L 18 AS 367/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 17 AS 2494/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 367/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Dezember 2011 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Übernahme der Kosten für die Anmietung der Wohnung J. M–Ring, Sch (O), Wohnungs-Nr. – zuzusichern. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Gründe:

Über die Beschwerde hat der Berichterstatter in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden.

Die Beschwerde, mit der die Antragsteller ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgen, den Antragsgegner im Wege einer gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu verpflichten, eine Zusicherung zu den Kosten der im Tenor bezeichneten Unterkunft zu erteilen, ist begründet.

Die Antragsteller haben einen Anspruch auf die begehrte Zusicherung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch sind hinreichend glaubhaft gemacht. So gilt nach § 22 Abs. 4 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für einen Wohnungswechsel, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige (bzw. der erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft bildenden Personen, § 7 Abs. 2 und 3 SGB II) vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen soll. Dieser ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Dabei ist die Erteilung der Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung, die erfüllt sein muss, um überhaupt einen Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) für eine neu bezogene Wohnung zu begründen. Insoweit – anderes mag für die in § 22 Abs. 6 SGB II geregelten sonstigen Kosten eines Wohnungswechsels gelten – hat sie nur die Bedeutung einer Obliegenheit (vgl BSG SozR 4-200 § 22 Nr 7); sie nicht zu beachten bleibt bzgl. der Übernahme der Wohnungskosten ggfs folgenlos. Wird die Zusicherung (=Mietkostenübernahmeerklärung) erteilt, dh die Erforderlichkeit des Umzugs (und die Angemessenheit der Kosten) von der Behörde akzeptiert und festgestellt, begründet sie den Anspruch auf die Übernahme der vollen Kosten der neuen Wohnung. Wird sie nicht erteilt, besteht (ab Einzug) ein Anspruch auf die gesamten KdU, sofern diese angemessen sind nur, wenn der Umzug erforderlich war. Ansonsten verbleibt es bei den KdU der aufgegebenen Wohnung (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der seit dem 01. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitslose vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706)). Letzteres begründet vorliegend – sh dazu unten – zugleich den Anordnungsgrund für die begehrte Anordnung.

Die von den Antragstellern vorgetragenen Wohnverhältnisse (sh auch die Wohnungsfotos und den vorgelegten Grundriss der derzeit bewohnten Unterkunft) und Lebensumstände begründen die Erforderlichkeit des Umzuges in eine andere (größere) Wohnung. Die Kosten der in Aussicht genommenen Unterkunft sind auch "angemessen" iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Mit der Erforderlichkeit, die nach allgemeiner Auffassung bedeutungsgleich mit der Notwendigkeit des Umzuges iSv § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II ist (Kahlhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 RdNr 29; Rothkegel in Gagel, SGB III, zu § 22 SGB II RdNr 66), ist die erste Voraussetzung an eine Kostenübernahmezusicherung als unbestimmter Rechtsbegriff gefasst, der der Auslegung bedarf. Er besagt nach dem Normzusammenhang zunächst, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige schon auf der Ebene der Aufwendungen für ihre Unterkunft (die mit einem Umzug verbundenen Kosten werden in § 22 Abs. 6 SGB II selbständig geregelt) Beschränkungen auch dann hinnehmen müssen, wenn sie einen Wechsel zwischen Wohnungen beabsichtigen, deren Kosten angemessen sind. Dem Hilfebedürftigen wird auferlegt, auf Gestaltungen, die er als Verbesserung seiner Lebensumstände ansieht, zu verzichten und Wünsche (die auch im Bereich der Bedarfsdeckung durch staatliche Gewährungen nach dem Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) beachtlich sind – § 9 Abs. 2 SGB XII) zurückzustellen, auch wenn er nicht mehr anstrebt als bei einem bereits bestehenden oder aus zwingenden Gründen neu abzuschließenden Mietvertrag als Leistung nach den §§ 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen ist. Dies gebietet – wie bereits der Wortlaut, wonach nicht etwa zwingende Gründe zu verlangen sind – eine Auslegung, die nur maßvolle Beschränkungen mit sich bringt. Sachgerecht ist es, die Erforderlichkeit als eine Schranke dafür anzusehen, dass konsolidierte Verhältnisse (auf dem Niveau des § 22 Abs. 1 SGB II) weiter verbessert oder ohne zureichenden Grund umgeschichtet werden. Überdies dürfte auch im aktuellen Normkontext der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) überzeugend entwickelte Gedanke zu berücksichtigen sein, dass der finanzielle Mehraufwand in ein Verhältnis zum Gewicht des Grundes für den Umzug und zum Ausmaß der Verbesserungen zu setzen ist (BVerwGE 97, 110). Die Voraussetzung der Erforderlichkeit kann aber nicht dazu dienen, einen Umzug auszuschließen, der gewollt ist, und für den objektive Gründe von Gewicht sprechen. Ob ein solcher Grund vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen. Hier ist er gegeben. Entgegen der von dem Antragsgegner vertretenen Auffassung ist die von den Antragstellern derzeit bewohnte 46,88 qm große 2-Zimmer-Wohnung für zwei Erwachsene und ein Baby im Hinblick auf den nahenden Beginn des Krabbelalters zu klein. Das Defizit ist ein ausreichender Grund, in eine 3-Zimmer-Wohnung umzuziehen. Darin liegt eine entscheidende Verbesserung, die höhere Kosten rechtfertigen würde. Da vorliegend die einzelfallbezogene Würdigung der gegebenen Verhältnisse die Erforderlichkeit begründet, kann offen bleiben, ob immer dann, wenn die Zahl der Zimmer hinter der Zahl der Bewohner zurückbleibt, ein Umzugswunsch gerechtfertigt ist und ob allgemeingültige Mindestwerte für die Wohnfläche angegeben werden können, deren Unterschreitung zum Umzug "berechtigen". Die Angabe allgemeingültiger Mindestwerte für die Wohnfläche, deren Unterschreitung zum Umzug "berechtigen", dürfte jedoch schwerlich möglich sein, auch wenn die Wohnoberflächengrenzen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung des § 22 Abs. 1 SGB II abstrakt auf Grundlage der im sozialen Mietwohnungsbau anerkannten Wohnraumgrößen zu bestimmen sind. Dies schon deshalb, weil die Zimmeraufteilung und verschiedenste den "Wohnwert" bestimmende Umstände höchst unterschiedlich sein können. Für einen 3-Personen-Haushalt stellen sich die von den Antragstellern durch einen Grundriss der Wohnung und Fotos dokumentierten Verhältnisse jedoch als auf Dauer nicht tragbar dar, denn in dem eigentlich zur Erfüllung allgemeiner Wohnzwecke gedachten Zimmer müsste zusätzlich noch der Laufstall und Kleidung bzw Spielsachen der Antragstellerin zu 3) aufbewahrt werden, da sich im Schlafzimmer bereits zwei Schränke und auch der Wickeltisch befinden. Selbst wenn für eine Übergangszeit hinzunehmen wäre, dass die Antragstellerin zu 3) im Zimmer im Schlafzimmer der Eltern schläft, kann im Hinblick auf den zukünftig zunehmenden Bewegungsdrang der Antragstellerin zu 3), der naturgemäß in der elterlichen Wohnung ausgelebt wird, eine fortdauernde räumliche Begrenzung der Antragsteller auf eine gerade noch für zwei Personen akzeptable Wohnungsgröße nicht als zumutbar angesehen werden. Demnach ist der Umzug in die in Aussicht genommene Wohnung sowohl erforderlich iSv § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II als auch notwendig iSv § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II. Die KdU der von den Antragstellern anvisierten 3-Zimmer-Wohnung sind auch – was zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig ist – angemessen iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist den Antragstellern nicht zuzumuten, da die Wohnung nur noch kurzzeitig von der Vermieterin vorgehalten wird. Dies wurde in einem Telefonat vom 20. Februar 2012 dem Berichterstatter gegenüber bestätigt. Die Antragsteller könnten zwar – worauf das SG in der angefochtenen Entscheidung abgehoben hat – die Wohnung auch ohne vorherige Zusicherung anmieten und dann die KdU, so diese nicht in vollem Umfang vom Antragsgegner übernommen werden, ggfs im Wege einstweiligen Rechtsschutzes auch gerichtlich geltend machen. Auch hier wäre dann aber zwingend zu prüfen (vgl § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II), ob der Umzug erforderlich war, da ansonsten nur die bisherigen KdU-Leistungen weiter zu gewähren sind. Die Antragsteller haben zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes daher ein schützenswertes Interesse, die Erforderlichkeit im vorgenannten Sinne bereits im Zusicherungsverfahren zu klären, da andernfalls die Erteilung einer Zusicherung zu den künftigen KdU im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von vornherein ausgeschlossen wäre, ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren aber regelmäßig zu "spät" ist, da der (künftige) Vermieter die Wohnung regelmäßig nicht so lange vorhält. Jedenfalls im vorliegenden Fall wäre bei einem Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Wohnung für die Antragsteller ersichtlich nicht mehr verfügbar. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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