S 15 KR 136/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 136/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 31/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es ist im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV nicht auf eine anteilige Entgeltgrenze abzustellen, sondern auf eine monatliche absolute Grenze von 400 Euro.
Der Bescheid vom 19.03.2009 in der Gestalt des Bescheides vom 13.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern des Klägers und Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.

Der Kläger betreibt einen Kräuterhof und beschäftigte in den Jahren 2005 bis 2008 diverse Arbeitnehmer als geringfügig Beschäftigte (Zeitgeringfügigkeit).

Die Beklagte führte vom 16.02.2009 bis 18.02.2009 eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV durch. Sie kam zu dem Ergebnis, dass einzelne Arbeitnehmer (Tabelle), entgegen der Einschätzung des Klägers, nicht geringfügig beschäftigt waren, sondern versicherungspflichtig, da sie zwar die Tätigkeit kurzfristig ausgeübt hätten, aber berufsmäßig. Zudem überschritten diese nach Auffassung der Beklagten teilweise die Einkommensgrenze von 400 Euro. Die Beklagte berechnete dies, in dem sie von einer anteiligen Einkommensgrenze bezogen auf die tatsächlich im Monat gearbeiteten Tage ausging. Es handelte sich um Personen, die arbeitsuchend oder ausbildungssuchend bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet waren oder Leistungen derselben bezogen. In den Fällen, in denen die Einkommensgrenze von 400 Euro nach Auffassung der Beklagten überschritten wurde, forderte sie die Zahlung voller Sozialersicherungsbeiträge, in den anderen Fällen wurden Pauschbeiträge gefordert, wie sie bei einer entgeltgeringfügigen Beschäftigung anfallen.

Im Rahmen der Schlussbesprechung hörte die Beklagte den Kläger bezüglich einer Beitragsnachforderung an.

Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 19.03.2009 Versicherungspflicht fest und forderte Beiträge in Höhe von 10.589,82 Euro.

Der Kläger legte hiergegen am 15.04.2009 Widerspruch ein und verwies darauf, dass ihm eine anteilige Geringfügigkeitsgrenze nicht bekannt gewesen sei. Das Arbeitsentgelt habe 400 Euro absolut im Monat nicht überschritten.

Die Beklagte erließ daraufhin am 13.07.2009 einen Änderungsbescheid und half dem Widerspruch teilweise ab; die geforderte Summe reduzierte sich auf 9.760,38 Euro. Hierbei hob sie die Anforderung von Pauschbeiträgen auf, da in keinem Fall Entgeltgeringfügigkeit vorgelegen hatte. Zudem wandte sie teilweise die Gleitzonenregelung an. Im Übrigen aber blieb sie bei ihrer Rechtsauffassung; die Gleitzonenregelung kam überwiegend nicht zum Ansatz, da die Beklagte auch hier eine Hochrechnung vornahm. Die Beklagte wies den Widerspruch daher im Übrigen durch Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010 zurück. Die Auffassung der Beklagten kam bzgl. folgender Arbeitnehmer zum Tragen:

Name Beschäftigungszeitraum

K., Z. 22.04. - 30.04.2005 ; 02.05. - 10.05.2005
01.06. - 10.06.2005 ; 04.07. - 25.07.2005
01.08. - 08.08.2005

G., F. 23.09. - 30.09.2005 ; 22.04. - 27.04.2006
02.05. - 09.05.2006 ; 21.06. - 26.06.2006
01.07. - 11.07.2006 ; 08.08. - 10.08.2006
21.09. - 17.10.2006 ; 15.05. - 29.05.2007
15.06. - 25.06.2007 ; 06.07. - 10.07.2007
10.08. - 15.08.2007 ; 14.09. - 18.09.2007
10.10. - 18.10.2007 ; 02.11. - 06.11.2007
25.04. - 30.04.2008 ; 23.05. - 28.05.2008
20.06. - 25.06.2008 ; 03.07. - 07.07.2008
22.08. - 27.08.2008

A., S. 24.06. - 28.06.2005 ; 01.08. - 15.08.2005

P., I. 22.07. - 30.07.2005 ; 24.07. - 30.07.2006

B., H. 01.06. - 10.06.2005 ; 04.07. - 25.07.2005
01.08. - 08.08.2005

G., I. 20.04. - 26.04.2005 ; 02.05. - 10.05.2005
01.06. - 10.06.2005 ; 04.07. - 25.07.2005
01.08. - 08.08.2005 ; 23.09. - 30.09.2005
04.10. - 12.10.2005 ; 21.04. - 10.05.2006
12.06. - 21.06.2006 ; 15.07. - 08.08.2006
01.10. - 11.10.2006 ; 20.04. - 09.05.2007
04.06. - 14.06.2007

A.-P., Y. 19.06. - 21.06.2006 ; 24.07. - 24.07.2006

A., N. 24.06. - 26.06.2006 ; 01.07. - 03.07.2006
02.05. - 07.05.2007 ; 22.06. - 25.06.2007
15.07. - 18.07.2007 ; 28.08. - 31.08.2007
27.09. - 29.09.2007 ; 01.10. - 04.10.2007
25.04. - 29.04.2008 ; 02.05. - 05.05.2008

A., M. 08.07. - 07.08.2007

G., S. 02.06. - 12.06.2007 ; 10.08. - 14.08.2007
02.05. - 15.05.2008

G., T. 09.07. - 20.07.2007 ; 01.08. - 10.08.2007

K., Ü. 09.07. - 08.08.2007 ; 22.05. - 31.05.2008
01.06. - 11.06.2008 ; 17.07. - 28.07.2008

K., M. 14.06. - 24.06.2006

K., H. 17.06. - 23.06.2006 ; 07.07. - 11.07.2006
04.08. - 08.08.2006

K., C. 21.07. - 29.07.2006 ; 03.08. - 08.08.2006

K., N. 12.06. - 14.06.2006 ; 30.06. - 30.06.2007
06.07. - 07.07.2007

K., I. 18.06. - 23.06.2006 ; 24.07. - 25.07.2006

M., R. 03.08. - 08.08.2006

O., B. 22.06. - 23.06.2006

S., I. 14.07. - 18.07.2006 ; 04.08. - 08.08.2006
01.10. - 06.10.2006 ; 03.11. - 06.11.2006
01.12. - 04.12.2006 ; 26.04. - 30.04.2007
02.05. - 07.05.2007 ; 15.06. - 18.06.2007
21.07. - 23.07.2007 ; 17.08. - 20.08.2007
21.09. - 24.09.2007 ; 13.10. - 17.10.2007
02.11. - 05.11.2007 ; 27.04. - 30.04.2008
02.05. - 06.05.2008 ; 26.06. - 30.06.2008
03.07. - 07.07.2008 ; 22.08. - 26.08.2008
19.09. - 22.09.2008 ; 27.10. - 29.10.2008
01.11. - 03.11.2008

U., A.-O. 08.07. - 24.07.2006 ; 04.08. - 14.08.2006
14.09. - 23.09.2006 ; 14.10. - 23.10.2006

T., Ö. 15.06. - 23.06.2006

Der Kläger hat am 22.03.2010 Klage vor dem Sozialgericht erhoben.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 30.09.2011 die F., die A. , die B. , die G., die H., die E. und die I. beigeladen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte die Höhe des Entgeltes fehlerhaft berechnet habe. Es sei auf den Abrechnungszeitraum abzustellen und nicht auf eine anteilige Geringfügigkeitsgrenze.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 19.03.2009 in der Gestalt des Bescheides vom 13.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass ihre Berechnung – die den Geringfügigkeitsrichtlinien entspreche – zutreffend sei.

Es wird zum weiteren Sach- und Streitstand auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Änderungsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides war aufzuheben, da er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Die Beklagte hat zu Unrecht aufgrund der Betriebsprüfung nach § 28p Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - (SGB IV) festgestellt, dass einige Arbeitnehmer bei dem Kläger nicht geringfügig, sondern versicherungspflichtig beschäftigt waren. Zu Unrecht hat die Beklagte daher Beiträge in Höhe von 9.760,38 Euro bei dem Kläger nachgefordert.

Es lag für die betroffenen Arbeitnehmer keine Versicherungspflicht vor. Dies ergibt sich aus § 8 SGB IV i. V. m. § 7 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) und § 5 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI).

Nach § 8 SGB IV liegt eine geringfügige Beschäftigung, die zur Versicherungsfreiheit in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung führt, vor, wenn

1. das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400,00 EUR nicht übersteigt,

2. die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400,00 EUR im Monat übersteigt.

Bei den betroffenen Arbeitnehmern lag eine geringfügige Beschäftigung und damit Versicherungsfreiheit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV vor.

Die von den Arbeitnehmern bei dem Kläger ausgeübte Beschäftigung war vertraglich durch einen Rahmenvertrag im Voraus auf 50 Arbeitstage im Kalenderjahr begrenzt. Die Beschäftigten arbeiteten als Erntehelfer auf einem Kräuterhof. Es handelte sich daher nicht um eine regelmäßige Beschäftigung, bei welcher die Arbeitnehmer davon ausgehen konnten, dass sie regelmäßig monatlich ein gewisses Entgelt erzielen. Der Anwendungsbereich von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ist daher nicht erfüllt. Es handelt sich vielmehr um eine kurzfristige Beschäftigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV.

Die Beklagte ist bei den betroffenen Arbeitnehmern davon ausgegangen, dass es sich um eine berufsmäßige Beschäftigung handelt, da diese entweder arbeits- oder ausbildungssuchend waren bzw. Leistungen der Bundesagentur für Arbeit bezogen. Der Kläger hat dies nicht konkret für einzelne Arbeitnehmer in Abrede gestellt. Das Gericht hat hierzu keine weiteren Ermittlungen angestellt, da die Frage der Berufsmäßigkeit nicht streitentscheidend war.

Hinsichtlich aller betroffener Arbeitnehmer ergibt sich nämlich, dass sie die weitere Voraussetzung für das Entfallen einer geringfügigen Beschäftigung wegen Kurzfristigkeit nicht erfüllen. Sie erzielten kein monatliches Entgelt, welches über 400,00 EUR lag.

Die Beklagte ist für die Berechnung des Überschreitens der Entgeltgrenze von einer anteiligen Entgeltgrenze monatlich ausgegangen. Diese Vorgehensweise ergibt sich aus den Richtlinien für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügig Beschäftigten (Geringfügigkeitsrichtlinien) der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger.

Das Gericht vermochte sich diesen Richtlinien und der Auffassung der Beklagten nicht anschließen.

Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinien der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger nur diese, nicht jedoch die Gerichte und den Kläger binden.

Hinsichtlich der Auslegung der Norm ist zunächst von ihrem Wortlaut auszugehen. Der Gesetzeswortlaut führt aus, dass ein Entgelt von 400,00 EUR und höher im Monat im Fall einer berufsmäßigen Tätigkeit die Geringfügigkeit entfallen lässt. Es lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen, dass, wenn nicht ein voller Monat gearbeitet wird, eine anteilige Entgeltgrenze gelten soll. Der Wortlaut ist insofern eindeutig. Es handelt sich um eine Entgeltgrenze von 400,00 EUR im Monat.

Zu beachten ist im Rahmen der Auslegung auch, dass der Gesetzgeber in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV gerade den Sachverhalt der Ausübung einer Beschäftigung regelt, die nicht regelmäßig vollständige Monate ausgeübt wird, da dies den Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV erfüllen würde. Es geht vielmehr gerade um Beschäftigungen, die auf das Kalenderjahr bezogen nur einzelne Tage oder längstens zwei Monate am Stück ausgeübt werden. Wenn der Gesetzgeber bei Regelung der Versicherungsfreiheit einer Beschäftigung von einzelnen Tagen davon ausgegangen wäre, dass hinsichtlich des Überschreitens einer Einkommensgrenze mit dem aus der Beschäftigung erzielten Verdienst keine monatliche, sondern eine anteilige Grenze gelten sollte, so ist davon auszugehen, dass er dies auch geregelt hätte. Wenn es dem Willen des Gesetzgebers entsprechen sollte, eine anteilige Grenze zu regeln, so hat dies in der Norm keinerlei Niederschlag gefunden. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb gerade in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV auf eine monatliche Grenze Bezug genommen werden sollte, wenn es sich nicht um eine solche handeln sollte, da diese dann meist nicht zur Anwendung gelangen würde.

Darüber hinaus führt eine anteilige Entgeltgrenze auch zu widersinnigen Ergebnissen. So führt diese dazu, dass für die betroffenen Arbeitnehmer des Klägers bei einem Entgelt monatlich von z. B. 200,00 EUR volle Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen. Durch eine von der Beklagten vorgenommene Hochrechnung entfällt in diesen Fällen auch die Gleitzonenregelung, da bei der Hochrechnung die Entgelte dann monatlich über 800,00 EUR liegen. Darüber hinaus werden selbstverständlich auch nicht nur pauschale Sozialversicherungsbeiträge wie für eine Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV fällig, da es sich nicht um eine solche Tätigkeit handelt. Letztlich werden folglich auf solch kleinen Arbeitsentgelte, die gerade vollständig von einer Verbeitragung befreit sein sollten, deutlich höhere Beiträge erhoben, als wenn eine geringfügige Beschäftigung regelmäßig nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ausgeübt worden wäre oder ein entsprechender Arbeitsvertrag mit einer Teilzeitbeschäftigung innerhalb der Gleitzone geschlossen worden wäre. Dieses Ergebnis kann nach Auffassung des Gerichts dem Sinn und dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Rechtsmittelbelehrung ergibt sich aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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