L 18 AS 165/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 AS 24014/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 165/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 56/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1955 geborene Kläger, der seit Januar 2005 im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) stand, wendet sich noch gegen die Höhe einer Erstattungsforderung.

Mit Bescheid vom 19. August 2008 gewährte ihm der Beklagte für die Zeit vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 351 EUR monatlich zuzüglich Kosten für Unterkunft und Heizung von 373,07 EUR (Bruttowarmmiete abzüglich 10,74 EUR Warmwasserkosten). Mit einem Bescheid vom 26. August 2008 änderte er die Leistungsbewilligung für Juli 2008. Die hiergegen erhobenen Widersprüche, mit denen sich der Kläger gegen die Höhe der berücksichtigten Kosten für Unterkunft und Heizung wandte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2009 zurück.

Aufgrund der Betriebs-, Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung seines Vermieters vom 12. September 2008 für das Jahr 2007 wurden dem Kläger am 7. Oktober 2008 715,67 EUR auf seinem Konto gutgeschrieben.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. Januar 2009 hob der Beklagte die Entscheidungen vom 19. August 2008 und 26. August 2008 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II vom 1. Oktober 2008 bis 30. November 2008 in Höhe von insgesamt 715,67 EUR auf, und zwar für Oktober 2008 in Höhe von Leistungen für Unterkunft und Heizung von 372,07 EUR und für November 2008 in Höhe von 343,60 EUR, deren Erstattung er vom Kläger forderte. Mit weiterem Bescheid vom 13. Januar 2009 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 31. November 2008 insoweit, als er für Oktober 2008 die Kosten der Unterkunft und Heizung auf 1 EUR und für November 2008 auf 29,47 EUR unter Anrechnung des Guthabens aus der Betriebs-, Heiz- und Warmwasserabrechnung 2007 reduzierte. Die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2009 zurück, zu dessen Begründung er ausführte, das Betriebskostenguthaben wäre vollständig auf die Kosten der Unterkunft anzurechnen gewesen, da es sich nicht auf die Kosten für Haushaltsenergie bezogen hätte.

Die am 24. Juli 2009 gegen die Bescheide vom 19. August 2008 und 26. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2009 vor dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage – S 18 AS 24014/09 – und die am 16. November 2009 gegen die Bescheide vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2009 erhobene Klage – S 174 AS 39692/09 – hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S 18 AS 24014/09 verbunden. Mit Urteil vom selben Tag hat es den Beklagten, der zuvor den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. Januar 2009 für Oktober 2008 aufgehoben hat, unter Abänderung der Bescheide vom 19. und 26. August 2008 und 13. Januar 2009 (Widerspruchsbescheide vom 25. Juni 2009 und 16. Oktober 2009) verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 31. Januar 2009 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich weiteren 4,41 EUR zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die vom Kläger noch für November 2008 zu erstattenden Leistungen seien nicht nach § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu mindern, da dies nach Satz 2 der Vorschrift ausgeschlossen sei. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil im Falle einer nur teilweisen Aufhebung der Adressat weiterhin Empfänger von Leistungen nach dem SGB II bleibe und damit von Wohngeld ausgeschlossen sei.

Mit der vom Sozialgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II sei auch bei nur teilweisen Aufhebungen entsprechend verfassungskonform anzuwenden. Die aus dem Gesetz folgende Ungleichbehandlung und damit einhergehende unzulässige Benachteiligung von Hilfebedürftigen sei nicht gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Dezember 2010 zu ändern und den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2009 aufzuheben, soweit die Erstattungsforderung für November 2008 einen Betrag von 44 vom Hundert der berücksichtigten Kosten für Unterkunft und Heizung übersteigt.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten (SG Berlin S 18 AS 24014/09 und S 174 AS 39692/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch der Bescheid vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2009 hinsichtlich der Erstattungsforderung für November 2008, soweit diese einen Betrag von 44 v.H. der Kosten für Unterkunft und Heizung des Klägers übersteigt. Im Übrigen ist Erledigung (§ 101 Abs. 2 SGG) eingetreten bzw. ist das Urteil des Sozialgerichts rechtskräftig. In Bezug auf den verbleibenden Streitgegenstand hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen; der Bescheid des Beklagten ist, sofern er vom Kläger noch angefochten wird (vgl. § 54 Abs. 1 SGG), nicht zu beanstanden. Er leidet weder an einem formellen Mangel noch verletzt er den Kläger in materieller Hinsicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung – a.F.) i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Danach sind, soweit ein Verwaltungsakt – wie hier – aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Der Beklagte konnte gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X davon absehen, den Kläger vor Erlass des Bescheides anzuhören (vgl. § 24 Abs. 1 SGB X), weil er mit dem gegenständlichen Bescheid die einkommensabhängigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II den veränderten Verhältnissen aufgrund des Zuflusses des Betriebs- und Heiz- und Warmwasserkostenguthabens angepasst hat (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2004 – B 11 AL 39/03 R – juris Rn. 15).

Auch die Höhe der Erstattungsforderung ist nicht zu beanstanden. § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F., wonach abweichend von § 50 SGB X 56 vom Hundert der nach §§ 19 Satz 1 und 3, 28 berücksichtigten Kosten für Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten sind, ist zugunsten des Klägers nicht anwendbar. Nach § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II a.F. (in der ab 1. April 2006 geltenden Fassung des Gesetzes vom 24. März 2006 [BGBl. I S. 558]) gilt § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. unter anderem nicht in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben worden ist. So liegt es hier.

Soweit der Kläger geltend macht, das Bundessozialgericht (BSG) habe mit Urteil vom 23. August 2012 (– B 4 AS 169/11 R – juris) ausgeführt, § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. greife für "Erstattungsfälle der vorliegenden Art nicht ein" – in jenem Verfahren betraf die Erstattung vorläufig erbrachten SGB II-Leistungen – woraus geschlossen werden könne, dass eine entsprechende Anwendung in Fällen der vorliegenden Art in Betracht komme, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat das BSG bereits mit Urteil vom 18. Januar 2011 (– B 4 AS 90/10 R – juris Rn. 19) die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 28. April 2010 (– L 12 AS 34/09 – juris Rn. 61) auch insofern für zutreffend erachtet, als jenes bei einer teilweisen Erstattung von Arbeitslosengeld II nach erzieltem Einkommen die Minderungsvorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. unter Bezugnahme auf dessen Satz 2 nicht angewandt hat.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers im Falle einer Nichtanwendung der Minderungsvorschrift (vgl. auch Conradis in Münder [Hrsg.], SGB II, 3. Auflage 2009, § 40 Rn. 22; offen gelassen in LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2010 – L 18 AS 1508/10 B PKH – juris), teilt der Senat nicht (vgl. auch LSG Sachsen, Urteile vom 24. Mai 2012 – L 3 AS 208/11 – juris Rn. 42 f. und vom 16. Februar 2012 – L 3 AS 189/11 – juris Rn. 26 sowie LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. April 2011 – L 5 AS 2149/10 B PKH – juris Rn. 12 f.). Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte für eine durch Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verbotene willkürliche Differenzierung zwischen Hilfebedürftigen auf der einen Seite, bei denen die Arbeitslosengeld II-Bewilligung vollständig aufgehoben worden ist, und auf der anderen Seite solchen, bei denen die Bewilligung nur teilweise aufzuheben war. Die pauschalierende Minderungsregelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. (vgl. § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 [BGBl. I S. 850, 952]) bezweckt, dass allein Arbeitslosengeld II-Empfänger, die infolge einer Leistungsaufhebung für den Aufhebungszeitraum rückwirkend nicht mehr nach dem SGB II leistungsberechtigt sind, keine Nachteile daraus erleiden, dass sie stattdessen kein Wohngeld beantragt hatten (vgl. BT-Drs. 16/688 S. 6). Im Falle einer Teilaufhebung der Arbeitslosengeld II-Bewilligung käme eine entsprechende Minderung für den Betroffenen jedoch einer parallelen Gewährung von Transferleistungen gleich, die § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Wohngeldgesetz (– WoGG – hier in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Juli 2005 [BGBl. I, 2029]) verhindern soll. Danach sind u.a. Empfänger von Leistungen des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, auch in den Fällen des § 25 des Gesetzes, bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind (Leistungen), von Wohngeld nach diesem Gesetz ausgeschlossen. So liegt es beim Kläger, der trotz der Teilaufhebung für November 2008 für diesen Monat Empfänger von Arbeitslosengeld II, bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind, blieb, mithin von Wohngeld ausgeschlossen ist.

Dahinstehen kann, ob SGB II-Leistungsträger gemäß § 44 SGB II, wonach sie Ansprüche erlassen können, wenn deren Einziehung nach Lage des jeweiligen Falles unbillig wäre, über einen Erlass von Amts wegen zu entscheiden haben. Jedenfalls fehlte es vorliegend an einer entsprechenden Verwaltungsentscheidung; die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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