L 16 LW 43/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 LW 29/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 LW 43/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 LW 40/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Ehegatte eines Landwirts haftet auch für dessen Beitragsschulden. Rechtsgrundlage hierfür ist, wenn er selbst von Anfang an von der Versicherungspflicht befreit war, nicht § 70 Abs.1 Satz 1 zweiter Halbsatz ALG, so dass keine gesamtschuldnerische Haftung eintritt. Er haftet vielmehr in seiner Eigenschaft als Landwirt (§ 1 Abs.3 ALG) nach dem ersten Halbsatz der o.g. Vorschrift, dies allerdings unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 420 BGB nur zur Hälfte.
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.07.1999 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 25.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.1999 und unter Abänderung der Bescheide vom 14.06.1999, 17.03.2000 und 27.07. 2000 verurteilt, die Beitragsforderung gegen die Klägerin auf die Hälfte der ab 01.01.1995 bestehenden Beitragsschuld ihres Ehemanns zu beschränken.
III. Im Übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen.
IV. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
V. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Haftung der Klägerin für die Beitragsschulden des Ehemanns.

Die Klägerin ist seit 25.05.1970 verheiratet. Ihr Ehemann ist Pächter landwirtschaftlicher Flächen von derzeit 19,44 ha; diese werden zur Haltung von Pferden bewirtschaftet, die der Klägerin gehören. Die Einnahmen und Ausgaben laufen über das Konto der Klägerin (der Ehemann verfügt über kein eigenes Konto), das Einkommen aus Landwirtschaft ist steuerlich dem Ehemann zugeordnet. Laut übereinstimmender Erklärung der Ehegatten vom 25.07.1994 wird die landwirtschaftliche Fläche für alleinige Rechnung des Ehemanns bewirtschaftet. Er ist seit Jahren als Landwirt ins Mitgliederverzeichnis der Beklagten eingetragen. Laut Bescheid vom 10.02.1999 beträgt die Beitragsschuld des Ehemanns, der seit 1985 keine Beiträge zahlt, einschließlich Februar 1999 36.122,15 DM.

Als Sekretärin einer Steuerberatungsgesellschaft ist die Klägerin entsprechend ihrem Antrag vom 04.05.1995 nach Aufklärung über ihre Versicherungspflicht als Ehefrau am 13.04.1995 mit Bescheid vom 30.05.1995 mit Wirkung vom 01.01.1995 von der Versicherungspflicht gemäß § 3 ALG befreit worden. Am 25.02.1999 nahm die Beklagte die Klägerin als Gesamtschuldnerin für die Beitragsschuld ihres Ehemanns ab 01.01.1995 in Höhe von 9.473,- DM bis einschließlich Februar 1999 in Anspruch. Dem widersprach die Klägerin mit der Begründung, aufgrund ihrer eigenen Befreiung komme eine gesamtschuldnerische Haftung nicht in Betracht. Eine Haftung allein wegen der Ehe scheide aus; sie erhalte von der Beklagten keine Gegenleistung. Im Widerspruchsbescheid vom 30.04.1999 heißt es, als Landwirt und Versicherte sei sie haftbar. Laut Kommentar des Gesamtverbands der Landwirtschaftlichen Alterskasse sei die Befreiung als Landwirtsehefrau unerheblich. Dagegen erhob die Klägerin am 26.05.1999 Klage und machte geltend, infolge ihrer Befreiung nicht versichert und nicht versicherungspflichtig zu sein. Eine Gesamtschuld wäre ein Verstoß gegen den Schutz von Ehe und Familie. Demgegenüber vertrat die Beklagte die Ansicht, als Ehegattin sei die Klägerin gemäß § 1353 BGB zum Unterhalt und damit auch zur Alterssicherung ihres Ehegatten verpflichtet. § 70 Abs.1 Satz 2 ALG verlange nicht einen versicherungspflichtigen Landwirt, sondern nur den versicherten Landwirt, der mit dem Landwirt im Sinne des § 1 ALG gleichzusetzen sei. Mit Bescheid vom 14.06.1999 bezifferte die Beklagte die Schuld der Klägerin von März bis Mai 1999 auf 593,00 DM.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.07.1999 hob das Sozialgericht den Bescheid vom 25.02.1999 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 30.04.1999 und den Bescheid vom 14.06.1999 auf. Es führte aus, da die Klägerin befreit sei, sei sie nicht versichert. Eine die gemäß § 70 Abs.3 ALG nicht gesamtschuldnerich hafteten, andernfalls bevorzugt würden. Die vereinbarte Gütertrennung dürfe nicht unterlaufen werden und die Unterhaltspflicht der Ehegatten untereinander begründe kein Recht der Beklagten. Gegen den am 27.07.1999 empfangenen Gerichtsbescheid legte die Beklagte am 17.08.1999 Berufung ein. Sie trug vor, das Versicherungshältnis mit der Klägerin sei mit Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs.3 ALG entstanden und bestehe als latentes Versicherungsverhältnis, das bei laufender Beitragszahlung aktiv werde. Für den Versichertenstatus spreche, dass § 73 Abs.1 ALG i.V.m. § 196 Abs.1 SGB VI den Befreiten Mitwirkungspflichten auferlege. Dass die Befreiung die Haftungsfreistellung nicht bewirken könne, werde schon daraus deutlich, dass so der Landwirt seine Haftung für die Ehefrau vermeiden könne. Ein Vergleich mit freiwillig Versicherten sei unzulässig, da dort kein Normalfall einer gesamtsschuldnerischen Haftung denkbar sei. Weil beide Landwirte gemäß § 70 Abs.1 Satz 1 ALG für die Beitragsschulden hafteten, müsse Satz 2 die Gesamtschuld formulieren, um die doppelte Inanspruchnahme zu verhindern und die Beklagte nicht zum Einzug von Teilbeträgen im Sinn der Teilschuldnerschaft zu zwingen. Die Einschränkung "versichert" solle nur ausschließen, dass Nichtlandwirte herangezogen würden. Demgegenüber machte der Klägerbevollmächtigte geltend, das ALG bezwecke eine Verbesserung der Situation von Landwirtsehegatten, nicht deren Verschlechterung. § 70 Abs.1 Satz 2 ALG setze gemäß Satz 1 Beiträge von Versicherungspflichtigen voraus, was vorliegend nicht gegeben sei, weil die Klägerin nicht beitragspflichtig sei. Mit den Bescheiden vom 17.03.2000 und 27.07.2000 teilte die Beklagte der Klägerin die Änderung der monatlichen Beitragsschuld des Ehemanns ab 01.01.2000 bzw. ab 01.08.2000 mit und nahm sie entsprechend in Anspruch.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.07.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Augsburg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist teilweise begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.07.1999 ist aufzuheben, weil der Bescheid der Beklagten vom 25.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.1999 und der Bescheid vom 14.06.1999 lediglich dahingehend abzuändern sind, dass die Beitragsschuld der Klägerin um die Hälfte reduziert wird. Die Bescheide vom 17.03.2000 und 27.07.2000, die gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden sind, sind ebenfalls dahingehend abzuändern, dass sich die rechtmäßige Inanspruchnahme der Klägerin auf die Hälfte der Beitragsschuld ihres Ehemanns beschränkt. Die Klägerin haftet als Teilschuldnerin, hingegen nicht als Gesamtschuldnerin.

§ 70 ALG regelt die Verteilung der Beitragslast und Zahlung der Beiträge. Gemäß Abs.1 Satz 1 trägt die Beiträge für die Versicherungspflichtigen der Landwirt; sind beide Ehegatten versichert, haften sie gesamtschuldnerisch. Die grundsätzliche Verpflichtung der Klägerin als Beitragsschuldnerin ist im ersten Halbsatz des § 70 Abs.1 ALG geregelt. Das ALG ordnet die Beitragschuld nicht dem Beitragspflichtigen zu, sondern regelt, dass für sämtliche Beiträge der Versicherungspflichtigen der Landwirt die Beiträge trägt. Unstreitig ist die Klägerin Landwirt im Sinne des ALG. Sie ist der Ehegatte eines Landwirts nach § 1 Abs.2 ALG, lebt von diesem nicht dauernd getrennt und ist nicht erwerbsunfähig, so dass sie die Fiktion des § 1 Abs.3 ALG erfüllt. Dass § 70 Abs.1 erster Halbsatz die Beitragsverpflichtung nicht auf den Landwirt im Sinne des § 1 Abs.2 ALG beschränkt, wird daraus deutlich, dass in anderen Bestimmungen des ALG durchaus nach dem Landwirtsbegriff des § 1 Abs.2 und § 1 Abs.3 differenziert wird. So heißt es in § 1 Abs.3 Satz 3, die Ehegatten müssten erklären, welcher Ehegatte das Unternehmen als Landwirt nach Abs.2 betreibt. Zweifellos gelten beispielsweise die Befreiungsvoraussetzungen des § 3 für Landwirte im Sinn des § 1 Abs.2 und des § 1 Abs.3 ALG. Ausnahmen von der Geltung der an den Landwirtsbegriff anknüpfenden Normen sind jeweils gesondert normiert, wie dies beispielsweise § 13 Abs.2 ALG zeigt.

Dass die gemeinsame Beitragsverpflichtung der Landwirtsgatten unabhängig von ihrem Versichertenstatus Sinn macht, wird aus dem von der Beklagten genannten Beispiel deutlich, dass anderenfalls bei der Befreiung beider Ehegatten für die Beitragsschuld des mitarbeitenden Familienangehörigen kein Beitragsobjekt zur Verfügung stünde. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass andere Normen des ALG durchaus neben der Anknüpfung an den Landwirtsbegriff auch die Anknüpfung an den Begriff des Versicherten kennen. Zu nennen ist hier § 36 Abs.1, aber auch § 70 Abs.1 Satz 1 ALG, der zwischen dem Landwirt und der weitergehenden Haftung des versicherten Landwirts unterscheidet. Festzuhalten ist also, dass die Klägerin als Fiktivlandwirtin verpflichtet ist, die Beträge für die nach dem ALG Versicherungspflichtigen zu tragen. Die Beitragsschulden ihres Ehemannes gehören zweifellos dazu.

Zu Recht wehrt sich die Klägerin hingegen gegen ihre Inanspruchnahme als Gesamtschuldnerin, also in voller Höhe. Sie ist keine Versicherte im Sinn des ALG. Zutreffend beginnt das Sozialgericht die Auslegung des § 70 Abs.1 zweiter Halbsatz ALG mit dem Wortsinn. Darunter ist die Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder, falls ein solcher nicht feststellbar ist, im besonderen Sprachgebrauch des betreffenden Gesetzes zu verstehen. Im Sozialrecht gilt der Versicherte als einer der Beteiligten im Sozialrechtsverhältnis. Das Sozialversicherungsverhältnis entsteht aber mit dem Zustandekommen der Pflicht- oder der freiwilligen Versicherung (Ost/Mohr/Estelmann, Grundzüge des Sozialrechts, 2. Auflage, S.83). Zum Rentenversicherungsverhältnis im Sinn des SGB VI heißt es bei dem von der Beklagten zitierten Werk (Ost/Mohr/Estelmann a.a.O. S.220), mit dem Zustandekommen der Versicherung nach den §§ 1 bis 4, 7, 8 entstehe zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger ein Versicherungsverhältnis. Ein Versicherungsverhältnis kommt demnach aber nicht zustande, wenn gemäß § 6 SGB VI von Anfang an eine Befreiung gewährt wird. Niemand käme auf die Idee, einen Arbeitnehmer trotz bestehenden Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt als Versicherten zu bezeichnen, wenn er aufgrund einer von Anfang an bestehenden Mitgliedschaft in einer berufständischen Versorgungseinrichtung von der Versicherungspflicht befreit ist. Zwar ist im Fall einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung das Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses nicht an den Bestand des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses oder der versicherungspflichtigen Tätigkeit geknüpft. Voraussetzung ist aber, dass das Rentenversicherungsverhältnis einmal begründet worden ist. Wegen der von Anfang an in Anspruch genommenen Befreiungsmöglichkeit ist die Klägerin aber niemals in ein spezielles Versicherungsverhältnis mit der Beklagten getreten.

Die Beklagte kann nicht einwenden, mit dem Begriff des Versi- cherten im 2. Halbsatz des § 70 Abs.1 Satz 1 ALG sollten lediglich die Nicht-Landwirtsehegatten, die schon nicht nach § 70 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 1 ALG haften, ausgenommen werden. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte die Formulierung "sind beide Ehegatten Landwirte" nahe gelegen. Halbsatz 2 knüpft die Erweiterung des Gläubigerschutzes aber nicht an den Landwirtsbegriff, sondern an die Versicherteneigenschaft. Die Unterscheidung erscheint durch den unterschiedlichen Bezug der versicherten Landwirte zur Beitragsgläubigerin gerechtfertigt. Diesen werden eigene Ansprüche wie z.B. in § 36 oder § 8 ALG eingeräumt, wohingegen der Landwirt ohne Versicherungszeiten lediglich der Beitragspflicht gemäß § 70 ALG unterliegt. Die Klägerin steht zwar in einem Sozialrechtsverhältnis zur Beklagten, das durch die Mitwirkungspflichten im Sinne des § 73 ALG geprägt ist. Der darin in Bezug genommene § 196 Abs.1 des SGB VI schreibt aber ausdrücklich vor, dass die Auskunfts- und Mitteilungspflichten nicht nur den Versicherten treffen, sondern auch die Personen, für die eine Versicherung durchgeführt werden soll. Aus der Mitwirkungspflicht auf den Versichertenstatus zu schließen, ist also unzulässig.

Dass die Klägerin als nicht versicherte Landwirtin nicht gesamtschuldnerisch haftet, bedeutet nicht, dass sie keinerlei Beitragsverpflichtung zu tragen hat. Wie bereits oben dargestellt, unterliegt sie gemäß § 70 Abs.1 Satz 1 erster Halbsatz der Beitragspflicht. Eine Analogie ist also nicht notwendig, so dass die damit zusammenhängenden Überlegungen des Sozialgerichts obsolet sind. Wie das Bundessozialgericht bereits ausgeführt hat, konkretisiert das ALG die Unterhaltspflichten der Landwirtsehegatten (BSG vom 25.11.1998 - SozR 3-5868 § 1 Nr.2). Dies geschieht ohne Rücksicht auf deren Güterstand. Dass die Klägerin mangels Gesamtschuldnereigenschaft lediglich die Hälfte der Beitragsschulden ihres Ehemanns zu tragen hat, ergibt sich aus § 420 BGB, der mangels anderweitiger Regelung im Sozialrecht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens Anwendung findet. Danach ist im Zweifel jeder Schuldner nur zu einem gleichen Anteil verpflichtet, wenn mehrere eine teilbare Leistung schulden. Teilbar ist eine Leistung, wenn sie ohne Beeinträchtigung des Leistungszecks in Teilleistungen zerlegt werden kann, was in der Regel bei Leistung von Geld zutrifft. Richtig ist der Einwand der Beklagten, mit dieser Auslegung werde der Durchgriff auf den von Anfang an befreiten Nebenerwerbs-Landwirt wegen der Beitragsschulden seiner Ehegattin erschwert. Auch wenn die Überschrift des § 1 ALG die Identität des Begriffspaars "Landwirt" und "Versicherter" nahelegt, sieht sich der Senat aus den obengenannten Gründen außer Stande, von deren Synonymität auszugehen.

Aus diesen Gründen ist die Berufung nur teilweise begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Haftung des Ehegatten unter der Geltung des ALG erscheint die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 ALG gerechtfertigt. Sie ist im erstinstanzlichen Verfahren wegen der Form der Entscheidung als Gerichtsbescheid abgelehnt worden.
Rechtskraft
Aus
Saved