Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 155/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.02.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 verurteilt, dem Kläger Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens durch bis zu 2 Fachleistungsstunden im Wochen- durchschnitt und tagesstrukturierende Maßnahmen entsprechend dem Leistungstyp (LT) 24 zu gewähren und die dadurch seit dem 18.10.2010 entstandenen Kosten des Leistungserbringers "Aachener Verein zur Förderung psychisch Kranke und Behinderter" e.V. zu übernehmen. Die notwendigen Kosten des Klägers trägt der Beklagte.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe in Form von Fachleistungsstunden im Rahmen ambulant betreuten Wohnens mit tagesstrukturierenden Maßnahmen.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger leidet an einer psychischen Verhaltensstörung durch Alkohol und einem Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10: F10.2G). Er ist seit über zehn Jahren arbeitslos und steht unter gerichtlich angeordneter Betreuung. Er bezieht seit November 2007 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. 1998, 2001 und 2004 erhielt er stationäre Alkoholentzugsbehandlungen, die jedoch langfristig ohne Erfolg blieben.
Am 15.10.2010 beantragte der Kläger bei dem Beklagten durch den "Aachener Verein zur Förderung psychisch Kranker und Behinderter" e.V. (im Folgenden: Aachener Verein) Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens. Der Aachener Verein ist ein anerkannter Anbieter von Leistungen des Betreuten Wohnens (BeWo). Die Betreuerin legte dazu einen individuellen Hilfeplan (IHP) vor; in diesem wurden als Bedarf zwei Fachleistungsstunden pro Woche sowie tagesstrukturierende Maßnahmen nach dem so genannten Leistungstyp (LT) 24 dargelegt. In fachärztlichen Stellungnahmen vom 08.12.2010 und 21.04.2011 befürwortete die den Kläger behandelnde Psychiaterin Dr. I. den Eingliederungshilfeantrag. Sie beschrieb eine seelische Behinderung bei weiterhin bestehendem Alkoholabsusus und dadurch bedingt soziale Rückzugstendenzen, Antriebsstörungen, Schwierigkeiten der Tagesstrukturierung und des Nacht-Wach- Rhythmus sowie Gefahr sekundären Alkoholkonsums; sie hielt aufgrund der schwerwiegenden Symptomatik des Klägers die Betreuung im Rahmen eines betreuten Wohnens für dringend erforderlich und meinte, ohne diese von außen strukturierende und antriebsfördernde Kraft werde er mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder in sozialer Isolation und Verwahrlosung enden.
Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen, u.a. des amtsgerichtlichen Betreuungsgutachtens des Psychiaters Dr. M. vom 20.03.2003, holte der Beklagte eine fachärztliche Stellungnahme ein. Der medizinisch-psychologische Dienst des Beklagten bewertete unter dem 24.01.2012 die über den Kläger vorliegenden Informationen dahin, dass eine Behandlung der chronifizierten Alkoholsucht erforderlich sei; allerdings würde die Bewilligung von BeWo zum derzeitigen Zeitpunkt die "lediglich die bestehende Symptomatik festschreiben und den Aufbau einer Veränderungsmotivation verhindern"; deshalb seien vorrangig SGB-V-Leistungen indiziert und nicht BeWo-Leistungen.
Gestützt hierauf lehnte der Beklagte den Eingliederungshilfeantrag durch Bescheid vom 02.02.2012 ab. Zur Begründung führte er aus, durch den Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und die bei speziell einer drohenden Behinderung geltende Regelung des § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ergäbe sich auch für das Recht der Sozialhilfe nach dem SGB XII, dass Eingliederungshilfe nur gewährt werde, wenn Krankenbehandlung nicht ausreiche, das – deckungsgleiche – Ziel der Eingliederungshilfe zu erreichen. Die im Hilfeplan beschriebenen Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich und die Antriebslosigkeit machten deutlich, dass eine Behandlung der chronifizierten Alkoholsucht erforderlich sei; für diese Leistung sei vorrangig die Krankenversicherung nach dem SGB V zuständig.
Dagegen legte der Kläger durch seine Betreuerin am 21.02.2012 Widerspruch ein: die im Oktober 2010 bereits begonnene Hilfe (Fachleistungsstunden und tagesstrukturierende Maßnahmen nach LT 24) habe dem Kläger bereits geholfen; im Kontakt mit den Betreuern und den Teilnehmern habe er anfängliche Ängste abbauen können und gehe Konflikten nicht mehr aus dem Weg; er achte mehr auf seine Gesundheit; es sei deutlich eine positive Entwicklung zu sehen. In einer fachlichen Stellungnahme der Alexianer Aachen GmbH vom 27.02.2012, in deren tagesstrukturierendem Projekt "Aktivpunkt" der Kläger im Rahmen des LT 24 begleitet und unterstützt wird, wurde die Fortführung des LT 24 und des ambulant betreuten Wohnens ebenfalls für dringend erforderlich gehalten. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden massive Einschränkungen in elementaren Teilhabebereichen, die nicht nur durch eine Behandlung der Alkoholerkrankung aufgefangen werden könnten, sondern die einer strukturierten Alltagsbegleitung bedürften; eine Entgiftung mit Langzeittherapie und die Anbindung an eine Selbsthilfegruppe könnten die Teilhabebeschränkungen, die sich durch ausgeprägte Isolationstendenzen und mangelnder Teilhabe am Arbeits- und Gemeinschaftsleben sowie im Bereich sozialer Kompetenzen und Kontakte zeigten, nicht auffangen.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.08.2012 zurück. Er wiederholte seine Auffassung, dass der Bedarf im Bereich "Gesundheitsförderung" durch vorrangige Leistungen der Krankenversicherung zu decken sei. Fachleistungsstunden im Rahmen ambulant betreuten Wohnens seien nicht erforderlich, da der Kläger im Bereich selbstständiger Lebens- und Haushaltsführung keine strukturellen Defizite habe; nach dem vorgelegten IHP verfüge er über diverse Kompetenzen, die es ihm ermöglichen würden, die alltäglichen Verrichtungen im Haushalt zu bestreiten. Die Überwindung der Antriebslosigkeit bzw. der Depression sei nicht Aufgabe einer Maßnahme des ambulant betreuten Wohnens. Ein entsprechendes "Kurieren an Symptomen" sei nicht zielführend, Leistungen des betreuten Wohnens könnten die beschriebenen vorrangigen psychiatrischen Behandlungen nicht ersetzen.
Dagegen hat der Kläger am 21.09.2012 Klage erhoben. Er meint, medizinische Rehabilitation in Form einer Alkoholentzugsbehandlung sei nicht vorrangig; er brauche die Eingliederungshilfe zur Bewältigung seines Alltags. Er verweist hierzu auf die Stellungnahmen seiner Betreuerin und des BeWo-Anbieters.
Der Kläger hat unter Vorlage entsprechender Bescheinigungen des BeWo-Anbieters mitgeteilt, dass er vom 18.10.2010 bis 30.09.2011 insgesamt 44,50 Fachleistungsstunden und vom 01.10.2011 bis 14.09.2012 insgesamt 33,81 Fachleistungsstunden erhalten habe; dafür seien Kosten von 4.744,29 EUR entstanden. Die von 2010 bis 2012 entstandenen Kosten für die tagesstrukturierenden Maßnahmen nach dem LT 24 hat der Kläger mit 18.217,39 EUR beziffert. Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.02.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 zu verurteilen, ihm Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens durch bis zu 2 Fachleistungsstunden im Wochendurchschnitt und tagesstrukturiende Maßnahmen entsprechend dem Leistungstyp (LT) 24 zu gewähren und die seit 18.10.2010 dadurch entstandenen Kosten des Leistungserbringers "Aachener Verein zur Förderung psychisch Kranker und Behinderter" e.V. zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bleibt bei seiner Einschätzung, dass der Kläger im Bereich selbständiger Lebens- und Haushaltsführung keine strukturellen Defizite habe; auch sei ohne die BeWo-Leistungen das selbstständige Wohnen des Klägers nicht gefährdet. Zur Begründung bezieht sich der Beklagte auf die Angaben des Klägers und des BeWo-Anbieters im IHP. Der Beklagte meint, der im Hilfeplan dargestellte konkrete Bedarf betreffe ausschließlich einen medizinischen Reha-Bedarf; Eingliederungshilfe werde nur nachrangig gewährt; sie sei "erfolgsorientiert", eine lediglich "bewahrende" Hilfe mit einem "Kurieren an Symptomen" sei nicht zielführend. Insofern seien BeWo-Leistungen weder geeignet noch erforderlich. Tagesstrukturierende Maßnahmen nach dem LT 24 seien zwar Bestandteil der Leistungen des ambulant betreuten Wohnens, jedoch seien deren Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Beklagte hat den Rahmenvertrag zu Leistungsvereinbarungen im Bereich der Eingliederungshilfe vorgelegt; darin wird u.a. der Leistungstyp (LT) 24 beschrieben.
Die Beigeladenen haben keine eigenen Anträge gestellt.
Die Beigeladene zu 1) hat mitgeteilt, der Kläger habe bei ihr weder eine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung noch Reha-Maßnahmen beantragt; diese kämen auch nur in Betracht, wenn ambulante Krankenbehandlung nicht mehr ausreiche. Da der Kläger Rentner sei, sei für eine Reha-Maßnahme ggf. der Rentenversicherungsträger zuständig.
Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht ein Sachverständigengutachten von dem Neurologen und Psychiater Dr. C. eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 31.05.2013 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstrandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Er hat Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens.
Der Kläger zählt zum Kreis der Leistungsberechtigten im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz SGB XII. Danach erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Seelische Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben können, sind gem. § 3 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) 1. körperlich nicht begründbare Psychosen, 2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen, 3. Suchtkrankheiten, 4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen. Beim Kläger besteht eine wesentliche seelische Behinderung im Sinne der Eingliederungshilfe-Verordnung. Wie sich aus den ärztlichen Bescheinigungen der behandelnden Psychiaterin Dr. I. und dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. C. ergibt, leidet der Kläger an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom, dadurch bedingt an einer psychischen Verhaltensstörung und Depressionen. Dr. C. hat in seinem Gutachten vom 31.05.2013 ausgeführt, dass die Alkoholerkrankung des Klägers schwer und chronifiziert ist und zu Veränderungen in der Persönlichkeit mit Depravation und Verwahrlosungstendenzen geführt habe.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass eine medizinische Krankenbehandlung des Alkoholismus und seiner Folgen indiziert, sinnvoll und wünschenswert ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass entsprechend dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII und der Regelung des § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB XII solche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V vorrangig sind und einen Anspruch auf Eingliederungshilfe ausschließen. Mit der vom Kläger beantragten Eingliederungshilfe werden andere Leistungszwecke verfolgt, die sich zwar teilweise mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation überschneiden können, aber auch darüber hinaus gehen. Die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind mit der Zwecksetzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht identisch; insbesondere verfolgen die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft Ziele, die über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind gem. § 55 Abs. 2 SGB IX insbesondere (u.a.) Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (Nr. 3), Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten (Nr. 6) und Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (Nr. 7) (vgl. hierzu auch: BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 32/07 R). Solche Leistungen der Eingliederungshilfe wären nur dann nicht erforderlich, wenn eine erfolgreiche Rehabilitation des behinderten Menschen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso zu erreichen gewesen wäre (LSG, Urteil vom 20.08.2012 – L 20 SO 25/09). Dies trifft im Fall des Klägers jedoch nicht zu.
Der Kläger benötigt vorrangig Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem. § 55 SGB IX. Soweit medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aufgrund seiner Alkoholerkrankung und deren Folgen sinnvoll und wünschenswert erscheinen, kommen sie derzeit schon deshalb nicht in Betracht, weil es an der dafür notwendigen Rehabilitationsfähigkeit des Klägers fehlt. Der Sachverständige Dr. C. hat in seinem Gutachten für die Kammer schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die Chronifizierung der Alkoholerkrankung des Klägers ein Ausmaß erreicht hat, in dem rehabilitative Maßnahmen im Sinne von Entgiftung und anschließend längerer Entwöhnungstherapie wenig erfolgreich erscheinen. Er hat dargelegt, dass es dem Kläger diesbezüglich sowohl an der nötigen Krankheitseinsicht und Motivation als auch an ausreichender Introspektionsfähigkeit sowie Durchhaltevermögen für eine derartige Therapie fehlt. Deshalb ist die Rehabilitationsfähigkeit aufgrund der durch die oben genannten diagnosebedingten Funktions- und Fähigkeitsstörungen erheblich eingeschränkt. Dr. C. lehnt daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als nicht geeignet ab und hält tagesstrukturierende Maßnahmen vom Leistungstyp 24 für sinnvoll, weil sie es ermöglichen, den Kläger gezielter zu betreuen und zu fördern. Dem schließt sich die Kammer an. Bereits Dr. M. hatte in seinem Betreuungsgutachten vom 20.03.2003 eine durch die Alkoholkrankheit verursachte verminderte Kritikfähigkeit festgestellt; der Kläger sei nicht einsichtig in die Notwendigkeit einer weiteren Therapie; nervenärztliche Behandlung bzw. auch das Aufsuchen einer Selbsthilfegruppe werde vom Kläger eher abgelehnt. Bereits 2003 stellte Dr. M. als Folge der Alkoholkrankheit eine vegetative Labilität, einen ausgeprägten Tremor und einen intellektuellen Abbau, der an ein beginnendes dementielles Bild erinnere, fest. Diese Defizite sind in den folgenden Jahren, dies ergibt sich aus den in den Akten befindlichen Unterlagen und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C., eher noch größer geworden. Dr. I. hat in der Bescheinigung vom 21.04.2011 von Antriebsdefizit, Schwierigkeiten in der Tagesstrukturierung und in der Erledigung jeglicher Alltagsanforderungen, sozialen Rückzugstendenzen und insgesamt einer schwerwiegenden Symptomatik gesprochen; sie hat Leistungen des betreuten Wohnens für dringend erforderlich gehalten und die Befürchtung ausgesprochen, dass ohne diese von außen strukturierende und antriebsfördernde Kraft der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder in sozialer Isolation und Verwahrlosung enden werde.
Die Leistungen der Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens sind auch deshalb erforderlich, weil der Kläger – entgegen der Einschätzung des Beklagten – nicht zu einer selbstständigen Lebens- und Haushaltsführung in der Lage ist. Anders als der Beklagte vermag die Kammer dem IHP vom 28.01.2011 gerade nicht zu entnehmen, dass der Kläger auch ohne Leistungen des ambulant betreuten Wohnens imstande ist, seinen Haushalt zu führen und seinen Alltag zu bewältigen. Dort hat der Kläger im Abschnitt III (Blatt 39 Verwaltungsakte) ausgeführt: "Ich kann Essen holen, meist kocht meine Mutter für mich mit. Wenn ich nicht selber koche, dann esse ich auch nichts. Ich kann die alltäglichen Dinge wie Einkaufen, Glühbirne wechseln, Kochen eher nicht, meine Wohnung reinigen, na ja so sauber ist es nicht." Wie diese Angaben die Fähigkeit zur selbstständigen Lebens- und Haushaltsführung belegen sollen, erschließt sich der Kammer nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Betreuerin und der BeWo-Anbieter haben im IHP zu den Angaben des Klägers im Abschnitt III ergänzend fachlich dargelegt, dass der Kläger zwar im Grunde diverse Fähigkeiten zum Bestreiten des Alltagslebens habe, diese aber für ihn aufgrund seiner Antriebslosigkeit nicht anwendbar seien. Er könne z. B. seine Wohnung sauber halten, fühle sich jedoch aufgrund seiner depressiven Stimmung hierzu nicht in der Lage. Zusätzlich hinderten ihn die körperlichen Einschränkungen an Tätigkeiten im Haushalt. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, der Betreuerin, des BeWo-Anbieters und des Sachverständigen Dr. C., dass dem Kläger gänzlich die Fähigkeit fehlt, seinen Tag und sein Leben zu strukturieren. Da für ihn – wie dargestellt – medizinische Rehabilitation und Krankenbehandlung derzeit nicht geeignet und zielführend ist, weil es an der dafür erforderlichen Reha-Fähigkeit fehlt, sind die Leistungen des ambulant betreuten Wohnens durch Fachleistungsstunden und die Teilnahme an tagesstrukturierenden Maßnahmen nach dem LT 24 nicht nur sinnvoll, geeignet und zweckmäßig, sondern auch erforderlich, dem Kläger die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wieder zu ermöglichen. Ziele des LT 24 sind die Überwindung, Linderung und Verhütung von Verschlimmerung behinderungsbedingter Beeinträchtigung und Förderung der Eingliederung in die Gesellschaft, insbesondere durch u.a. - Schaffung einer klaren Tagesstruktur mit Förderungs- und/oder Beschäftigungs- charakter - Förderung und Erhalt bzw. Wiedergewinnung eines Mindestmaßes an Leistungs- fähigkeit und Belastbarkeit in unterschiedlichen Lebensbereichen (z.B. Körper- hygiene, Nahrungsaufnahme, persönliche, manuelle und kreative Fähigkeiten) - Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten zur Förderung der Möglichkeiten zur Gemeinschaftsteilhabe - Förderung und Erhalt der Kommunikationsfähigkeit - Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben - Förderung und Erhalt von Handlungskompetenz bei der Gestaltung der eigen Freizeit - Förderung und Erhalt der Wahrnehmung des Lebensumfeldes - Förderung und Erhalt der Gesundheitsvorsorge - Förderung und Erhalt der Beweglichkeit und Prophylaxe von Pflegebedürftigkeit. All dieser tagesstrukturierenden Maßnahmen bedarf der Kläger, wie sich nachvollziehbar aus dem IHP, den diversen Stellungnahmen und dem Gutachten von Dr. C. ergibt, im besonderen Maße. Diese Leistungen in Kombination mit den Fachleistungsstunden im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens sind – entgegen der Auffassung des Beklagten – keinesfalls kontraproduktiv und beinhalten auch nicht nur ein "Kurieren an Symptomen". Sie sind durchaus erfolgsorientiert und zielführend. Wie sich aus der Stellungnahme der Alexianer Aachen GmbH vom 27.02.2012 ergibt, haben die Maßnahmen bereits Wirkung und Erfolg gezeigt. Durch kontinuierliche Steigerung der Belastbarkeit von anfänglich drei Tagen à zwei Stunden konnte der Kläger bereits ein Jahr nach Beginn der Maßnahme viermal wöchentlich fünf Stunden lang am tagesstrukturierenden Projekt teilnehmen. Dadurch haben sich seine Ängste und seine Antriebsschwäche reduziert, er erfährt Anerkennung, Selbstwertstärkung, erprobt soziale Kontakte und fördert seine Konfliktfähigkeit. Auch sein Bierkonsum hat sich deutlich reduziert. Dies belegt für die Kammer die Erforderlichkeit der Eingliederungshilfeleistungen in der Vergangenheit und auch weiterhin. Der beschriebene Verlauf macht sogar deutlich, dass durch die Eingliederungshilfe Aussicht besteht, die Einsichtsfähigkeit des Klägers in seine Krankheit und die Motivation zu ihrer Behandlung zu steigern, sodass in Zukunft möglicherweise die Rehabilitations-Fähigkeit des Klägers, die nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. C. derzeit noch fehlt, bejaht werden kann und dann entsprechende medizinische Reha-Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg eingeleitet werden können. Solange dies jedoch nicht der Fall ist, bedarf der Kläger der Eingliederungshilfe im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens mit Fachleistungsstunden und tagesstrukturierenden Maßnahmen entsprechend dem LT 24. Im IHP vom 28.01.2011 sind zwei Fachleistungsstunden pro Woche für erforderlich gehalten worden; der BeWo-Anbieter hat im ersten Jahr seines Tätigwerdens 44,5 und im zweiten Jahr 33,81 Fachleistungsstunden erbracht. Im Hinblick darauf hält es die Kammer für ausreichend, den Bedarf des Klägers an Fachleistungsstunden auf maximal zwei Fachleistungsstunden im Wochendurchschnitt zu begrenzen und hat entsprechend ("bis zu") tenoriert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe in Form von Fachleistungsstunden im Rahmen ambulant betreuten Wohnens mit tagesstrukturierenden Maßnahmen.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger leidet an einer psychischen Verhaltensstörung durch Alkohol und einem Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10: F10.2G). Er ist seit über zehn Jahren arbeitslos und steht unter gerichtlich angeordneter Betreuung. Er bezieht seit November 2007 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. 1998, 2001 und 2004 erhielt er stationäre Alkoholentzugsbehandlungen, die jedoch langfristig ohne Erfolg blieben.
Am 15.10.2010 beantragte der Kläger bei dem Beklagten durch den "Aachener Verein zur Förderung psychisch Kranker und Behinderter" e.V. (im Folgenden: Aachener Verein) Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens. Der Aachener Verein ist ein anerkannter Anbieter von Leistungen des Betreuten Wohnens (BeWo). Die Betreuerin legte dazu einen individuellen Hilfeplan (IHP) vor; in diesem wurden als Bedarf zwei Fachleistungsstunden pro Woche sowie tagesstrukturierende Maßnahmen nach dem so genannten Leistungstyp (LT) 24 dargelegt. In fachärztlichen Stellungnahmen vom 08.12.2010 und 21.04.2011 befürwortete die den Kläger behandelnde Psychiaterin Dr. I. den Eingliederungshilfeantrag. Sie beschrieb eine seelische Behinderung bei weiterhin bestehendem Alkoholabsusus und dadurch bedingt soziale Rückzugstendenzen, Antriebsstörungen, Schwierigkeiten der Tagesstrukturierung und des Nacht-Wach- Rhythmus sowie Gefahr sekundären Alkoholkonsums; sie hielt aufgrund der schwerwiegenden Symptomatik des Klägers die Betreuung im Rahmen eines betreuten Wohnens für dringend erforderlich und meinte, ohne diese von außen strukturierende und antriebsfördernde Kraft werde er mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder in sozialer Isolation und Verwahrlosung enden.
Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen, u.a. des amtsgerichtlichen Betreuungsgutachtens des Psychiaters Dr. M. vom 20.03.2003, holte der Beklagte eine fachärztliche Stellungnahme ein. Der medizinisch-psychologische Dienst des Beklagten bewertete unter dem 24.01.2012 die über den Kläger vorliegenden Informationen dahin, dass eine Behandlung der chronifizierten Alkoholsucht erforderlich sei; allerdings würde die Bewilligung von BeWo zum derzeitigen Zeitpunkt die "lediglich die bestehende Symptomatik festschreiben und den Aufbau einer Veränderungsmotivation verhindern"; deshalb seien vorrangig SGB-V-Leistungen indiziert und nicht BeWo-Leistungen.
Gestützt hierauf lehnte der Beklagte den Eingliederungshilfeantrag durch Bescheid vom 02.02.2012 ab. Zur Begründung führte er aus, durch den Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und die bei speziell einer drohenden Behinderung geltende Regelung des § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ergäbe sich auch für das Recht der Sozialhilfe nach dem SGB XII, dass Eingliederungshilfe nur gewährt werde, wenn Krankenbehandlung nicht ausreiche, das – deckungsgleiche – Ziel der Eingliederungshilfe zu erreichen. Die im Hilfeplan beschriebenen Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich und die Antriebslosigkeit machten deutlich, dass eine Behandlung der chronifizierten Alkoholsucht erforderlich sei; für diese Leistung sei vorrangig die Krankenversicherung nach dem SGB V zuständig.
Dagegen legte der Kläger durch seine Betreuerin am 21.02.2012 Widerspruch ein: die im Oktober 2010 bereits begonnene Hilfe (Fachleistungsstunden und tagesstrukturierende Maßnahmen nach LT 24) habe dem Kläger bereits geholfen; im Kontakt mit den Betreuern und den Teilnehmern habe er anfängliche Ängste abbauen können und gehe Konflikten nicht mehr aus dem Weg; er achte mehr auf seine Gesundheit; es sei deutlich eine positive Entwicklung zu sehen. In einer fachlichen Stellungnahme der Alexianer Aachen GmbH vom 27.02.2012, in deren tagesstrukturierendem Projekt "Aktivpunkt" der Kläger im Rahmen des LT 24 begleitet und unterstützt wird, wurde die Fortführung des LT 24 und des ambulant betreuten Wohnens ebenfalls für dringend erforderlich gehalten. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden massive Einschränkungen in elementaren Teilhabebereichen, die nicht nur durch eine Behandlung der Alkoholerkrankung aufgefangen werden könnten, sondern die einer strukturierten Alltagsbegleitung bedürften; eine Entgiftung mit Langzeittherapie und die Anbindung an eine Selbsthilfegruppe könnten die Teilhabebeschränkungen, die sich durch ausgeprägte Isolationstendenzen und mangelnder Teilhabe am Arbeits- und Gemeinschaftsleben sowie im Bereich sozialer Kompetenzen und Kontakte zeigten, nicht auffangen.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.08.2012 zurück. Er wiederholte seine Auffassung, dass der Bedarf im Bereich "Gesundheitsförderung" durch vorrangige Leistungen der Krankenversicherung zu decken sei. Fachleistungsstunden im Rahmen ambulant betreuten Wohnens seien nicht erforderlich, da der Kläger im Bereich selbstständiger Lebens- und Haushaltsführung keine strukturellen Defizite habe; nach dem vorgelegten IHP verfüge er über diverse Kompetenzen, die es ihm ermöglichen würden, die alltäglichen Verrichtungen im Haushalt zu bestreiten. Die Überwindung der Antriebslosigkeit bzw. der Depression sei nicht Aufgabe einer Maßnahme des ambulant betreuten Wohnens. Ein entsprechendes "Kurieren an Symptomen" sei nicht zielführend, Leistungen des betreuten Wohnens könnten die beschriebenen vorrangigen psychiatrischen Behandlungen nicht ersetzen.
Dagegen hat der Kläger am 21.09.2012 Klage erhoben. Er meint, medizinische Rehabilitation in Form einer Alkoholentzugsbehandlung sei nicht vorrangig; er brauche die Eingliederungshilfe zur Bewältigung seines Alltags. Er verweist hierzu auf die Stellungnahmen seiner Betreuerin und des BeWo-Anbieters.
Der Kläger hat unter Vorlage entsprechender Bescheinigungen des BeWo-Anbieters mitgeteilt, dass er vom 18.10.2010 bis 30.09.2011 insgesamt 44,50 Fachleistungsstunden und vom 01.10.2011 bis 14.09.2012 insgesamt 33,81 Fachleistungsstunden erhalten habe; dafür seien Kosten von 4.744,29 EUR entstanden. Die von 2010 bis 2012 entstandenen Kosten für die tagesstrukturierenden Maßnahmen nach dem LT 24 hat der Kläger mit 18.217,39 EUR beziffert. Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.02.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 zu verurteilen, ihm Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens durch bis zu 2 Fachleistungsstunden im Wochendurchschnitt und tagesstrukturiende Maßnahmen entsprechend dem Leistungstyp (LT) 24 zu gewähren und die seit 18.10.2010 dadurch entstandenen Kosten des Leistungserbringers "Aachener Verein zur Förderung psychisch Kranker und Behinderter" e.V. zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bleibt bei seiner Einschätzung, dass der Kläger im Bereich selbständiger Lebens- und Haushaltsführung keine strukturellen Defizite habe; auch sei ohne die BeWo-Leistungen das selbstständige Wohnen des Klägers nicht gefährdet. Zur Begründung bezieht sich der Beklagte auf die Angaben des Klägers und des BeWo-Anbieters im IHP. Der Beklagte meint, der im Hilfeplan dargestellte konkrete Bedarf betreffe ausschließlich einen medizinischen Reha-Bedarf; Eingliederungshilfe werde nur nachrangig gewährt; sie sei "erfolgsorientiert", eine lediglich "bewahrende" Hilfe mit einem "Kurieren an Symptomen" sei nicht zielführend. Insofern seien BeWo-Leistungen weder geeignet noch erforderlich. Tagesstrukturierende Maßnahmen nach dem LT 24 seien zwar Bestandteil der Leistungen des ambulant betreuten Wohnens, jedoch seien deren Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Beklagte hat den Rahmenvertrag zu Leistungsvereinbarungen im Bereich der Eingliederungshilfe vorgelegt; darin wird u.a. der Leistungstyp (LT) 24 beschrieben.
Die Beigeladenen haben keine eigenen Anträge gestellt.
Die Beigeladene zu 1) hat mitgeteilt, der Kläger habe bei ihr weder eine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung noch Reha-Maßnahmen beantragt; diese kämen auch nur in Betracht, wenn ambulante Krankenbehandlung nicht mehr ausreiche. Da der Kläger Rentner sei, sei für eine Reha-Maßnahme ggf. der Rentenversicherungsträger zuständig.
Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht ein Sachverständigengutachten von dem Neurologen und Psychiater Dr. C. eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 31.05.2013 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstrandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Er hat Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens.
Der Kläger zählt zum Kreis der Leistungsberechtigten im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz SGB XII. Danach erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Seelische Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben können, sind gem. § 3 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) 1. körperlich nicht begründbare Psychosen, 2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen, 3. Suchtkrankheiten, 4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen. Beim Kläger besteht eine wesentliche seelische Behinderung im Sinne der Eingliederungshilfe-Verordnung. Wie sich aus den ärztlichen Bescheinigungen der behandelnden Psychiaterin Dr. I. und dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. C. ergibt, leidet der Kläger an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom, dadurch bedingt an einer psychischen Verhaltensstörung und Depressionen. Dr. C. hat in seinem Gutachten vom 31.05.2013 ausgeführt, dass die Alkoholerkrankung des Klägers schwer und chronifiziert ist und zu Veränderungen in der Persönlichkeit mit Depravation und Verwahrlosungstendenzen geführt habe.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass eine medizinische Krankenbehandlung des Alkoholismus und seiner Folgen indiziert, sinnvoll und wünschenswert ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass entsprechend dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII und der Regelung des § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB XII solche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V vorrangig sind und einen Anspruch auf Eingliederungshilfe ausschließen. Mit der vom Kläger beantragten Eingliederungshilfe werden andere Leistungszwecke verfolgt, die sich zwar teilweise mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation überschneiden können, aber auch darüber hinaus gehen. Die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind mit der Zwecksetzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht identisch; insbesondere verfolgen die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft Ziele, die über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind gem. § 55 Abs. 2 SGB IX insbesondere (u.a.) Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (Nr. 3), Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten (Nr. 6) und Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (Nr. 7) (vgl. hierzu auch: BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 32/07 R). Solche Leistungen der Eingliederungshilfe wären nur dann nicht erforderlich, wenn eine erfolgreiche Rehabilitation des behinderten Menschen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso zu erreichen gewesen wäre (LSG, Urteil vom 20.08.2012 – L 20 SO 25/09). Dies trifft im Fall des Klägers jedoch nicht zu.
Der Kläger benötigt vorrangig Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem. § 55 SGB IX. Soweit medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aufgrund seiner Alkoholerkrankung und deren Folgen sinnvoll und wünschenswert erscheinen, kommen sie derzeit schon deshalb nicht in Betracht, weil es an der dafür notwendigen Rehabilitationsfähigkeit des Klägers fehlt. Der Sachverständige Dr. C. hat in seinem Gutachten für die Kammer schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die Chronifizierung der Alkoholerkrankung des Klägers ein Ausmaß erreicht hat, in dem rehabilitative Maßnahmen im Sinne von Entgiftung und anschließend längerer Entwöhnungstherapie wenig erfolgreich erscheinen. Er hat dargelegt, dass es dem Kläger diesbezüglich sowohl an der nötigen Krankheitseinsicht und Motivation als auch an ausreichender Introspektionsfähigkeit sowie Durchhaltevermögen für eine derartige Therapie fehlt. Deshalb ist die Rehabilitationsfähigkeit aufgrund der durch die oben genannten diagnosebedingten Funktions- und Fähigkeitsstörungen erheblich eingeschränkt. Dr. C. lehnt daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als nicht geeignet ab und hält tagesstrukturierende Maßnahmen vom Leistungstyp 24 für sinnvoll, weil sie es ermöglichen, den Kläger gezielter zu betreuen und zu fördern. Dem schließt sich die Kammer an. Bereits Dr. M. hatte in seinem Betreuungsgutachten vom 20.03.2003 eine durch die Alkoholkrankheit verursachte verminderte Kritikfähigkeit festgestellt; der Kläger sei nicht einsichtig in die Notwendigkeit einer weiteren Therapie; nervenärztliche Behandlung bzw. auch das Aufsuchen einer Selbsthilfegruppe werde vom Kläger eher abgelehnt. Bereits 2003 stellte Dr. M. als Folge der Alkoholkrankheit eine vegetative Labilität, einen ausgeprägten Tremor und einen intellektuellen Abbau, der an ein beginnendes dementielles Bild erinnere, fest. Diese Defizite sind in den folgenden Jahren, dies ergibt sich aus den in den Akten befindlichen Unterlagen und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C., eher noch größer geworden. Dr. I. hat in der Bescheinigung vom 21.04.2011 von Antriebsdefizit, Schwierigkeiten in der Tagesstrukturierung und in der Erledigung jeglicher Alltagsanforderungen, sozialen Rückzugstendenzen und insgesamt einer schwerwiegenden Symptomatik gesprochen; sie hat Leistungen des betreuten Wohnens für dringend erforderlich gehalten und die Befürchtung ausgesprochen, dass ohne diese von außen strukturierende und antriebsfördernde Kraft der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder in sozialer Isolation und Verwahrlosung enden werde.
Die Leistungen der Eingliederungshilfe im Rahmen ambulant betreuten Wohnens sind auch deshalb erforderlich, weil der Kläger – entgegen der Einschätzung des Beklagten – nicht zu einer selbstständigen Lebens- und Haushaltsführung in der Lage ist. Anders als der Beklagte vermag die Kammer dem IHP vom 28.01.2011 gerade nicht zu entnehmen, dass der Kläger auch ohne Leistungen des ambulant betreuten Wohnens imstande ist, seinen Haushalt zu führen und seinen Alltag zu bewältigen. Dort hat der Kläger im Abschnitt III (Blatt 39 Verwaltungsakte) ausgeführt: "Ich kann Essen holen, meist kocht meine Mutter für mich mit. Wenn ich nicht selber koche, dann esse ich auch nichts. Ich kann die alltäglichen Dinge wie Einkaufen, Glühbirne wechseln, Kochen eher nicht, meine Wohnung reinigen, na ja so sauber ist es nicht." Wie diese Angaben die Fähigkeit zur selbstständigen Lebens- und Haushaltsführung belegen sollen, erschließt sich der Kammer nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Betreuerin und der BeWo-Anbieter haben im IHP zu den Angaben des Klägers im Abschnitt III ergänzend fachlich dargelegt, dass der Kläger zwar im Grunde diverse Fähigkeiten zum Bestreiten des Alltagslebens habe, diese aber für ihn aufgrund seiner Antriebslosigkeit nicht anwendbar seien. Er könne z. B. seine Wohnung sauber halten, fühle sich jedoch aufgrund seiner depressiven Stimmung hierzu nicht in der Lage. Zusätzlich hinderten ihn die körperlichen Einschränkungen an Tätigkeiten im Haushalt. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, der Betreuerin, des BeWo-Anbieters und des Sachverständigen Dr. C., dass dem Kläger gänzlich die Fähigkeit fehlt, seinen Tag und sein Leben zu strukturieren. Da für ihn – wie dargestellt – medizinische Rehabilitation und Krankenbehandlung derzeit nicht geeignet und zielführend ist, weil es an der dafür erforderlichen Reha-Fähigkeit fehlt, sind die Leistungen des ambulant betreuten Wohnens durch Fachleistungsstunden und die Teilnahme an tagesstrukturierenden Maßnahmen nach dem LT 24 nicht nur sinnvoll, geeignet und zweckmäßig, sondern auch erforderlich, dem Kläger die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wieder zu ermöglichen. Ziele des LT 24 sind die Überwindung, Linderung und Verhütung von Verschlimmerung behinderungsbedingter Beeinträchtigung und Förderung der Eingliederung in die Gesellschaft, insbesondere durch u.a. - Schaffung einer klaren Tagesstruktur mit Förderungs- und/oder Beschäftigungs- charakter - Förderung und Erhalt bzw. Wiedergewinnung eines Mindestmaßes an Leistungs- fähigkeit und Belastbarkeit in unterschiedlichen Lebensbereichen (z.B. Körper- hygiene, Nahrungsaufnahme, persönliche, manuelle und kreative Fähigkeiten) - Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten zur Förderung der Möglichkeiten zur Gemeinschaftsteilhabe - Förderung und Erhalt der Kommunikationsfähigkeit - Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben - Förderung und Erhalt von Handlungskompetenz bei der Gestaltung der eigen Freizeit - Förderung und Erhalt der Wahrnehmung des Lebensumfeldes - Förderung und Erhalt der Gesundheitsvorsorge - Förderung und Erhalt der Beweglichkeit und Prophylaxe von Pflegebedürftigkeit. All dieser tagesstrukturierenden Maßnahmen bedarf der Kläger, wie sich nachvollziehbar aus dem IHP, den diversen Stellungnahmen und dem Gutachten von Dr. C. ergibt, im besonderen Maße. Diese Leistungen in Kombination mit den Fachleistungsstunden im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens sind – entgegen der Auffassung des Beklagten – keinesfalls kontraproduktiv und beinhalten auch nicht nur ein "Kurieren an Symptomen". Sie sind durchaus erfolgsorientiert und zielführend. Wie sich aus der Stellungnahme der Alexianer Aachen GmbH vom 27.02.2012 ergibt, haben die Maßnahmen bereits Wirkung und Erfolg gezeigt. Durch kontinuierliche Steigerung der Belastbarkeit von anfänglich drei Tagen à zwei Stunden konnte der Kläger bereits ein Jahr nach Beginn der Maßnahme viermal wöchentlich fünf Stunden lang am tagesstrukturierenden Projekt teilnehmen. Dadurch haben sich seine Ängste und seine Antriebsschwäche reduziert, er erfährt Anerkennung, Selbstwertstärkung, erprobt soziale Kontakte und fördert seine Konfliktfähigkeit. Auch sein Bierkonsum hat sich deutlich reduziert. Dies belegt für die Kammer die Erforderlichkeit der Eingliederungshilfeleistungen in der Vergangenheit und auch weiterhin. Der beschriebene Verlauf macht sogar deutlich, dass durch die Eingliederungshilfe Aussicht besteht, die Einsichtsfähigkeit des Klägers in seine Krankheit und die Motivation zu ihrer Behandlung zu steigern, sodass in Zukunft möglicherweise die Rehabilitations-Fähigkeit des Klägers, die nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. C. derzeit noch fehlt, bejaht werden kann und dann entsprechende medizinische Reha-Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg eingeleitet werden können. Solange dies jedoch nicht der Fall ist, bedarf der Kläger der Eingliederungshilfe im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens mit Fachleistungsstunden und tagesstrukturierenden Maßnahmen entsprechend dem LT 24. Im IHP vom 28.01.2011 sind zwei Fachleistungsstunden pro Woche für erforderlich gehalten worden; der BeWo-Anbieter hat im ersten Jahr seines Tätigwerdens 44,5 und im zweiten Jahr 33,81 Fachleistungsstunden erbracht. Im Hinblick darauf hält es die Kammer für ausreichend, den Bedarf des Klägers an Fachleistungsstunden auf maximal zwei Fachleistungsstunden im Wochendurchschnitt zu begrenzen und hat entsprechend ("bis zu") tenoriert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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