L 11 KR 3597/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 4224/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3597/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherte der GKV, die an einem Colonkarzinom erkrankt sind, welches derart fortgeschritten ist, dass nur noch palliative Behandlungen möglich sind, haben keinen Anspruch auf eine zusätzlich zu einer (von der Krankenkasse bezahlten) Chemotherapie durchgeführten (additiven) Behandlung mit niederfrequenter Hyperthermie (sog Elektrohyperthermie oder Onkothermie; Behandlungsjahre 2008 und 2009).
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2013 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung einer ambulanter Hyperthermiebehandlung iHv noch 3.338,22 EUR streitig.

Der Kläger ist Ehemann der am 15.03.1953 geborenen und am 15.02.2009 verstorbenen I. D., die bei der Beklagten krankenversichert war (im Folgenden: Versicherte). Bei der Versicherten wurde im August 2007 ein Colonkarzinom mit Lebermetastasierung festgestellt. Im August 2007 wurde operativ ein Stück des Dickdarms entfernt (Hemicolektomie rechts). Im Oktober 2007 erfolgte eine atypische Resektion des Lebersegments VIII und die Exstirpation eines befallenen Lymphknotens. Ab November 2007 wurde eine adjuvante Chemotherapie mit drei Zyklen Folfox, Oxiplatin, Calciumfolinat, 5 FU 400 und 5 FU 600 durchgeführt. Im Januar 2008 wurden insgesamt acht Lebermetastasen festgestellt. Ab Februar 2008 wurde eine Chemotherapie mit Folfiri sowie Avastin und Irinotecan, Folinsäure, 5 FU 400, 5 FU 600 und Bevacizumab durchgeführt. Ab dem 05.02.2008 wurde parallel ergänzend zur Chemotherapie eine Niederfrequenzhyperthermie (13,56 MHz) angewandt. Eine CT-Untersuchung im April 2008 zeigte eine rückläufige Tendenz des Krankheitsgeschehens. Trotz Fortführung der Behandlung wurde bei einer CT-Untersuchung im August 2008 eine Größenprogression der Metastasen im linken Leberlappen festgestellt. Ab August 2008 erfolgte eine Umstellung der Medikation auf Avastin-Erhaltungstherapie und ab September 2008 auf Irinotecan und Cetuximab. Im November 2008 zeigte eine weitere CT-Untersuchung ein Größenwachstum der Metastasen im linken Leberlappen sowie neue Metastasen im Bereich der Leberpforte. Ab Dezember 2008 nahm der Leberkapselschmerz zu. Die Versicherte verstarb am 15.02.2009.

Mit Schreiben vom 15.02.2008 beantragte die Versicherte bei der Beklagte die Übernahme der Kosten für die ab 05.02.2008 durchgeführte Hyperthermiebehandlung und legte hierzu ein Schreiben von Dr. M.-H. vom Zentrum für Integrative Onkologie in der F.-Klinik vor. Hierin beantragte er die Kostenübernahme für die Tiefenhyperthermie, die im Therapiekonzept 25 Sitzungen umfasse (Kosten je Sitzung 145,14 EUR). Bei der lokoregionären Tiefenhyperthermie werde eine Überwärmung der Tumorzellen mittels hochfrequenter Wellen angestrebt, wodurch es zu einer Tumorhypoxämie (Sauerstoffmangel) und Entwicklung eines sauren Zellmilieus sowie zu einer Nährstoffverarmung im Tumor komme. Hierdurch werde der Zellstoffwechsel gestört und es könne zum Zelltod kommen. Die verabreichte Chemotherapie erfahre durch die Hyperthermie eine Wirkungsverstärkung am Tumor. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin von der Hyperthermie profitiere.

Mit Bescheid vom 26.02.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Welche Leistungen die Ärzte mit den Krankenkassen abrechnen dürften, entscheide der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (GBA). Die Leistungen müssten dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen und wirtschaftlich und zweckmäßig sein. Die lokoregionäre Hyperthermie erfülle diese Voraussetzungen nicht. Auf den Widerspruch der Versicherten führte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 19.03.2008 aus, dass die Tiefenhyperthermiebehandlung bereits mit Beschluss des GBA vom 18.01.2005 aus der ambulanten vertragsärztlichen Behandlung herausgenommen worden sei. Auch hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies darauf, dass die Beklagte in anderen Fällen entsprechende Kosten bereits übernommen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mit dem Ausschluss der regionären Tiefenhyperthermie als vertragsärztliche Leistung könnten die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten einer Hyperthermiebehandlung nicht übernehmen. Eine Ausnahme hiervon habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zugelassen, wenn einem gesetzlich Krankenversicherten für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Bei einem Kolonkarzinom mit Lebermetastasen handele es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung, es stehe mit der Chemotherapie durch verschiedene hierfür zugelassene Arzneimittel eine allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung. Ein Anspruch auf Kostenübernahme bestehe daher nicht.

Hiergegen richtet sich die am 17.06.2008 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Der Kläger, der den Rechtsstreit fortgeführt hat, trägt zur Begründung der Klage vor, die Hyperthermiebehandlung sei seiner Ehefrau von dem Onkologen Dr. M.-H. empfohlen worden, nachdem sich trotz zweier Operationen und durchgeführter Chemotherapie Anfang 2008 acht neue Metastasen in der Leber gebildet hätten. Die Begründung des Beschlusses des GBA von 2005, die Vielzahl der technischen Varianten der Hyperthermie belege, dass sich die Technologie noch im Stadium der Forschung und Entwicklung befinde, sei überholt. Zwischenzeitlich seien gesicherte Erkenntnisse dafür vorhanden, dass die Hyperthermie Wirkung zeige und angesichts des Wertes des Lebens wirtschaftlich durchaus vertretbar sei. Die Hyperthermie sei mittlerweile flächenweit verbreitet. Der Methode komme in der medizinischen Fachdiskussion ein solches Gewicht zu, dass eine erneute Überprüfung durch den GBA veranlasst sei. Der Erstattungsanspruch scheitere auch nicht an formalen Gründen. Es habe sich um eine lebensgefährliche Erkrankung gehandelt, deren Behandlungsaufnahme unmittelbar geboten gewesen sei. Hätte seine Ehefrau einen Bescheid der Beklagten abgewartet, hätte sie allein dadurch mindestens drei Wochen wertvoller Behandlungszeit verloren. Der Kläger hat Rechnungen von Dr. M.-H. vom 17.03.2008 über 14 Sitzungen Tiefenhyperthermie im Zeitraum 05.02. bis 14.03.2008 und vom 11.06.2008 über 23 Sitzungen Tiefenhyperthermie in der Zeit vom 11.04. bis 11.06.2008 vorgelegt, insgesamt über 5.370,18 EUR.

Das SG hat den behandelnden Onkologen Dr. M.-H. in nichtöffentlicher Sitzung am 22.04.2010 als sachverständigen Zeugen vernommen. Dr. M.-H. hat die Klägerin von November 2007 bis zu ihrem Tod behandelt. Er hat ausgesagt, das Therapiekonzept sei von Anfang an palliativ ausgerichtet gewesen, es habe zu keinem Zeitpunkt wegen der Leberbeteiligung Aussicht auf Heilung bestanden. Die Hyperthermie sei in Ergänzung zu der leitlinienorientierten onkologischen Standardtherapie durchgeführt worden. Unter der Kombination von 5 FU, Irinotecan und Leukovorin mit lokoregionärer Tiefenhyperthermie habe sich der Gesundheitszustand der Versicherten zunächst erfreulich positiv entwickelt, es sei zu einem Rückgang der Beschwerden im Bereich des rechten Oberbauches, einer Remission der bekannten Lebermetastasen und einem Abfall des Tumormarkers gekommen. Insgesamt seien 62 Hyperthermiebehandlungen bis September 2008 durchgeführt worden.

Das SG hat zudem den Radio-Onkologen Prof. Dr. B. vom Universitätsklinikum T. mit der Erstellung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Prof. Dr. B. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass zu Beginn der Colonkarzinomerkrankung mittels ausgedehnter Operation eine vollständige Heilung erzielt werden könne, wenn keine Lebermetastase vorliege. Sei die Lebermetastase einer radikalen Resektion zugänglich, könne auch dann noch eine Heilung erreicht werden, sofern keine weiteren Lebermetastasen aufträten. Dies sei jedoch bei der Versicherten der Fall gewesen. Bei ihr habe eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit vorgelegen. Bei nicht metastasierten, lokal fortgeschrittenen Stadien gäben die aktuellen Studien 5-Jahres-Überlebensraten von 60 bis über 70 % an. In weiter fortgeschrittenen, metastasierten Stadien fielen die Überlebensraten sehr deutlich auf 8,3 % oder noch geringer ab. Das Behandlungsziel sei zunächst die Heilung gewesen, mit Auftreten weiterer Lebermetastasen im Januar 2008 habe sich dieses jedoch auf die Palliation verschoben. Standardtherapie beim Colonkarzinom sei die Behandlung nach dem "Folfox"- und "Folfiri"-Schema. Für die Versicherte hätten alle notwendigen, allgemein anerkannten bzw dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung gestanden. Sie sei entsprechend gültiger Therapiestandards behandelt worden. Einzig die metrononische Xeloda-Celebrex-Therapie habe wegen allergischer Reaktion abgebrochen werden müssen. Trotz der Chemotherapie nach dem "Folfox"-Schema von November 2007 bis Januar 2008 seien neue Lebermetastasen aufgetreten, weswegen der Wechsel zum "Folfiri"-Schema plus Bevacizumab (Avastin) vollzogen worden sei. Unter dieser Behandlung habe sich bei einer CT-Untersuchung zwei Monate später eine partielle Remission gezeigt. Nach Ende der Folfiri-Therapie im Juni 2008 habe im August 2008 eine CT-Kontrolluntersuchung einen Größenprogress der Metastase im linken Leberlappen gezeigt. Die im August 2008 begonnene Avastin-Erhaltungstherapie habe einen weiteren Größenprogress der Metastase nicht verhindern können. Damit sei der Wechsel auf Irinotecan und Cetuximab erfolgt. Auch diese Chemotherapie sei im November 2008 mittels CT kontrolliert worden, es habe sich ein Größenprogress der Metastase im linken Leberlappen gezeigt und der Verdacht auf weitere Metastasen im Bereich der Leberpforte. Hieraus ergebe sich, dass etwa ab April 2008 sämtliche Standard-Chemotherapien, die in leitliniengerechter Abfolge zum Einsatz gekommen seien, versagt hätten. Die tumorbiologische Ursache sei in einer multiplen Resistenz der Colonkarzinomzellen zu suchen. In einer solchen, schwierigen therapeutischen Situation könne die Hyperthermie durchaus eine sinnvolle Ergänzung zur onkologischen Standardbehandlung darstellen, zumal Hinweise in der wissenschaftlichen Literatur bestünden, dass mittels Hyperthermie Mehrfachresistenzen durchbrochen werden könnten. Das Behandlungsziel sei eine Verbesserung der Wirksamkeit der bestehenden Chemotherapeutika. Allerdings sei der Einsatz der Hyperthermie nur nach den Qualitätskriterien der Deutschen Gesellschaft für Hyperthermie nachvollziehbar. Es sei in Frage zu stellen, ob an der F.-Klinik die dafür notwendige apparative Ausstattung voll umfänglich zur Verfügung stehe. Besonders die Messungen zur Überwachung des Temperaturverlaufs verlange eine spezielle Expertise; nur wenn insbesondere die sonden-kontrollierte Temperaturmessung fachgerecht durchgeführt werde, erreiche die Hyperthermie im Tumor auch einen Temperaturbereich, der tumorizid wirke. Dies sei hier in Frage zu stellen.

Ergänzend hat die Beklagte ein Gutachten des MDK Nordrhein, Kompetenz Centrum Onkologie vom 06.05.2011 vorgelegt. In diesem Gutachten kommen Prof. Dr. H. und Dr. W. zu dem Ergebnis, dass die durchgeführte Hyperthermiebehandlung nicht notwendig, damit auch nicht zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen sei. Bei der Versicherten hätten leitliniengerechte Standardtherapien zur Verfügung gestanden, die auch konsequent eingesetzt worden seien. Insbesondere verweisen die Gutachter darauf, dass die in der F.-Klinik durchgeführte Tiefenhyperthermie mit 13,56 MHz nicht den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für hypertherme Onkologie entspreche. Die wissenschaftliche Erprobung der Hyperthermie an spezialisierten akademischen oder akademisch angeleiteten Zentren sei ausschließlich mit Geräten einer Bauart erfolgt, die typischerweise Leistungen in der Größenordnung von ca 1.300 bis 2000 Watt hätten. Neben einer Temperaturdosisplanung schlössen die Behandlungen regelmäßig eine Verifikation der tatsächlich erzielten Temperaturen über Temperaturmessungen an der Körperoberfläche, in präformierten Hohlräumen, durch chirurgische Implantation von Thermosonden oder perkutane Einbringung von Thermosonden durch Punktion, zB direkt in den Tumor, ein. Dies sei erforderlich, weil der Temperaturbereich, in der Hyperthermie gegen Tumore nachgewiesenermaßen wirksam sei, nahe an der Grenze liege, an der auch gesundes Gewebe irreversibel geschädigt würden. Geräte mit einer vergleichsweise sehr niedrigen Frequenz von 13,56 MHz, wie sie in der F.-Klinik verwendet würden, genügten bezüglich der Art der Energieerzeugung und ihrer Anwendung sowie der Temperaturkontrolle internationalen Standardvorgaben nicht. Durch die niedrige Frequenz und die Art der Ankopplung sei bereits aus grundsätzlichen physikalisch-technischen Erwägungen eine Konzentration der Leistung auf eine kleine Struktur in einem Risiko-Organ unmöglich und ausgeschlossen. Es werde vielmehr eine ganze Region gleichmäßig erwärmt, eine differenzierte Dosisverteilung sei nicht möglich. Das Gerät verfüge nur über eine sehr niedrige Energieleistung von maximal 150 Watt, die es faktisch unmöglich mache, eine Temperaturverteilung zu erzielen, die zum einen einigermaßen vorhersehbar und zum anderen im Bereich akzeptierter therapeutischer Dosiszeitmuster liege. Die Leistung sei für eine effektive Hyperthermie zu niedrig. Die von Prof. Dr. B. zitierte Literatur beschreibe in weiten Teilen nicht die Onkothermie mit 13,56 MHz, sondern die wissenschaftlich anerkannte Hyperthermie, die sich hiervon maßgeblich unterscheide.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2012 hat Prof. Dr. B. zugestimmt, dass die Hyperthermie mittels Onkothermie unbestreitbar technische Defizite beinhalte. Aus allgemein onkologischer Sicht stehe außer Zweifel, dass die applizierte Hyperthermie zielgerichtet eingesetzt werden müsse. Die Vorbehalte gegenüber der apparativen Ausstattung und Messmethodik in der F.-Klinik seien daher im Gutachten deutlich angesprochen worden. Insgesamt sei die Versicherte weitgehend leitliniengerecht chemotherapeutisch behandelt worden, die Erkrankung habe dennoch einen sehr unerfreulichen Verlauf genommen. Daher sei nachzuvollziehen, dass die behandelnden Ärzte besondere Anstrengungen unternommen hätten, um die Erkrankung doch noch zu kontrollieren oder zumindest in ihrem Verlauf hinauszuzögern.

Mit Urteil vom 19.03.2013 hat das SG die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Kosten der ambulanten Hyperthermiebehandlung der Versicherten iHv 3.338,22 EUR zu erstatten und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei verpflichtet, die Kosten der in der Zeit vom 11.04. bis 11.06.2008 durchgeführten Hyperthermiebehandlung zu erstatten. Für diesen Zeitraum hätte die Beklagte der Versicherten die Behandlung als Sachleistung zur Verfügung stellen müssen. Zwar habe der GBA die Hyperthermie auch in Form der regionalen Tiefenhyperthermie in Kombination mit Chemotherapie durch Beschluss vom 18.01.2005 als nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode eingestuft. Der Leistungsausschluss gelte jedoch nicht ausnahmslos. In notstandsähnlichen Fällen könne eine Leistungspflicht bestehen, wenn der Versicherte an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Krankheit erkrankt sei, für diese eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Die Versicherte habe an einer lebensbedrohlichen Krankheit gelitten. Für das fortgeschrittene Krebsleiden habe eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung im kurativen Sinn nicht zur Verfügung gestanden. Nach übereinstimmender Einschätzung des behandelnden Onkologen Dr. M.-H. und der befassten medizinischen Gutachter habe spätestens ab Januar 2008 ein nicht mehr heilbares Krankheitsstadium bestanden, sämtliche Therapiemaßnahmen hätten dem Ziel gedient, ein weiteres Fortschreiten der Krebserkrankung aufzuhalten und die tumorbedingten Beschwerden zu lindern. Hierbei habe die Versicherte nicht allein auf die palliative Standardbehandlung in Form der durchgeführten Zweit- und Drittlinien-Chemotherapie verwiesen werden können. Denn diese seien nicht hinreichend wirksam gewesen. Dies entnehme die Kammer den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B., wonach bei der Versicherten ab April 2008 sämtliche Standard-Chemotherapien versagt hätten. Auch in der palliativen Behandlungssituation könne ein Versicherter nur dann auf eine dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode verwiesen werden, wenn ihm diese nach dem verfassungsrechtlichen Maßstäben zumutbar sei. In Anbetracht der Behandlungsperspektive, welche die begleitende Behandlung mittels Hyperthermie (vorgeblich) geboten habe, habe die Versicherte danach nicht auf die in ihrem Fall voraussichtlich wirkungslose palliative Standardbehandlung verwiesen werden können. Die kombinierte Anwendung von Chemotherapie und Hyperthermie habe ein Verbesserung der Effektivität der Chemotherapeutika versprochen mit der Aussicht, den Krankheitsverlauf im Sinne einer Verlängerung der Lebenszeit und Linderung der Beschwerden zu beeinflussen. Für die Hyperthermiebehandlung habe auch eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. und den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. M.-H. ergebe sich, dass ernsthafte Hinweise darauf existierten, dass die kombinierte Anwendung von Hyperthermie und Chemotherapie beim Krankheitsbild der Versicherten einen Zusatznutzen gegenüber der Standardbehandlung der Monochemotherapie aufweisen könne. Darüber hinaus belegten auch Studien zur Hyperthermie beim Colonkarzinom, dass in Einzelfällen eine Verzögerung des Krankheitsfortschreitens erreicht werden könne. Ein Wirksamkeitsnachweis durch wissenschaftliche Studien sei insofern nicht erforderlich, es genügten bereits Indizien für eine Aussicht auf spürbare Besserung des Krankheitsverlaufs. Letztlich werde dies auch durch das Gutachten des MDK bestätigt, in dem dargelegt werde, dass die Publikationen zur Anwendung von Hyperthermieverfahren die Notwendigkeit bekräftigten, den Stellenwert des Verfahrens weiterhin in wissenschaftlichen Studien zu überprüfen. Die negative Bewertung des GBA stehe dem nicht entgegen, da ein positives Votum des GBA den vollen wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit der Behandlungsmethode voraussetze, während nach der Rechtsprechung des BVerfG schon eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare Besserung ausreiche. Dass sich der GBA mit einer Methode befasst habe, könne nicht zu einer Änderung des Prüfungsmaßstabs führen. Die Beklagte könne auch nicht einwenden, Indizien für eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf seien nur im Falle der an den Universitäten praktizierten, technisch aufwendigen Hyperthermie gegeben, nicht aber für die bei der Versicherten durchgeführten Elektrohyperthermie mittels Niederfrequenzgerät. Sei die Hyperthermiebehandlung als Sachleistung zu erbringen gewesen, habe die Beklagte die Versicherte über geeignete Behandlungsangebote zu beraten, auf bestehende Bedenken hinzuweisen sowie Alternativen aufzuzeigen, gegebenenfalls auch einen Therapieplatz zu vermitteln. Unterlasse die Krankenkasse entsprechende Hinweise, könne sie sich nicht nachträglich darauf berufen, der Versicherte habe einen ungeeigneten Leistungserbringer gewählt oder in anderer Form versorgt werden müssen. Unbegründet sei die Klage bezüglich der Aufwendungen für die in den Monaten Februar und März 2008 durchgeführten Behandlungen, denn diese Kosten seien für Behandlungsleistungen angefallen, die größtenteils vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten in Anspruch genommen worden seien und daher nur im Falle einer unaufschiebbaren Leistung übernommen werden könnten. Ein solcher Notfall habe nicht vorgelegen. Erst ab April 2008 habe sich ein Versagen der Standardtherapien abgezeichnet und damit eine ausweglose Situation herausgebildet, die den begleitenden Einsatz von Hyperthermie gerechtfertigt habe.

Gegen das ihr am 09.08.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.08.2013 eingelegte Berufung der Beklagten. Das SG bestimme den Zeitpunkt des Eintritts des Versagens der Standardtherapien auf April 2008, weil in diesem Monat eine CT-Untersuchung durchgeführt worden sei, die noch kein Wachstum der Metastasen habe erkennen lassen. Ab welchem Zeitpunkt das im August 2008 festgestellte Tumorwachstum eingesetzt haben könnte, lasse sich jedoch nicht bestimmen. Das SG verkenne auch, dass additiv zu der palliativen Chemotherapie von Anfang an die Niederfrequenzhyperthermie ohne Unterbrechung bis September 2008 vorgenommen worden sei. Gleichwohl sei es bei der Versicherten zu einer Größenzunahme der Metastasen und zur Neuansiedlung von Tumoren im Bereich der Leberpforte gekommen. Das SG habe diesen Aspekt, dass die Niederfrequenzhyperthermie von Beginn der palliativen Chemotherapie an gleichzeitig eingesetzt worden sei, nicht ausreichend berücksichtigt. Unberücksichtigt lasse es auch, mit welcher Art der Hyperthermie die Versicherte behandelt worden sei. Prof. Dr. B. und alle bislang publizierten Mitteilungen und Untersuchungsberichte in der Fachliteratur bezögen sich auf die Hochfrequenzhyperthermie; zur Niederfrequenzhyperthermie seien keine medizinischen Untersuchungen vorgenommen worden. Prof. Dr. B. habe die Vornahme einer Niederfrequenzhyperthermie als Verstoß gegen die Qualitätskriterien der Deutschen Gesellschaft für Hyperthermie gewertet. Auch die Annahme des SG, die Beklagte hätte eine ausreichende Beratung der Versicherten hinsichtlich der Unterschieden zwischen der Hochfrequenz- und der Niederfrequenzhypethermie unterlassen, gehe fehl. Die Versicherte habe bereits am 05.02.2007 die Behandlung mit Dr. M.-H. vereinbart, die Kostenübernahme aber erst mit Brief vom 15.02.2008 beantragt. Für diesen Zeitpunkt habe sie die Behandlung längst aufgenommen gehabt, sodass eine Beratung nicht mehr möglich gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2013 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Gutachten von Prof. Dr. B. sowie die Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. M.-H. hätten ergeben, dass die Anwendung von Hyperthermie und Chemotherapie vorliegend einen Zusatznutzen gegenüber der Standardbehandlung aufweisen könne. Eine retrospektive Betrachtungsweise könne hierbei nicht herangezogen werden. Ein wie auch immer geartetes Beratungsangebot oder gar ein Hinweis auf eine vorzugswürdige Hochfrequenztherapie sei nie erfolgt. Im Übrigen müsse bestritten werden, dass die durchgeführte Behandlung keinen positiven Effekt auf die Krankheitsentwicklung gehabt habe, zumindest könne ein positiver Effekt nicht ausgeschlossen werden. Sämtliche, für die Erstattungsfähigkeit der Behandlung erforderlichen gesetzlichen bzw von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen lägen vor.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung der durch die von April bis Juni 2008 erfolgten Hyperthermiebehandlungen entstanden Kosten von 3.338,22 EUR verurteilt. Die Bescheide der Beklagten vom 26.02.2008 und 19.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2008 sind rechtmäßig und verletzen auch den Kläger als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten nicht in seinen Rechten. Da schon der Versicherten weder ein Sachleistungsanspruch auf Zurverfügungsstellung der ambulanten Hyperthermiebehandlung noch ein an seine Stelle getretener Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugestanden hatte, kann auch der Kläger als vorrangiger Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht die Erstattung der Kosten für einen Teil der Hyperthermiebehandlungen verlangen. Im Berufungsverfahren nicht mehr streitig ist die Kostenerstattung für die im Februar und März 2008 durchgeführten Hyperthermiebehandlungen, denn insoweit ist das klageabweisende Urteil rechtskräftig geworden.

Auch hinsichtlich der noch streitigen Kosten iHv 3.338,22 EUR besteht kein Erstattungsanspruch des Klägers. Der Versicherten sind zwar Kosten in dieser Höhe entstanden, wie sich aus der Rechnung von Dr. M.-H. vom 11.06.2008 ergibt. Diese Kosten sind dem Kläger indes nicht zu erstatten. Da die Versicherte nicht nach § 13 Abs 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hatte, kommt als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch nur § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der danach in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, Breithaupt 2010, 914 mwN).

Der Senat kann vorliegend offen lassen, ob der Kostenerstattungsanspruch für die ersten Sitzungen der Hyperthermiebehandlung bereits an der fehlenden Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung scheitert, weil der Beschaffungsweg nicht eingehalten ist. Denn Streitgegenstand sind allein die ab April 2008 durchgeführten Behandlungen. Der Kostenerstattung steht jedoch in jedem Fall entgegen, dass die durchgeführten Hyperthermiebehandlungen nicht zu den durch die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu gewährenden Leistungen gehört.

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die ärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 und 3 SGB V) durch zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigte Behandler (§ 76 Abs 1 Satz 1 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst jedoch nur solche Leistungen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§§ 2 Abs 1 und 12 Abs 1 SGB V). Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. Die Krankenkassen sind deshalb nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111, 137).

"Neu" ist eine Methode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten ist (BSG 05.05.2009, B 1 KR 15/08 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 16 mwN). Gemessen daran ist die lokoregionäre Tiefenhyperthermie neu. Es fehlt auch an der nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V erforderlichen befürwortenden Entscheidung des GBA, ohne die neue Behandlungsmethoden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht gewährt werden können. Der GBA hat im Gegenteil nach Anlage 2 Nr 42 der Methoden-Richtlinie die Hyperthermiebehandlung (ua Ganzkörperhyperthermie, regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie) ausdrücklich als nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode angesehen (Beschluss des GBA vom 18.01.2005, BAnz 2005, S 7485).

Ein Ausnahmefall des Systemversagens liegt nicht vor. Ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 12 mwN). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil sich der GBA mit streitigen Behandlungsmethode der Hyperthermie befasst hat. Der Senat hat auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Prüfung, auf der der Beschluss des GBA vom 18.01.2005 beruht, fehlerhaft war oder zwischenzeitlich an Validität eingebüßt hätte. Seit dem Beschluss des GBA vom 18.01.2005 bis zum Ende der Behandlung im Jahr 2008 ist nicht erkennbar, dass sich neue Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Hyperthermie ergeben hätten. Der Senat stützt sich insoweit auf das MDK-Gutachten von Prof. Dr. H. und Dr. W., die 2011 eine Literaturrecherche zur Hyperthermie beim Colonkarzinom durchgeführt haben und keinerlei einschlägige Publikationen finden konnten.

Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung stützen (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 25 Nr 12). Der Gesetzgeber hat den vom BVerfG formulierten Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf neue Behandlungsmethoden im Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, mit dem am 01.01.2012 in Kraft getretenen § 2 Abs 1a SGB V (Gesetz vom 22.11.2011, BGBl I 22983) Rechnung getragen. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine neue ärztliche Behandlungsmethode sei ausgeschlossen, weil der GBA diese nicht anerkannt habe, verstößt dann gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

1. Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor; 2. bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung und 3. bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.

Ob die Rechtsprechung des BVerfG (06.12.2005 aaO) auch in den Fällen heranzuziehen ist, in welchen eine neue Behandlungsmethode bereits ausdrücklich vom GBA ausgeschlossen wurde, ist umstritten. Das BVerfG hat dies bislang ausdrücklich offen gelassen (BVerfG 29.11.2007, 1 BvR 2496/07, SozR 4-2500 § 27 Nr 17). Nach Auffassung des BSG ist für eine Anspruchsbegründung aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung regelmäßig kein Raum mehr, wenn der GBA - nach nicht zu beanstandender Prüfung - zu einer negativen Bewertung gelangt ist, denn dann ist auch verfassungsrechtlich gegen den Ausschluss einer Behandlungsmethode aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nichts einzuwenden, weil nach dem maßgeblichen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse medizinische Notwendigkeit, diagnostische und therapeutischer Nutzen sowie Wirtschaftlichkeit nicht hinreichend gesichert sind (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 12; dem folgend LSG Baden-Württemberg 27.04.2012, L 4 KR 5054/10, juris). Dagegen ist vor allem im einstweiligen Rechtsschutz die Auffassung vertreten worden, dass der Prüfungsmaßstab im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung ein anderer sei, ausreichend sei insoweit das Vorliegen von Indizien für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare Besserung (so LSG Nordrhein-Westfalen 22.02.2007, L 5 B 8/07 KR-ER und 19.11.2012, L 11 KR 473/12 B-ER; LSG Rheinland-Pfalz 15.07.2011, 5 KR 99/11 B-ER; alle juris). Welcher Auffassung letztlich zu folgen ist, kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch auch im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung hier nicht vor.

Die Versicherte war unstreitig an einem lebensbedrohlichen Colonkarzinom mit Lebermetastasen erkrankt, wie sich übereinstimmend aus den Unterlagen des behandelnden Arztes Dr. M.-H. und den vorliegenden Gutachten ergibt.

Nach dem Beschluss des BVerfG vom 26.02.2013 (1 BvR 2045/12, juris) bedarf es einer besonderen Rechtfertigung vor Art 2 Abs 1 Grundgesetz iVm dem Sozialstaatsprinzip, wenn den der Versicherungspflicht unterworfenen Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerechtliche Auslegung oder Anwendung vorenthalten werden. Die Frage, ob eine alternative Behandlungsmethode von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist, darf nicht losgelöst davon betrachtet werden, was die anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und was die alternative Behandlung zu leisten vorgibt. Zur Behandlung der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der Schulmedizin in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären. Bietet die Schulmedizin nur palliative Behandlungsmöglichkeiten an, weil sie jede Möglichkeit einer kurativen Behandlung als aussichtslos betrachtet, kommt ein Anspruch auf eine alternative Behandlungsmethode allerdings nur dann in Betracht, wenn eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg besteht. Versicherte dürfen nicht auf eine nur die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie verwiesen werden, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt werden können, reichen allerdings nicht aus.

Der Senat geht nach den auch insoweit übereinstimmenden Aussagen des behandelnden Arztes und der Gutachter davon aus, dass jedenfalls ab Januar 2008 mit Auftreten von acht Lebermetastasen die noch in Frage kommenden Behandlungsalternativen allein palliativen Charakter hatten, dh nur noch Behandlungen bereit standen, die auf den Erhalt bestmöglicher Lebensqualität durch optimale Schmerztherapie und Symptomkontrolle abzielten (siehe die Definition in: Pschyrembel, 261. Auflage). Eine Heilung wäre nach dem Gutachten von Prof. Dr. B. nur möglich gewesen, wenn der Tumor im Colon und die bestehende Lebermetastase chirurgisch komplett hätten entfernt werden können, ohne dass sich weitere Metastasen bilden. Dies war bei der Versicherten nicht der Fall, wie spätestens im Januar 2008 klar war. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt lag keine Möglichkeit der Heilung mehr vor.

Die für den geltend gemachten Anspruch nach dem BVerfG (26.02.2013, aaO) zwingend notwendige Aussicht auf einen kurativen Behandlungserfolg, der über den mit Mitteln der Schulmedizin erreichbaren palliativen Nutzen hinausgeht, liegt nach Überzeugung des Senats für die von der Versicherten begehrte Hyperthermiebehandlung nicht vor. Dabei stellt der Senat entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts darauf ab, ob bei prognostischer Betrachtung der Einsatz der begehrten Behandlungsverfahren eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliativen Standardtherapien hinausreichenden kurativen Erfolg bietet. Dies wird selbst von dem behandelnden Arzt Dr. M.-H. nicht behauptet. Er geht allerdings unter Hinweis auf Veröffentlichungen davon aus, dass die additive Behandlung mit Hyperthermie zusätzlich zur Chemotherapie zu einer Verlängerung der medianen Überlebenszeiten und zu einer Besserung der Lebensqualität führe.

Die Klägerin wurde leitliniengerecht mit Chemotherapie behandelt ab November 2007. Von einem Versagen der Standardtherapie ab April 2008 kann entgegen der Aussage von Prof. Dr. B. keine Rede sein. Zu diesem Zeitpunkt war es sogar zu einer teilweisen Remission gekommen. Auch die MDK-Gutachter führen überzeugend aus, dass die Standardtherapie bis Herbst 2008 leitliniengerecht durchgeführt worden war.

Auch wenn ab einem gewissen Zeitpunkt der Krankheitsverlauf mit der Standardtherapie nicht mehr beherrschbar war, fehlt es jedoch an der dritten Voraussetzung, dass eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bezüglich der hier angewandten Hyperthermie besteht. Unstreitig erreicht die Datenlage für das Colonkarzinom auch für die methodisch anspruchsvolle, wissenschaftlich fundierte Hyperthermie in weiten Teilen nicht das Evidenz-Niveau, wie es für eine klare Entscheidungsgrundlage zu fordern wäre. Dies bestätigt ausdrücklich Prof. Dr. B ... Für die hier durchgeführte Elektrohyperthermie gibt es dagegen überhaupt keine wissenschaftlichen Studien. Vielmehr steht für den Senat aufgrund der Ausführungen der MDK-Gutachter Prof. Dr. H. und Dr. W. sowie des Gutachters Prof. Dr. B. fest, dass bei Verwendung der niederfrequenten Hyperthermie mit 13,56 MHz Anhaltspunkte für eine therapeutische Wirkung nicht ersichtlich sind. Die Verfahren der wissenschaftlichen Hyperthermie und der hier zum Einsatz gekommenen Elektrohyperthermie bzw Onkothermie sind nicht gleichzusetzen. In der wissenschaftlichen Hyperthermie werden Ultrakurzwellen in einem Frequenzbereich zwischen 70 und 100 MHz eingesetzt, mit einer Wellenlänge zwischen 4,3 und 3 m; mit den verwendeten Geräten werden Leistungsstärken zwischen 1.200 und 1.800 Watt erreicht. Bei der Elektrohyperthermie werden elektromagnetische Wellen im Kurzwellenbereich mit einer Frequenz von 13,56 MHz und einer Wellenlänge von 22,1 m eingesetzt. Dabei ist die Wahl der Frequenz keinem medizinischen Gesichtspunkt geschuldet; sie fällt vielmehr in den Bereich eines ISM-Bands. Dabei handelt es sich um international festgelegte Frequenzbereiche, die von Hochfrequenzgeräten in Industrie, Wissenschaft und Medizin genutzt werden dürfen und umfangreiche Abschirmmaßnahmen erübrigen, was den Aufwand erheblich vermindert. In der wissenschaftlichen Hyperthermie werden die hochfrequenten Ultrakurzwellen über Antennen in hohen Energiestärken in das Gewebe eingestrahlt mit dreidimensionaler Steuerung des Energiefokus auf der Grundlage einer genauen Planung der Temperaturverteilung im Organismus unter Berechnung dreidimensionaler Temperaturverläufe. Das Prinzip der Elektrohyperthermie besteht in der Erzeugung eines Stromflusses zwischen zwei Elektroden, wobei die Platzierung nach Augenschein so erfolgt, dass die zu behandelnde Region im Bereich des Stromflusses liegt. Die Leitlinie Hyperthermie schreibt vor, dass bei wissenschaftlichen Hyperthermiebehandlungen mindestens ein Temperaturmesspunkt im Tumor oder in unmittelbarer Nachbarschaft vorhanden sein muss, wozu Messkatheter unter computertomographischer oder sonographischer Kontrolle implantiert werden. Bei der Elektrohyperthermie finden keine Temperaturmessungen im Zielgebiet statt, die Einstellung der Leistungsstärke erfolgt nach dem Befinden des Patienten. Von den technischen Abläufen unterscheidet sich das Verfahren der Elektrohyperthermie somit grundlegend von der wissenschaftlichen onkologischen Hyperthermie (vgl zum Ganzen U. Heyll, VersMed 2012, 70f). Die Gutachter Prof. Dr. B. sowie Prof. Dr. H. und Dr. W. sind insoweit übereinstimmend der Auffassung, dass die hier durchgeführte Elektrohyperthermie jedenfalls keine hinreichende Wirksamkeit aus wissenschaftlicher Sicht erwarten lässt. Der Senat stützt sich auf diese schlüssige und überzeugende Einschätzung und macht sie zur Grundlage seiner Beurteilung.

Aus dem vom SG hervorgehobenen Aspekt einer unterlassenen Beratung folgt nichts anderes. Abgesehen davon, dass die Versicherte schon vor der ersten Kontaktaufnahme mit der Beklagten den privaten Behandlungsvertrag mit Dr. M.-H. über zumindest 25 Sitzungen geschlossen hatte und sich somit auf diese Behandlung bereits festgelegt hatte, hat die Beklagte auch ansonsten keine Beratungspflichten verletzt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte verpflichtet sein sollte, die Versicherte über denkbare Behandlungen außerhalb des gesetzlichen Leistungsspektrums zu beraten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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