L 11 AS 100/12 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1279/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 100/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.12.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Antragstellerin (ASt) bezog in der Vergangenheit Alg II vom Antragsgegner (Ag). Zuletzt wurden ihr mit Bescheid vom 22.09.2011 Leistungen für die Zeit vom 01.09.2011 bis 17.11.2011 bewilligt. Der Aufenthalt der ASt sei wegen einer Wohnungsräumung ab dem 18.11.2011 ungeklärt, weshalb eine weitergehende Leistungsgewährung ausscheide. Mit weiterem Bescheid vom 22.09.2011 entzog der Ag die Leistungen hinsichtlich der Heizkosten ab dem 01.09.2011, weil die ASt ihren Mitwirkungspflichten insoweit nicht nachgekommen sei. Für die Zeit ab 01.11.2011 entzog der Ag schließlich mit Bescheid vom 21.10.2011 die Leistungen ganz, da die ASt auf zwei Mitwirkungsschreiben nicht reagiert habe.

Auf Anfrage des Ag teilte der Vermieter der ASt am 12.04.2012 mit, die Wohnung sei nicht geräumt worden. Zuletzt sei die Miete für Dezember 2012 gezahlt worden. Weiter wurde die ASt mit Schreiben des Ag vom 22.03.2012 aufgefordert, einen neuen Leistungsantrag zu stellen, sollte sie noch Alg II benötigen. Ein Antrag wurde von ihr bislang nicht gestellt.

Bereits am 19.09.2011 hat die ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes gestellt. Anfang August 2011 habe sie ihren Fortzahlungsantrag eingereicht. Der Ag solle umgehend Leistungen gewähren und diese deutlich erhöhen.

Mit Beschluss vom 30.12.2011 hat das SG den Antrag abgelehnt. Der derzeitige Aufenthaltsort der ASt sei unbekannt, weshalb unklar sei, ob der Ag zur Leistungserbringung verpflichtet sei. Zudem könnten möglicherweise weitere Einkommensquellen vorliegen. Die ASt sei offensichtlich in der Lage, ihren Lebensunterhalt über mehrere Monate anderweitig sicherzustellen.

Dagegen hat die ASt Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Ein Wohnungswechsel habe niemals stattgefunden. Man habe die Zeit mit der Rente des Ehemannes, die 900 EUR monatlich betrage, überbrückt.

Auf Anfrage des Gerichts, dass nach Aktenlage gegen die Bescheide vom 22.09.2011 und den Bescheid vom 21.10.2011 kein Widerspruch eingelegt worden sei, hat die ASt mitgeteilt, sie habe gegen die Bescheide Beschwerde eingelegt. Die von ihr erhobene Klage sei zudem als Widerspruch und Beschwerde zu betrachten.

Das SG hat auf Nachfrage ausgeführt, es sei dort kein Verfahren der ASt anhängig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat den Antrag der ASt lediglich im Ergebnis zutreffend abgelehnt, auch wenn es insofern nicht auf die vom Ag erlassenen Bescheide im Hinblick auf die Leistungsgewährung ab 01.09.2011 eingegangen und offensichtlich ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs 1 SGG, der im Hinblick auf die Entziehungsbescheide statthaft gewesen wäre, nicht geprüft worden ist (zur Kombination von § 86b Abs 1 SGG und § 86b Abs 2 SGG im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bei solchen Fallkonstellationen: Beschluss des Senats vom 06.09.2010 - L 11 AS 397/10 B ER). Der Versagungsbescheid vom 22.09.201 und der Entziehungsbescheid vom 21.10.2011 sind jedoch Gegenstand des Verfahrens geworden. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 19.09.2011 (nicht 09.09.2011) ist insoweit iSd Meistbegünstigungsklausel gegebenenfalls entsprechend auszulegen gewesen. Hierzu fehlen jegliche Ausführungen des SG.
Ein grundsätzlich statthafter Antrag nach § 86b Satz 1 Nr 2 Abs 1 SGG (vgl § 86 Abs 2 Satz 1 SGG) im Hinblick auf eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen die Entziehungsbescheide vom 22.09.2011 und 21.10.2011 ist jedoch bereits unzulässig. Diese beiden Bescheide sind rechtskräftig geworden (vgl dazu A. in: Meyer-Ladewig/A./Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 86b Rn 7) und für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung besteht damit kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.
Die ASt hat nach Aktenlage gegen die Bescheide vom 22.09.2011 und 21.10.2011 keinen Widerspruch eingelegt. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG als Widerspruch angesehen werden kann (ablehnend dazu BayLSG, Beschluss vom 01.08.2011 - L 10 AL 164/11 B ER), denn bei Antragstellung beim SG am 19.09.2011 lagen die beiden Versagungsbescheide noch gar nicht vor. Die Einlegung eines Widerspruchs gegen einen noch nicht erlassenen Bescheid ist jedoch nicht möglich, auch dann nicht, wenn ein entsprechender Bescheid später ergeht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/A./Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 83 Rn 3). Im Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde beim LSG am 30.12.2011 waren die Bescheide dann schon bestandskräftig geworden.
Die ASt hat auch nicht vorgetragen, die Bescheide nicht bekommen zu haben. Vielmehr hat sie auf konkrete Nachfrage des Gerichts - unter Benennung der Bescheide - ausgeführt, sie habe gegen die Bescheide Widerspruch und Beschwerde eingelegt bzw ihre Klage würde als Widerspruch gelten. Die Einlegung eines Widerspruchs ist jedoch nach Aktenlage nicht erfolgt und auch nicht nachgewiesen worden. Ein Klageverfahren beim SG ist nicht anhängig.
Die Widerspruchsfrist des § 84 Abs 1 Satz 1 SGG ist damit spätestens Ende November 2011 abgelaufen. Wiedereinsetzungsgründe iSv § 67 Abs 1 Satz 1 SGG bzw § 27 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sind weder erkennbar noch vorgetragen. Auf die Möglichkeit der Widerspruchseinlegung weisen die zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrungen in den Bescheiden vom 22.09.2011 und 21.10.2011 hin.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs kann somit nicht angeordnet werden. Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X in Bezug auf die bestandskräftigen Entscheidungen des Ag sind nicht eingeleitet. Eine bestandskräftige Entscheidung des Grundsicherungsträgers schließt aufgrund der Bindungswirkung des § 77 SGG im Ergebnis ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus (vgl Beschluss des BayLSG vom 02.03.2009 - L 11 B 983/08 AS ER). Damit können im vorliegenden Verfahren keine Heizkosten ab 01.09.2011 und generell keine Leistungen ab 01.11.2011 beansprucht werden. Ein neuer Antrag auf Leistungsgewährung ist beim Ag bislang ebenfalls nicht gestellt.
Soweit noch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG für die Gewährung von Leistungen (mit Ausnahme von Heizkosten) für die Zeit vom 01.09.2011 bis 31.10.2011 in Betracht kommt, fehlt es für diesen jedenfalls an einem Anordnungsgrund.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn. 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; A. in Meyer-Ladewig/A./Leitherer, SGG 10. Aufl, § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die ASt hat für ihr Begehren keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat gegen den Bewilligungsbescheid vom 22.09.2011 nach Aktenlage keinen Widerspruch eingelegt, sodass dieser Bescheid nach Ablauf der Widerspruchsfrist bestandskräftig geworden ist und bindend zwischen den Beteiligten regelt (§ 77 SGG), dass der ASt materiell-rechtlich keine höheren Leistungen zustehen als die, die im Bescheid festgelegt worden sind, womit ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist (vgl Beschluss des Senats vom 25.01.2010 - L 11 AS 796/09 B ER). Die ASt hat auch nicht bestritten, den Bescheid bekommen zu haben, oder vorgetragen, es lägen Wiedereinsetzungsgründe vor.

Die Beschwerde war damit ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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