L 7 AS 1094/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 AS 7098/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1094/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Februar 2012 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerden der Antragsteller sind zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Beschwerden haben jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Absatzes 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen. Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (beide juris)).

Unter Beachtung dieser Maßstäbe steht für den erkennenden Senat fest, dass ein Anordnungsanspruch im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die hier streitgegenständliche darlehensweise Übernahme von Mietrückständen nicht besteht. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 22 Abs. 8 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) in der hier maßgebenden, ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung des Gesetzes vom 29. März 2011 (BGBl. I, S. 453). Danach können, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

Ausweislich des Bescheides vom 21. Oktober 2011 erhalten die Antragsteller zwar noch bis zum 31. März 2012 als Leistungen nach dem SGB II Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von jeweils 131,50 EUR monatlich. Die Übernahme von Mietrückständen nach § 22 Abs. 8 SGB II unterliegt allerdings einschränkenden Voraussetzungen, die in den in § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffen "gerechtfertigt" und "notwendig" zum Ausdruck kommen. Vorliegend ist die begehrte Übernahme der Mietrückstände schon nicht gerechtfertigt im Sinne dieser Vorschrift. Hierbei handelt es sich - wie dargelegt - um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Maßgeblich ist dabei, ob die begehrte Schuldenübernahme zur Sicherung der bisherigen Unterkunft überhaupt geeignet ist. Die Übernahme von Mietschulden hat den Zweck, die bisherige Wohnung zu erhalten. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden, wenn trotz Schuldenübernahme langfristig der Erhalt der Wohnung nicht gesichert werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine wirksame Vermieterkündigung ausgesprochen worden ist und ein Räumungstitel vorliegt. Die darlehensweise Bewilligung staatlicher Transferleistungen (mit ungewisser Rückzahlung durch den Darlehensnehmer) hat weiterhin den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit zu genügen. Keinesfalls darf die Transferleistung dazu dienen, den Leistungsempfänger lediglich von zivilrechtlichen Erstattungsansprüchen eines Vermieters freizustellen (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Oktober 2007 - L 8 AS 4481/07 ER-B -; LSG Berlin-Branden burg, Beschlüsse vom 17. Januar 2008 - L 32 B 2312/07 AS ER -, vom 2. März 2009 - L 28 AS 253/09 B - und vom 8. Januar 2010 - L 34 AS 1936/09 - B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. September 2009 - L 13 AS 252/09 B -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. November 2008 - L 7 B 273/08 AS ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. Februar 2010 - L 5 AS 2/10 B ER - (alle juris)).

Vorliegend kann durch die von den Antragstellern begehrte Übernahme von Mietrückständen der Erhalt ihrer Wohnung nicht (mehr) langfristig gesichert werden, da bereits eine wirksame Vermieterkündigung ausgesprochen worden ist und ein - vollstreckbarer - Räumungstitel vorliegt. Die Begleichung der Mietrückstände kann nicht mehr zur Unwirksamkeit der vom Vermieter der Antragsteller am 22. Oktober 2011 ausgesprochenen fristlosen Kündigung nach § 554 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) führen. Nach 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB wird eine außerordentliche Kündigung nur dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird. Eine solche Befriedigung mit dem Ergebnis der Unwirksamkeit der Kündigung hätte also längstens zwei Monate nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage erfolgen müssen. Das SG ging im angefochtenen Beschluss zu Recht davon aus, dass die Räumungsklage den Antragstellern spätestens am 30. November 2011 zugestellt worden sein muss. Aufgrund der hierdurch eingetretenen Rechtshängigkeit der Räumungsklage endete somit die in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB vorgesehene Zwei-Monatsfrist mit Ablauf des 31. Januar 2012. Innerhalb dieser Frist haben die Antragsteller jedoch die Mietrückstände nicht beglichen und können dies aufgrund des Zeitablaufs auch nicht mehr. Auch erfolgte innerhalb dieser Zwei-Monatsfrist keine Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle zur Befriedigung bestehender Mietrückstände, wie dies in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ebenfalls zur Abwendung einer Kündigung vorgesehen ist.

Zudem steht aufgrund des am 8. März 2012 im Verfahren 20 C 2293/11 ergangenen Anerkenntnisurteiles des Amtsgerichtes Böblingen fest, dass die Antragsteller die von ihnen bislang bewohnte Wohnung in Sindelfingen zu räumen und an den klagenden Vermieter herauszugeben haben. Aufgrund dieses vollstreckbaren Anerkenntnisurteiles ist eine dauerhafte Sicherung der Wohnung selbst bei Begleichung der Mietrückstände nicht mehr möglich. Entgegen der Angaben der Antragsteller hat auch ihr Vermieter sich nicht bereit erklärt, bei einer Begleichung der Mietrückstände auf die Vollstreckung aus dem Anerkenntnisurteil zu verzichten und das Mietvertragsverhältnis fortzusetzen. Zuletzt mit seinem an den Antragsgegner gerichteten Schriftsatz vom 21. März 2012 hat der Prozessbevollmächtigte des Vermieters der Antragsteller zwar bekundet, es bestünde Bereitschaft, auf eine Vollstreckung des Urteils zu verzichten. Dieser Verzicht wird jedoch ausweislich dieses Schriftsatzes davon abhängig gemacht, dass der Antragsgegner neben rückständigen Miet- und Nebenkosten in Höhe von 2.083,52 EUR auch Anwalts- und Gerichtskosten in Höhe zwischen 1.165,30 EUR und 1.437,35 EUR übernimmt. Weiterhin werde auf die Vollstreckung aus dem Urteil nur dann verzichtet, wenn der Antragsgegner für die künftigen Mieten der Antragsteller "geradestehe" und er sich diesen Betrag von den Antragstellern hole. Dieser Schriftsatz zeigt, dass der Verzicht des Vermieters auf die Vollstreckung aus dem Anerkenntnisurteil nicht nur von der Begleichung der Mietrückstände abhängig gemacht wird, sondern auch von der Übernahme von Gerichts- und Anwaltskosten sowie von der dauerhaften Sicherung künftiger Mietzahlungen. Allein mit der Begleichung der rückständigen Miete ist somit ein langfristiger Erhalt der Mietwohnung der Antragsteller nicht gesichert.

Ob eine darlehensweise Übernahme der von den Antragstellern ausweislich des Anerkenntnisurteils des Amtsgerichts Böblingen vom 8. März 2012 zu tragenden Rechtsanwaltskosten ihres Vermieters und der Gerichtskosten über § 22 Abs. 8 SGB II überhaupt in Betracht kommt, erscheint fraglich, da diese Schulden wohl gerade nicht im Mietverhältnis gründen (vgl. Lang/Link, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rdnr. 102; BT-Drucksache 16/688, Seite 14 zu Nr. 6). Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Beantwortung, da eine Grundlage für ein "Geradestehen" des Antragsgegners für die künftigen Mieten der Antragsteller in voller Höhe, wie von ihrem Vermieter ebenfalls zur Bedingung für einen Verzicht auf die Vollstreckung aus dem Anerkenntnisurteil gemacht, nicht gegeben ist. Zwar besteht nach § 22 Abs. 7 SGB II die Möglichkeit, Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung an den Vermieter zu zahlen. Diese Möglichkeit besteht jedoch ausweislich des eindeutigen Wortlautes des § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II nur, "soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird". Wie aus dem Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2011 zu ersehen ist, wurden den Antragstellern im Bewilligungszeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2012 jedoch lediglich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 243,00 EUR monatlich bewilligt. Lediglich in dieser Höhe, nicht aber in Höhe der gesamten anfallenden Mietkosten in Höhe von 568,60 EUR, könnte daher eine Zahlung an den Vermieter erfolgen.

Die vom SG getroffene Entscheidung ist somit nicht zu beanstanden. Die Beschwerde konnte daher keinen Erfolg haben ...

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. Bundessozialgericht SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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