S 6 KR 42/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 42/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 111/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 2/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage der Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem 01.04.2007 nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V.

Die Klägerin lebt seit 1983 in Deutschland und besitzt die afghanische Staatsangehörigkeit. Sie verfügt über eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz. Die Klägerin erhält seit dem 01.06.2007 Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII.
Da sie in den Vorjahren jedoch Unterstützung von ihren ebenfalls in Deutschland lebenden vier Kindern erhielt, bezog sie nicht dauerhaft ergänzende Sozialhilfeleistungen. Bis zum 30.06.2007 wurde ihr von der Stadt Marburg Leistungen nach § 264 SGB V für Leistungen bei der Beklagten bewilligt. Die Stadt Marburg, im Klageverfahren beigeladen, forderte die Klägerin jedoch mit Datum vom 25.06.2007 auf, sich zum Stichtag 01.04.2007 in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichern zu lassen.
Die Klägerin beantragte daraufhin am 11.07.2007 bei der Beklagten die Aufnahme in die Pflichtversicherung rückwirkend ab dem 1.4.2007. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2008 ab. Sie wies darauf hin, dass bei Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine Absicherung im Krankheitsfall bereits dann vorliege, wenn ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz dem Grunde nach bestehe. Die Klägerin besitze hier eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz und habe somit einen Anspruch auf Krankenhilfe auch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dieser Leistungsanspruch schließe die geltend gemachte Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aus.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Klage.

Die Klägerin trägt vor, dass die Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes vorliegend nicht einschlägig seien, da sie über eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als 6 Monaten verfüge.

Sie beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 17.08.2007 in der Gestalt des W
iderspruchsbescheides vom 21.02.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab dem 01.04.2007 Versicherungsschutz in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass § 264 SGB V hier nach der Gesetzesbegründung vorrangig einschlägig sei.
Darüber hinaus sei auch § 5 Abs. 11 SGB zu beachten. Danach scheide eine Versicherungspflicht aus, wenn der Aufenthaltstitel eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes voraussetze. Dies sei bei § 23 AufenthG so der Fall.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Auch sie ist der Auffassung, dass eine Versicherungspflicht in der GKV für die Klägerin bestehe.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte der Ausländerbehörde der Beigeladenen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG-). Streitgegenstand ist allein die Feststellung der Pflichtversicherung der Klägerin bei der Beklagten, nicht aber die Verpflichtung der Beklagten zur Bereitstellung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin hat ihren Antrag auf diese Feststellung beschränkt. Die Beklagte hat auch in der mündlichen klargestellt, dass eine Bereitstellung von Leistungen zu Lasten des Sozialhilfeträgers nicht versagt wird.

Die so verstandene Klage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Klägerin nicht bei ihr pflichtversichert ist. Der Bescheid vom 17.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2008 ist nicht zu beanstanden.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sind Personen in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den § 5 Abs. 5 oder § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer Tätigkeit im Inland gehört hätten. Die Voraussetzung "bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert" ist erfüllt, wenn der Betroffene im örtlichen Geltungsbereich des SGB V nicht gesetzlich oder privat krankenversichert war. Diese Anforderungen erfüllt die Klägerin, die seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert war.

Die Versicherungspflicht der Klägerin ist jedoch gemäß § 5 Abs. 11 SGB V ausgeschlossen. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um die hier einschlägige Rechtsgrundlage, die durch das GKV-Wettbewerbsgesetz eingefügt wurde, am 1.4.2007 in Kraft getreten ist und explizit die Frage der Versicherungspflicht für ausländische Staatsangehörige regelt. Danach werden Ausländer, die nicht einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat oder der Schweiz angehören, von der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nur erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung des Aufenthaltstitels keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes besteht. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin gerade nicht. Zwar verfügt sie über eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate. Für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist jedoch die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG Voraussetzung. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts sowohl aus den einschlägigen Bleiberechtsregelungen als auch aus der Auswertung der beigezogenen Akte der zuständigen Ausländerbehörde der Beigeladenen.
Die Klägerin ist afghanische Staatsangehörige. Sie verfügt über einen Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 1 AufenthG, der auf der "Bleiberechtsregelung für afghanische Staatsangehörige sowie Rückführung afghanischer Staatsangehöriger" (Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 17. Mai 2005 – II 41 – 23 d) beruht.

Für alte Menschen, die wie die Klägerin am 24.06.2005 das 65. Lebensjahr vollendet hatten, wird eine Aufenthaltserlaubnis danach weiterhin erteilt, "wenn sie in Afghanistan keine Familie, dafür aber im Bundesgebiet Angehörige mit dauerhaftem Aufenthalt haben und sichergestellt ist, dass für diesen Personenkreis keine Sozialleistungen mit Ausnahme von Leistungen für die Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit in Anspruch genommen werden.
Von einer Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen kann ausgegangen werden, wenn sichergestellt ist, dass unterhaltsverpflichtete Familienangehörige auch in die Unterhaltsverpflichtung genommen werden können. Bei nicht unterhaltspflichtigen Angehörigen ist der Nachweis über die Sicherung des Lebensunterhaltes über eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG zu erbringen."

Nach diesen Vorgaben ist eindeutig, dass im Falle der Klägerin, deren 4 Kinder ebenfalls im Bundesgebiet leben, eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Voraussetzung für die weitere Erteilung der Aufenthaltserlaubnis besteht.

Gemäß diesen Vorgaben ist die Ausländerbehörde der Beigeladenen auch verfahren. Dass der Unterhaltsverpflichtung seitens der Kinder konkret nachgekommen wurde, ergibt sich aus der Akte der Ausländerbehörde (Bl. 127 und 129), wo dokumentiert ist, dass der Sohn Z. schriftlich erklärt hat, seine Mutter beim Lebensunterhalt zu unterstützen und auch seitens der Behörde festgestellt wird, dass es diesbezüglich noch nie Probleme gab. Nach Auskunft der Ausländerbehörde ist die im vorliegende Verfahren abgegebene Erklärung des Sohnes als Verpflichtungserklärung gedeutet worden und auch zur Überzeugung des Gerichts so zu verstehen.
Eine Verpflichtungsklärung erfasst nach § 68 Aufenthaltsgesetz auch die Versorgung im Krankheitsfall. Die Dauer der Haftung aus der Verpflichtungserklärung erstreckt sich auf die den gesamten sich an die Einreise anschließende Aufenthalt, auch auf Zeiträume einer Verlängerung. Eine einseitige Lösung von der Erklärung ist wie von der Prozessbevollmächtigten vorgetragen, gesetzlich nicht vorgesehen und widerspricht auch dem Gesetzeszweck. Darüber hinaus entbindet dies auch nicht von der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung.

Nach alldem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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