L 13 SB 11/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 SB 2075/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 11/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2012 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 20. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 verpflichtet, zu Gunsten des Klägers einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 11. Juni 2013 festzustellen. Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Der im Jahre 1955 geborene Kläger erhielt durch bestandskräftige Bescheide des Beklagten vom 13. Juni 2006 einen GdB von 20 und vom 30. September 2008 einen GdB von 30 zuerkannt. Auf seinen Neufeststellungsantrag vom 19. Februar 2010 erteilte der Beklagte unter dem 20. Juli 2010 einen Neufeststellungsbescheid, in dem er den GdB auf nunmehr 40 ansetzte. Dem lag zugrunde, dass eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule; degenerative Veränderungen der Wirbelsäule; operierte Bandscheide (intern bewertet mit einem GdB von 40) und ein Carpaltunnelsyndrom (Mittelnervendruckschädigung) rechts mit einem Einzel-GdB von 10 anerkannt wurde. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2011 mit der Begründung zurück, der GdB sei zutreffend bemessen. Neben den bereits beschriebenen Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des Carpaltunnelsyndroms wurde jetzt auch Bluthochdruck festgestellt, dies habe aber keinen Einfluss auf die Höhe des GdB.

Die hiergegen zum Sozialgericht Berlin erhobene Klage hat das Sozialgericht ohne Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens mit Gerichtsbescheid vom 7. Dezember 2012 mit der Begründung abgewiesen, der GdB sei zutreffend bemessen.

Im anschließenden Berufungsverfahren hat auf richterliche Beweisanordnung der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Privatdozent Dr. A A ein medizinisches Sachverständigengutachten unter dem 27. Juni 2013 erstattet. Darin ist er zu der Einschätzung gelangt, es sei nach dem Jahre 2008 zu verschiedenen Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers gekommen, die dazu führten, dass seither der GdB durchgehend mit 60 zu bewerten sei. Zwar sei der GdB im Bereich der Wirbelsäule mit 40, der GdB bezogen auf die Periarthritis am rechten Ellenbogengelenk mit einem Einzel-GdB von 10 und der Behinderungsgrad am rechten Hüftgelenk mit 10 zu bewerten, es bestünden aber deutliche Wechselwirkungen und nachhaltige wechselseitige Auswirkungen der einzelnen Behinderungen, weshalb der GdB von 60 anzusetzen sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2014 hat der Kläger sein Begehren auf die Feststellung eines GdB von 50 ab dem 11. Juni 2013 beschränkt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 20. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 zu verpflichten, zugunsten des Klägers ab dem 11. Juni 2013 einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Sachverständige habe zu Unrecht eine Addition der einzelnen Behinderungsgrade vorgenommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie hat in dem jetzt noch aufrecht erhaltenen Umfang auch Erfolg. Denn dem Kläger steht jedenfalls ab dem 11. Juni 2013, das heißt dem Tag der Untersuchung durch den Sachverständigen, ein GdB zumindest von 50 zu.

Die Bemessung des GdB beruht auf § 69 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersmedV). Nach Teil A 3. c VersmedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Nach A 3. d VersmedV muss aus der ärztlichen Gesamtschau heraus beachtet werden, dass die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander unterschiedlich sein können. Nach Buchstabe d, ee führen hierbei, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Grad der Behinderung von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.

Nach den vorstehenden Kriterien ist jedenfalls ab dem 11. Juni 2013 ein GdB von 50 nachgewiesen. Führendes Leiden ist insoweit das Wirbelsäulenleiden, das der Sachverständige in Übereinstimmung mit der bisherigen Einschätzung mit dem Wert von 40 bemessen hat, weil mittelgradige bis schwere funktionelle Einschränkungen mit Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten – nämlich der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule – vorliegen.

Der Senat hat darüber hinaus auch keine Zweifel, dass im vorliegenden Fall eine Ausnahme nach Teil A 3. d, ee VersmedV vorliegt. Wie der Sachverständige in jeder Hinsicht überzeugend ausgeführt hat, ist im vorliegenden Fall eine besonders nachteilige Auswirkung der Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule auf das rechte Schultergelenk sowie der Funktionsbeeinträchtigung der Lendenwirbelsäule auf das rechte Hüftgelenk zu verzeichnen. In einer vertieften Auseinandersetzung mit den vorangegangenen medizinischen Einschätzungen, die allerdings weitestgehend nach Aktenlage erfolgt waren, hat der Sachverständige zu Recht ausgeführt, dass zwar die Situation an der Wirbelsäule korrekt bewertet worden sei, jedoch die Situation am Schultergelenk und am gesamten rechten Arm einschließlich des Ellenbogens, die insgesamt in einer Wechselwirkung stünden zu dem festgestellten Status der Halswirbelsäule, nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, ebenso sei die Situation in der rechten Hüfte nicht ausreichend berücksichtigt worden, die in einer klaren Wechselwirkung zur Situation in der Lendenwirbelsäule stehe.

Vor diesem Hintergrund ist auch der auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme gestützte Einwand des Beklagten, der Sachverständige habe eine Addition der Werte vorgenommen, nicht gerechtfertigt. Vielmehr hat umgekehrt der Sachverständige sich mit den Besonderheiten des Einzelfalles und der Ausnahmesituation der vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers eingehend auseinandergesetzt und im Übrigen auch darauf hingewiesen, dass eine vorangegangene fachchirurgische Stellungnahme vom 30. Januar 2012 zu Unrecht im Bereich der Hüft- und Kniegelenke eine freie Beweglichkeit attestiert habe; diese ist nämlich durch die eigene Untersuchung des Sachverständigen wiederlegt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Ermessenswege, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers erst zu einem späteren Zeitpunkt des Verlaufes des Verfahrens nachgewiesen werden konnte.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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