S 2 SO 310/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 310/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der am 00.00.2012 verstorbenen Tochter K X begehrt die Kostenerstattung unter dem Aspekt der Leistungen der Eingliederungshilfe.

Die am 19.10.1990 geborene K X hatte eine Tumorerkrankung im Rückenmarkskanal. Sie war auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie lebte zusammen mit ihrer Mutter N C und deren Ehemann in einem Einfamilienhaus, das im Jahre 1928 errichtet wurde. Das von der Tochter K benutzte Schlafzimmer befand sich im 2. Obergeschoss. Dorthin führte eine Wendeltreppe, die mit einem Scalamobil, einer Treppensteighilfe, ausgerüstet war, zu deren Bedienung eine Hilfsperson erforderlich war.

Am 08.04.2010 richtete der Ehemann der jetzigen Klägerin an einen Herrn S X1 vom Kreis Höxter eine Email, in der er diesen fragt, ob er ihm helfen könne, ob es Zuschüsse von der Fürsorgestelle für Umbauten und Anschaffungen eines Senkrechtlifts gebe. Am 14.04.2010 beantragte die Klägerin die Gewährung von Eingliederungshilfe für den Einbau einer Hubplattform außerhalb des Hauses und für einen Carport. Mit Schreiben vom 29.04.2010 wies der Beklagte darauf hin, dass für Maßnahmen der Wohnumfeldverbesserung die Pflege-kasse zuständig sei. Der Antrag wurde entsprechend an den Integrationsfachdiensts Paderborn-Höxter weitergeleitet. Der dann am 05.05.2010 gestellte Antrag bei der Pflegekasse auf Leistungen zur Wohnumfeldverbesserung wurde mit Bescheid vom 11.05.2010 abgelehnt.

Am 20.05.2010 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für vier Maßnahmen, nämlich den Einbau eines Senkrechtaufzugs, den Einbau eines Außenhubliftes, den Umbau des vorhandenen Autos auf Handgas und die Erstellung eines Carports mit Pflasterarbeiten der Zufahrt. Der Einbau eines Senkrechtaufzugs wurde dabei unter Zugrundelegung eines Kostenvoranschlags mit 29.631 Euro beziffert.

Bei einem Ortstermin am 02.06.2010 wurde festgestellt, dass der beantragte Senkrechtaufzug bereits eingebaut worden war. Mit Schreiben vom 09.06.2010 teilte die Klägerin hierzu mit, dass das Unternehmen S1-U 0-M, dessen Geschäftsführer ihr Ehemann sei, Teile des Wohnhauses und des Gartenbereichs für Demonstrations- und Ausstellungsstücke gemietet habe. Der eingebaute Aufzug sei als Ausstellungsstück im Haus aufgestellt.

Mit Bescheid vom 28.07.2010 lehnte der Beklagte die Gewährung der beantragten Leistungen ab. Zwar gehöre die Antragstellerin zum Personenkreis des § 53 SGB XII, der grundsätzlich Anspruch auf Eingliederungshilfe habe. Der Antragstellerin habe ausweislich des Pflegegutachtens des MdK vom 17.03.2010 innerhalb des Hauses ein Treppensteiggerät, ein Scalamobil, zur Erreichung ihres Zimmers und des Badezimmers mit personeller Hilfe zur Verfügung gestanden. Die Notwendigkeit weiterer Baumaßnahmen wurde vom MdK verneint. Ferner wurde der Senkrechtlift bereits eingebaut, bevor der Antrag beschieden werden konnte.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Der Sachverhalt sei bereits durch die Email offengelegt und beantragt worden. Der Senkrechtaufzug sei notwendig, um das Haus eigenständig und ohne fremde Hilfe verlassen zu können, um zur Ausbildungsstelle beim Finanzamt gelangen zu können. Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 16.09.2010

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Email vom 08.04.2010 beinhalte lediglich eine kurze allgemeine Anfrage. Der Antrag sei am 14.04.2010 für einen Carport gestellt und am 20.05.2010 auf den Senkrechtaufzug erweitert worden. Bei dem Ortstermin am 02.06.2010 sei festgestellt worden, dass der Aufzug bereits installiert worden und das Scalamobil entfernt worden sei. Dadurch sei nicht mehr nachprüfbar, ob die bisherige Versorgung ausreichend gewesen sei. Auch die Einholung alternativer Kostenvoranschläge sei dadurch verhindert worden. Der Hilfebedarf sei bereits durch den Aufzug, der als Ausstellungsstück zu geschäftlichen Zwecken des Reha-Unternehmens installiert worden war, gedeckt worden. Vor dem Hintergrund der Nachrangigkeit sei die Leistung daher zu versagen gewesen. Da bereits vorher ein vorhandenes Treppenliftsystem zur Verfügungen gestanden habe, sei es zumutbar gewesen, die Entscheidung des Kostenträgers abzuwarten. Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Widerspruchsbescheid vom 23.11.2010.

Mit der dagegen erhobenen Klage wird das Anliegen weiter verfolgt. Es wurde eine Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. H vom 31.05.2011 (in Fotokopie) vorgelegt, wonach K X nicht in der Lage war, ein Treppensteiggerät zu führen. Am 13.08.2012 wurde mitgeteilt, dass K X am 00.00.2012 verstorben ist. Auf die gerichtliche Nachfrage vom 14.09.2012, ob eine Frist nach § 15 SGB IX mit der Ankündigung der Selbstbeschaffung gesetzt worden sei, wurde von der Klägerseite mitgeteilt, dass diese nicht erfolgt sei. Der Beklagte habe durch die Email vom 08.04.2010 und ein anschließendes Telefonat hinreichende Kenntnis vom Bedarf gehabt, so dass ein hinreichender Leistungsantrag vorgelegen habe. Der Senkrechtlift sei auch notwendig gewesen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Kostenerstattung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt er ebenfalls seine bisherigen Ausführungen.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Akte des Verwaltungsverfahrens. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin ist nicht im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2010 ist rechtmäßig und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrten Maßnahmen aus der Eingliederungshilfe aus dem Bereich der Wohnumfeldverbesserung. Denn der Einbau von Treppensteighilfen gleich welcher Art war bereits dadurch gedeckt, dass Aufzugvorrichtungen in das Wohnhaus vom S1-U 0-M eingebaut worden waren, ohne dass die Leistungen von dem Beklagten bewilligt worden waren. Dies gilt auch für die weiteren begehrten Maßnahmen wie den Bau des Carports nach Abriss der Garage, die nach dem Vortrag der Klägerseite im Rahmen der Schaffung der Barrierefreiheit im Wege gestanden habe. Auch die Bestimmungen über den Kostenersatz selbstbeschaffter Reha-Mittel bei eventuell zu langsamem Handeln der Versorgungsbehörde wurden nicht eingehalten.

Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs.1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs.2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs.3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Men-schen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs.4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch. Hiervon ausgehend gehörte die verstorbene K X aufgrund ihrer schweren Behinderung ausweislich des Pflegegutachtens, das bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegen hat, zum Personenkreis des § 53 SGB XII, der aufgrund seiner Behinderung grundsätzlich Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen kann. Das ist auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt worden. Der Anspruch auf die streitgegenständlichen Leistungen scheitert jedoch am Grundsatz des Bedarfsdeckungsprinzips. Da jedenfalls durch den Einbau der Aufzugsvorrichtungen das Haus bereits vor der Entscheidung über die Gewährung von Eingliederungshilfe behindertengerecht umgerüstet worden war, fehlt es im Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewilligung an einem Bedarf nach den begehrten Leistungen. Gleichzeitig kann somit auch dahin stehen, ob die Versorgung bereits durch das seinerzeit von der Krankenkasse bewilligte Scalamobil erfüllt gewesen wäre. Jedenfalls durch die vor der Entscheidung über die Leistungsbewilligung vorgenommenen Umbauten war der Bedarf gedeckt.

Die Zahlung kann auch nicht unter dem Aspekt der selbstbeschafften Reha-Leistung begehrt werden. Kann über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb der in § 14 Abs. 2 genannten Fristen entschieden werden, teilt der Rehabilitationsträger dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mit. Erfolgt die Mitteilung nicht oder liegt ein zureichender Grund nicht vor, können Leistungsberechtigte dem Rehabilitationsträger eine angemessene Frist setzen und dabei erklären, dass sie sich nach Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst beschaffen. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für die Träger der Sozialhilfe, der öffentlichen Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge.

Hiervon ausgehend ist die Norm des § 15 SGB IX im Bereich der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII grundsätzlich anwendbar, die tatbestandlichen Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt.

Zunächst einmal gilt in der Sozialhilfe als dem Regelwerk der Grundsicherung der Bedarfsdeckungsgrundsatz mit der Konsequenz, dass keine Hilfe für die Vergangenheit geleistet wird. Dies kommt hier in § 15 Abs.2 S.4 SGB IX zum Ausdruck, wonach die Sätze 1 bis 3 u.a. nicht für die Träger der Sozialhilfe gelten. Da es sich bei der Gewährung von Eingliederungshilfe materiell-rechtlich jedoch um einen Regelungsgehalt handelt, der mit der eigentlichen Existenzsicherung im Sinne des dritten und vierten Kapitel des SGB XII, also der Sozialhilfe im engeren Sinne, nichts zu tun hat, sondern als das Recht der materiellen Versorgung behinderter Menschen eigentlich dem Neunten Buch des SGB, kurz SGB IX, also dem Buch über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen zuzuordnen ist, wenn man dies konsequent als Leistungsgesetz gestaltet hätte, erachtet das Gericht hier die Bestimmung des § 14 Abs.2 SGB IX grundsätzlich für anwendbar, so dass im Bereich der Eingliederungshilfe grundsätzlich die Erstattung selbstbeschaffter Eingliederungs- oder Reha-Leistungen durch behinderte Menschen begehrt werden kann.

Doch auch wenn man den Anwendungsbereich des § 15 SGB IX für eröffnet erachtet, wie es die hiesige Kammer im Wege der systematischen Auslegung sieht, so sind die Voraussetzungen dieser Norm nicht erfüllt. Denn § 15 Abs.2 SGB IX verlangt in allen Varianten, dass der Antragsteller dem Leistungsträger eine Frist mit der Ankündigung der Selbstbeschaffung der Leistung setzt. Diese Frist ist letztlich vom Sinn und Zweck vergleichbar mit der Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung im zivilrechtlichen Bereich. Eine solche letzte Frist zum Handeln hat die Klägerseite dem Beklagten nicht gesetzt, ehe der Bedarf eigenständig gedeckt wurde.

Dass die Mutter der verstorbenen K X ihre Rechtsnachfolgerin in diesem Verfahren ist, ergibt sich aus § 56 SGB I. Fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen stehen gemäß § 56 SGB I beim Tod des Berechtigten nacheinander 1. dem Ehegatten, 1a. dem Lebenspartner, 2. den Kindern, 3. den Eltern, 4. dem Haushaltsführer zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Mehreren Personen einer Gruppe stehen die Ansprüche zu gleichen Teilen zu. Hiervon ausgehend ist Rechtsnachfolgerin nur die leibliche Mutter N C, da nur sie anders als der noch leibliche Vater C1 X mit ihr gemeinsam im Haushalt gelebt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved