L 8 SB 217/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 3540/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 217/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Die 1949 geborene Klägerin stellte am 14.02.2007 beim Landratsamt R. (LRA) einen Erstantrag nach dem SGB IX und machte ein Rücken- und Beinleiden als Gesundheitsstörung geltend. Auf Veranlassung des LRA übersandte der Internist Dr. S. die ihm vorliegenden Untersuchungsberichte des Gefäßchirurgen Dr. L. vom 04.08.2006 und der Orthopäden Dr. K. und Dr. F. vom 02.09.2006 bzw. 03.01.2007. Am 17.12.2007 erstattete Dr. S. unter Vorlage des Kurentlassungsberichts der Fachkliniken H. vom 30.07.2007 und des Untersuchungsberichts der Nervenärztin Dr. S. vom 14.08.2007 einen Befundbericht und gab an, bei der Klägerin bestünden seit Jahren zunehmende Beschwerden seitens des Stütz- und Bewegungsapparates. Internistischerseits liege seit Jahren ein maligner Bluthochdruck mit Werten bis 220/140 mmHg vor. Bei regelmäßiger Einnahme der antihypertensiven Medikamente würden die durchschnittlichen Blutdruckwerte um 140/85 mmHg betragen. Ein leichter Diabetes mellitus sei bisher durch entsprechende Diät ausreichend eingestellt. Nach der hierzu eingeholten gutachterlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes des LRA wurden folgende Funktionsbeeinträchtigungen als gegeben erachtet:

1. Funktionsstörung durch Fußfehlform GdB 20 2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom GdB 20 3. Chronisches Schmerzsyndrom, Depression GdB 20 4. Bluthochdruck GdB 10 5. Diabetes mellitus GdB 10

Der Gesamt-GdB wurde mit 40 eingeschätzt. Mit Bescheid vom 31.01.2008 stellte das LRA unter zusätzlicher Berücksichtigung von Knorpelschäden an beiden Kniegelenken einen GdB von 40 seit 14.02.2007 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz fest.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, ihrer Ansicht nach seien ihre psychischen Beschwerden nicht ausreichend berücksichtigt worden. Sie legte das ärztliche Attest von Dr. S. vom 23.11.2007 vor, wonach die Klägerin an einer mittelgradigen depressiven Erkrankung leide. Sie werde mit hoch dosierten Medikamenten antidepressiv behandelt. In ihrem vom LRA eingeholten Befundbericht vom 03.06.2008 gab Dr. S. an, die Klägerin befinde sich seit August 2007 wegen einer Angsterkrankung und begleitender depressiver Symptomatik in ihrer laufenden psychiatrischen Behandlung. Unter medikamentöser Behandlung gehe es der Klägerin seit Oktober 2007 erheblich besser. Leichte Belastungen führten jedoch immer noch zu Angstattacken, schlechtem Schlaf und weinerlicher Stimmung. Begleitend werde die Klägerin psychotherapeutisch behandelt. Nach Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme, wonach nach der eingetretenen erheblichen Besserung der depressiven Symptomatik ein GdB von 20 insoweit weiterhin angemessen sei, wies das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2008 zurück.

Am 28.10.2008 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG), mit der sie einen GdB von mindestens 70 geltend machte. Sie legte das nervenärztliche Attest von Dr. S. vom 12.11.2008 vor. Danach habe die erhebliche depressive Symptomatik durch hochdosierte Antidepressiva und eine Psychotherapie gebessert werden können. Aufgrund der wohl chronischen Restsymptomatik mit Antriebsminderung und verminderter Belastbarkeit, - die Klägerin sei in ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit doch deutlich eingeschränkt - sollte ein GdB von 50 zuerkannt werden. Der Beklagte trat der Klage entgegen und hielt weiterhin einen (Durchschnitts-)GdB von 20 für das psychische Leiden der Klägerin für angemessen.

Das SG hörte zunächst Dr. S. und Dr. S. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. S. berichtete am 24.03.2009 über die Behandlung der Klägerin seit 07.08.2007 und gab an, es handle sich bei der Klägerin nicht um eine leichtere depressive Verstimmung im Rahmen einer Arbeitsplatzüberforderung oder ähnlichem, sondern um eine - mit einem GdB von 20 zu niedrig bewertete - phasisch depressive Erkrankung. Diese sollte allein mit einem GdB von mindestens 40 und ihre Funktionsstörungen insgesamt mit einem GdB von 50 bewertet werden. Dr. S. schilderte am 25.05.2009 den Krankheits- und Behandlungsverlauf seit Januar 2007 und äußerte sich dahingehend, dass die vom Beklagten internistischerseits zugrunde gelegten Funktionsstörungen vollständig bezeichnet seien. Zweifelhaft erscheine ihm aber die Bewertung auf psychiatrischem Gebiet mit einem GdB von nur 20. Eine starke depressiv- hypochondrische Störung müsste mit einem GdB von 30 bis 40 bewertet werden. Dadurch würde sich der GdB insgesamt auf mindestens 50 erhöhen. Anschließend holte das SG von Dr. W., H., ein nervenärztliches Gutachten ein. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin gelangte der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten vom 30.08.2009 zu der Beurteilung, die Klägerin leide unter einer Angststörung leichteren Grades. Eine überdauernde depressive Störung von Krankheitswert habe ausgeschlossen werden können. Nachvollziehbar seien inzwischen abgeklungene depressive Störungen im Rahmen des von ihr geschilderten Mobbings an ihrem letzten Arbeitsplatz in den Jahren 2005 und 2006. Für die von ihr geklagten Beschwerden seitens des Stütz- und Bewegungsapparates hätte sich auch hier kein neurologisches Defizit ergeben. Die Angststörung sei ebenso wie die angegebenen Beschwerden seitens des Stütz- und Bewegungsapparates ohne neurologisches Defizit jeweils mit einem GdB von 20 zu bewerten. Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsstörungen ergebe sich ein GdB von 40. Der Beurteilung von Dr. S. stimme er nicht zu. Die von ihr beschriebene phasische Depression habe hier nicht bestätigt werden können. Die von Dr. S. beschriebenen Arbeitsplatzängste lägen inzwischen nicht mehr vor. Auch der Einschätzung von Dr. S. vom 25.05.2009, wonach eine Besserung der depressiven Symptomatik nicht festzustellen sei, könne er sich nicht anschließen. Die von ihm erwähnten hypochondritischen Züge würde den Angaben im Kurentlassungsbericht vom 30.07.2007 entsprechen, nach denen Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und den geschilderten Beschwerden erkennbar gewesen seien. Im Hinblick auf die Einwände der Klägerin gegen sein Gutachten vom SG ergänzend befragt, führte Dr. W. am 02.10.2009 aus, eine diabetische Neuropathie läge allenfalls in geringem, einen GdB von 10 bedingenden Ausmaß vor, so dass aufgrund der fehlenden Relevanz auf eine zusätzliche apparative Untersuchung verzichtet werden könne. Die von Dr. S. gestellte Diagnose einer phasischen Depression habe nach den Angaben der Klägerin und der Schilderung ihrer Beschwerden nicht diagnostiziert werden können. Auch eine rezidivierende depressive Störung habe jetzt nicht bestätigt werden können. Dr. S. habe eine anhaltende überdauernde depressive Erkrankung in ihrem nervenärztlichen Attest vom 18.11.2008 ebenfalls nicht beschrieben, da darin von einer stabilisierten Depression die Rede sei. Danach holte das SG auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. S. ein psychiatrisches Gutachten ein. Diese untersuchte die Klägerin am 09.09.2010 und führte in ihrem Gutachten vom selben Tag aus, die Klägerin leide an einer phasisch auftretenden depressiven Erkrankung mit affektiv ängstlicher Färbung. Zur Zeit sei das psychische Befinden der Klägerin gebessert, aber nicht auf einem gesunden belastungsfähigen Niveau. Die depressive Erkrankung bestehe in unterschiedlicher Ausprägung seit 1977. Diese Erkrankung sei nicht nur vorübergehend vorhanden und weiche deutlich von dem für das Lebensalter typischen Gesundheitszustand ab. Für die Erkrankung, aus der eine deutlich verminderte Belastbarkeit resultiere, sollte ein GdB von mindestens 40 anerkannt werden, so dass in jedem Fall ein Gesamt-GdB von 50 vorliege. Die durch den Beklagten erfolgte Zuordnung der Depression der Klägerin als eine "leichtere psychovegetative oder psychische Störung", die mit einem GdB von 20 zu bewerten sei, halte sie für zu niedrig.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2010 wies das SG die Klage ab. Es sah die Funktionsstörungen der Klägerin mit einem GdB von 40 angemessen bewertet. Die psychischen Beschwerden der Klägerin seien nach den schlüssigen und nun nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. mit einem GdB von 20 zutreffend bewertet. Anhaltspunkte für eine stärker behindernde Störung bzw. eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die einen GdB von 30 bis 40 bedingen würde, lägen angesichts des von Dr. W. erhobenen Befundes und den Angaben der Klägerin zu ihrem Tagesverlauf nicht vor. Der anderslautenden Beurteilung von Dr. S. schließe es sich nicht an. Auch die Bewertung der psychischen Störung der Klägerin mit einem GdB von 30 bis 40 durch den Internisten Dr. S. sei nicht nachvollziehbar. Insgesamt ergebe sich ein GdB von 40.

Dagegen hat die Klägerin am 17.01.2011 Berufung eingelegt, mit der sie einen GdB von wenigstens 50 geltend macht. Sie bringt vor, dass SG sei zu Unrecht der Beurteilung von Dr. W. gefolgt ohne darzulegen, weshalb die Beurteilung von Dr. S. weniger schlüssig sein solle als die von Dr. W ... Dr. W. habe auch nicht im Einzelnen dargelegt, weshalb er im Unterschied zu Dr. S., die eine phasenhafte Depression annehme, von einer reaktiven Depression ausgehe. Auch die Einschätzung von Dr. S. (GdB 30 bis 40 für das psychische Leiden) sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Das SG hätte nicht von der Einholung eines weiteren Gutachtens auf nervenärztlichen Gebiet absehen dürfen. Dies würde ausdrücklich beantragt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Dezember 2010 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ein GdB von 40 - wie hier festgestellt - sei nicht zu niedrig. Die psychischen Beschwerden der Klägerin bedingten einen GdB von 20.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 oder mehr.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 31.01.2008 (Widerspruchsbescheid vom 06.10.2008), mit dem der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 40 festgestellt hat. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass ihre Funktionsstörungen einen GdB von mindestens 50 bedingten. Insbesondere ihr psychisches Leiden sei mit einem höheren GdB als 20 zu bewerten.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass nun insoweit die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Bewertungskriterien der VG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit einem GdB von 40 angemessen bewertet sind. Der Senat kommt nach Würdigung der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere den nervenärztlichen Gutachten von Dr. W. und Dr. S., zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigen auch nach Überzeugung des Senats keinen höheren GdB als 40.

Die Klägerin wendet sich mit der Berufung allein gegen die Bewertung des bei ihr vorliegenden psychischen Leidens. Die Bewertung ihrer übrigen vom Beklagten bei der Bildung des Gesamt-GdB berücksichtigten Funktionsstörungen Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsstörung durch Fußfehlform (GdB 20), Wirbelsäulenveränderungen einschließlich Schulter-Arm-Syndrom (GdB 20), Bluthochdruck (GdB 10) und Diabetes mellitus (GdB 10) wird von ihr - wie schon im erstinstanzlichen Verfahren - nicht angegriffen. Auch für den Senat besteht kein Anhalt, dass die genannten Funktionsstörungen zum Nachteil der Klägerin unrichtig bewertet worden sind.

Zwischen den Beteiligten umstritten und für die Höhe des Gesamt-GdB entscheidend ist hingegen die Bewertung des psychischen Leidens der Klägerin. Dabei kommt es entgegen der in der Berufungsbegründung anklingenden Auffassung der Klägerin nicht darauf an, wie die psychische Störung der Klägerin genau zu diagnostizieren ist. Maßgeblich für die Bewertung ist allein das Ausmaß der psychischen Störung.

Bei der Klägerin liegt eine psychische Beeinträchtigung (chronisches Schmerzsyndrom, Depression) vor, die keinen höheren GdB als 20 bedingt. Ein GdB von 20 ist anzunehmen, wenn leichtere psychovegetative oder psychische Störungen vorliegen. Nach Teil B Nr. 3.7 der VG ist eine solche Störung mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewerten. Das bedeutet, dass der Beklagte bei seiner Beurteilung der psychischen Beeinträchtigung der Klägerin an die Obergrenze des insoweit vorgegebenen Bewertungsrahmens gegangen ist. Ein stärkeres Ausmaß ihres psychischen Leidens besteht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Dies würde nach Teil B Nr. 3.7 der VG (dauerhafte) stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) voraussetzen, an denen die Klägerin jedoch nach Überzeugung des Senats allenfalls nur zeitweise leidet. Dies folgt für den Senat in erster Linie aus den eigenen Angaben der Klägerin und den nervenärztlichen Befunden, die Dr. W. bei seiner Untersuchung der Klägerin erhoben und in seinem Gutachten vom 30.08.2009 beschrieben hat. Danach liegt (nur) eine Angststörung vor, die lediglich leichterer Natur ist. Die Klägerin gab gegenüber Dr. W. seit vielen Jahren bestehende Ängste, insbesondere beim Treppensteigen und vor dem Einschlafen keine Luft zu bekommen, an. Dass sie noch an anderen, weitergehenderen Ängsten leidet, wurde von ihr bei der Untersuchung nicht geltend gemacht. Der Senat hält es deshalb für überzeugend, wenn der Sachverständige nur eine leichtere, mit einem Teil-GdB von 20 zu bewertende Angststörung annimmt.

Ein höherer Teil-GdB ergibt sich auch dann nicht, wenn mit Dr. S. - entgegen der von Dr. W. gestellten Diagnose - von einer Restsymptomatik mit phasisch auftretender depressiven Erkrankung auszugehen ist, was dem angefochtenen Bescheid mit der bezeichneten Gesundheitsstörung "chron. Schmerzsyndrom, Depression" auch zugrunde gelegt ist.

Soweit die Klägerin auch über Mobbing an ihrem früheren Arbeitsplatz (in der Küche eines Altenheims) in den Jahren 2005 und 2006 und damit verbundene Ängste und depressive Störungen geklagt hat, bezog sich dies auf entsprechende Beschwerden in dieser Zeit. Diese waren zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. W. am 27.08.2009 abgeklungen, wie der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt hat. Die Klägerin, die inzwischen Rente bezieht, war von 29.12.2006 bis zu ihrer Aussteuerung durch die Krankenkasse durchgehend krankgeschrieben und somit seit diesem Zeitpunkt keinen Mobbingattacken mehr ausgesetzt. Es ist daher ohne Weiteres einleuchtend, wenn Dr. W. zu der Beurteilung gelangt, dass die seinerzeit bestehende reaktive Depression inzwischen abgeklungen ist. Dafür spricht auch, dass Dr. S. im Befundbericht vom 03.06.2008 und in ihrem Attest vom 12.11.2008 eine erhebliche Besserung der von ihr diagnostizierten Angsterkrankung mit begleitender depressiver Symptomatik seit Oktober 2007 angegeben hat. Die ihrer Ansicht nach wohl chronische Restsymptomatik mit Antriebsminderung und verminderter Belastbarkeit wird von ihr zwar auch noch mit einem GdB von 50 bewertet. Dem folgt der Senat jedoch nicht. Der Sachverständige Dr. W. fand bei seiner Untersuchung ein ausreichend erhaltenes Antriebs- und Interessevermögen sowie eine ausgeglichene Stimmungslage; Auffassungs-, Konzentrations- oder Merkfähigkeitsstörungen und eine krankheitswertige Grübelneigung zeigten sich nicht. Ein GdB von 50, der nach Teil B Nr. 3.7 der VG erst bei schweren psychischen Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten angenommen werden kann, ist mit diesen Befunden nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass es bei der Klägerin Anhaltspunkte für hypochondrische Züge gibt. Im Kurentlassungsbericht der Fachkliniken H. vom 30.07.2007 sind Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und den geschilderten Beschwerden erwähnt und der Internist Dr. S. sprach am 25.05.2009 gegenüber dem SG von einer starken depressiv-hypochondrischen Störung. Ferner wurden bei der Untersuchung durch Dr. W. appellative Züge deutlich, was die Beschwerdeangaben der Klägerin relativiert und zusätzlich die Bewertung als leichte Funktionsstörung rechtfertigt. Ob der Verdacht auf einen Rentenwunsch zutrifft, mag dahinstehen.

Der Beurteilung von Dr. S. in ihrem auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG eingeholten psychiatrischen Gutachten vom 09.09.2010, das gegenüber ihren früheren Äußerungen keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte aufzeigt, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Einem GdB von 50, der nach Auffassung der Sachverständigen hier in jedem Fall anzuerkennen sei, stehen schon die bereits genannten Gründe entgegen. Eine schwere psychische Störung liegt bei der Klägerin auch nach den von Dr. S. mitgeteilten nervenärztlichen Befunden nicht vor. Zudem hat Dr. S. selbst über eine erhebliche Besserung des psychischen Leidens der Klägerin seit Oktober 2007 berichtet. Ferner ist davon auszugehen, dass sich die nach Angaben der Klägerin durch Mobbing hervorgerufenen psychischen Beschwerden nach ihrer dauerhaften Krankschreibung ab 29.12.2006 wesentlich gebessert haben und schließlich vollständig abgeklungen sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass ärztlicherseits hypochondrisches/appellatives Verhalten beschrieben und der Verdacht auf einen Rentenwunsch geäußert worden ist. Das insgesamt nur dreieinhalb Seiten umfassende Gutachten von Dr. S., das im Wesentlichen aus den Angaben der Klägerin und der Krankheitsgeschichte besteht, aber nur wenige von der Sachverständigen selbst erhobene Befunde enthält, vermag die überzeugende Beurteilung des Sachverständigen Dr. W. nicht dezidiert in Frage zu stellen. Die Sachverständige beschreibt die Klägerin lediglich als etwas aufgeregt, sorgenvoll, bedrückt und psychomotorisch etwas unruhig. Kognitive Einschränkungen und Konzentrationsstörungen während der Untersuchung zeigten sich nicht. Dr. S. diagnostizierte eine phasisch auftretende depressive Erkrankung mit affektiv-ängstlicher Färbung und bezeichnete das psychische Befinden der Klägerin als zur Zeit gebessert, aber nicht auf einem gesunden belastungsfähigen Niveau. Daraus läßt sich entgegen ihrer eigenen Auffassung nur eine leichtere, im Übrigen auch nur zeitweise auftretende psychische Störung ableiten. Bei einem schwankenden Verlauf der Erkrankung darf zudem nur von dem "durchschnittlichen" Ausmaß der Beeinträchtigung ausgegangen werden, dem durch einen Durschnittswert Rechnung zu tragen ist (vgl. Teil A 2 f) der VG). Die Bewertung der psychischen Störung der Klägerin mit einem GdB von 50 ist deshalb auch aus diesem Grund weit überhöht. Vielmehr ist im Durchschnittsverlauf für die psychische Beeinträchtigung ein GdB von 20 - auch für den Zeitraum von der Antragstellung (14.02.2007) bis zu der im Oktober 2007 eingetretenen wesentlichen Besserung - durchaus ausreichend und angemessen, so dass sich insgesamt ein GdB von 40 ergibt.

Bei dieser Ausgangslage hat sich der Senat nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst gesehen. Die angeregte Einholung eines weiteren nervenärztlichen Gutachtens ist nicht erforderlich, da der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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