Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AL 66/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 (9) AL 220/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7a/7 AL 68/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosenhilfe ab Februar 2003.
Der im Jahre 1954 geborene Kläger arbeitete zuletzt bis zum 31.12.1993 als Baumaschinenführer und bezog anschliessend Arbeitslosengeld, Krankengeld und seit 24.02.1997 Anschlussarbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der ab 29.02.1996 gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit. Bis zum 23.02.2003 (Ablauf des Bewilligungsabschnittes) betrug der wöchentliche Leistungssatz 200,34 EURO. Der Kläger verfügt über zwei Kapitallebensversicherungen. Die höhere mit einer Versicherungssumme von 82.951,00 DM wurde am 01.01.1987 abgeschlossen und ist am 01.10.2013 fällig; die zweite Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 19.438,00 DM wurde am 01.12.1999 abgeschlossen und ist am 11.12.2019 fällig. Zum 01.01.2001 betrug der Rückkaufwert für die am 01.01.1987 abgeschlossene Versicherung 43.614,78 DM bei einer eingezahlten Summe von 28.925,50 DM und der Rückkaufwert für die am 01.12.1999 abgeschlossene Versicherung 423,38 DM bei einer eingezahlten Summe von 372,71 DM. Zum 01.03.2003 betrugen die Rückkaufwerte 29.054,99EURO und 1.450,59 EURO.
Mit Wirkung vom 24.02.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27.02.2003 ab, weil der Kläger nicht bedürftig sei. Er verfüge gemeinsam mit seiner Ehegattin über ein Vermögen in Höhe von 30.505,58 EURO, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung der beiden Freibeträge in Höhe von 9.600,00 EURO und 9.200,00 EURO verbleibe ein Betrag von 11.705,58 EURO, der bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die von der Beklagten berücksichtigten Lebensversicherungen stellten kein anrechenbar verwertbares Vermögen dar, weil sie der Alterssicherung dienten. Durch seine Krankheiten sei er schon in recht jungem Alter berufsunfähig geworden, so dass er keine Möglichkeiten habe, seine Rentenanwartschaften zu steigern. Er sei deshalb darauf angewiesen, sich durch private Initiative eine Altersversorgung aufzubauen. Dies habe er durch den Abschluss der Lebensversicherungen getan.
Durch Widerspruchsbescheid vom 26.03.2003 wies die Widerspruchsstelle des Arbeitsamtes Aachen den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, Vermögen sei nur dann als der Alterssicherung dienend anzusehen, wenn der Arbeitslose oder sein Ehegatte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 SGB VI befreit sei. Ein solcher Tatbestand sei jedoch nicht gegeben, so dass das Vermögen Berücksichtigung finden müsse. Nach § 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung sei das gesamte verwertbare Vermögen abzüglich des Freibetrages zu berücksichtigen. Freibetrag sei ein Betrag von 200,00 EURO je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners und dürfe jeweils 13.000,00 EURO nicht übersteigen. Der Kläger habe zwei Lebensversicherungen mit einem Gesamtwert von 30.505,58 EURO. Der Kläger sei 48 und seine Ehefrau 46 Jahre alt, so dass ein Gesamtfreibetrag von 18.800,00 EURO abzuziehen sei. Das Restvermögen in Höhe von 11.705,58 EURO sei bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen gewesen.
Mit der vorliegenden Klage weist der Kläger darauf hin, dass bislang seine Lebensversicherungen nie angerechnet worden seien. Das Sozialgericht (SG) Berlin habe entschieden, dass die Bundesanstalt für Arbeit Lebensversicherungen nicht bei der Frage der Gewährung von Arbeitslosenhilfe anrechnen dürfe. Eine Anrechnung dürfe nicht dazu führen, dass es zum Verlust erarbeiteter Lebensgrundlagen komme und der Arbeitslose auch den Zugriff auf die letzten finanziellen Reserven dulden müsse. Wenn Lebensversicherungen auch noch verwertet würden, wäre eine angemessene Alterssicherung nicht mehr möglich. Bislang habe er seinen Lebensunterhalt von den Rentenzahlungen und der Überziehung seines Kontos bestritten. Sein Konto befinde sich mit 4.200,00 EURO im Minus.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Stamm-Nr.: 53672) Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren, soweit von Bedeutung, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird der Kläger beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die Beklagte zu Unrecht die Gewährung von Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 abgelehnt hat.
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III nur, wer u.a. bedürftig ist. Bedürftig ist nach § 193 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht (Abs. 1). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist (Abs. 2). Unzweifelhaft läßt das Einkommen des Klägers aus seinen Renten die Bedürftigkeit im Sinne des § 193 Abs. 1 SGB III in Verbindung mit § 194 SGB III nicht entfallen. Entgegen der Auffassung der Beklagten verfügt der Kläger auch nicht über berücksichtigungsfähiges Vermögen. § 193 Abs. 2 SGB III regelt generalklauselartig lediglich den Grundsatz der Berücksichtigung von Vermögen. Welche Vermögenswerte im Einzelnen zu berücksichtigen sind, bestimmt die aufgrund der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III erlassene ArbeitslosenhilfeVerordnung (Alhi-VO) vom 13.12.2001, die hier in der ab 01.01.2003 geltenden Fassung durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt anzuwenden ist.
Nach § 1 Abs. 1 Alhi-VO ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (Partner) zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Diese Regelung geht im Grundsatz davon aus, dass das gesamte verwertbare Vermögen, d.h. das Vermögen, dessen Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können (Brandts in: Niesel, SGB III, § 206 Randnummer 11), oberhalb eines pauschalierten Freibetrages im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung in Ansatz zu bringen ist. In dem pauschalierten Freibetrag sind grundsätzlich auch die Vermögenswerte, die zur angemessenen Alters- sicherung bestimmt sind, enthalten (vgl. Brandts, a.a.O. Randnummer 16).
Für diejenigen, die ihr Vermögen in erheblichem Umfang zur Alterssicherung eingesetzt haben, bedeutet diese Regelung gegenüber der zuvor bestehenden Rechtslage eine Verschlechterung, weil die gesonderte Berücksichtigung der in § 6 Abs. 3 Nr. 2 bis 6 und § 7 Alhi-VO 1974 genannten Vermögenswerte nicht mehr in Betracht kommt. Das Landessozialgericht Berlin hat in seiner Entscheidung vom 02.09.2003 (L 6 AL 16/03) gleichwohl den pauschalierten Freibetrag grundsätzlich für rechtmäßig erachtet und ausgeführt, der Umstand, dass Sonderregelungen für Alters- Vorsorgevermögen nur für die Sparer sogenannter "Riester-Renten" oder Angehörige berufsständischer Versorgungseinrichtungen getroffen worden seien, stelle keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar. Diesem Urteil ist - bezogen auf das Jahr 2002 - zu folgen, weil der pauschalierte Freibetrag für das Jahr 2002 520,00 EURO pro Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners betrug. Einen Freibetrag in Höhe von 1.000,00 DM pro Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners hat auch das Bundessozialgericht (BSG) zur Regelung des § 6 Abs. 4 Alhi-VO 1974 in der Fassung des Artikel 1 der 6. Verordnung zur Änderung der Alhi-VO vom 18.06.1999 (BGBl I 1999, 1433) für rechtmäßig erachtet (Urteil vom 05.06.2003 - B 11 AL 55/02 R). Es hat ausgeführt, als allgemeine, vom Einzelfall absehende Regelung sei die Vorschrift zulässig; denn es sei dem Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht verwehrt, anstelle der Einzelfallprüfung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden (vgl. BVerfGE 87, 234 = SozR 3 - 4100 § 137 Nr. 3).
Die Alhi-VO in der ab 01.01.2003 geltenden Fassung sieht demgegenüber nur noch einen Freibetrag in Höhe von 200,00 EURO je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners vor. In Anwendung dieses reduzierten Freibetrages läge im Falle des Klägers ab 24.02.2003 Bedürftigkeit im Sinne des § 193 SGB III nicht mehr vor. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen (§ 136 Abs. 3 SGG). Die Verwertung der beiden Kapitallebensversicherungen des Klägers wäre auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 6 Alhi-VO. Denn die Rückkaufwerte zum 01.03.2003 übersteigen die bis zu diesem Zeitpunkt eingezahlten Beiträge.
Die Kammer hält die Freibetragsregelung 2003 jedoch für nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Eingriff in die Rechtsposition des Klägers ist an den Schranken des Rechts- und Sozialstaatsprinzips (Artikel 20 des Grundgesetzes - GG) zu messen, die der Verordnungsgeber hier verletzt hat. Die drastische Absenkung des Freibetrages ohne Differenzierung nach der Art des Vermögens beinhaltet eine sogenannte unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung). Eine solche liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 43, 291, 391; 79, 29, 45 f). Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist unter Berücksichtigung der Schranke des Rechts- und Sozialstaatsprinzips im Sinne des Artikels 20 GG nur innerhalb sachlicher Grenzen zulässig, die sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und dem daraus folgenden Vertrauensschutz ergeben. Bei der Bestimmung dieser Grenzen sind das schutzwürdige Interesse des betroffenen Personenkreises an einem Fortbestand der bisherigen Rechtslage und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 43, 291, 391; BSG SozR 3 - 4100 § 111 Nr. 12).
Unzweifelhaft greift die Reduzierung des Freibetrags ab 01.01.2003 in schutzwürdige Interessen des Klägers ein und entwertet dessen Rechtsposition - Kapitallebensversicherung zur Alterssicherung - nachträglich. Der Kläger kann insoweit auch nicht zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz verwiesen werden. Denn die Rechtsprechung zur Sozialhilfe hält die Verwertung von Kapitallebensversicherungen grundsätzlich für zumutbar (vgl. OVG Lüneburg FEVS 36, 473, 475; OVG Münster FEVS 45, 58, 60 f; BayVGH vom 09.02.1994 - 12 C 93.1060). Angemessene Altersvorsorge gehört nicht zu den typischen Lebenssachverhalten, für die § 88 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) die Bildung von Schonvermögen gegenüber der Sozialhilfe zulässt. Eine Kapitallebensversicherung kann deshalb nur über den Ausnahmetatbestand des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG von der Verwertung ausgeschlossen sein, wenn ein atypischer Sachverhalt für den Betroffenen eine Härte begründet. Die ergänzende Alterssicherung entspricht jedoch einem verbreiteten Bedürfnis und wird - wie der 7. Senat des BSG im Urteil vom 17.10.1996 (7 RAr 2/96) ausgeführt hat - auch politisch befürwortet. Der altersabhängige Freibetrag in Höhe von 200,00 EURO pro Lebensjahr deckt dieses Sicherungsbedürfnis nicht ab (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 05.06.2003 a.a.O.).Der Kläger kann auch nicht auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 Alhi-VO 2003 verwiesen werden, weil die Umwandlung seiner Kapitallebensversicherung in eine sogenannte "Riester-Rente" nicht möglich ist.
Auch im Hinblick auf das erklärte Sparziel des Verordnungsgebers - Entgegenwirken der defizitären Finanzlage des Bundeshaushaltes bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit - ist der Eingriff in die Rechtsposition des Klägers nicht vertretbar. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Alhi-VO 2003 - anders als die Alhi-VO 1974 in § 9 - keine bestimmte Zeitspanne mehr benennt, in der bei Verbrauch des anrechenbaren Vermögens Bedürftigkeit ausgeschlossen wird. Vorliegend könnte der Kläger sein über dem Freibetrag liegendes Vermögen in Höhe von 11.705,58 EURO beispielsweise an einem Tag verbrauchen und wäre am nächsten Tag bedürftig im Sinne des Gesetzes. Eine Alterssicherung wäre jedoch nicht mehr vorhanden.
Da die übrigen Anspruchsvoraussetzungen (Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit)unstreitig erfüllt sind, war die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosenhilfe ab Februar 2003.
Der im Jahre 1954 geborene Kläger arbeitete zuletzt bis zum 31.12.1993 als Baumaschinenführer und bezog anschliessend Arbeitslosengeld, Krankengeld und seit 24.02.1997 Anschlussarbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der ab 29.02.1996 gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit. Bis zum 23.02.2003 (Ablauf des Bewilligungsabschnittes) betrug der wöchentliche Leistungssatz 200,34 EURO. Der Kläger verfügt über zwei Kapitallebensversicherungen. Die höhere mit einer Versicherungssumme von 82.951,00 DM wurde am 01.01.1987 abgeschlossen und ist am 01.10.2013 fällig; die zweite Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 19.438,00 DM wurde am 01.12.1999 abgeschlossen und ist am 11.12.2019 fällig. Zum 01.01.2001 betrug der Rückkaufwert für die am 01.01.1987 abgeschlossene Versicherung 43.614,78 DM bei einer eingezahlten Summe von 28.925,50 DM und der Rückkaufwert für die am 01.12.1999 abgeschlossene Versicherung 423,38 DM bei einer eingezahlten Summe von 372,71 DM. Zum 01.03.2003 betrugen die Rückkaufwerte 29.054,99EURO und 1.450,59 EURO.
Mit Wirkung vom 24.02.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27.02.2003 ab, weil der Kläger nicht bedürftig sei. Er verfüge gemeinsam mit seiner Ehegattin über ein Vermögen in Höhe von 30.505,58 EURO, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung der beiden Freibeträge in Höhe von 9.600,00 EURO und 9.200,00 EURO verbleibe ein Betrag von 11.705,58 EURO, der bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die von der Beklagten berücksichtigten Lebensversicherungen stellten kein anrechenbar verwertbares Vermögen dar, weil sie der Alterssicherung dienten. Durch seine Krankheiten sei er schon in recht jungem Alter berufsunfähig geworden, so dass er keine Möglichkeiten habe, seine Rentenanwartschaften zu steigern. Er sei deshalb darauf angewiesen, sich durch private Initiative eine Altersversorgung aufzubauen. Dies habe er durch den Abschluss der Lebensversicherungen getan.
Durch Widerspruchsbescheid vom 26.03.2003 wies die Widerspruchsstelle des Arbeitsamtes Aachen den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, Vermögen sei nur dann als der Alterssicherung dienend anzusehen, wenn der Arbeitslose oder sein Ehegatte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 SGB VI befreit sei. Ein solcher Tatbestand sei jedoch nicht gegeben, so dass das Vermögen Berücksichtigung finden müsse. Nach § 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung sei das gesamte verwertbare Vermögen abzüglich des Freibetrages zu berücksichtigen. Freibetrag sei ein Betrag von 200,00 EURO je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners und dürfe jeweils 13.000,00 EURO nicht übersteigen. Der Kläger habe zwei Lebensversicherungen mit einem Gesamtwert von 30.505,58 EURO. Der Kläger sei 48 und seine Ehefrau 46 Jahre alt, so dass ein Gesamtfreibetrag von 18.800,00 EURO abzuziehen sei. Das Restvermögen in Höhe von 11.705,58 EURO sei bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen gewesen.
Mit der vorliegenden Klage weist der Kläger darauf hin, dass bislang seine Lebensversicherungen nie angerechnet worden seien. Das Sozialgericht (SG) Berlin habe entschieden, dass die Bundesanstalt für Arbeit Lebensversicherungen nicht bei der Frage der Gewährung von Arbeitslosenhilfe anrechnen dürfe. Eine Anrechnung dürfe nicht dazu führen, dass es zum Verlust erarbeiteter Lebensgrundlagen komme und der Arbeitslose auch den Zugriff auf die letzten finanziellen Reserven dulden müsse. Wenn Lebensversicherungen auch noch verwertet würden, wäre eine angemessene Alterssicherung nicht mehr möglich. Bislang habe er seinen Lebensunterhalt von den Rentenzahlungen und der Überziehung seines Kontos bestritten. Sein Konto befinde sich mit 4.200,00 EURO im Minus.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Stamm-Nr.: 53672) Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren, soweit von Bedeutung, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird der Kläger beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die Beklagte zu Unrecht die Gewährung von Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 abgelehnt hat.
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III nur, wer u.a. bedürftig ist. Bedürftig ist nach § 193 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht (Abs. 1). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist (Abs. 2). Unzweifelhaft läßt das Einkommen des Klägers aus seinen Renten die Bedürftigkeit im Sinne des § 193 Abs. 1 SGB III in Verbindung mit § 194 SGB III nicht entfallen. Entgegen der Auffassung der Beklagten verfügt der Kläger auch nicht über berücksichtigungsfähiges Vermögen. § 193 Abs. 2 SGB III regelt generalklauselartig lediglich den Grundsatz der Berücksichtigung von Vermögen. Welche Vermögenswerte im Einzelnen zu berücksichtigen sind, bestimmt die aufgrund der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III erlassene ArbeitslosenhilfeVerordnung (Alhi-VO) vom 13.12.2001, die hier in der ab 01.01.2003 geltenden Fassung durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt anzuwenden ist.
Nach § 1 Abs. 1 Alhi-VO ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (Partner) zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Diese Regelung geht im Grundsatz davon aus, dass das gesamte verwertbare Vermögen, d.h. das Vermögen, dessen Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können (Brandts in: Niesel, SGB III, § 206 Randnummer 11), oberhalb eines pauschalierten Freibetrages im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung in Ansatz zu bringen ist. In dem pauschalierten Freibetrag sind grundsätzlich auch die Vermögenswerte, die zur angemessenen Alters- sicherung bestimmt sind, enthalten (vgl. Brandts, a.a.O. Randnummer 16).
Für diejenigen, die ihr Vermögen in erheblichem Umfang zur Alterssicherung eingesetzt haben, bedeutet diese Regelung gegenüber der zuvor bestehenden Rechtslage eine Verschlechterung, weil die gesonderte Berücksichtigung der in § 6 Abs. 3 Nr. 2 bis 6 und § 7 Alhi-VO 1974 genannten Vermögenswerte nicht mehr in Betracht kommt. Das Landessozialgericht Berlin hat in seiner Entscheidung vom 02.09.2003 (L 6 AL 16/03) gleichwohl den pauschalierten Freibetrag grundsätzlich für rechtmäßig erachtet und ausgeführt, der Umstand, dass Sonderregelungen für Alters- Vorsorgevermögen nur für die Sparer sogenannter "Riester-Renten" oder Angehörige berufsständischer Versorgungseinrichtungen getroffen worden seien, stelle keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar. Diesem Urteil ist - bezogen auf das Jahr 2002 - zu folgen, weil der pauschalierte Freibetrag für das Jahr 2002 520,00 EURO pro Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners betrug. Einen Freibetrag in Höhe von 1.000,00 DM pro Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners hat auch das Bundessozialgericht (BSG) zur Regelung des § 6 Abs. 4 Alhi-VO 1974 in der Fassung des Artikel 1 der 6. Verordnung zur Änderung der Alhi-VO vom 18.06.1999 (BGBl I 1999, 1433) für rechtmäßig erachtet (Urteil vom 05.06.2003 - B 11 AL 55/02 R). Es hat ausgeführt, als allgemeine, vom Einzelfall absehende Regelung sei die Vorschrift zulässig; denn es sei dem Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht verwehrt, anstelle der Einzelfallprüfung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden (vgl. BVerfGE 87, 234 = SozR 3 - 4100 § 137 Nr. 3).
Die Alhi-VO in der ab 01.01.2003 geltenden Fassung sieht demgegenüber nur noch einen Freibetrag in Höhe von 200,00 EURO je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners vor. In Anwendung dieses reduzierten Freibetrages läge im Falle des Klägers ab 24.02.2003 Bedürftigkeit im Sinne des § 193 SGB III nicht mehr vor. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen (§ 136 Abs. 3 SGG). Die Verwertung der beiden Kapitallebensversicherungen des Klägers wäre auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 6 Alhi-VO. Denn die Rückkaufwerte zum 01.03.2003 übersteigen die bis zu diesem Zeitpunkt eingezahlten Beiträge.
Die Kammer hält die Freibetragsregelung 2003 jedoch für nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Eingriff in die Rechtsposition des Klägers ist an den Schranken des Rechts- und Sozialstaatsprinzips (Artikel 20 des Grundgesetzes - GG) zu messen, die der Verordnungsgeber hier verletzt hat. Die drastische Absenkung des Freibetrages ohne Differenzierung nach der Art des Vermögens beinhaltet eine sogenannte unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung). Eine solche liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 43, 291, 391; 79, 29, 45 f). Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist unter Berücksichtigung der Schranke des Rechts- und Sozialstaatsprinzips im Sinne des Artikels 20 GG nur innerhalb sachlicher Grenzen zulässig, die sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und dem daraus folgenden Vertrauensschutz ergeben. Bei der Bestimmung dieser Grenzen sind das schutzwürdige Interesse des betroffenen Personenkreises an einem Fortbestand der bisherigen Rechtslage und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 43, 291, 391; BSG SozR 3 - 4100 § 111 Nr. 12).
Unzweifelhaft greift die Reduzierung des Freibetrags ab 01.01.2003 in schutzwürdige Interessen des Klägers ein und entwertet dessen Rechtsposition - Kapitallebensversicherung zur Alterssicherung - nachträglich. Der Kläger kann insoweit auch nicht zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz verwiesen werden. Denn die Rechtsprechung zur Sozialhilfe hält die Verwertung von Kapitallebensversicherungen grundsätzlich für zumutbar (vgl. OVG Lüneburg FEVS 36, 473, 475; OVG Münster FEVS 45, 58, 60 f; BayVGH vom 09.02.1994 - 12 C 93.1060). Angemessene Altersvorsorge gehört nicht zu den typischen Lebenssachverhalten, für die § 88 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) die Bildung von Schonvermögen gegenüber der Sozialhilfe zulässt. Eine Kapitallebensversicherung kann deshalb nur über den Ausnahmetatbestand des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG von der Verwertung ausgeschlossen sein, wenn ein atypischer Sachverhalt für den Betroffenen eine Härte begründet. Die ergänzende Alterssicherung entspricht jedoch einem verbreiteten Bedürfnis und wird - wie der 7. Senat des BSG im Urteil vom 17.10.1996 (7 RAr 2/96) ausgeführt hat - auch politisch befürwortet. Der altersabhängige Freibetrag in Höhe von 200,00 EURO pro Lebensjahr deckt dieses Sicherungsbedürfnis nicht ab (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 05.06.2003 a.a.O.).Der Kläger kann auch nicht auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 Alhi-VO 2003 verwiesen werden, weil die Umwandlung seiner Kapitallebensversicherung in eine sogenannte "Riester-Rente" nicht möglich ist.
Auch im Hinblick auf das erklärte Sparziel des Verordnungsgebers - Entgegenwirken der defizitären Finanzlage des Bundeshaushaltes bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit - ist der Eingriff in die Rechtsposition des Klägers nicht vertretbar. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Alhi-VO 2003 - anders als die Alhi-VO 1974 in § 9 - keine bestimmte Zeitspanne mehr benennt, in der bei Verbrauch des anrechenbaren Vermögens Bedürftigkeit ausgeschlossen wird. Vorliegend könnte der Kläger sein über dem Freibetrag liegendes Vermögen in Höhe von 11.705,58 EURO beispielsweise an einem Tag verbrauchen und wäre am nächsten Tag bedürftig im Sinne des Gesetzes. Eine Alterssicherung wäre jedoch nicht mehr vorhanden.
Da die übrigen Anspruchsvoraussetzungen (Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit)unstreitig erfüllt sind, war die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved