Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 1573/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 76/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 14.11.2012 über eine sachlich- rechnerische Richtigstellung im Quartal 1/2010 (Absetzung der Ziff. 14220 EBM 2000 plus neben der Ziff. 14310 EBM 2000 plus (im folgenden ohne Zusatz EBM 2000 plus) bei Nebeneinanderabrechnung).
Zur Begründung berief sich die Beklagte auf die Ausschlussbestimmungen im Anschluss an die Leistungslegende der Ziff. 14220. Die Leistungen nach den Ziffern 14220 und 14310 seien in einer Sitzung erbracht worden. Eine neue Sitzung liege erst dann vor, wenn eine Leistung nach ihrer Eigenart in mehrere Phasen aufgeteilt werden müsse ( LSG Stuttgart, Urteil vom 05.09.1996, L 5 Ka 2851/95).
Dagegen ließ die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte Klage zum Sozialgericht München einlegen.
Zum Sachverhalt wies sie sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung darauf hin, die Klägerin sei Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, habe im strittigen Zeitraum zusammen mit einer anderen Fachärztin eine Gemeinschaftspraxis betrieben und an der Sozialpsychiatrievereinbarung teilgenommen. Es sei zwar einzuräumen, dass die Leistungen nach den Ziffern 14220 und 14310 am selben Tag erfolgt seien, jedoch von unterschiedlichen Behandlern mit unterschiedlichen Zielrichtungen sowie zeitlich und räumlich voneinander getrennt. So finde als erste Sitzung ein Gespräch zwischen dem Kind/Jugendlichen und einem nichtärztlichen Mitarbeiter (zum Beispiel einer Psychologin) ohne Anwesenheit der Eltern statt. An der zweiten Sitzung nähmen auch die Sorgeberechtigten, zum Teil auch Lehrer etc. und die Kinder- und Jugendpsychiaterin teil. Somit gebe es unterschiedliche Behandler und unterschiedliche Ansatzpunkte, was dafür spreche, dass die Leistungen nicht in einer Sitzung erfolgt seien.
Zur Rechtslage vertrat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Auffassung, die Klage sei zulässig, auch wenn die Gemeinschaftspraxis oder die der damaligen Gemeinschaftspraxis angehörenden Ärzte nicht als Klägerin/Kläger aufträten. Denn auch einzelne Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis könnten Forderungen abwehren.
Die Klage sei auch begründet. Die Beklagte verstoße nämlich gegen § 106a SGB V i.V.m. Sozialpsychiatrievereinbarung, die ihre Rechtsgrundlage in § 85 Abs. 2 S. 4 SGB V finde. Diese Vereinbarung ermögliche die Beschäftigung von nichtärztlichen Mitarbeitern und die eigene Abrechnung der von diesen erbrachten Leistungen. Nach § 3 Sozialpsychiatrievereinbarung sei genau diese interdisziplinäre Zusammenarbeit erwünscht. Es handle sich somit um eine Durchbrechung des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung. Davon abgesehen sei es sinnvoll, die Leistungen an einem Tag zu erbringen, zumal die Klägerin ein regional großes Gebiet versorge. Ein sogenannter "Nebeneinanderausschluss" würde der Sozialpsychiatrievereinbarung" widersprechen. Im übrigen sei eine Abrechnung der Ziffern 14220 und 14310 am gleichen Tag bei Zeitangabe akzeptiert worden. Erst mit Einführung des neuen Computerprogramms seien Beanstandungen erfolgt, ohne dass sich das Abrechnungsverhalten der Klägerin geändert habe. Die Kürzung wäre deshalb auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten rechtswidrig. Schließlich solle mit der Sozialpsychiatrievereinbarung auch der besondere Aufwand, insbesondere die hohen Kosten für hochqualifiziertes Personal erstattet werden. Für das nichtärztliche Personal werde keine eigene lebenslange Arztnummer (LANR) vergeben. Aus der Formulierung "zusätzlich" in Anlage 2 der Sozialpsychiatrievereinbarung folge, dass allein die Kostenpauschale nicht ausreichend sei. Es gehe hier aber nicht um eine Honoraroptimierung. Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vor.
Dem entgegnend wies die Beklagte nochmals auf den Abrechnungsausschluss hin. Im Quartal 1/2010 sei überhaupt keine Zeitangabe durch die Klägerin erfolgt. Eine "Tagtrennung" sei nicht angegeben worden. Lediglich der Begründungstext enthalte die Formulierung "Fand nicht parallel statt". Was den Hinweis auf die Sozialpsychiatrievereinbarung und das dort in § 3 enthaltene Ziel einer interdisziplinären Zusammenarbeit betreffe, sei darauf aufmerksam zu machen, dass der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) vorgehe. Im übrigen stelle eine "Tagtrennung" einen Ausnahmefall dar und sei deshalb nicht regelhaft.
In der mündlichen Verhandlung am 12.03.2014 stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 28.02.2014.
Die Vertreter der Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschrift vom 12.03.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Gegen die Zulässigkeit spricht auch nicht, dass nicht die einzelnen Gesellschafter der damaligen Gemeinschaftspraxis oder die Gemeinschaftspraxis als solche Klage eingelegt haben. Auch eine einzelne Gesellschafterin einer Gemeinschaftspraxis ist klagebefugt (BSG Urteil vom 08.12.2010, Az B 6 KA 38/09R).
Rechtsgrundlage der von der Beklagten vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a Abs. 2 S. 1 HS 1 SGB V i.V.m. § 45 Abs. 3 BMV-Ä und § 34 Abs. 4 EKV-Ä. Danach ist die Beklagte berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen und die Abrechnungen nötigenfalls richtig zustellen.
Maßgeblich für die Abrechnungsfähigkeit von Leistungen ist in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegenden der Abrechnungsziffern.
Die Ziffer 14310 EBM 2000 plus lautet wie folgt:
Funktionelle Entwicklungstherapie (Einzelbehandlung) eines Kleinkindes im Rahmen eines kinder-und jugendpsychiatrischen Behandlungskonzeptes obligatorischer Leistungsinhalt: Dauer mindestens 15 Min Allgemeine Bestimmungen im EBM zur Ziffer 14310: die Gebührenordnungsposition 14310 ist nicht neben den Gebührenordnungspositionen 14220 berechnungsfähig.
Die Ziffer 14220 EBM 2000 plus lautet wie folgt:
Kinder- und jugendpsychiatrisches Gespräch, kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, Beratung, Erörterung und/oder Abklärung; obligatorischer Leistungsinhalt: Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt Dauer mindestens 10 Min Allgemeine Bestimmungen im EBM zur Ziffer 14220: die Gebührenordnungsposition 14220 ist nicht neben den Gebührenordnungspositionen 14310 berechnungsfähig.
Somit gilt der sogenannte "Nebeneinanderausschluss" dann, wenn diese Leistungen in einer Sitzung erbracht werden. Nur so kann die Formulierung "nicht neben" in den allgemeinen Bestimmungen des EBM verstanden werden. Grundsätzlich ist als Sitzung ein zeitlich zusammenhängender Arzt-Patienten-Kontakt zu verstehen (Deutsches Ärzteblatt 100 Heft 30 Seite A 2030). Hier ergibt sich das Problem, dass bei der Ziffer 14310 ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt nicht zum obligatorischen Leistungsinhalt gehört und in der Tat - wie von Klägerseite vorgetragen - in einer ersten Sitzung die Leistungen nach Ziffer 14310 von nichtärztlichen Mitarbeitern erbracht werden, während erst in einer zweiten Sitzung die Leistungen nach der Ziffer 14220 im Beisein der Fachärztin erfolgen. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei dem Begriff der Sitzung um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Auslegung zugänglich ist. Maßgeblich ist deshalb, wie dieser Begriff vom Standpunkt eines objektiven Beobachters aus zu verstehen ist. Danach spricht viel dafür, dass es maßgeblich auf die Präsenz des Patienten in einer Arztpraxis ankommt, das heißt, hat sich der Patient ohne zeitliche Unterbrechung in der Praxis zu diagnostischen und/oder therapeutischen Leistungen aufgehalten. Für diese Sichtweise spricht auch, dass die von nichtärztlichem Personal erbrachten Leistungen letztendlich dem Arzt zugerechnet werden, dieser diese Leistungen überwacht (§ 6 Abs. 1 S. 2 Sozialpsychiatrievereinbarung) und das nichtärztliche Personal als Erfüllungsgehilfe des Arztes tätig wird. Im Übrigen werden die nichtärztlichen Leistungen über den Arzt abgerechnet. Nur dieser hat eine eigene lebenslange Arztnummer (LANR). Legt man diese Maßstäbe zugrunde, handelt es sich nur um e i n e Sitzung, so dass der Abrechnungsausschluss bei den Ziffern 14220 und 14310 zum Tragen kommt.
Daran ändern auch die Regelungen der Sozialpsychiatrievereinbarung nichts. Nach § 1 Sozialpsychiatrievereinbarung dient diese Vereinbarung der Förderung einer qualifizierten interdisziplinären sozialpsychiatrischen Behandlung von Kin-dern und Jugendlichen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. Dabei hat der an der Vereinbarung teilnehmende Arzt die interdisziplinäre Zusammenarbeit medizinischer, psychologischer, pädagogischer und sozialer Dienste zu gewährleisten (§ 3 Abs. 1 Sozialpsychiatrievereinbarung ). Aus § 6 Abs. 1 S. 1 und § 6 Abs. 1 S. 2 Sozialpsychiatrievereinbarung ergibt sich, dass alle Leistungen in diesem Zusammenhang einschließlich der von nichtärztlichem Personal erbrachten nach dem EBM vergütet werden. Die Bezugnahme auf den EBM bedeutet, dass die im EBM enthaltenen Abrechnungsausschlüsse Bestand haben und auch gelten, wenn Leistungen einerseits von nichtärztlichem Personal und andererseits vom Arzt selbst erbracht werden. Soweit dem nichtärztlichen Personal die Erbringung von Leistungen zugestanden wird, handelt es sich zwar um ein partielles Außerkrafttreten des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung, was sich jedoch nicht auf die Abrechnungsbestimmungen auswirkt.
Abgesehen davon könnte die Sozialpsychiatrievereinbarung die Abrechnungsausschlüsse im EBM nicht außer Kraft setzen. Zwar sind sowohl der EBM als auch die Sozialpsychiatrievereinbarung Bestandteil der Bundesmantelverträge (EBM: § 87 Abs. 1 S. 1 SGB V; Sozialpsychiatrievereinbarung: § 85 Abs. 2 S.4 und § 43a SGB V). Bei dem EBM handelt es sich aber um die speziellere Regelung hinsichtlich der abrechnungsfähigen Leistungen (§ 87 Abs. 2 S. 1 SGB V), so dass dieser Regelung der Vorrang gebührt. Allein der Umstand, dass es zweckmäßig sein kann, die Leistungen wegen der regionalen Verhältnisse ( Praxis mit großem Einzugsbereich, lange Anfahrtswege für Patienten) an einem Tag zu erbringen, vermag Abrechnungsausschlüsse nicht außer Kraft zu setzen.
Dessen ungeachtet sieht das Gesetz in § 85 Abs. 2 S. 4 SGB V vor, dass ange-messene Vergütungen für nichtärztliche Leistungen zu vereinbaren sind. Dies ist in der Sozialpsychiatrievereinbarung in Form der Kostenpauschale nach § 6 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 zur Sozialpsychiatrievereinbarung geschehen. Für die Interpretation der Klägerseite, die aus der Formulierung "zusätzlich" in Anlage 2 zur Sozialpsychiatrievereinbarung im Ergebnis herleiten will, deshalb dürfe ein Abrechnungsausschluss nicht bestehen, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Wenn das der Fall wäre, hätten zusätzliche Vergütungen nicht im EBM, sondern in der Sozialpsychiatrievereinbarung zusätzlich zur Kostenpauschale abgebildet werden müssen. Vielmehr ist § 6 Abs. 2 S. 1 und S. 2 zu entnehmen, dass die Kostenpauschale gemäß Anlage 2 insbesondere die Kosten ab gelten soll, die dem Arzt für die Beschäftigung der unter § 3 Abs. 2 aufgeführten Mitarbeiter entstehen. Darüber hinausgehende Vergütungsansprüche enthält die Sozialpsychiatrievereinbarung nicht. Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Pauschale nicht angemessen ist. Immerhin wird nach Anlage 2 eine Kostenpauschale von 163 EUR (1. bis 350. Behandlungsfall) und von 122,25 EUR (ab dem 351. Behandlungsfall) gewährt.
Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG- wie von Klägerseite geltend gemacht wird - liegt ebenfalls nicht vor. Denn es handelt sich um keine Maßnahme, die die Klägerin von der Erbringung vertragsärztlicher Leistungen ausschließt. Die Regelungen stellen weder eine Beschränkung der Berufswahl, noch eine Beschränkung der Berufsausübung dar. Ebenfalls ist Art. 14 GG nicht verletzt. Denn Art. 14 GG schützt nur das Erworbene und die Ergebnisse, nicht aber die berufliche Betätigung sowie Chancen und Verdienstmöglichkeiten (BVerfG, Entscheidung vom 16.03.1971, Az. 1 BvR 52/66,1).
Somit ist der Nebeneinanderausschluss rechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn unterschiedliche Behandler in der Praxis der Klägerin die Leistungen er-bracht haben sollten. Im übrigen wurde bei der Abrechnung nicht kenntlich ge-macht, dass unterschiedliche Behandler tätig waren. Es bleibt deshalb dabei, dass nur dann von mehreren Sitzungen an einem Tag (Ausnahmekonstellation) ausgegangen werden kann, wenn vom Arzt eine sog. "Tagtrennung" mit Uhrzeitangabe erfolgt. Eine solche fand aber durch die Klägerin nicht statt. Es wäre Aufgabe der Klägerin gewesen, diese Angaben in der Begründungsspalte zu machen. Jedenfalls unzureichend ist es, stattdessen anzugeben, "Fand nicht parallel statt". Denn - wie die Beklagte zutreffend ausführt - stellt eine "Tagtrennung" den Ausnahmefall dar und ist nicht regelhaft.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf allgemeine Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berufen, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG (BSG, Urteil vom 28.08.2013, B 6 KA 50/12 R), dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dem allgemeinen Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Denn die Duldung einer Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 14310 und 14220 EBM 2000 plus in der Vergangenheit verbunden mit der Erwartung der Klägerin, dass dies auch in Zukunft der Fall sei, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Beklagten erlischt erst dann, wenn sie diese bereits "verbraucht" hat. Dies ist dann der Fall, wenn in einem der Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren die Kassenärztliche Vereinigung die Honorarforderung auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit überprüft und vorbehaltlos bestätigt hat (BSG, Beschluss vom 11.12.2013, Az. B 6 KA 37/13 B; BSG, Urteil vom 08.02.2006, Az. B 6 KA 12/05 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2013, Az. L 5 KA 4911/10). Dagegen kann auch ein länger dauerndes Dulden einer rechtswidrigen Abrechnungspraxis durch die Beklagte dem nicht gleichgesetzt werden. Soweit in Folgequartalen keine Beanstandungen erfolgt sein sollten, ist dies unbeachtlich, da sich ein Vertrauensschutz nur auf in der Vergangenheit liegende Umstände gründen lässt.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 14.11.2012 über eine sachlich- rechnerische Richtigstellung im Quartal 1/2010 (Absetzung der Ziff. 14220 EBM 2000 plus neben der Ziff. 14310 EBM 2000 plus (im folgenden ohne Zusatz EBM 2000 plus) bei Nebeneinanderabrechnung).
Zur Begründung berief sich die Beklagte auf die Ausschlussbestimmungen im Anschluss an die Leistungslegende der Ziff. 14220. Die Leistungen nach den Ziffern 14220 und 14310 seien in einer Sitzung erbracht worden. Eine neue Sitzung liege erst dann vor, wenn eine Leistung nach ihrer Eigenart in mehrere Phasen aufgeteilt werden müsse ( LSG Stuttgart, Urteil vom 05.09.1996, L 5 Ka 2851/95).
Dagegen ließ die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte Klage zum Sozialgericht München einlegen.
Zum Sachverhalt wies sie sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung darauf hin, die Klägerin sei Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, habe im strittigen Zeitraum zusammen mit einer anderen Fachärztin eine Gemeinschaftspraxis betrieben und an der Sozialpsychiatrievereinbarung teilgenommen. Es sei zwar einzuräumen, dass die Leistungen nach den Ziffern 14220 und 14310 am selben Tag erfolgt seien, jedoch von unterschiedlichen Behandlern mit unterschiedlichen Zielrichtungen sowie zeitlich und räumlich voneinander getrennt. So finde als erste Sitzung ein Gespräch zwischen dem Kind/Jugendlichen und einem nichtärztlichen Mitarbeiter (zum Beispiel einer Psychologin) ohne Anwesenheit der Eltern statt. An der zweiten Sitzung nähmen auch die Sorgeberechtigten, zum Teil auch Lehrer etc. und die Kinder- und Jugendpsychiaterin teil. Somit gebe es unterschiedliche Behandler und unterschiedliche Ansatzpunkte, was dafür spreche, dass die Leistungen nicht in einer Sitzung erfolgt seien.
Zur Rechtslage vertrat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Auffassung, die Klage sei zulässig, auch wenn die Gemeinschaftspraxis oder die der damaligen Gemeinschaftspraxis angehörenden Ärzte nicht als Klägerin/Kläger aufträten. Denn auch einzelne Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis könnten Forderungen abwehren.
Die Klage sei auch begründet. Die Beklagte verstoße nämlich gegen § 106a SGB V i.V.m. Sozialpsychiatrievereinbarung, die ihre Rechtsgrundlage in § 85 Abs. 2 S. 4 SGB V finde. Diese Vereinbarung ermögliche die Beschäftigung von nichtärztlichen Mitarbeitern und die eigene Abrechnung der von diesen erbrachten Leistungen. Nach § 3 Sozialpsychiatrievereinbarung sei genau diese interdisziplinäre Zusammenarbeit erwünscht. Es handle sich somit um eine Durchbrechung des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung. Davon abgesehen sei es sinnvoll, die Leistungen an einem Tag zu erbringen, zumal die Klägerin ein regional großes Gebiet versorge. Ein sogenannter "Nebeneinanderausschluss" würde der Sozialpsychiatrievereinbarung" widersprechen. Im übrigen sei eine Abrechnung der Ziffern 14220 und 14310 am gleichen Tag bei Zeitangabe akzeptiert worden. Erst mit Einführung des neuen Computerprogramms seien Beanstandungen erfolgt, ohne dass sich das Abrechnungsverhalten der Klägerin geändert habe. Die Kürzung wäre deshalb auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten rechtswidrig. Schließlich solle mit der Sozialpsychiatrievereinbarung auch der besondere Aufwand, insbesondere die hohen Kosten für hochqualifiziertes Personal erstattet werden. Für das nichtärztliche Personal werde keine eigene lebenslange Arztnummer (LANR) vergeben. Aus der Formulierung "zusätzlich" in Anlage 2 der Sozialpsychiatrievereinbarung folge, dass allein die Kostenpauschale nicht ausreichend sei. Es gehe hier aber nicht um eine Honoraroptimierung. Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vor.
Dem entgegnend wies die Beklagte nochmals auf den Abrechnungsausschluss hin. Im Quartal 1/2010 sei überhaupt keine Zeitangabe durch die Klägerin erfolgt. Eine "Tagtrennung" sei nicht angegeben worden. Lediglich der Begründungstext enthalte die Formulierung "Fand nicht parallel statt". Was den Hinweis auf die Sozialpsychiatrievereinbarung und das dort in § 3 enthaltene Ziel einer interdisziplinären Zusammenarbeit betreffe, sei darauf aufmerksam zu machen, dass der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) vorgehe. Im übrigen stelle eine "Tagtrennung" einen Ausnahmefall dar und sei deshalb nicht regelhaft.
In der mündlichen Verhandlung am 12.03.2014 stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 28.02.2014.
Die Vertreter der Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschrift vom 12.03.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Gegen die Zulässigkeit spricht auch nicht, dass nicht die einzelnen Gesellschafter der damaligen Gemeinschaftspraxis oder die Gemeinschaftspraxis als solche Klage eingelegt haben. Auch eine einzelne Gesellschafterin einer Gemeinschaftspraxis ist klagebefugt (BSG Urteil vom 08.12.2010, Az B 6 KA 38/09R).
Rechtsgrundlage der von der Beklagten vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a Abs. 2 S. 1 HS 1 SGB V i.V.m. § 45 Abs. 3 BMV-Ä und § 34 Abs. 4 EKV-Ä. Danach ist die Beklagte berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen und die Abrechnungen nötigenfalls richtig zustellen.
Maßgeblich für die Abrechnungsfähigkeit von Leistungen ist in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegenden der Abrechnungsziffern.
Die Ziffer 14310 EBM 2000 plus lautet wie folgt:
Funktionelle Entwicklungstherapie (Einzelbehandlung) eines Kleinkindes im Rahmen eines kinder-und jugendpsychiatrischen Behandlungskonzeptes obligatorischer Leistungsinhalt: Dauer mindestens 15 Min Allgemeine Bestimmungen im EBM zur Ziffer 14310: die Gebührenordnungsposition 14310 ist nicht neben den Gebührenordnungspositionen 14220 berechnungsfähig.
Die Ziffer 14220 EBM 2000 plus lautet wie folgt:
Kinder- und jugendpsychiatrisches Gespräch, kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, Beratung, Erörterung und/oder Abklärung; obligatorischer Leistungsinhalt: Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt Dauer mindestens 10 Min Allgemeine Bestimmungen im EBM zur Ziffer 14220: die Gebührenordnungsposition 14220 ist nicht neben den Gebührenordnungspositionen 14310 berechnungsfähig.
Somit gilt der sogenannte "Nebeneinanderausschluss" dann, wenn diese Leistungen in einer Sitzung erbracht werden. Nur so kann die Formulierung "nicht neben" in den allgemeinen Bestimmungen des EBM verstanden werden. Grundsätzlich ist als Sitzung ein zeitlich zusammenhängender Arzt-Patienten-Kontakt zu verstehen (Deutsches Ärzteblatt 100 Heft 30 Seite A 2030). Hier ergibt sich das Problem, dass bei der Ziffer 14310 ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt nicht zum obligatorischen Leistungsinhalt gehört und in der Tat - wie von Klägerseite vorgetragen - in einer ersten Sitzung die Leistungen nach Ziffer 14310 von nichtärztlichen Mitarbeitern erbracht werden, während erst in einer zweiten Sitzung die Leistungen nach der Ziffer 14220 im Beisein der Fachärztin erfolgen. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei dem Begriff der Sitzung um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Auslegung zugänglich ist. Maßgeblich ist deshalb, wie dieser Begriff vom Standpunkt eines objektiven Beobachters aus zu verstehen ist. Danach spricht viel dafür, dass es maßgeblich auf die Präsenz des Patienten in einer Arztpraxis ankommt, das heißt, hat sich der Patient ohne zeitliche Unterbrechung in der Praxis zu diagnostischen und/oder therapeutischen Leistungen aufgehalten. Für diese Sichtweise spricht auch, dass die von nichtärztlichem Personal erbrachten Leistungen letztendlich dem Arzt zugerechnet werden, dieser diese Leistungen überwacht (§ 6 Abs. 1 S. 2 Sozialpsychiatrievereinbarung) und das nichtärztliche Personal als Erfüllungsgehilfe des Arztes tätig wird. Im Übrigen werden die nichtärztlichen Leistungen über den Arzt abgerechnet. Nur dieser hat eine eigene lebenslange Arztnummer (LANR). Legt man diese Maßstäbe zugrunde, handelt es sich nur um e i n e Sitzung, so dass der Abrechnungsausschluss bei den Ziffern 14220 und 14310 zum Tragen kommt.
Daran ändern auch die Regelungen der Sozialpsychiatrievereinbarung nichts. Nach § 1 Sozialpsychiatrievereinbarung dient diese Vereinbarung der Förderung einer qualifizierten interdisziplinären sozialpsychiatrischen Behandlung von Kin-dern und Jugendlichen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. Dabei hat der an der Vereinbarung teilnehmende Arzt die interdisziplinäre Zusammenarbeit medizinischer, psychologischer, pädagogischer und sozialer Dienste zu gewährleisten (§ 3 Abs. 1 Sozialpsychiatrievereinbarung ). Aus § 6 Abs. 1 S. 1 und § 6 Abs. 1 S. 2 Sozialpsychiatrievereinbarung ergibt sich, dass alle Leistungen in diesem Zusammenhang einschließlich der von nichtärztlichem Personal erbrachten nach dem EBM vergütet werden. Die Bezugnahme auf den EBM bedeutet, dass die im EBM enthaltenen Abrechnungsausschlüsse Bestand haben und auch gelten, wenn Leistungen einerseits von nichtärztlichem Personal und andererseits vom Arzt selbst erbracht werden. Soweit dem nichtärztlichen Personal die Erbringung von Leistungen zugestanden wird, handelt es sich zwar um ein partielles Außerkrafttreten des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung, was sich jedoch nicht auf die Abrechnungsbestimmungen auswirkt.
Abgesehen davon könnte die Sozialpsychiatrievereinbarung die Abrechnungsausschlüsse im EBM nicht außer Kraft setzen. Zwar sind sowohl der EBM als auch die Sozialpsychiatrievereinbarung Bestandteil der Bundesmantelverträge (EBM: § 87 Abs. 1 S. 1 SGB V; Sozialpsychiatrievereinbarung: § 85 Abs. 2 S.4 und § 43a SGB V). Bei dem EBM handelt es sich aber um die speziellere Regelung hinsichtlich der abrechnungsfähigen Leistungen (§ 87 Abs. 2 S. 1 SGB V), so dass dieser Regelung der Vorrang gebührt. Allein der Umstand, dass es zweckmäßig sein kann, die Leistungen wegen der regionalen Verhältnisse ( Praxis mit großem Einzugsbereich, lange Anfahrtswege für Patienten) an einem Tag zu erbringen, vermag Abrechnungsausschlüsse nicht außer Kraft zu setzen.
Dessen ungeachtet sieht das Gesetz in § 85 Abs. 2 S. 4 SGB V vor, dass ange-messene Vergütungen für nichtärztliche Leistungen zu vereinbaren sind. Dies ist in der Sozialpsychiatrievereinbarung in Form der Kostenpauschale nach § 6 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 zur Sozialpsychiatrievereinbarung geschehen. Für die Interpretation der Klägerseite, die aus der Formulierung "zusätzlich" in Anlage 2 zur Sozialpsychiatrievereinbarung im Ergebnis herleiten will, deshalb dürfe ein Abrechnungsausschluss nicht bestehen, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Wenn das der Fall wäre, hätten zusätzliche Vergütungen nicht im EBM, sondern in der Sozialpsychiatrievereinbarung zusätzlich zur Kostenpauschale abgebildet werden müssen. Vielmehr ist § 6 Abs. 2 S. 1 und S. 2 zu entnehmen, dass die Kostenpauschale gemäß Anlage 2 insbesondere die Kosten ab gelten soll, die dem Arzt für die Beschäftigung der unter § 3 Abs. 2 aufgeführten Mitarbeiter entstehen. Darüber hinausgehende Vergütungsansprüche enthält die Sozialpsychiatrievereinbarung nicht. Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Pauschale nicht angemessen ist. Immerhin wird nach Anlage 2 eine Kostenpauschale von 163 EUR (1. bis 350. Behandlungsfall) und von 122,25 EUR (ab dem 351. Behandlungsfall) gewährt.
Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG- wie von Klägerseite geltend gemacht wird - liegt ebenfalls nicht vor. Denn es handelt sich um keine Maßnahme, die die Klägerin von der Erbringung vertragsärztlicher Leistungen ausschließt. Die Regelungen stellen weder eine Beschränkung der Berufswahl, noch eine Beschränkung der Berufsausübung dar. Ebenfalls ist Art. 14 GG nicht verletzt. Denn Art. 14 GG schützt nur das Erworbene und die Ergebnisse, nicht aber die berufliche Betätigung sowie Chancen und Verdienstmöglichkeiten (BVerfG, Entscheidung vom 16.03.1971, Az. 1 BvR 52/66,1).
Somit ist der Nebeneinanderausschluss rechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn unterschiedliche Behandler in der Praxis der Klägerin die Leistungen er-bracht haben sollten. Im übrigen wurde bei der Abrechnung nicht kenntlich ge-macht, dass unterschiedliche Behandler tätig waren. Es bleibt deshalb dabei, dass nur dann von mehreren Sitzungen an einem Tag (Ausnahmekonstellation) ausgegangen werden kann, wenn vom Arzt eine sog. "Tagtrennung" mit Uhrzeitangabe erfolgt. Eine solche fand aber durch die Klägerin nicht statt. Es wäre Aufgabe der Klägerin gewesen, diese Angaben in der Begründungsspalte zu machen. Jedenfalls unzureichend ist es, stattdessen anzugeben, "Fand nicht parallel statt". Denn - wie die Beklagte zutreffend ausführt - stellt eine "Tagtrennung" den Ausnahmefall dar und ist nicht regelhaft.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf allgemeine Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berufen, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG (BSG, Urteil vom 28.08.2013, B 6 KA 50/12 R), dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dem allgemeinen Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Denn die Duldung einer Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 14310 und 14220 EBM 2000 plus in der Vergangenheit verbunden mit der Erwartung der Klägerin, dass dies auch in Zukunft der Fall sei, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Beklagten erlischt erst dann, wenn sie diese bereits "verbraucht" hat. Dies ist dann der Fall, wenn in einem der Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren die Kassenärztliche Vereinigung die Honorarforderung auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit überprüft und vorbehaltlos bestätigt hat (BSG, Beschluss vom 11.12.2013, Az. B 6 KA 37/13 B; BSG, Urteil vom 08.02.2006, Az. B 6 KA 12/05 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2013, Az. L 5 KA 4911/10). Dagegen kann auch ein länger dauerndes Dulden einer rechtswidrigen Abrechnungspraxis durch die Beklagte dem nicht gleichgesetzt werden. Soweit in Folgequartalen keine Beanstandungen erfolgt sein sollten, ist dies unbeachtlich, da sich ein Vertrauensschutz nur auf in der Vergangenheit liegende Umstände gründen lässt.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
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