nervenwurzelreizerscheinungen bei röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen, degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule im Röntgenbild mit endlagiger diskreter Bewegungsbehinderung ohne nachweisbare Nervenwurzelreizerscheinungen, Arthralgie des rechten Kreuzbein-Darmbein-Gelenkes (Einzel-GdB: 20),
b) Bewegungsbehinderung beider Arme in den Schultergelenken, links mehr als rechts, bei röntgenologisch nachgewiesenen umformenden Veränderung der Schultereckgelenke (Einzel-GdB: 10),
c) Innendrehbehinderung beider Beine in den Hüftgelenken (Kapsel-Kontraktur, Einzel-GdB: 10),
d) Innenmeniskusschaden am linken Kniegelenk, Knorpelschaden hinter beiden Kniescheiben, röntgenologisch nachgewiesene innenseitige umformende Veränderung beider Kniegelenke (Einzel-GdB 20),
e) Hallux rigidus beiderseits mit beginnender Halluxexostose links (Einzel-GdB: 0).
Ferner hat er als zusätzliche Gesundheitsstörungen wie in den Gutachten der Sachverständigen des SG eine seelische Störung (Einzel-GdB: 20), Ohrgeräusche (Einzel-GdB: 10), Bluthochdruck (Einzel-GdB: 10) und eine Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB: 10) beschrieben.
Im Anschluss an dieses vom Senat eingeholte Sachverständigengutachten und unter Würdigung der Sachverständigengutachten im Klageverfahren ist der Senat der Überzeugung, dass ein höherer Gesamt-GdB als 40 derzeit nicht belegt ist, zumal die vom Kläger vorgelegten zahlreichen ärztlichen Bescheinigungen und Unterlagen zumeist älteren Datums sind und bereits von den ärztlichen Sachverständigen ausgewertet worden sind.
Lediglich zur Verdeutlichung weist der Senat den Kläger darauf hin, dass der Sinn des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht eine isolierte Feststellung von Gesundheitsstörungen oder Funktionsbeeinträchtigungen als weiterer Behinderung ist (Bundesozialgericht (BSG) vom 24.06.1998, BSGE 82,176 f.). Für eine Klage, mit der die Verurteilung des Beklagten zur isolierten Feststellung weiterer Behinderung erstrebt wird, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Es geht also im vorliegenden Verfahren lediglich um die Feststellung eines höheren Grades des Gesamt-GdB, aber nicht um die Formulierung der Gesundheitsstörungen sowie deren einzelne Bewertungen (Einzel-GdB).
Die vom SG und vom Senat eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten führen nicht zu einem höheren Gesamt-GdB als 40. Gemäß § 69 Abs. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigung in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt, wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen. Das SGB IX kennt nur einen Gesamtzustand der Behinderung, nicht mehrere, nebeneinander bestehende Behinderungen. Maßgebend für einen Gesamt-GdB ist, wie sich die verschiedenen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit auswirken. Dies ist durch eine natürliche, wirklichkeitsorientierte, funktionale Betrachtung zu ermitteln, die auf medizinischen Erkenntnissen beruht (BSG vom 15.03.1979, BSGE 48, 82).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG vom 10.09.1997 SozR3-3870 § Nr. 7 = BSG 81, 50) handelt es sich bei den Einzel-GdB lediglich um Einsatzgrößen, mit denen die Einschätzung des Gesamt-GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziebar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der Einzel-GdB. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) zu prüfen, ob wechselseitige Beziehungen zwischen den einzelnen Funktionseinschränkungen vorliegen. Sie könne darin bestehen, dass sie sich überschneiden oder voneinander unabhängig sind.
Die bei der Bildung des Gesamt-GdB vorzunehmende Schätzung (BSG vom 14.02.2001, BSGE 87,289) beginnt mit den höchsten bewerteten Beeinträchtigungen (Ausgangs-GdB). Für jede weitere - mit einem Einzel-GdB bewertete - Beeinträchtigung ist dann zu prüfen, ob das Ausmaß und die Schwere der Behinderung wachsen und welchen Umfang die Zunahme - ausgedrückt in einer Erhöhung des Ausgangs-GdB - hat, wobei mathematische Formeln, auch die Addition der Einzel-GdB, nicht statthaft sind. Außerdem führen geringfügige Einzel-GdB von 10 nicht zu einer Höherbewertung des Ausgangs-GdB. Auch bei weiteren, mit einem Einzel-GdB von 20 eingeschätzten Beeinträchtigungen der Gesundheit wird der Gesamt-GdB vielfach nicht zu erhöhen sein (BSG vom 13.12.2000 SozR3-3078 § 4 Nr. 28; Dau/Düwell/ Haines, SGB IX, 2. Auflage, § 69, Rn. 25).
Damit sind im vorliegenden Fall für die Bildung des Gesamt-GdB im Wesentlichen die von den Sachverständigen an der Wirbelsäule und den Knien festgestellten Gesundheitsstörungen sowie die seelische Störung mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 maßgebend. Hieraus ergibt sich nach der Einschätzung sämtlicher Sachverständigen kein höherer GdB als 40. Diese Bewertung ist zutreffend.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein höherer Grad der Behinderung.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.03.2006 bei dem 1944 geborenen Kläger die Feststellung einer Behinderung und eines Grades der Behinderung (GdB) ab; für die Gesundheitsstörungen Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Knorpelschäden beider Kniegelenke betrage der GdB nicht wenigstens 20. Der dagegen eingelegte Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.06.2006).
Hiergegen erhob der Kläger am 05.07.2006 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage. Aufgrund des Sachverständigengutachtens von Dr. T. vom 24.07.2007 schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom gleichen Tag einen Vergleich, wonach unter anderem der Beklagte einen GdB von 20 ab 20.07.2007 (Untersuchungstag) anerkennt. Das SG führte aufgrund der vom Kläger erklärten Anfechtung des Vergleichs vom 27.08.2007 das Verfahren fort und beraumte am 11.12.2007 eine mündliche Verhandlung an, in der der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage zurücknahm.
Daraufhin erließ der Beklagte am 07.08.2007 einen Ausführungsbescheid, in dem er ab 24.07.2007 einen GdB von 20 für folgende Gesundheitsstörungen feststellte:
1. Fehlhaltung der Wirbelsäule bei Osteochondrose der Lendenwirbelsäule, Bandscheibenvorfälle der Brustwirbelsäule mit Neigung zu muskulären und Nervenwurzelreizerscheinungen, Zervikalsyndrom (Einzel-GdB: 20),
2. Tinnitus (Einzel-GdB: 10),
3. schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigungen (Einzel-GdB: 10),
4. Bluthochdruck (Einzel-GdB:10) und
5. Knieknorpelschaden (Einzel-GdB: 10).
Der Kläger beantragte am 17.12.2007 die Neufeststellung seiner Behinderung mit einem höheren GdB und die Anerkennung einer erheblichen Gehbehinderung (Merkzeichen G). Nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 26.03.2008 diesen Antrag ab; die Prüfung des Antrags anhand der beigezogenen ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Behinderung, des GdB sowie des Anspruchs auf das Merkzeichen maßgebend waren, keine wesentliche Änderung eingetreten sei.
Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2008 den Widerspruch zurück. Eine wesentliche Änderung liege nicht vor; der gesamte, auf die Gesundheitsstörung zurückzuführende Beschwerdekomplex sei nach wie vor angemessen berücksichtigt mit einem Gesamt-GdB von 20.
Hiergegen hat der Kläger am 16.06.2008 beim SG Klage erhoben, mit der er einen höheren GdB geltend macht. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und ein Sachverständigengutachten von Dr. A. (Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sportmedizin, Sozialmedizin) vom 25.11.2008 eingeholt, der den GdB insgesamt ab Dezember 2007 mit 40 unter Berücksichtigung einer seelischen Störung sowie einer Verschlimmerung der Knorpelschäden beider Kniegelenke eingeschätzt hat. Das SG hat im Erörterungstermin vom 25.11.2008 dem Kläger Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern und u.U. einen Antrag auf Anhörung eines Arztes seines Vertrauens zu stellen. Der vom SG erneut gehörte Dr. A. ist in der ergänzenden Stellungnahme vom 12.01.2009 bei seiner bisherigen Einschätzung verblieben. Der Kläger hat das Vergleichsangebot des Beklagten vom 11.02.2009 abgelehnt, den GdB ab 07.12.2007 mit 40 festzustellen.
Das SG hat ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Psychiatrie Dr. F. (Klinik H. A-Stadt) eingeholt, die den Gesamt-GdB mit 40 ab Dezember 2007 eingeschätzt hat. Hierzu hat das SG ein weiteres Mal den Sachverständigen Dr. A. gehört, der in der ergänzenden Stellungnahme vom 26.06.2009 wieder die bisherige Bewertung der einzelnen orthopädischen Gesundheitsstörungen für zutreffend bezeichnet hat.
Mit Gerichtsbescheid zum 21.07.2009 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, eine Neufeststellung des GdB nach Maßgabe des Vergleichsangebots vom 11.02.2009 vorzunehmen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen Dr. A. und Dr. F. leide der Kläger an einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen, Muskelverspannungen, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB: 20), seelischen Störung, Somatisierung (Einzel-GdB: 20), Knorpelschäden beider Kniegelenke (Einzel-GdB: 20), Bluthochdruck (Einzel-GdB: 10) und Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB: 10). Unter Würdigung der jeweiligen Einzel-GdB betrage der Gesamt-GdB 40 ab Dezember 2007, aber nicht 50.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 29.07.2009, mit der er erklärt, die vom SG eingeholten Gutachten seien für seine behandelnden Ärzte meist nicht nachvollziehbar. Er hat zahlreiche ärztliche Bescheinigungen, Atteste und Arztbriefe vorgelegt, die zum Teil schon Gegenstand des erstinstanziellen Verfahrens gewesen sind. Der Beklagte hat am 03.08.2009 aufgrund des Gerichtsbescheids einen Ausführungsbescheid erlassen, mit dem er ab 17.12.2007 den GdB mit 40 festgestellt hat für die im Gerichtsbescheid genannten Gesundheitsstörungen. Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, BL, H, RF, 1. Klasse, GL lägen nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht vor.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Orthopäden Professor Dr. B. vom 22.01.2010, der die Behinderung des Klägers weiterhin insgesamt mit einem GdB von 40 bewertet. Der Kläger hat hierzu wieder ärztliche Unterlagen (aus der Zeit vor der Untersuchung durch den Sachverständigen) vorgelegt.
Er beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008 zu verurteilen, bei ihm ab Dezember 2007 einen höheren GdB als 40 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten des Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143,144 Abs. 1,151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008. Der Ausführungsbescheid des Beklagten vom 03.08.2009 ist nicht gemäß § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. BSG, SozR 4-4300 § 193 Nr. 10).
Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden; das SG hat zu Recht entschieden, dass der GdB insgesamt 40 beträgt. Da der Kläger detaillierte Einwendungen gegen den Gerichtsbescheid nicht vorgebracht, sondern sich lediglich mit dem Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen nicht einverstanden erklärt hat, und das SG in den Gründen des Gerichtsbescheides eine zutreffende und ausführliche Begründung der Feststellung der Behinderung und Höhe des Gesamt-GdB abgegeben hat, nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe insoweit Bezug.
Die Beweisaufnahme des Senats durch das orthopädische Sachverständigengutachten von Professor Dr. B. vom 25.01. 2010 hat gleichfalls ergeben, dass bei dem Kläger derzeit ein höheren GdB als 40 nicht gegeben ist. Der Sachverständige hat bei dem Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
a) Bewegungsbehinderung der Halswirbelsäule ohne nachweisbare Nervenwurzelreizerscheinungen bei röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen, degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule im Röntgenbild mit endlagiger diskreter Bewegungsbehinderung ohne nachweisbare Nervenwurzelreizerscheinungen, Arthralgie des rechten Kreuzbein-Darmbein-Gelenkes (Einzel-GdB: 20),
b) Bewegungsbehinderung beider Arme in den Schultergelenken, links mehr als rechts, bei röntgenologisch nachgewiesenen umformenden Veränderung der Schultereckgelenke (Einzel-GdB: 10),
c) Innendrehbehinderung beider Beine in den Hüftgelenken (Kapsel-Kontraktur, Einzel-GdB: 10),
d) Innenmeniskusschaden am linken Kniegelenk, Knorpelschaden hinter beiden Kniescheiben, röntgenologisch nachgewiesene innenseitige umformende Veränderung beider Kniegelenke (Einzel-GdB 20),
e) Hallux rigidus beiderseits mit beginnender Halluxexostose links (Einzel-GdB: 0).
Ferner hat er als zusätzliche Gesundheitsstörungen wie in den Gutachten der Sachverständigen des SG eine seelische Störung (Einzel-GdB: 20), Ohrgeräusche (Einzel-GdB: 10), Bluthochdruck (Einzel-GdB: 10) und eine Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB: 10) beschrieben.
Im Anschluss an dieses vom Senat eingeholte Sachverständigengutachten und unter Würdigung der Sachverständigengutachten im Klageverfahren ist der Senat der Überzeugung, dass ein höherer Gesamt-GdB als 40 derzeit nicht belegt ist, zumal die vom Kläger vorgelegten zahlreichen ärztlichen Bescheinigungen und Unterlagen zumeist älteren Datums sind und bereits von den ärztlichen Sachverständigen ausgewertet worden sind.
Lediglich zur Verdeutlichung weist der Senat den Kläger darauf hin, dass der Sinn des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht eine isolierte Feststellung von Gesundheitsstörungen oder Funktionsbeeinträchtigungen als weiterer Behinderung ist (Bundesozialgericht (BSG) vom 24.06.1998, BSGE 82,176 f.). Für eine Klage, mit der die Verurteilung des Beklagten zur isolierten Feststellung weiterer Behinderung erstrebt wird, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Es geht also im vorliegenden Verfahren lediglich um die Feststellung eines höheren Grades des Gesamt-GdB, aber nicht um die Formulierung der Gesundheitsstörungen sowie deren einzelne Bewertungen (Einzel-GdB).
Die vom SG und vom Senat eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten führen nicht zu einem höheren Gesamt-GdB als 40. Gemäß § 69 Abs. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigung in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt, wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen. Das SGB IX kennt nur einen Gesamtzustand der Behinderung, nicht mehrere, nebeneinander bestehende Behinderungen. Maßgebend für einen Gesamt-GdB ist, wie sich die verschiedenen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit auswirken. Dies ist durch eine natürliche, wirklichkeitsorientierte, funktionale Betrachtung zu ermitteln, die auf medizinischen Erkenntnissen beruht (BSG vom 15.03.1979, BSGE 48, 82).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG vom 10.09.1997 SozR3-3870 § Nr. 7 = BSG 81, 50) handelt es sich bei den Einzel-GdB lediglich um Einsatzgrößen, mit denen die Einschätzung des Gesamt-GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziebar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der Einzel-GdB. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) zu prüfen, ob wechselseitige Beziehungen zwischen den einzelnen Funktionseinschränkungen vorliegen. Sie könne darin bestehen, dass sie sich überschneiden oder voneinander unabhängig sind.
Die bei der Bildung des Gesamt-GdB vorzunehmende Schätzung (BSG vom 14.02.2001, BSGE 87,289) beginnt mit den höchsten bewerteten Beeinträchtigungen (Ausgangs-GdB). Für jede weitere - mit einem Einzel-GdB bewertete - Beeinträchtigung ist dann zu prüfen, ob das Ausmaß und die Schwere der Behinderung wachsen und welchen Umfang die Zunahme - ausgedrückt in einer Erhöhung des Ausgangs-GdB - hat, wobei mathematische Formeln, auch die Addition der Einzel-GdB, nicht statthaft sind. Außerdem führen geringfügige Einzel-GdB von 10 nicht zu einer Höherbewertung des Ausgangs-GdB. Auch bei weiteren, mit einem Einzel-GdB von 20 eingeschätzten Beeinträchtigungen der Gesundheit wird der Gesamt-GdB vielfach nicht zu erhöhen sein (BSG vom 13.12.2000 SozR3-3078 § 4 Nr. 28; Dau/Düwell/ Haines, SGB IX, 2. Auflage, § 69, Rn. 25).
Damit sind im vorliegenden Fall für die Bildung des Gesamt-GdB im Wesentlichen die von den Sachverständigen an der Wirbelsäule und den Knien festgestellten Gesundheitsstörungen sowie die seelische Störung mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 maßgebend. Hieraus ergibt sich nach der Einschätzung sämtlicher Sachverständigen kein höherer GdB als 40. Diese Bewertung ist zutreffend.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
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