S 6 U 291/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 291/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 706/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt zuletzt noch die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit. Der am 00.00.0000 geborene Kläger war von 0000 bis 0000 bei der Firma F. GmbH & Co KG in I. in der Viskoseherstellung u.a. als Spuler bzw. Wäscher und Rundgänger tätig. Am 00.00.0000 beantragte er die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung einer Berufskrankheit, nachdem anlässlich eines Kuraufenthaltes 0000 im Krankenhaus Bad O. ein Leberzellschaden diagnostiziert worden war und der Facharzt für radiologische Diagnostik Dr. T. im Rahmen einer am 00.00.0000 durchgeführten computertomographischen Untersuchung einen beginnenden zirrhotischen Umbau der Leber des Klägers festgestellt hatte. Die Beklagte zog Unterlagen der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 00.00.0000, des Caritas Krankenhauses C. N. – Pathologie – vom 00.00.0000 sowie des Internisten Dr. U. vom 0000.0000 bei, der einen Alkoholabusus als Ursache ausgeschlossen hatte. Nach Erhebung einer Arbeitsanamnese zog die Beklagte einen Laborbericht vom 00.00.0000 bei und wertete ein Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 00.00.2000 sowie einen Bericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. T. vom 00.00.0000 aus. Weiter zog sie zwei Gutachten vom 00.00.0000 und vom 00.00.0000 bei, die der Arbeits- und Sozialmediziner Prof. Dr. L. nach Begutachtungen des Klägers betreffend Verfahren zur Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten nach Nrn. 1202, 4301, 4302 und 1315 der Anlage zur BKV erstellt hatte. Überdies wertete sie eine im Rahmen jener Verfahren eingeholte Auskunft der Firma F. GmbH & Co KG vom 00.00.0000 aus. Mit Bescheid vom 00.00.0000 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten nach Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und Nr. 1305 (Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Einwirkung von Stoffen, die geeignet wären, die bei dem Kläger vorliegende Lebererkrankung zu verursachen, sei nicht feststellbar. Der Kläger legte am 00.00.0000 Widerspruch ein und verwies auf Meßwerte, die im Jahr 2000 bei der Firma F. GmbH & Co KG erhoben worden waren. Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 00.00.0000 ein, der eine Exposition des Klägers gegenüber Halogenkohlenwasserstoff verneinte. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. N. vom 00.00.0000 wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.00 erhobene Klage.

Der Kläger beantragt zuletzt noch, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verurteilen, seine Lebererkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 1305 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm wegen der hieraus resultierenden Folgen Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 vom Hundert zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte des Facharztes für radiologische Diagnostik Dr. F. vom 00.00.0000 sowie des Facharztes für Innere Medizin Dr. N. vom 00.00.0000 eingeholt. Es hat weiter Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen I. Q., G. H. und R. D. Es hat darüber hinaus eine erneute Begutachtung des Klägers durch den Arbeits- und Sozialmediziners Prof. Dr. L. veranlasst. Prof. Dr. L. ist im Rahmen seines unter dem 00.00.0000 erstellten Gutachtens zu dem Ergebnis gelangt, das Fehlen neurotoxischer Effekte spreche gegen eine Verursachung der Lebererkrankung des Klägers durch die Einwirkungen bei der Fa. F. GmbH & Co KG. Auch der Verlauf der Leberwerte spreche gegen eine Verursachung. Der Kläger ist dem Gutachten entgegen getreten und hat ausgeführt, Prof. Dr. L. habe falsche Laborparameter verwendet, weshalb auch seine Schlussfolgerung zum Verlauf seiner Leberwerte nicht zutreffe.

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen sowie auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 1305 der Anlage zur BKV sowie Entschädigung hierfür.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer Tätigkeit erleiden, die Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründet. Nur solche Krankheiten, die in Anlage 1 zur BKV (sogenannte Berufskrankheitenliste) im Einzelnen aufgeführt sind, können als Berufskrankheiten anerkannt werden.

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG, Urteil vom 20.01.1987, 2 RU 27/86 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG, Urteil vom 22.08.2000, B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rdnr. 14). Der Vollbeweis einer Krankheit in jenem Sinne ist geführt, wenn ihr Vorliegen in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass sämtliche Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.03.2011 – L 15 U 263/03 = juris).

Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Einwirkung und Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, a.a.O.). Die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität müssen nicht nur möglich, sondern hinreichend wahrscheinlich sein (BSG, Urteil vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77 = SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG, Urteil vom 27.06.2000 – B 2 U 29/99 R; Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Rdnr. 26). Das ist dann der Fall, wenn unter Zugrundelegung der herrschenden arbeitsmedizinischen Lehrauffassung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Urteil vom 16.02.1971 – 1 RA 113/70 = BSGE 32, 203, 209; BSG, Urteil vom 20.01.1977 – 8 RU 52/76 = 43, 110, 113; BSG, Urteil vom 02.11.1999 – B 2 U 47/98 R = SozR 3 - 1300 § 48 Nr. 67).

Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben steht zur Überzeugung der Kammer nicht fest, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 1305 der Anlage zur BKV vorliegt. Hierbei kann es das Gericht dahin stehen lassen, ob der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit Einwirkungen durch Schwefelkohlenstoff ausgesetzt war, welche geeignet sind, Lebererkrankungen der vorliegenden Art auszulösen. Denn jedenfalls fehlt es an der haftungsausfüllenden Kausalität. Denn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Einwirkungen, denen der Kläger im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit bei der Firma F. GmbH & Co KG ausgesetzt war und dem Auftreten der bei ihm vorliegenden Lebererkrankung ist nicht überwiegend wahrscheinlich.

Hierbei stützt sich die Kammer auf das überzeugende Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L. vom 00.00.0000. Wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, sind bei Einwirkungen durch Schwefelkohlenstoff isolierte Leberzellschädigungen nicht zu erwarten. Vielmehr hätten sich Gesundheitsschäden zunächst am zentralen und peripheren Nervensystem bzw. in einer ausgeprägten Arteriosklerose äußern müssen. Derartige Gesundheitsstörungen aber sind bei dem Kläger nicht dokumentiert. Soweit der Kläger dies im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Zweifel gezogen hat, sei auf die Ausführungen von Prof. Dr. L. auf Seite 27 des Gutachtens verwiesen. Danach hat dieser sowohl die vom Kläger geklagten Symptome eines "restless legs-Syndroms" in seine Bewertung mit einfließen lassen, als auch im Rahmen des erhobenen neurologischen Befundes Sensibilitätsstörungen im Sinne einer Polyneuropathie auszuschließen vermocht. Überdies hat Prof. Dr. L. darauf hingewiesen, dass auch der Verlauf der Leberparameter bei dem Kläger gegen eine Verursachung durch die Einwirkungen spricht. So ließen sich bereits ab 1992 lediglich leicht erhöhte Werte zeigen, welche indessen im Verlauf teilweise wieder in den Normbereich abfielen. Ab dem Jahr 2003 indessen, in dem wegen durchgängiger Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers schon keine Exposition mehr gegenüber Schwefelkohlenstoff bestanden hatte, findet sich ein sprunghafter Anstieg der Werte für Gamma-GT, Glutamat-Pyruvat-Transaminasen (GPT) und Glutamat-Oxalacetat-Transaminasen (GOT). Auch dieser Verlauf spricht gegen eine Verursachung durch die Einwirkungen, denen der Kläger bei der Firma F. GmbH & Co KG ausgesetzt war. Soweit der Kläger dem entgegen getreten ist und Aufstellungen der Laborparameter betreffend Gamma-GT, GPT und GOT vorgelegt hat, so bestätigen diese Werte sogar die von Prof. Dr. L. geäußerte Annahme eines sprunghaften Anstiegs der Werte für Gamma-GT, GPT und GOT ab dem Jahr 2003 (Bl. 000 ff. der Streitakte). Weiter spricht nach den Ausführungen von Prof. Dr. L. auch die Histologie der 1995 gewonnenen Leberbiopsie gegen eine berufliche Verursachung. Diese hatte zahlreiche großtropfig verfettete Hepatozyten und auch kleinere lipophage Granulome gezeigt. Galleablagerungen oder eine Bindegewebsvermehrung, wie sie nach dem Stand der Wissenschaft als Folge einer Schwefelkohlenstoff-Exposition zu vermuten gewesen wären, waren hingegen seinerzeit nicht beobachtet worden. Schließlich ist die Krankheit des Klägers auch weit nach Expositionsende fortgeschritten, was nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. L. ebenfalls gegen eine Verursachung spricht. So ist es mittlerweile zu einem zirrhotischen Umbau der Leber mit behandlungsbedürftigen Ösophagusvarizen gekommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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