L 3 U 105/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 119/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 105/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.02.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen seines Unfalls vom 04.12.1995 ab 05.05.1997 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - um 30 v.H. zu gewähren hat.

Der am 1970 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt als Heizungsbauer auf einer Baustelle beschäftigt. Als er über einen Träger lief, brach dieser durch. Er stürzte aus sechs Metern Höhe mit dem Rücken auf den Boden. Nach dem Durchgangsarztbericht von Prof.Dr.N. , Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in R. , vom 11.12.1995 erlitt er dabei eine Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers - BWK - sowie des 1. und 2. Lendenwirbelkörpers - LWK -. Am 12.12.1995 wurde der Kläger in das S. Krankenhaus in S. zur weiteren Behandlung verlegt. Dort wurde der Verdacht auf eine Beckenringfraktur geäußert, welcher sich bestätigte. Mit Bescheid vom 27.01.1998 gewährte die Beklagte eine vorläufige Rente nach einer MdE um 20 v.H. ab 05.05.1997. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte am 18.03.1998 zurück. Grundlage für diese Entscheidung waren das Gutachten des Prof.Dr.N. vom 04.12.1997 einschließlich des neurologischen Zusatzgutachtens des Dr.K. vom 22.10.1997, beide Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in R. und der kernspintomografische Befund vom 31.10.1997 des vorgenannten Krankenhauses.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Regensburg Klage erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.11.1998 Verletztenrente auf Dauer nach einer MdE um 20 v.H. für folgende Gesundheitsstörungen festgesetzt: nach knöchern fest verheilten Brüchen des 12. Brust-, des 1. und 2. Lendenwirbelkörpers sowie ebenfalls knöchern fest verheiltem Bruch des vorderen Schambeins bestehende Bewegungseinschränkungen im Übergangsbereich der unteren Brust- zur oberen Lendenwirbelsäule, Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes zwischen dem 12. Brust- und dem 1. Lendenwirbelkörper, leichte keilförmige Verformung des 12. Brustwirbelkörpers, Druckempfindlichkeit mit Narbenmißempfindungen im Rückenbereich, linksausstrahlende Beschwerden im Leistenbereich im Sinne von Narbenbeschwerden nach dortiger Entnahme von Beckenkammgewebe und glaubhaften Beschwerden verbunden mit Schmerzen in den Bruchbereichen; stumpfe, folgenlos ausgeheilte Bauchverletzung. Die Beklagte stützte sich dabei auf einen Röntgenbefund des Chefarztes der Abteilung für Röntgendiagnostik des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in R. vom 29.06.1998, ein nervenärztliches Zusatzgutachten vom 24.09.1998 des Dr.K. und auf ein orthopädisches Gutachten des Dr.W. vom 02.10.1998. Letzterer stellte fest, die erlittenen Wirbelsäulenfrakturen seien in hervorragendem Zustand ausgeheilt; die einzig persistierende knöcherne Veränderung sei eine Keildeformierung des 12. BWK um 15 Grad. Die vom Kläger im Beckenbereich geschilderten Beschwerden seien nicht eindeutig zu klären, aber am ehesten einer Schädigung der Iliosakralgelenksfuge zuzuordnen. Einschließlich letztgenannten Befundes könne die MdE mit insgesamt 30 v.H. bewertet werden. Der beratende Arzt der Beklagten, Dr.H. stimmte dieser Beurteilung nicht zu. Er meinte, die Beschwerden seien die Folge der Beckenkammspanentnahme und als Narbenbeschwerden in der Gesamt-MdE mitenthalten. Eine höhere MdE als um 20 v.H. sei nicht gerechtfertigt. Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Dr.P. vom 25.11.1998, des Med.Dir.R. vom 08.02.1999 und des Nervenarztes Dr.Z. vom 20.06.2000 eingeholt. Letzterer hat darauf hingewiesen, aus der Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung - AVF - Regensburg gehe hervor, dass der Kläger schon 1990 einen Bandscheibenvorfall bei L 5/S 1 gehabt und deswegen in Behandlung bei Dres.S. und wegen ähnlicher Beschwerden 1993 bei Dres.B. und H. gestanden habe. Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht ein weiteres Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - des Radiologen Dr.M. vom 24.11.1999 und des Dr.K. , Institut für Begutachtungs-, Arbeits- und Sozialmedizin, vom 15.12.1999 eingeholt. Mit Urteil vom 12.02.2001 hat es die Klage abgewiesen, weil es der Beurteilung von Dr.K. nicht zu folgen vermochte. Dieser hatte die unfallbedingte MdE mit 30 v.H. bewertet. Er habe jedoch verkannt, dass schon vor dem Unfall ein Bandscheibenschaden größeren Ausmaßes bestanden habe, so dass dem Unfall keine wesentliche Bedeutung zukomme. Dies bestätige auch Dr.Z. , dessen Gutachten sich das Gericht anschließe. Danach seien die Unfallfolgen lediglich nach einer MdE um 20 v.H. zu bewerten. Über den Antrag des Klägers, der Vorsitzende der 4. Kammer des Sozialgerichts Regensburg sei wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, entschied das Bayerische Landessozialgericht mit Beschluss vom 19.12.2000. Es hat die vom Kläger geäußerte Besorgnis der Befangenheit nicht für begründet erachtet.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.02.2001 hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, Dr.Z. und Med.Dir.R. seien keine Orthopäden. Das Sozialgericht hätte nicht auf deren Gutachten abstellen dürfen. Der Vorsitzende der 4. Kammer habe in der für ihn typischen Weise nicht gleich nach dem Eingang des Gutachtens von Dr.K. Termin anberaumt, sondern die Stellungnahme der Beklagten abgewartet. Außerdem habe sich Dr.K. mit dem Bandscheibenvorfall bei L 5/S 1 auseinandergesetzt und diesen als Unfallfolge angesehen. Daher stelle er den Antrag, Prof.Dr.P. nach § 109 SGG zu beauftragen. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass kein weiteres Gutachten nach § 109 SGG eingeholt werde, aber, wenn der Kläger dies wünsche, eventuell eine ergänzende Stellungnahme von Dr.K. , weil dieser offensichtlich die Befunde der Dres.S. und der Dres.B. und H. aus der vom Sozialgericht beigezogenen Akte des AVF nicht gekannt habe. Der Senat hat die Akte des AVF beigezogen; diese enthält den Befund von Dr.S. vom August 1990, wonach ein Prolaps bei L 5/S 1 zu erkennen sei, sowie einen Bericht von Dr.B. vom 25.08.1995, in dem Vorbefunde von 1990 und vom 15.02.1993 sowie Röntgenbefunde aus dieser Zeit mitgeteilt werden. Auf Anfrage des Senats hat Dr.B. die Behandlung des Klägers 1990 und 1993 wegen Beschwerden in Höhe von L 5/S 1 bestätigt. Dr.K. hat angeregt, das Computertomogramm - CT - und das Kernspintomogramm von Dr.T./Dr.B. sowie das Kernspintomogramm von Dr.M. beizuziehen und ein radiologisches Zusatzgutachten einzuholen; erst dann sei eine abschließende Stellungnahme möglich. Der Senat hat die bereits beigezogenen Röntgenaufnahmen überprüft und festgestellt, dass sich darunter zwei Röntgenbilder der LWS vom 17.05.1990, zwei Röntgenbilder vom 15.02.1993 und vier CT s vom 06.08.1990 befinden. Er hat daher Dr.K. nochmals um Stellungnahme gebeten. Dieser hat am 24.02.2002 dargelegt, seiner Meinung nach sei zwar davon auszugehen, dass bereits 1990 ein Bandscheibenvorfall bei L 5/S 1 bestanden habe. Dieser sei aber ohne klinische Relevanz gewesen. Erst durch den Unfall habe er eine Verschlimmerung erfahren. Die MdE sei jetzt mit 30 % einzuschätzen. Die Beklagte hat am 05.04.2002 unter Bezug auf eine Stellungnahme von Dr.H. vom 04.04.2002 dagegen eingewandt, ein Vorschaden bei L4/L5 und L5/S1 sei eindeutig nachgewiesen. Allenfalls könne eine vorübergehende Verschlimmerung ohne neurologisches Korrelat durch den Unfall eingetreten sein. Bei L 1/Th 12 sei nie kernspintomographisch eine Protrusion gesichert worden; neurologische Ausfälle seien ebensowenig objektiviert worden. Die unfallbedingte MdE sei keinesfalls höher als 20 %.

Auf Veranlassung des Senats hat der Orthopäde Dr.B. am 17.05.2002 zu den einander widersprechenden medizinischen Auffassungen Stellung genommen. Er hat keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem L 5/S 1-Syndrom gesehen, da es zu keiner Fraktur gekommen sei und unfallnah keine neurologischen Ausfälle festgestellt worden seien. Die unfallbedingte MdE sei mit 20 % richtig eingeschätzt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 16.02.2001 sowie Abänderung des Bescheides vom 17.01.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.1998 und des Bescheides vom 10.11.1998 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen seines Unfalls vom 04.12.1995 Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. ab dem 05.05.1997 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 16.02.2001 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten (Az.: 92/95/38889/6), der Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Regensburg (Az.: 1 334 215/6) sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht bereits entschieden, dass der Kläger ab dem 05.05.1997 keine höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v.H. erhalten kann. Denn seine Erwerbsfähigkeit wird durch die Unfallfolgen nicht in einem höheren Ausmaß gemindert. Der vorliegende Rechtsstreit richtet sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung - RVO -, da der Unfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen Rentenanspruch hieraus erstmals zu entscheiden ist. Ein Anspruch gemäß §§ 548, 580, 581 RVO ist jedoch nicht begründet.

Soweit sich das Sozialgericht bereits mit der entgegengesetzten Auffassung von Dr.K. in dessen Gutachten vom 15.12.1999 auseinandergesetzt hat, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs.2 SGG auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug.

Auch die vom Senat durchgeführte Beweiserhebung führt zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit ist zunächst auf die im Auftrag bzw. auf Anregung von Dr.K. erfolgte Nachbefundung des lumbalen Computertomogramms vom 06.08.1990 durch die radiologische Praxis Dres.Z. u.a. vom 18.01.2002 abzustellen. Darin kommen die Radiologen zum Ergebnis, es zeige sich ein unauffälliger Befund bei LWK 3/4, eine minimale Osteochondrose mit minimaler mediodorsaler Diskusprotrusion bei LWK 4/5 ohne Hinweis auf eine Wurzelkompression sowie ein rechts dorsolateraler, nach cranial reichender Diskusprolaps bei L 5/S 1 mit Recessusstenose rechts und Hinweis auf intraspinale Wurzelirritation S 1 rechts. Damit steht fest, dass bereits im Jahre 1990, also fünf Jahre vor dem Unfall Vorschäden im Bereich von LWK 4/5 und LWK 5/S 1 bestanden haben. Diese können somit nicht durch den Unfall verursacht worden sein. Der Auffassung von Dr.K. , diese Bandscheibenschäden seien durch den Unfall verschlimmert worden, was insgesamt eine MdE um 30 v.H. rechtfertige, vermag der Senat nicht zu folgen. Er stützt sich auf die Ausführungen von Dr.B. vom 17.05.2002. Danach bestand die größte unfallbedingte Einwirkung auf den 12. Brustwirbelkörper sowie auf den 1. und 2. Lendenwirbelkörper. Ein isolierter Bandscheibenschaden in einem entfernteren Segment, wie dem Segment L 5/S 1 infolge des Unfalls ist unwahrscheinlich. Denn zum einen überwiegen in diesem Segment die unfallfremden anlagebedingten Degenerationsphänomene. Zum anderen wäre bei einer traumatischen Segmentschädigung eher eine Wirbelfraktur zu erwarten gewesen und im Verlauf mit dieser knöchernen Verletzung im selben Segment auch eine Veränderung in der Struktur der vorgeschädigten Bandscheibe. Dies ist nicht der Fall gewesen, wie die vorliegenden bildgebenden Verfahren beweisen. Darüber hinaus konnte zu keinem Zeitpunkt nach dem Unfall eine Mitbeteiligung nervöser Elemente festgestellt werden. Die 1990 aufgetretene Ischiassymptomatik war im Unfalljahr klinisch stumm geblieben. Demzufolge ist die Annahme von Dr.K. , eine Bandscheibenprotrusion bei LWK 4/5 und ein Bandscheibenvorfall bei LWK 5/S1 im Sinne einer Verschlimmerung seien auf den Unfall zurückzuführen, nicht haltbar. Mit den funktionellen Auswirkungen der als Unfallfolge anerkannten Wirbelbrüchen bei BWK 12 und LWK 1 und 2 haben sich die Vorgutachter und auch Dr.B. eingehend auseinandergesetzt. Der Senat tritt dieser Beurteilung bei. Aufgrund der davon ausgehenden funktionellen Einschränkung ist allenfalls eine MdE um 20 v.H. gerechtfertigt. Die Einschätzung von Dr.K. , der Unfallfolgezustand sei mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten, beruht auf der nach Auffassung des Senats nicht zutreffenden Annahme einer Verschlimmerung im Bereich der LWK 5/S 1 und LWK 4/5. Damit kommt der Senat zum Ergebnis, dass dem Kläger ab dem 05.05.1997 weder eine vorläufige noch eine dauerhafte Verletztenrente nach einer höheren MdE als um 20 v.H. zusteht. Seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 16.02.2001 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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