Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 231/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 230/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 14/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Oktober 2011 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
II. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger streitet um die Feststellung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes (JAV) im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).
Der 1954 geborene Kläger kam auf dem Weg zu seiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität C-Stadt am 20. September 1983 mit dem Motorrad von der Fahrbahn ab, stürzte und zog sich eine komplette Querschnittslähmung ab dem 4. Brustwirbelkörper zu verbunden mit dem entsprechenden neurologischen Ausfällen. Er war seit 15. Juli 1981 als "wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss" an der C-Universität C-Stadt im Fachbereich Chemie mit 92 Stunden im Monat zu einem Jahreseinkommen von 21.126,58 DM brutto zuzüglich 1.902,83 DM Weihnachtsgeld (entsprechend einer halben A-13-Stelle) beschäftigt. Das vorangegangene Studium der Chemie hatte er als Diplom-Chemiker abgeschlossen. Er war verheiratet und hatte 3 Kinder. Nach Auskunft des Arbeitgebers vom 5. Dezember 1983 arbeitete der Kläger im Rahmen eines Sonderforschungsprojektes, wobei die über 92 Stunden hinausgehende monatliche Arbeitszeit laut Schreiben des Prof. Dr. D. vom 28. November 1983 zur Arbeit an seiner Doktorarbeit zur Verfügung stand. Nach einer Bescheinigung vom 14. Dezember 1983 war das Arbeitsverhältnis zunächst bis Ende 1983 befristet, wurde jedoch im Hinblick auf den Unfall bis Juli 1985 verlängert, so dass der Kläger seine Promotion am 13. Februar 1985 zum Abschluss bringen konnte. Die Möglichkeit einer Dauerbeschäftigung im Fachbereich Chemie hatte nach Mitteilung des Arbeitgebers vom 24. Februar 1985 nie bestanden. Ohne den Unfall hatte der Kläger den Abschluss der Promotion in einem Zeitraum von 3 – 6 Monaten bzw. im Februar 1984 geplant. Nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis an der C-Universität C-Stadt hatte der Kläger zunächst eine befristete Arbeitsstelle als promovierter Diplomchemiker am Institut für Strahlenhygiene bei der Außenstelle des Bundesgesundheitsamtes in F-Stadt. Von dort wurde er zum Jahresanfang 1989 an die Dienststelle des Institutes für Wasser-, Boden- und Lufthygiene in E-Stadt versetzt, wo er seit 1. Juni 2002 einen Telearbeitsplatz innehat. Im Jahr 2009 ist er mit 55 Jahren als Schwerbehinderter in Altersteilzeit gegangen. Nach Erleiden eines Unfalles im Februar 2012 mit Frakturen der linken unteren Extremität ist er seit 2013 von zu Hause aus tätig. Er ist seit 1994 verbeamtet und wird nach Ablauf der Altersteilzeit eine Pension beziehen (Angaben des Klägers im Erörterungstermin vom 22. Januar 2013).
Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bescheid vom 23. August 1985 Verletztenrente ab 1. Juni 1984 aufgrund einer MdE von 100 v.H. und ging dabei von einem Jahresarbeitsverdienst von 23.029,41 DM bzw. 23.331,09 DM aus. Als Unfallfolgen stellte sie fest:
Komplette Querschnittlähmung unterhalb Th 4; neurogene Blasen- und Mastdarmlähmung.
Erläuternd hat die Beklagte im Erörterungstermin vom 22. Januar 2013 ausgeführt, sie habe den Jahresarbeitsverdienst des Klägers nach den Einkünften aus der halben A-13-Stelle zu Grunde gelegt, da diese Einkünfte den Mindestjahresarbeitsverdienst überstiegen hätten.
Am 10. Januar 1986 beantragte der Kläger die Neuberechnung der Unfallrente nach § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) mit der Begründung, seine Promotion sei als berufliche Qualifikation für einen Chemiker unerlässlich gewesen, so dass sich der Unfall vor endgültigem Abschluss der Berufsausbildung ereignet habe. Die Beklagte teilte ihm mit formlosem Schreiben vom 23. Januar 1986 mit, dass seine Ausbildung zum Diplom-Chemiker zum Zeitpunkt des Unfalls bereits beendet gewesen sei, so dass eine Neuberechnung nach § 571 RVO erfolgt sei und eine Anwendung des § 573 Abs. 1 RVO ausscheiden müsse. Im September 1997 überprüfte die Beklagte intern den Jahresarbeitsverdienst im Hinblick darauf, ob nach Promotion des Klägers eine Neufeststellung hätte erfolgen müssen, verneinte dies aber, da nach der Rechtsprechung die Promotion nicht mehr der Berufsausbildung zuzurechnen sei.
Am 8. Dezember 2004 beantragte der Kläger erneut die Überprüfung des Jahresarbeitsverdienstes und vertrat die Auffassung, dieser sei auf der Grundlage einer vollschichtigen Berufstätigkeit als Diplom-Chemiker zu berechnen. Die Zugrundelegung der konkreten Verhältnisse im Jahr vor dem Unfall hinsichtlich der Teilzeittätigkeit als Doktorand sei in erheblichem Maße unbillig. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2006 und Telefonat vom 23. Februar 2007 bezog er sich wegen der Antragstellung auf die Bestimmung des § 44 SGB X mit dem Hinweis, die Einkommensabsenkung auf eine halbe Stelle sei nur vorübergehend gewesen und könne keinesfalls als der Beginn der normalen Berufstätigkeit als Diplom-Chemiker gewertet werden. Dagegen sprächen die individuellen Umstände zum Unfallzeitpunkt, wonach der Arbeitsvertrag ein reiner Forschungsarbeitsvertrag gewesen sei, die damalige Prüfungsordnung für Doktoranden den Nachweis von Fähigkeiten in zwei weiteren Fächern vorgesehen habe, er weiter immatrikuliert gewesen sei und Vorlesungen besucht habe und die Dauer des Arbeitsvertrages, die bewusst nur auf die Promotionszeit zugeschnitten gewesen sei. Er werde mit dem unverändert geringen JAV schlechter gestellt als Personen, die zum Zeitpunkt des Unfalles noch in Berufsausbildung gestanden oder als Personen, die ihre Berufsausbildung als promivierter Diplom-Chemiker beendet und eine Erwerbstätigkeit in diesem Beruf aufgenommen hätten. Daher sei bereits die anfängliche Festsetzung fehlerhaft gewesen und habe für ihn eine unbillige Härte bedeutet.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2008 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 23. August 1984 sowie die Neuberechnung der Verletztenrente auf der Grundlage eines höheren JAV ab. Die Promotion habe keine Ausbildung mehr dargestellt. Daran änderten auch die vom Kläger angeführten besonderen individuellen Umstände nichts, da für den Eintritt in ein Promotionsverfahren der ordentliche Abschluss eines Chemiestudiums vorausgesetzt werde. Die finanzielle Absicherung über eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter sei typisch für junge Naturwissenschaftler in dieser Lebensphase und damit nicht unbillig. Nach § 571 RVO sei der Lebensstandard oder soziale Status zugrunde zulegen, auf den sich der Versicherte zum Unfallzeitpunkt eingerichtet habe. Dieser sei beim Kläger seinerzeit durch längere Zeiten ohne Erwerbseinkommen während des Studiums und die nicht nur vorübergehende Ausrichtung auf eine Halbtagstätigkeit geprägt gewesen. Der dagegen am 12. März 2008 erhobene Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 zurückgewiesen. Die JAV-Festsetzung sei nach § 573 Abs. 1 RVO zutreffend erfolgt. Eine nachträglich Erhöhung nach § 573 RVO scheide aus, da der Kläger sich während der Halbtagsbeschäftigung, die auch der Promotion gedient habe, nicht mehr in Ausbildung sondern in einer beruflichen Weiterbildung befunden habe. Der JAV sei auch nicht unbillig im Sinne von § 577 RVO mit folgender Begründung:
"Mit Hilfe dieser Vorschrift soll ein als unbefriedigend empfundenes Ergebnis vermieden werden, dass ein aus besonderen Gründen vorübergehend niedrigeres oder höheres, der normalen Lebensführung des Verletzten nicht entsprechendes Arbeitsentgelt, als JAV der Berechnung der Leistung zugrunde gelegt wird. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine erhebliche Unbilligkeit vorliegt, sind regelmäßig die Verhältnisse vor dem Eintritt des Versicherungsfalles und nicht spätere Einkommensentwicklungen. Spätere Entwicklungen z. B. Beförderungen o. ä. sind ohne Bedeutung. Eine erhebliche Unbilligkeit scheidet von vorneherein aus, wenn der nach den gesetzlichen Vorschriften ermittelte JAV der Lebensstellung des Verletzten in den letzten 12 Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalles entspricht. Unter Lebensstellung ist der durch sämtliche Einkünfte bestimmte soziale Status einer Person zu verstehen. Ihre Lebensstellung zum Zeitpunkt des Unfalls und davor entsprach aber eindeutig nicht der eines fest angestellten, promovierten Chemikers."
Dagegen hatte der Kläger am 3. Dezember 2008 vor dem Sozialgericht Gießen (Sozialgericht) Klage erhoben mit dem Ziel, Verletztenrente ab 1. Januar 2000 auf der Grundlage einer vollschichtigen Berufstätigkeit als promovierter Diplom-Chemiker zu erhalten.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 6. Oktober 2011 teilweise entsprochen und ist davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Neuberechnung seiner Verletztenrente habe, da der bisher zugrunde gelegte JAV unbillig im Sinne des § 577 RVO sei. Der streitige Leistungszeitraum beginne am 1. Januar 2000, da der Kläger den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X am 8. Dezember 2004 gestellt habe. Auch nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) seien die maßgeblichen RVO-Vorschriften über die Festsetzungen des JAV anzuwenden (§§ 212 ff. SGB VII). § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII findet keine Anwendung, da diese Vorschrift die Anwendung der den JAV regelnden §§ 81 – 93 SGB VII auf "Altfälle" nur im Rahmen von Erst- sowie Neufestsetzungen des JAV vorsehe. Diese Fallkonstellation liege nicht vor, denn der Bescheid über die Festsetzung der Verletztenrente datiere vom 23. August 1984 und es handele sich im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X nicht um eine erstmalige Neufestsetzung nach Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung. Soweit der Kläger erneut eine JAV-Neuberechnung gemäß § 573 Abs. 1 RVO begehre mit der Begründung, die Promotion sei Teil seiner Berufsausbildung als Chemiker gewesen, sei diese Argumentation bereits Gegenstand des Überprüfungsantrages vom 10. Januar 1986 sowie der internen Prüfung der Beklagten im September 1997 gewesen. Insoweit fehle es an einem neuen Sachverhalt bzw. der Vorlage neuer Beweismittel. Die Beklagte habe den JAV fehlerhaft gemäß § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO festgesetzt, was auf der Grundlage des § 577 RVO hätte erfolgen müssen. Dabei könne das Gericht die Wertung, ob der berechnete JAV im Sinne des § 577 RVO in erheblichem Maße unbillig zu niedrig festgesetzt sei, selbst vornehmen, weil der Versicherungsträger insoweit kein Ermessen und auch keinen Beurteilungsspielraum habe. Die Zugrundelegung einer halben Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss werde der Lebenssituation des Klägers in keiner Weise gerecht und sei daher in erheblichem Maße unbillig. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt bereits 29 Jahre alt gewesen, Diplom-Chemiker, verheiratet und habe drei Kinder gehabt. Die Promotion sei zeitlich begrenzt gewesen und habe dem ausdrücklichen Ziel gedient, die Verdienstmöglichkeiten auf dem umkämpften Markt der Chemiker zu verbessern, also letztlich der Familie langfristig einen gesicherten Lebensunterhalt zu verschaffen. Danach sei es unbillig davon auszugehen, dass der Verdienst aus einer halben Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter auf Dauer gesehen die Einkunftssituation der Familie wiedergeben würde. Der festgesetzte JAV habe einerseits nicht der Lebensstellung des Versicherten entsprochen und außerhalb jeder Beziehung zu dem gestanden, was für den Kläger unter realistischer Betrachtungsweise zum Unfallzeitpunkt bzw. in der Zeit davor unter normalen Umständen ohne die eindeutig eng begrenzte Zeitphase der Promotion – die finanzielle Lebensgrundlage gebildet hätte. Anderseits sei zu beachten, dass die spezielle Situation des Klägers nicht von den sonstigen gesetzlich vorgesehenen Auffangvorschriften – beispielsweise den §§ 573 bzw. 571 Abs. 1 Satz 2 RVO – erfasst werde. Nach den Zielvorstellungen des Gesetzgebers zu § 577 RVO sollten besondere Gründe, die vorübergehend zu einem niedrigeren Verdienst führten, sich nicht über die gesamte Rentenlaufzeit nachteilig auswirken. Zur Feststellung der Unbilligkeit sei auf die Lebensstellung des Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles und auf seinen sozialen Status abzustellen. Dazu komme es beim Kläger neben den Einkünften auch auf sonstige Aspekte an, die ein genaueres Bild über seine Lebensstellung gäben. Die aus fünf Personen – darunter drei Kleinkindern – bestehende Familie des Klägers hätte sich im relevanten Zeitraum auf Einkünfte aus einer halben Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschränkt und kostenfrei im Rahmen eines vorgezogenen Erbausgleiches im Elternhaus des Klägers gewohnt, so dass der von der Beklagten angesetzte JAV nicht den realen Verhältnissen der Familie unter Dauergesichtspunkten entsprochen habe und sich daher letztlich als "unbillig" im Sinne des § 577 Satz 1 RVO erweise. Ohne die Promotionsabsicht hätte der Kläger aufgrund seines Lebenskonzeptes eine vollschichtige Tätigkeit als Diplom-Chemiker zu den üblichen tariflichen Bedingungen der freien Wirtschaft ausgeübt. Die Anwendung des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO im Sinne einer Aufstockung zumindest auf eine Vollzeitbeschäftigung scheitere am Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, da dem Kläger im maßgeblichen zwölf Monatszeitraum tatsächlich Entgelte zugeflossen seien. Auch eine Festsetzung des JAV nach § 575 RVO als Mindest-JAV sei in erheblichem Maße unbillig. Die Beklagte sei daher im Rahmen des ihr nach Feststellung der Unbilligkeit eingeräumten Ermessens verpflichtet, den JAV des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer sowie der Wertungskriterien des § 577 Satz 2 RVO im Rahmen des § 575 RVO nach billigem Ermessen festzustellen. Dabei werde die Beklagte zu ermitteln haben, welche Einkünfte ein vollschichtig tätiger Diplom-Chemiker in der freien Wirtschaft nach den entsprechenden Tarifverträgen zum damaligen Zeitpunkt hätte erzielen können.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 28. November 2011 zugestellte Urteil am 20. Dezember 2011 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, die Entscheidung des Sozialgerichts sei rechtswidrig, denn der von ihr festgestellte JAV entspreche der Lebensstellung des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalles, wobei auch seine Ausbildung und seine sonstigen Fähigkeiten kein anderes Ergebnis rechtfertigten, da er diese in der Vergangenheit nicht eingesetzt habe, um höheres Einkommen zu erzielen. Anders als das Sozialgericht stelle das Bundessozialgericht im Hinblick auf die erreichte Lebensstellung darauf ab, welche Einkünfte die Einkommenssituation des Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles geprägt hätten. In zeitlicher Hinsicht sei bei Billigkeitsprüfung des JAV festzustellen, welche Einkünfte der Versicherte innerhalb der Jahresfrist vor dem Versicherungsfall erzielt habe. Seine Einnahmen aus Erwerbstätigkeit im maßgeblichen Jahreszeitraum seien mit dem Ergebnis der gesetzlichen Berechnung zu vergleichen. Der Gesetzgeber habe den Jahreszeitraum als Berechnungsgrundlage für den JAV bewusst gewählt, um eine zeitnahe Berechnungsgrundlage zu haben. Nur wenn besondere Umstände vorlägen, die sich auf den maßgeblichen Zeitraum auswirkten und die eine erhebliche Unbilligkeit der Regelberechnung begründen würden, käme eine Korrektur über 577 RVO in Betracht. Da der Versicherte zum Zeitpunkt des Unfalles aber noch zu keiner Zeit einen höheren JAV als den 1984 festgestellten bezogen habe, entspreche dieser eindeutig der Lebensstellung des Versicherten zum Unfallzeitpunkt. Rechtsprechung und Literatur stellten auch nicht auf die Änderung der Einkommensverhältnisse nach dem Erleiden des Arbeitsunfalles ab. Denn die zu berücksichtigende Lebensstellung des Versicherten sei nicht die in der Zukunft sondern nach dem Wortlaut des Gesetzes die zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles. Ungleichheiten zwischen tatsächlichem Einkommen und gesetzlich berechnetem JAV, wie sie sich auch aus Änderungen der Arbeitszeit und des Entgelts ergeben könnten, begründeten eine Unbilligkeit in erheblichem Maße nur, wenn sie innerhalb der maßgebenden Jahresfrist eingetreten seien. Bleibe allerdings das Arbeitsentgelt innerhalb des Zeitraumes, aus dem sich der JAV errechne, unverändert, fehle es an einer Unbilligkeit der Festsetzung. Nicht nachzuvollziehen seien außerdem die vom Sozialgericht zur Begründung der Unbilligkeit herangezogenen persönlichen Lebensumstände des Versicherten. Denn der Kläger habe in seinem bisherigen Leben zu keinem Zeitpunkt ein Arbeitseinkommen erzielt, das auch nur annähernd den vom Sozialgericht als billig erachteten JAV eines Diplom-Chemikers in Vollzeitbeschäftigung erreicht habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlussberufung das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Oktober 2011 zu ändern und ihm Rente ab 1. Januar 2000 nach einem Jahresarbeitsverdienst entsprechend dem Gehalt eines vollschichtig tätigen promovierten Diplom-Chemikers zu gewähren.
Der Kläger hat vorgetragen, dem Sozialgericht sei im Hinblick auf seine Feststellung, dass der von der Beklagten zugrunde gelegte JAV in erheblichem Maße unbillig sei, zuzustimmen. Der Gesetzesinterpretation der Beklagten sei nicht zu folgen. Diese mache das erzielte Einkommen quasi zum Exklusivmerkmal der JAV-Feststellung. Ein Spielraum für die Feststellung der Unbilligkeit liege damit nicht mehr vor und der Gesetzeswortlaut, der neben der Lebensstellung und Tätigkeit des Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles auch dessen Fähigkeiten und Ausbildung berücksichtige, werde missachtet. Eine kurzfristige Einkommenslage – wie diese beim Kläger für die Dauer der Promotion bestanden habe – sei nach der Rechtsprechung nicht bei dauerhafter Feststellung des JAV zugrunde zulegen. Der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt seine berufliche Lebensstellung noch nicht erreicht gehabt. Ohne Promotion hätte er keinen Zugang zum Arbeitsmarkt gehabt. Mit Rücksicht auf die Arbeitsmarktsituation sei festzustellen, dass für die Ausbildung eines Chemikers die Promotion eine maßgebliche Berufsqualifizierung darstelle, so dass der Kläger sich nicht in einer bloßen Weiterbildungsmaßnahme befunden habe, als es zum Arbeitsunfall gekommen sei. Ohne Promotion wäre der originäre Arbeitsmarkt für ihn quasi verschlossen gewesen. Er sei zum Unfallzeitpunkt weiterhin als Student der C-Universität-C-Stadt in einem Graduiertenstudium zum Zwecke der Durchführung der Promotion eingeschrieben gewesen. Die mit der Promotion zum Ausdruck kommende wissenschaftliche Qualifikation sei keineswegs eine optionale Weiterbildung sondern gehöre als fester Bestandteil zum Berufsbild des Chemikers.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Auf die form- und fristgerecht erhobene, zulässige (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) Berufung der Beklagten war die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, da die Beklagte die Unfallrente des Klägers mit Bescheid vom 23. August 1984 rechtsfehlerfrei festgestellt hatte – insbesondere der Rentenberechnung einen zutreffenden JAV zu Grunde gelegt hatte. Denn die Beklagte hatte den JAV zu Recht nach den Einkünften des Klägers entsprechend einer halben A-13-Stelle bemessen. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neuberechnung des JAV weder aus § 573, Abs. 1 RVO noch aus § 577 RVO. Eine Korrektur der Entscheidung der Beklagten aus dem Jahr 1984 kann der Kläger nicht über § 44 SGB X erreichen mit der weiteren Folge, dass seine Anschlussberufung zurückzuweisen war, mit der er über das erstinstanzliche Bescheidungsurteil hinaus die Rente nach einem JAV entsprechend dem Einkommens eines promovierten Diplom-Chemikers festgestellt wissen will.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 15. Juni 2010, B 2 U 22/09 R, juris, Rn. 18).
Die Beklagte ist bei Erlass des Bescheides vom 23. August 1984 nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, worüber die Beteiligten auch nicht streiten. Dementsprechend hat der erkennende Senat seiner Entscheidung - wie auch schon die Beklagte - folgenden Sachverhalt als vollbeweislich nachgewiesen zu Grunde gelegt:
Der 1954 geborene Kläger hatte nach Ablegung des Abiturs ausweislich der mit Schreiben vom 11. September 2007 an die Beklagte übersandten Studienbescheinigungen - die Bescheinigung für das Sommersemester 1981 bestätigt das 12. Fachsemester für Chemie-Diplomprüfung - im Wintersemester 1975/1976 das Studium der Chemie mit dem Ziel des Abschlusses als Diplom-Chemiker begonnen. Der Kläger hatte nach seinen Angaben im Senatstermin vom 29. April 2014 im Jahr 1977 geheiratet. Aus der - mittlerweile geschiedenen - Ehe gingen drei Kinder hervor, die 1979, 1980 und 1982 geboren sind. Anlässlich der Geburt des 1. Kindes zog der Kläger mit seiner Familie in sein Elternhaus, wo er im Rahmen einer vorweggenommenen Erbauseinandersetzung mietfrei wohnte. Der Lebensunterhalt der Familie wurde bestritten durch BAföG-Zahlungen an den Kläger sowie aus dessen Tätigkeiten während der Semesterferien in der früher seinem Vater gehöhrenden Firma, die ein Onkel weiter betrieb, sowie aus weiteren aus der Firma an ihn fließenden Zahlungen. Zudem hatte seine Ehefrau Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis. Nach Abschluss des Chemiestudiums mit der Diplomprüfung Chemie war der Kläger ab 15. Juli 1981 am Fachbereich Chemie der C-Universität C-Stadt im Rahmen eines Sonderforschungsprojekts als wissenschaftliche Hilfskraft im Umfang einer halben A-13-Stelle angestellt, wobei die über 92 Stunden monatlich hinausgehende Arbeitszeit ihm für Promotionszwecke zur Verfügung stand. Sein Jahreseinkommen aus dieser Tätigkeit betrug DM 21.126,58 + DM 1.908,83 Weihnachtsgeld. Nach einer Bescheinigung des Arbeitgebers vom 14. Dezember 1983 war das Arbeitsverhältnis zunächst bis Ende 1983 befristet. Die wirtschaftliche Situation der seit 1982 fünfköpfigen Familie änderte sich infolge der bezahlten Hilfskrafttätigkeit nicht wesentlich, da die übrigen, während der Studienzeit erzielten Einkünfte wegfielen. Während der Zeit der Promotion blieb der Kläger im Rahmen eines so genannten Graduiertenstudiums weiter immatrikuliert. In den drei Promotionsprüfungsfächern - Hauptfach Biochemie, Nebenfächer analytische Chemie und Mikrobiologie - wurden weitere Kenntnisse vermittelt, die bis dahin nicht Inhalt des Diplomchemiestudiums gewesen waren, wie seinem Schriftsatz vom 11. September 2007 an die Beklagte zu entnehmen ist. Den Abschluss des Promotionsverfahrens hatte der Kläger bis Februar 1984 geplant. Er hatte sich bereits im August 1983 unter Hinweis auf die im Februar 1984 geplante Promotion als promovierter Diplom-Chemiker beworben und wollte als solcher zeitnah nach Abschluss der Promotion ins außeruniversitäre Berufsleben eintreten. Den von der Beklagten anerkannten und entschädigten Arbeitsunfall erlitt der Kläger am 20. September 1983 auf dem etwa 60 km langen Hinweg vom Wohnort zum Fachbereich Chemie an der C-Universität C-Stadt. Der Kläger konnte nach dem Unfall ab dem 11. Juni 1984 wieder arbeiten. Infolge der Schwere der Verletzung wurde sein Arbeitsverhältnis am Fachbereich über das Jahr 1983 hinaus bis Juli 1985 verlängert, so dass er seine Promotion am 13. Februar 1985 ablegen konnte. Im Anschluss trat der Kläger als promovierter Diplom-Chemiker auf einer Vollzeitstelle ins Arbeitsleben ein. Seit 1994 ist der Kläger verbeamtet und verrichtet seine Arbeit ab dem Alter von 55 Jahren als Schwerbehinderter in Altersteilzeit. Er beabsichtigt mit 63 Jahren voraussichtlich Ende März 2018 in den Ruhestand einzutreten und wird sodann eine Pension als Beamte beziehen, wie er im vorgenannten Erörterungstermin dargelegt hat.
Von diesem Sachverhalt ausgehend hat die Beklagte hat im Bescheid vom 23. August 1984 die Höhe der Verletztenrente des Klägers zutreffend bemessen und ist insbesondere bei Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes, dessen Festsetzung mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X sondern lediglich eine verwaltungsinterne Feststellung eines Wertfaktors im Rahmen der Vorbereitung der Feststellung des Wertes des Rechtes auf Verletztenrente darstellt (BSG, Urteil vom 18. September 2012, B 2 U 14/11 R, juris, Rn. 18), zu Recht von den Einkünften des Klägers entsprechend einer halben A-13-Stelle ausgegangen. Sie hat dabei § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO als zutreffende Rechtsgrundlage herangezogen und hat die Voraussetzungen der §§ 573 Abs. 1, 577 RVO zu Recht verneint.
Die nach § 44 Abs. 1 SGB X maßgebliche Frage der zutreffenden JAV-Bemessung war vom Senat nach den §§ 570-578 RVO zu beurteilen. Die den JAV ab 1. Januar 1997 regelnden §§ 81-93 SGB VII finden keine Anwendung. Nach § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gelten die SGB VII-Vorschriften über den JAV auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienstes nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund des § 90 SGB VII neu festgesetzt wird. Danach sind die SGB VII Bestimmungen für "Altfälle" nur bei erstmaliger JAV-Feststellung oder bei erstmaliger Neufeststellung des JAV nach § 90 SGB VII (entsprechend nach § 573 RVO) vorgesehen, nicht aber bei Überprüfung der Billigkeit oder der Voraussetzungen der §§ 571 ff. RVO bzw. 90 SGB VII nach § 44 Abs. 1 SGB X. Insofern sind die RVO-Bestimmungen anzuwenden, wie die erstinstanzliche Entscheidung bereits zutreffend ausgeführt hat (ebenso Harks in: juris-Praxiskommentar, Anmerkung 14 zu § 214 SGB VII m.w.N.).
Der Systematik der §§ 571 bis 578 RVO folgend gilt nach § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung –) des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall als JAV. Für Zeiten, in denen er im Jahre vor dem Arbeitsunfall kein Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen bezog, wird das Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das durch eine Tätigkeit erzielt wird, die der letzten Tätigkeit des Verletzten vor dieser Tätigkeit entspricht (§ 571 Abs. 1 Satz 2 RVO). Befand sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalles noch in einer Schul- oder Berufsausbildung, so wird nach § 573 Abs. 1 Satz 1 RVO, wenn es für den Berechtigten günstiger ist, der JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet. Dieser Berechnung ist das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag festgesetzt oder sonst ortsüblich ist. Erreicht der so errechnete JAV nicht die in § 575 Abs. 1 RVO festgesetzte Mindesthöhe, muss der JAV nach dieser Vorschrift festgesetzt werden. Ist der nach §§ 571-576 RVO berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig, so ist er im Rahmen des § 575 RVO in Anwendung von § 577 Satz 1 RVO nach billigem Ermessen festzustellen (vgl. BSG SozR 2200 § 577 Nr. 11, BSG, Urteil vom 30. Oktober 1991 - 2 RU 61/90). Letztlich sind jedoch die für den Fall des Klägers relevanten Bestimmungen in der RVO und dem SGB VII inhaltsgleich. Die erstmalige Festsetzung des JAV war nach § 571 RVO ebenso wie nach § 82 SGB VII auf der Basis des Gesamtbetrages der Arbeitsentgelte festzustellen, die der Versicherte in den 12 Kalendermonaten vor dem Unfallmonat bezogen hatte. Eine Neufestsetzung nach erfolgter Schul- oder Berufsausbildung sah § 573 RVO ebenso vor wie dies nun § 90 SGB VII regelt. Die Korrektur eines JAV wegen grober Unbilligkeit erlaubte früher § 577 RVO ab 1. Januar 1997 jetzt §§ 87, 91 SGB VII.
Da der Kläger zum Zeitpunkt des Motorradunfalles, den er auf dem Weg zur Arbeitsstelle am 20. September 1983 erlitten und den die Beklagte als Wegeunfall nach § 550 RVO anerkannt hatte, das Examen als Diplom-Chemiker bereits abgelegt hatte und sich im Graduiertenstudium befand, das er zum Zwecke der Promotion absolvierte, hat er keinen Anspruch auf Neufeststellung des JAV nach § 573 Abs. 1 RVO. Danach wird - wenn der Verletzte sich zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet – der JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung neu berechnet, wenn dies für den Berechtigten günstiger ist. Der neuen Berechnung ist das Entgelt zu Grunde zu legen, dass in diesem Zeitpunkt für Personen mit gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist. Der Kläger unterfällt der Bestimmung des § 573 Abs. 1 RVO nicht, da er sich zum Unfallzeitpunkt nicht mehr in einer Berufsausbildung sondern in einer beruflichen Weiterbildung befand, für die eine von der Grundregel des § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO abweichende Sonderregelung zur JAV-Festsetzung nicht existiert.
Zur Bestimmung des Schutzbereiches des § 573 Abs. 1 RVO ist die Berufsausbildung von der sogenannten Weiterbildung abzugrenzen, da die Rechtsprechung es nicht mehr als Berufsausbildung wertet, wenn Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung ergriffen werden, um einen bestimmten Status, eine Verbesserung der Qualifikation, der beruflichen Chancen und Verdienstmöglichkeiten zu erzielen (Urteil des Senats vom 7. November 2008, Az.: L 3 U 232/07 Seite 8 m.w.N.). Die Rechtsprechung geht seit dem BSG-Urteil vom 30. November 1962 – 2 RU 193/59 – BSGE 18, 136 – davon aus, dass ein Diplom-Chemiker, der aufgrund eines Privatdienstvertrages als wissenschaftliche Hilfskraft in einem chemischen Universitätsinstitut Forschungen durchführt, die ihm zugleich als Doktorarbeit angerechnet werden, sich während der Ausübung dieser Tätigkeit nicht mehr in einer Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO a.F. (§ 573 RVO n.F.) befindet. Mit Ablegung der Diplom-Chemiker-Hauptprüfung wird danach nicht nur das Studium der Chemie sondern – anders als bei der Referendarprüfung – die gesamte Berufsausbildung eines Chemikers abgeschlossen. Denn die Verleihung des akademischen Grades eines Diplom-Chemikers berechtigt diesen zur Ausübung des Berufes eines Chemikers. Der Chemiker erlangt zwar durch die Anfertigung der Doktorarbeit weitere Kenntnisse auf einem Spezialgebiet der Chemie und stellt durch die Ablegung des Doktorexamens seine Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit besonders unter Beweis, wodurch er sich für den Wettbewerb im Wirtschafts- oder Arbeitsleben eine günstigere Position verschafft. Diese Vorteile gegenüber dem nicht promovierten Chemiker sind jedoch nicht das Ergebnis einer Berufsausbildung sondern einer Weiterbildung in dem bereits erlernten Beruf. Allerdings hatte das BSG damals in der 1962er Entscheidung die erst im Entwurf vorliegende Regelung des § 577 RVO n.F. ausdrücklich nicht geprüft (Ziffer 21). Seine Rechtsprechung hat es sodann wiederholt bestätigt (beispielsweise Urteile vom 30. Oktober 1991 2 RU 61/90 Rn. 17 juris und vom 5. August 1993 2 RU 24/92 Rn. 18 juris) und hat darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber die Vorschriften des §§ 565 RVO a.F. (entsprechend 573 Abs. 1 RVO n.F.) durch das Unfallversicherungsneuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 trotz Kenntnis seiner Rechtsprechung nicht geändert hat, so das weiter davon auszugehen ist, dass die berufliche Weiterbildung nicht zur Berufsausbildung i.S.d. § 573 Abs. 1 RVO zählt. Dasselbe muss nach Auffassung des erkennenden Senats im Hinblick auf das ab 1. Januar 1997 in Kraft getretene SGB VII gelten, das insofern auch keine andere Regelung vorsieht, so dass das BSG auch ab 1997 an seiner Rechtsprechung festgehalten hat (dazu Urteil vom 7. Februar 2006 - B 2 U 3/05 Rn. 16 juris). Die Rechtsprechung hat § 573 RVO bzw. § 90 SGB VII immer als Ausnahmereglung angesehen und es stets abgelehnt, die Ausnahmebestimmungen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auf andere, vermeintlich ähnlich liegende Sachverhalte auszudehnen. Denn mit der Möglichkeit, erst nach Eintritt des Versicherungsfalles nach einer Schul- oder Berufsausbildung die Bemessungsgrundlage anzuheben, weicht der Gesetzgeber für einen Sonderfall vom ansonsten herrschenden Grundsatz ab, dass die Verdienstverhältnisse im Jahr vor dem Arbeitsunfall für alle Zeiten die maßgebende Grundlage der Geldleistungen bleiben und spätere Erwerbsaussichten bei Feststellung des JAV nicht zu berücksichtigen sind (Urteile des Senats vom 7. November 2007 L 3 U 232/07 Seite 8 sowie vom 24. März 2009 Seite 10 m.w.N.; BSG, Urteil vom 7. Februar 2006 B 2 U 3/05 juris). Dasselbe hat das BSG für die Regelung des § 90 Abs. 1 SGB VII entschieden (BSG, Urteil vom 18. September 2012 – B 2 U 11/11 R juris). Danach stellen die §§ 82 ff. SGB VII ein stimmiges Konzept des Gesetzgebers dar und bieten keine von der Rechtsprechung auszufüllende Lücke (BSG a.a.O. Ziffern 36, 38).
Für die Entscheidung der Rechtsfrage, ob die Doktorandenzeit der Berufsausbildung zuzurechnen ist, hat der Senat (ebenso wie BSGE 18, 136) maßgeblich darauf abgestellt, dass mit Ablegung der Diplom-Chemie-Hauptprüfung nicht nur das Studium der Chemie sondern auch die berufsqualifizierende wissenschaftliche Ausbildung eines Chemikers abgeschlossen wird mit der Folge, dass der mit dem akademischen Grad eines Diplomchemikers Ausgezeichnete zur Ausübung des Berufes eines Chemikers berechtigt ist und als solcher ins Berufsleben eintreten kann. Infolgedessen hat der Senat die Frage der Einordnung des vom Kläger nach dem Studienabschluss fortgesetzten Graduiertenstudiums offen gelassen, während dessen - wie die vom Kläger vorgelegten Studienbescheinigungen erkennen lassen - diese die Fachsemesterzahl fortschreiben und nicht etwa mit Semester 1 eines Graduiertenstudiums neu beginnen. Nicht entscheidungserheblich war für den Senat auch das Verhältnis der Zahlen der ins Berufsleben eintretenden Diplom-Chemiker mit und ohne Promotion. Im Graduiertenstudium hat der Kläger sich - wie von der Beklagten nicht bestritten und für den Senat vom Kläger wiederholt glaubhaft dargelegt - weitere Kenntnisse im Hauptfach Biochemie ebenso erarbeitet wie in den Nebenfächern analytische Chemie und Mikrobiologie, die über die Lehrinhalte des Chemiestudiums hinausgingen und auch Gegenstand der Promotionsprüfung wurden. Er hat damit seine berufliche Qualifikation erhöht und - im Hinblick auf die hohe Zahl ins Berufsleben eintretender promovierter Diplom-Chemiker - auch die Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt und sicher auch seine Verdienstmöglichkeiten gesteigert. Ob letztlich 87 % (so die Klagebegründung vom 12. März 2009 auf Seite 3) oder sogar mehr als 90 % (so die Auskunft der mit Schriftsatz vom 21. Mai 2012 vorgelegten Stellungnahme der Gesellschaft Deutscher Chemiker vom 12. März 2009, wonach nur 5 bis 7 % der Diplom-Chemiker ohne Promotion ins Berufsleben eintreten) der Diplomchemiker promovieren, bevor sie ins Berufsleben eintreten, war für den Senat nicht entscheidungserheblich. Denn die Möglichkeit des Berufseinstiegs für Diplom-Chemiker besteht unverändert, wenn diese auch nur von wenigen Hochschulabsolventen des Faches Chemie direkt wahrgenommen wird, was zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig war.
Als Ergebnis vorstehender Abgrenzung der Berufsausbildung von der Weiterbildung ist nicht zu verkennen, dass der Kläger als Mitglied der Gruppe der nach dem Studienabschluss promovierenden Diplom-Chemiker ebenso wie eine Vielzahl weiterer unter denselben Umständen vor allem in den Naturwissenschaften Promovierender zweifach ungleich behandelt wird: Für einen Versicherten, der einen Arbeitsunfall noch als Student erleidet, käme die Vergünstigung des § 573 Abs. 1 RVO in Betracht und kommt es zum Arbeitsunfall erst nach Eintritt ins Berufsleben - egal ob als nur diplomierter oder als promovierter Chemiker, ist das dann erzielte Einkommen nach § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO Maßstab für die JAV-Feststellung. Für die Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber beiden Vergleichsgruppen gibt es indes sachliche Gründe, die einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verneinen lassen.
Der rechtfertigende Grund für die unterschiedliche Leistungsbemessung bei Unfällen während einer Schul- oder Berufsausbildung auf der einen und Unfällen während einer sonstigen beruflichen Bildungsmaßnahme auf der anderen Seite liegt in der unterschiedlichen Ausgangssituation der betroffenen Versicherten. Eine Schul- oder Berufsausbildung wird in aller Regel vor dem Eintritt in das Erwerbsleben absolviert und der Betroffene hat noch kein oder nur ein geringes Arbeitseinkommen. Umgekehrt ist für Maßnahmen der beruflichen Qualifikation oder Weiterbildung typisch, dass die Teilnehmer zuvor bereits berufstätig gewesen sind und vor Eintritt des Versicherungsfalles in der Regel Arbeitsentgelt oder eine Lohnersatzleistung bezogen haben, woran bei Feststellung des JAV angeknüpft werden kann – auch wenn das Arbeitsentgelt oder die Lohnersatzleistung hinter dem Entgelt zurückgeblieben ist, das der Versicherte bei einem erfolgreichen Abschluss der Maßnahme hätte erzielen könne (ebenso BSG, Urteil vom 15. September 2011 B 2 U 24/10 R juris, Rdnr. 42 ff.).
Auch für die unterschiedliche Behandlung der Gruppe der nach Studienabschluss promovierenden Chemiker bzw. Naturwissenschaftler gegenüber den ins Berufsleben eingetretenen bestehen sachliche Gründe. Denn mit dem JAV erhält das grundsätzlich auf abstrakte Schadensbemessung ausgelegte Rentenrecht der gesetzlichen Unfallversicherung eine Konkretisierung dahin, dass der Stellung des Versicherten im Erwerbsleben im Jahr vor dem Versicherungsfall Rechnung getragen werden soll. Die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens in diesem Zeitraum entspricht der Funktion der Verletztenrente als abstraktem Erwerbsschadensausgleich. Mit diesem Einkommen soll der Lebensstandard des Versicherten im Jahr vor dem Versicherungsfall zum Ausdruck gebracht und damit der soziale Status bei Eintritt des Versicherungsfalls bei Bemessung der Geldleistung berücksichtigt werden (dazu Schudmann, Rdnrn. 22, 24; BSG, Urteil vom 30. September 1979, 8a RU 56/78, juris, Rdnr. 10 ff.). Der einmal zutreffend festgestellte JAV nimmt an der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung danach nur noch über die jährliche Rentenerhöhung entsprechend dem jeweiligen Anpassungsfaktor teil. Ansonsten gilt der Grundsatz, dass die Verdienstverhältnisse im Jahr vor dem Arbeitsunfall für alle Zeiten die maßgebende Grundlage der Rentenleistung bleiben (BSGE, 31, 40; 38, 216, 218, 47, 137, 140 sowie Urteile des Senats vom 7. November 2008, Az.: L 3 U 232/07 sowie vom 27. März 2009, Az.: L 3 U 111/07).
Entgegen der erstinstanzlichen Auffassung kommt auch eine Korrektur des JAV über die Billigkeitsregelung des § 577 RVO nicht in Betracht. Ist der nach dem § 571-576 berechnende JAV in erheblichem Maße unbillig, so ist der JAV nach § 577 RVO im Rahmen des § 575 nach billigem Ermessen festzustellen. Hierbei ist außer den Fähigkeiten, der Ausbildung und der Lebensstellung des Verletzten seine Erwerbstätigkeit zur Zeit des Arbeitsunfalles oder, soweit er nicht gegen Entgelt tätig war, eine gleichartige oder vergleichbare Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Der Kläger unterfällt dieser Regelung nicht, da ein Ausgleich für ein dauerhaft akzeptiertes geringes Einkommen, das in der Jahresfrist des § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO unverändert bezogen wurde, nicht über § 577 RVO zu korrigieren ist.
Bei der Bewertung, ob der JAV unbillig ist, steht dem Versicherungsträger kein Beurteilungsspielraum zu (BSG, Urteil vom 15. September 2011, B 2 U 24/10 R, juris, Rn. 23). Die Frage der Unbilligkeit des JAV ist vielmehr vollumfänglich von den Sozialgerichten zu überprüfen. Wenn die in erheblichem Maße bestehende Unbilligkeit feststeht, hat der Versicherungsträger eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Höhe des JAV zu treffen, die an den Kriterien des § 577 Satz 2 RVO zu orientieren ist und von den Sozialgerichten nur eingeschränkt im Rahmen des § 54 Abs. 2 SGG gerichtlich überprüfbar ist (BSG, Urteil vom 30. Oktober 1991, 2 RU 61/90, juris, Rn. 19; Urteil des Senats vom 24. März 2009, Az. L 3 U 11/07).
Nicht unbeachtet bleiben darf bei inhaltlicher Auslegung des § 577 RVO die Historie der §§ 570 ff. RVO (dazu Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, Stand Januar 1992, Anm. 5 zu § 577, Seite 446), die zu einer Vereinfachung der rechtlichen Gestaltung und Anwendung der JAV-Feststellung zwecks Ablösung der vorherigen ausufernden Kasuistik führen sollte. Nach der Begründung zu § 577 RVO in BT Drucks. 4/1205 (dazu: Lauterbach, a.a.O., Anmerkung 1 zu § 577) erfasst die Bestimmung Fälle, in denen das Arbeitseinkommen aus besonderen Gründen zeitweilig so niedrig ist, dass es nicht zur Grundlage der normalen Lebenshaltung dienen konnte. Dann soll es auch nicht als Anknüpfung für die Berechnung der dauerhaften Unfallrente herangezogen werden. Ein Arbeitsentgelt, das einen nicht nur vorübergehend niedrigeren, dem Lebensstandard des Verletzten entsprechenden Verdienst abbildet, wurde grundsätzlich nicht als erheblich unbillig angesehen (Lauterbach, a.a.O., Anmerkung 2 zu § 577). Eine erhebliche Unbilligkeit wurde angenommen, wenn die JAV-Berechnung auf einem Gehalt beruhte, das nur aufgrund einer vorübergehenden Notlage - beispielsweise zur Überbrückung der finanziellen Schwierigkeiten eines Arbeitgebers - herabgesetzt war oder wenn ein Wissenschaftler für eine vorübergehende Zeit eine niedrig bezahlte Tätigkeit zu Versuchszwecken für seine Forschung ausgeübt hatte und hierbei verunglückt war (Lauterbach, a.a.O., Anmerkung 3 zu § 577).
Dieser "historischen" Interpretation entspricht die Rechtsprechung zur RVO und zum SGB VII. § 577 RVO bietet danach keinen Ausgleich für ein dauerhaft niedrigeres und so akzeptiertes Einkommen des Versicherten (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1981 in SozR Nr. 9 zu § 577 RVO). Von einer Unbilligkeit im Sinne des § 577 soll nur bei Veränderungen innerhalb der Jahresfrist ausgegangen werden, nicht aber bei einem über das gesamte Jahr hinweg gleichen Einkommen (Urteil des BSG vom 15. September 2011 B 2 U 24/10 R juris Ziffern 27, 29; BSG vom 30. April 1979 8 a RU 56/58 juris in Abgrenzung des § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO zu dessen Satz 2). Eine Aufstockung nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO käme nicht nur bei zufälligen sondern auch bei gewollten zeitweiligen Einkommensminderungen bzw. einer Einkommenslosigkeit in Betracht (BSGE 51, 179). Ein Ausgleich einer dauerhaft akzeptierten Einkommensminderung über § 577 RVO scheidet aber aus.
Die vom Kläger vor dem Senat nochmals dargelegte Einkommenssituation der Familie A. war seit Mitte 1981 geprägt durch das aus der halben A-13-Stelle erzielte Einkommen des Klägers als wissenschaftliche Hilfskraft. Die zum Unfallzeitpunkt bereits fünfköpfige Familie hatte sich bei freier Wohnung im Elternhaus des Klägers auf dieser Basis finanziell eingerichtet. Die Familie lebte nicht wesentlich anders als auch schon zu Studienzeiten des Klägers in den Jahren zuvor, als der Kläger und seine Ehefrau - wenn auch zum Teil aus anderen Quellen – Einkünfte in ähnlicher Höhe erzielt hatten. Der Kläger hatte danach in dem für die JAV Feststellung gemäß § 571 Abs. 1 RVO relevanten Jahreszeitraum vor dem Unfalltag, dem 20. September 1983, ein gleichbleibendes Einkommen erzielt, für das eine Aufstockung nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO von vornherein auszuscheiden hat. Die langjährig im Wesentlichen gleiche Einkommenssituation der Familie A. prägte die Lebensstellung des Klägers. Er hätte zwar die Möglichkeit gehabt, nach Ablegung des Diplom-Chemiker-Examens ins Berufsleben einzutreten, hatte den nach seinen damaligen Fähigkeiten und dem erreichten formalen Ausbildungsstand möglichen Schritt nicht getan, um sich - wie die allermeisten Berufskollegen - im Rahmen einer Promotion weiter zu qualifizieren, um seine Chancen und Verdienstmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt für Chemiker zu verbessern. Die Verletztenrente als abstrakter Erwerbsschadensausgleich knüpft indessen an den zur Zeit des Versicherungsfalles erreichten Lebensstandard an und den dem zu Grunde liegenden sozialen Status. Sie entschädigt zukünftige Einkommensverbesserungen im Wege eines beruflichen Aufstiegs nicht (BSG in SozR § 571 RVO Nr. 1; Urteil des Senats vom 7. November 2008, Az. L 3 U 232/07).
Die vorliegende Fallkonstellation ist weder mit dem Sonderfall im Urteil des BSG vom 30. Oktober 1991 – 2 RU 61/90 juris – noch mit dem Fall des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Januar 2012 Az.: L 3 U 181/09 vergleichbar. In dem dem BSG-Urteil zugrunde liegenden Fall konnte ein asylberechtigter approbierter Arzt wegen der längerfristigen Dauer des Asylverfahrens vor Erleiden eines tödlichen Arbeitsunfalles nur als Hilfsarbeiter tätig sein. Ohne diese Widrigkeiten hätte er für etwa ¼ Jahr bis zu seinem Tode als Arzt arbeiten können, was das BSG im Sinne der Unbilligkeit zugunsten der Hinterbliebenen berücksichtigt hat. Demgegenüber beruhte die Einkommenssituation des Klägers im Jahreszeitraum vor dem Unfall auf einem freiwilligen Entschluss im Hinblick auf einen später angestrebten höheren beruflichen Erfolg. In der Fallkonstellation, die das Bayerische LSG zu entscheiden hatte, hatte eine bereits früher in Vollzeit tätige Tierärztin zeitweise im Jahr vor dem Arbeitsunfall auf einer Halbtagsstelle gearbeitet, wobei es sich allerdings um einen Auffüllungsfall nach § 82 Abs. 2 Satz 1 SGB VII (entsprechend § 571 Abs. 1 Sätze 2 und 3 RVO) gehandelt hatte. Der Kläger stellt bei einem dauerhaft akzeptierten gleichmäßig geringen Einkommen keinen "Aufstockungsfall" dar und einen Ausgleich für ein derart reduziertes Einkommen erlaubt § 577 RVO nicht.
Die im Verwaltungsvermerk der Beklagten vom 6. März 2007 beschriebene und von der erstinstanzlichen Entscheidung aufgegriffene "gesetzessystematische Lücke" zwischen Ausbildungsende und Aufnahme einer Lebensstellung ließe sich nach Vorstehendem durchaus bestreiten, wobei eine derartige Lücke - diese einmal zu Gunsten des Klägers unterstellt - nicht von der Rechtsprechung zu füllen wäre. Denn es handelt sich jedenfalls nicht um eine "planwidrige Unvollständigkeit" (dazu BSG, Urteil vom 18. September 2002, B 2 U 11/11 R, juris, Rdnr. 3), auch wenn sozial- oder rechtspolitische Erwägungen für eine erweiterte Ausnahmeregelung vom Grundsatz der Regelberechnung des §§ 571 Abs. 1 RVO bzw. 82 Abs. 1 SGB VII sprechen sollten. Denn von einer solchen Ausnahmeregelung wären quasi alle in naturwissenschaftlichen Fächern Promovierenden betroffen, die früher wie heute ihre Promotionsphase in ähnlicher Weise wie der Kläger wirtschaftlich absichern, wobei die Rechtsprechung dies seit über 50 Jahren in vorstehender Weise einordnet, so dass es nicht Sache der an Recht und Gesetz gebundenen Gerichte sein kann, sondern Aufgabe des Gesetzgebers wäre, eine Regelung im Sinne des Klägers und aller im Bereich der Naturwissenschaft Promovierenden zu treffen.
Da die JAV Feststellung der Beklagten letztlich nicht zu beanstanden war, musste auch die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen werden, die auf Feststellung eines noch höheren JAV entsprechend dem Einkommen eines promovierten Chemikers abzielte und zur Zahlung einer nochmals höheren Verletztenrente führen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Diese besteht nicht nur im Hinblick auf die besondere Betroffenheit des Klägers im speziellen Fall sondern auch wegen der Konsequenzen für quasi alle im naturwissenschaftlichen Bereich Promovierende, die einen Arbeitsunfall nach dem Ende des Studiums aber vor Erreichen einer Beschäftigung auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt für Chemiker bzw. Naturwissenschaftler erreichen.
II. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger streitet um die Feststellung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes (JAV) im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).
Der 1954 geborene Kläger kam auf dem Weg zu seiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität C-Stadt am 20. September 1983 mit dem Motorrad von der Fahrbahn ab, stürzte und zog sich eine komplette Querschnittslähmung ab dem 4. Brustwirbelkörper zu verbunden mit dem entsprechenden neurologischen Ausfällen. Er war seit 15. Juli 1981 als "wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss" an der C-Universität C-Stadt im Fachbereich Chemie mit 92 Stunden im Monat zu einem Jahreseinkommen von 21.126,58 DM brutto zuzüglich 1.902,83 DM Weihnachtsgeld (entsprechend einer halben A-13-Stelle) beschäftigt. Das vorangegangene Studium der Chemie hatte er als Diplom-Chemiker abgeschlossen. Er war verheiratet und hatte 3 Kinder. Nach Auskunft des Arbeitgebers vom 5. Dezember 1983 arbeitete der Kläger im Rahmen eines Sonderforschungsprojektes, wobei die über 92 Stunden hinausgehende monatliche Arbeitszeit laut Schreiben des Prof. Dr. D. vom 28. November 1983 zur Arbeit an seiner Doktorarbeit zur Verfügung stand. Nach einer Bescheinigung vom 14. Dezember 1983 war das Arbeitsverhältnis zunächst bis Ende 1983 befristet, wurde jedoch im Hinblick auf den Unfall bis Juli 1985 verlängert, so dass der Kläger seine Promotion am 13. Februar 1985 zum Abschluss bringen konnte. Die Möglichkeit einer Dauerbeschäftigung im Fachbereich Chemie hatte nach Mitteilung des Arbeitgebers vom 24. Februar 1985 nie bestanden. Ohne den Unfall hatte der Kläger den Abschluss der Promotion in einem Zeitraum von 3 – 6 Monaten bzw. im Februar 1984 geplant. Nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis an der C-Universität C-Stadt hatte der Kläger zunächst eine befristete Arbeitsstelle als promovierter Diplomchemiker am Institut für Strahlenhygiene bei der Außenstelle des Bundesgesundheitsamtes in F-Stadt. Von dort wurde er zum Jahresanfang 1989 an die Dienststelle des Institutes für Wasser-, Boden- und Lufthygiene in E-Stadt versetzt, wo er seit 1. Juni 2002 einen Telearbeitsplatz innehat. Im Jahr 2009 ist er mit 55 Jahren als Schwerbehinderter in Altersteilzeit gegangen. Nach Erleiden eines Unfalles im Februar 2012 mit Frakturen der linken unteren Extremität ist er seit 2013 von zu Hause aus tätig. Er ist seit 1994 verbeamtet und wird nach Ablauf der Altersteilzeit eine Pension beziehen (Angaben des Klägers im Erörterungstermin vom 22. Januar 2013).
Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bescheid vom 23. August 1985 Verletztenrente ab 1. Juni 1984 aufgrund einer MdE von 100 v.H. und ging dabei von einem Jahresarbeitsverdienst von 23.029,41 DM bzw. 23.331,09 DM aus. Als Unfallfolgen stellte sie fest:
Komplette Querschnittlähmung unterhalb Th 4; neurogene Blasen- und Mastdarmlähmung.
Erläuternd hat die Beklagte im Erörterungstermin vom 22. Januar 2013 ausgeführt, sie habe den Jahresarbeitsverdienst des Klägers nach den Einkünften aus der halben A-13-Stelle zu Grunde gelegt, da diese Einkünfte den Mindestjahresarbeitsverdienst überstiegen hätten.
Am 10. Januar 1986 beantragte der Kläger die Neuberechnung der Unfallrente nach § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) mit der Begründung, seine Promotion sei als berufliche Qualifikation für einen Chemiker unerlässlich gewesen, so dass sich der Unfall vor endgültigem Abschluss der Berufsausbildung ereignet habe. Die Beklagte teilte ihm mit formlosem Schreiben vom 23. Januar 1986 mit, dass seine Ausbildung zum Diplom-Chemiker zum Zeitpunkt des Unfalls bereits beendet gewesen sei, so dass eine Neuberechnung nach § 571 RVO erfolgt sei und eine Anwendung des § 573 Abs. 1 RVO ausscheiden müsse. Im September 1997 überprüfte die Beklagte intern den Jahresarbeitsverdienst im Hinblick darauf, ob nach Promotion des Klägers eine Neufeststellung hätte erfolgen müssen, verneinte dies aber, da nach der Rechtsprechung die Promotion nicht mehr der Berufsausbildung zuzurechnen sei.
Am 8. Dezember 2004 beantragte der Kläger erneut die Überprüfung des Jahresarbeitsverdienstes und vertrat die Auffassung, dieser sei auf der Grundlage einer vollschichtigen Berufstätigkeit als Diplom-Chemiker zu berechnen. Die Zugrundelegung der konkreten Verhältnisse im Jahr vor dem Unfall hinsichtlich der Teilzeittätigkeit als Doktorand sei in erheblichem Maße unbillig. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2006 und Telefonat vom 23. Februar 2007 bezog er sich wegen der Antragstellung auf die Bestimmung des § 44 SGB X mit dem Hinweis, die Einkommensabsenkung auf eine halbe Stelle sei nur vorübergehend gewesen und könne keinesfalls als der Beginn der normalen Berufstätigkeit als Diplom-Chemiker gewertet werden. Dagegen sprächen die individuellen Umstände zum Unfallzeitpunkt, wonach der Arbeitsvertrag ein reiner Forschungsarbeitsvertrag gewesen sei, die damalige Prüfungsordnung für Doktoranden den Nachweis von Fähigkeiten in zwei weiteren Fächern vorgesehen habe, er weiter immatrikuliert gewesen sei und Vorlesungen besucht habe und die Dauer des Arbeitsvertrages, die bewusst nur auf die Promotionszeit zugeschnitten gewesen sei. Er werde mit dem unverändert geringen JAV schlechter gestellt als Personen, die zum Zeitpunkt des Unfalles noch in Berufsausbildung gestanden oder als Personen, die ihre Berufsausbildung als promivierter Diplom-Chemiker beendet und eine Erwerbstätigkeit in diesem Beruf aufgenommen hätten. Daher sei bereits die anfängliche Festsetzung fehlerhaft gewesen und habe für ihn eine unbillige Härte bedeutet.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2008 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 23. August 1984 sowie die Neuberechnung der Verletztenrente auf der Grundlage eines höheren JAV ab. Die Promotion habe keine Ausbildung mehr dargestellt. Daran änderten auch die vom Kläger angeführten besonderen individuellen Umstände nichts, da für den Eintritt in ein Promotionsverfahren der ordentliche Abschluss eines Chemiestudiums vorausgesetzt werde. Die finanzielle Absicherung über eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter sei typisch für junge Naturwissenschaftler in dieser Lebensphase und damit nicht unbillig. Nach § 571 RVO sei der Lebensstandard oder soziale Status zugrunde zulegen, auf den sich der Versicherte zum Unfallzeitpunkt eingerichtet habe. Dieser sei beim Kläger seinerzeit durch längere Zeiten ohne Erwerbseinkommen während des Studiums und die nicht nur vorübergehende Ausrichtung auf eine Halbtagstätigkeit geprägt gewesen. Der dagegen am 12. März 2008 erhobene Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 zurückgewiesen. Die JAV-Festsetzung sei nach § 573 Abs. 1 RVO zutreffend erfolgt. Eine nachträglich Erhöhung nach § 573 RVO scheide aus, da der Kläger sich während der Halbtagsbeschäftigung, die auch der Promotion gedient habe, nicht mehr in Ausbildung sondern in einer beruflichen Weiterbildung befunden habe. Der JAV sei auch nicht unbillig im Sinne von § 577 RVO mit folgender Begründung:
"Mit Hilfe dieser Vorschrift soll ein als unbefriedigend empfundenes Ergebnis vermieden werden, dass ein aus besonderen Gründen vorübergehend niedrigeres oder höheres, der normalen Lebensführung des Verletzten nicht entsprechendes Arbeitsentgelt, als JAV der Berechnung der Leistung zugrunde gelegt wird. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine erhebliche Unbilligkeit vorliegt, sind regelmäßig die Verhältnisse vor dem Eintritt des Versicherungsfalles und nicht spätere Einkommensentwicklungen. Spätere Entwicklungen z. B. Beförderungen o. ä. sind ohne Bedeutung. Eine erhebliche Unbilligkeit scheidet von vorneherein aus, wenn der nach den gesetzlichen Vorschriften ermittelte JAV der Lebensstellung des Verletzten in den letzten 12 Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalles entspricht. Unter Lebensstellung ist der durch sämtliche Einkünfte bestimmte soziale Status einer Person zu verstehen. Ihre Lebensstellung zum Zeitpunkt des Unfalls und davor entsprach aber eindeutig nicht der eines fest angestellten, promovierten Chemikers."
Dagegen hatte der Kläger am 3. Dezember 2008 vor dem Sozialgericht Gießen (Sozialgericht) Klage erhoben mit dem Ziel, Verletztenrente ab 1. Januar 2000 auf der Grundlage einer vollschichtigen Berufstätigkeit als promovierter Diplom-Chemiker zu erhalten.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 6. Oktober 2011 teilweise entsprochen und ist davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Neuberechnung seiner Verletztenrente habe, da der bisher zugrunde gelegte JAV unbillig im Sinne des § 577 RVO sei. Der streitige Leistungszeitraum beginne am 1. Januar 2000, da der Kläger den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X am 8. Dezember 2004 gestellt habe. Auch nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) seien die maßgeblichen RVO-Vorschriften über die Festsetzungen des JAV anzuwenden (§§ 212 ff. SGB VII). § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII findet keine Anwendung, da diese Vorschrift die Anwendung der den JAV regelnden §§ 81 – 93 SGB VII auf "Altfälle" nur im Rahmen von Erst- sowie Neufestsetzungen des JAV vorsehe. Diese Fallkonstellation liege nicht vor, denn der Bescheid über die Festsetzung der Verletztenrente datiere vom 23. August 1984 und es handele sich im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X nicht um eine erstmalige Neufestsetzung nach Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung. Soweit der Kläger erneut eine JAV-Neuberechnung gemäß § 573 Abs. 1 RVO begehre mit der Begründung, die Promotion sei Teil seiner Berufsausbildung als Chemiker gewesen, sei diese Argumentation bereits Gegenstand des Überprüfungsantrages vom 10. Januar 1986 sowie der internen Prüfung der Beklagten im September 1997 gewesen. Insoweit fehle es an einem neuen Sachverhalt bzw. der Vorlage neuer Beweismittel. Die Beklagte habe den JAV fehlerhaft gemäß § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO festgesetzt, was auf der Grundlage des § 577 RVO hätte erfolgen müssen. Dabei könne das Gericht die Wertung, ob der berechnete JAV im Sinne des § 577 RVO in erheblichem Maße unbillig zu niedrig festgesetzt sei, selbst vornehmen, weil der Versicherungsträger insoweit kein Ermessen und auch keinen Beurteilungsspielraum habe. Die Zugrundelegung einer halben Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss werde der Lebenssituation des Klägers in keiner Weise gerecht und sei daher in erheblichem Maße unbillig. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt bereits 29 Jahre alt gewesen, Diplom-Chemiker, verheiratet und habe drei Kinder gehabt. Die Promotion sei zeitlich begrenzt gewesen und habe dem ausdrücklichen Ziel gedient, die Verdienstmöglichkeiten auf dem umkämpften Markt der Chemiker zu verbessern, also letztlich der Familie langfristig einen gesicherten Lebensunterhalt zu verschaffen. Danach sei es unbillig davon auszugehen, dass der Verdienst aus einer halben Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter auf Dauer gesehen die Einkunftssituation der Familie wiedergeben würde. Der festgesetzte JAV habe einerseits nicht der Lebensstellung des Versicherten entsprochen und außerhalb jeder Beziehung zu dem gestanden, was für den Kläger unter realistischer Betrachtungsweise zum Unfallzeitpunkt bzw. in der Zeit davor unter normalen Umständen ohne die eindeutig eng begrenzte Zeitphase der Promotion – die finanzielle Lebensgrundlage gebildet hätte. Anderseits sei zu beachten, dass die spezielle Situation des Klägers nicht von den sonstigen gesetzlich vorgesehenen Auffangvorschriften – beispielsweise den §§ 573 bzw. 571 Abs. 1 Satz 2 RVO – erfasst werde. Nach den Zielvorstellungen des Gesetzgebers zu § 577 RVO sollten besondere Gründe, die vorübergehend zu einem niedrigeren Verdienst führten, sich nicht über die gesamte Rentenlaufzeit nachteilig auswirken. Zur Feststellung der Unbilligkeit sei auf die Lebensstellung des Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles und auf seinen sozialen Status abzustellen. Dazu komme es beim Kläger neben den Einkünften auch auf sonstige Aspekte an, die ein genaueres Bild über seine Lebensstellung gäben. Die aus fünf Personen – darunter drei Kleinkindern – bestehende Familie des Klägers hätte sich im relevanten Zeitraum auf Einkünfte aus einer halben Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschränkt und kostenfrei im Rahmen eines vorgezogenen Erbausgleiches im Elternhaus des Klägers gewohnt, so dass der von der Beklagten angesetzte JAV nicht den realen Verhältnissen der Familie unter Dauergesichtspunkten entsprochen habe und sich daher letztlich als "unbillig" im Sinne des § 577 Satz 1 RVO erweise. Ohne die Promotionsabsicht hätte der Kläger aufgrund seines Lebenskonzeptes eine vollschichtige Tätigkeit als Diplom-Chemiker zu den üblichen tariflichen Bedingungen der freien Wirtschaft ausgeübt. Die Anwendung des § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO im Sinne einer Aufstockung zumindest auf eine Vollzeitbeschäftigung scheitere am Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, da dem Kläger im maßgeblichen zwölf Monatszeitraum tatsächlich Entgelte zugeflossen seien. Auch eine Festsetzung des JAV nach § 575 RVO als Mindest-JAV sei in erheblichem Maße unbillig. Die Beklagte sei daher im Rahmen des ihr nach Feststellung der Unbilligkeit eingeräumten Ermessens verpflichtet, den JAV des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer sowie der Wertungskriterien des § 577 Satz 2 RVO im Rahmen des § 575 RVO nach billigem Ermessen festzustellen. Dabei werde die Beklagte zu ermitteln haben, welche Einkünfte ein vollschichtig tätiger Diplom-Chemiker in der freien Wirtschaft nach den entsprechenden Tarifverträgen zum damaligen Zeitpunkt hätte erzielen können.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 28. November 2011 zugestellte Urteil am 20. Dezember 2011 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, die Entscheidung des Sozialgerichts sei rechtswidrig, denn der von ihr festgestellte JAV entspreche der Lebensstellung des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalles, wobei auch seine Ausbildung und seine sonstigen Fähigkeiten kein anderes Ergebnis rechtfertigten, da er diese in der Vergangenheit nicht eingesetzt habe, um höheres Einkommen zu erzielen. Anders als das Sozialgericht stelle das Bundessozialgericht im Hinblick auf die erreichte Lebensstellung darauf ab, welche Einkünfte die Einkommenssituation des Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles geprägt hätten. In zeitlicher Hinsicht sei bei Billigkeitsprüfung des JAV festzustellen, welche Einkünfte der Versicherte innerhalb der Jahresfrist vor dem Versicherungsfall erzielt habe. Seine Einnahmen aus Erwerbstätigkeit im maßgeblichen Jahreszeitraum seien mit dem Ergebnis der gesetzlichen Berechnung zu vergleichen. Der Gesetzgeber habe den Jahreszeitraum als Berechnungsgrundlage für den JAV bewusst gewählt, um eine zeitnahe Berechnungsgrundlage zu haben. Nur wenn besondere Umstände vorlägen, die sich auf den maßgeblichen Zeitraum auswirkten und die eine erhebliche Unbilligkeit der Regelberechnung begründen würden, käme eine Korrektur über 577 RVO in Betracht. Da der Versicherte zum Zeitpunkt des Unfalles aber noch zu keiner Zeit einen höheren JAV als den 1984 festgestellten bezogen habe, entspreche dieser eindeutig der Lebensstellung des Versicherten zum Unfallzeitpunkt. Rechtsprechung und Literatur stellten auch nicht auf die Änderung der Einkommensverhältnisse nach dem Erleiden des Arbeitsunfalles ab. Denn die zu berücksichtigende Lebensstellung des Versicherten sei nicht die in der Zukunft sondern nach dem Wortlaut des Gesetzes die zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles. Ungleichheiten zwischen tatsächlichem Einkommen und gesetzlich berechnetem JAV, wie sie sich auch aus Änderungen der Arbeitszeit und des Entgelts ergeben könnten, begründeten eine Unbilligkeit in erheblichem Maße nur, wenn sie innerhalb der maßgebenden Jahresfrist eingetreten seien. Bleibe allerdings das Arbeitsentgelt innerhalb des Zeitraumes, aus dem sich der JAV errechne, unverändert, fehle es an einer Unbilligkeit der Festsetzung. Nicht nachzuvollziehen seien außerdem die vom Sozialgericht zur Begründung der Unbilligkeit herangezogenen persönlichen Lebensumstände des Versicherten. Denn der Kläger habe in seinem bisherigen Leben zu keinem Zeitpunkt ein Arbeitseinkommen erzielt, das auch nur annähernd den vom Sozialgericht als billig erachteten JAV eines Diplom-Chemikers in Vollzeitbeschäftigung erreicht habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlussberufung das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Oktober 2011 zu ändern und ihm Rente ab 1. Januar 2000 nach einem Jahresarbeitsverdienst entsprechend dem Gehalt eines vollschichtig tätigen promovierten Diplom-Chemikers zu gewähren.
Der Kläger hat vorgetragen, dem Sozialgericht sei im Hinblick auf seine Feststellung, dass der von der Beklagten zugrunde gelegte JAV in erheblichem Maße unbillig sei, zuzustimmen. Der Gesetzesinterpretation der Beklagten sei nicht zu folgen. Diese mache das erzielte Einkommen quasi zum Exklusivmerkmal der JAV-Feststellung. Ein Spielraum für die Feststellung der Unbilligkeit liege damit nicht mehr vor und der Gesetzeswortlaut, der neben der Lebensstellung und Tätigkeit des Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles auch dessen Fähigkeiten und Ausbildung berücksichtige, werde missachtet. Eine kurzfristige Einkommenslage – wie diese beim Kläger für die Dauer der Promotion bestanden habe – sei nach der Rechtsprechung nicht bei dauerhafter Feststellung des JAV zugrunde zulegen. Der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt seine berufliche Lebensstellung noch nicht erreicht gehabt. Ohne Promotion hätte er keinen Zugang zum Arbeitsmarkt gehabt. Mit Rücksicht auf die Arbeitsmarktsituation sei festzustellen, dass für die Ausbildung eines Chemikers die Promotion eine maßgebliche Berufsqualifizierung darstelle, so dass der Kläger sich nicht in einer bloßen Weiterbildungsmaßnahme befunden habe, als es zum Arbeitsunfall gekommen sei. Ohne Promotion wäre der originäre Arbeitsmarkt für ihn quasi verschlossen gewesen. Er sei zum Unfallzeitpunkt weiterhin als Student der C-Universität-C-Stadt in einem Graduiertenstudium zum Zwecke der Durchführung der Promotion eingeschrieben gewesen. Die mit der Promotion zum Ausdruck kommende wissenschaftliche Qualifikation sei keineswegs eine optionale Weiterbildung sondern gehöre als fester Bestandteil zum Berufsbild des Chemikers.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Auf die form- und fristgerecht erhobene, zulässige (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) Berufung der Beklagten war die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, da die Beklagte die Unfallrente des Klägers mit Bescheid vom 23. August 1984 rechtsfehlerfrei festgestellt hatte – insbesondere der Rentenberechnung einen zutreffenden JAV zu Grunde gelegt hatte. Denn die Beklagte hatte den JAV zu Recht nach den Einkünften des Klägers entsprechend einer halben A-13-Stelle bemessen. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neuberechnung des JAV weder aus § 573, Abs. 1 RVO noch aus § 577 RVO. Eine Korrektur der Entscheidung der Beklagten aus dem Jahr 1984 kann der Kläger nicht über § 44 SGB X erreichen mit der weiteren Folge, dass seine Anschlussberufung zurückzuweisen war, mit der er über das erstinstanzliche Bescheidungsurteil hinaus die Rente nach einem JAV entsprechend dem Einkommens eines promovierten Diplom-Chemikers festgestellt wissen will.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 15. Juni 2010, B 2 U 22/09 R, juris, Rn. 18).
Die Beklagte ist bei Erlass des Bescheides vom 23. August 1984 nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, worüber die Beteiligten auch nicht streiten. Dementsprechend hat der erkennende Senat seiner Entscheidung - wie auch schon die Beklagte - folgenden Sachverhalt als vollbeweislich nachgewiesen zu Grunde gelegt:
Der 1954 geborene Kläger hatte nach Ablegung des Abiturs ausweislich der mit Schreiben vom 11. September 2007 an die Beklagte übersandten Studienbescheinigungen - die Bescheinigung für das Sommersemester 1981 bestätigt das 12. Fachsemester für Chemie-Diplomprüfung - im Wintersemester 1975/1976 das Studium der Chemie mit dem Ziel des Abschlusses als Diplom-Chemiker begonnen. Der Kläger hatte nach seinen Angaben im Senatstermin vom 29. April 2014 im Jahr 1977 geheiratet. Aus der - mittlerweile geschiedenen - Ehe gingen drei Kinder hervor, die 1979, 1980 und 1982 geboren sind. Anlässlich der Geburt des 1. Kindes zog der Kläger mit seiner Familie in sein Elternhaus, wo er im Rahmen einer vorweggenommenen Erbauseinandersetzung mietfrei wohnte. Der Lebensunterhalt der Familie wurde bestritten durch BAföG-Zahlungen an den Kläger sowie aus dessen Tätigkeiten während der Semesterferien in der früher seinem Vater gehöhrenden Firma, die ein Onkel weiter betrieb, sowie aus weiteren aus der Firma an ihn fließenden Zahlungen. Zudem hatte seine Ehefrau Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis. Nach Abschluss des Chemiestudiums mit der Diplomprüfung Chemie war der Kläger ab 15. Juli 1981 am Fachbereich Chemie der C-Universität C-Stadt im Rahmen eines Sonderforschungsprojekts als wissenschaftliche Hilfskraft im Umfang einer halben A-13-Stelle angestellt, wobei die über 92 Stunden monatlich hinausgehende Arbeitszeit ihm für Promotionszwecke zur Verfügung stand. Sein Jahreseinkommen aus dieser Tätigkeit betrug DM 21.126,58 + DM 1.908,83 Weihnachtsgeld. Nach einer Bescheinigung des Arbeitgebers vom 14. Dezember 1983 war das Arbeitsverhältnis zunächst bis Ende 1983 befristet. Die wirtschaftliche Situation der seit 1982 fünfköpfigen Familie änderte sich infolge der bezahlten Hilfskrafttätigkeit nicht wesentlich, da die übrigen, während der Studienzeit erzielten Einkünfte wegfielen. Während der Zeit der Promotion blieb der Kläger im Rahmen eines so genannten Graduiertenstudiums weiter immatrikuliert. In den drei Promotionsprüfungsfächern - Hauptfach Biochemie, Nebenfächer analytische Chemie und Mikrobiologie - wurden weitere Kenntnisse vermittelt, die bis dahin nicht Inhalt des Diplomchemiestudiums gewesen waren, wie seinem Schriftsatz vom 11. September 2007 an die Beklagte zu entnehmen ist. Den Abschluss des Promotionsverfahrens hatte der Kläger bis Februar 1984 geplant. Er hatte sich bereits im August 1983 unter Hinweis auf die im Februar 1984 geplante Promotion als promovierter Diplom-Chemiker beworben und wollte als solcher zeitnah nach Abschluss der Promotion ins außeruniversitäre Berufsleben eintreten. Den von der Beklagten anerkannten und entschädigten Arbeitsunfall erlitt der Kläger am 20. September 1983 auf dem etwa 60 km langen Hinweg vom Wohnort zum Fachbereich Chemie an der C-Universität C-Stadt. Der Kläger konnte nach dem Unfall ab dem 11. Juni 1984 wieder arbeiten. Infolge der Schwere der Verletzung wurde sein Arbeitsverhältnis am Fachbereich über das Jahr 1983 hinaus bis Juli 1985 verlängert, so dass er seine Promotion am 13. Februar 1985 ablegen konnte. Im Anschluss trat der Kläger als promovierter Diplom-Chemiker auf einer Vollzeitstelle ins Arbeitsleben ein. Seit 1994 ist der Kläger verbeamtet und verrichtet seine Arbeit ab dem Alter von 55 Jahren als Schwerbehinderter in Altersteilzeit. Er beabsichtigt mit 63 Jahren voraussichtlich Ende März 2018 in den Ruhestand einzutreten und wird sodann eine Pension als Beamte beziehen, wie er im vorgenannten Erörterungstermin dargelegt hat.
Von diesem Sachverhalt ausgehend hat die Beklagte hat im Bescheid vom 23. August 1984 die Höhe der Verletztenrente des Klägers zutreffend bemessen und ist insbesondere bei Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes, dessen Festsetzung mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X sondern lediglich eine verwaltungsinterne Feststellung eines Wertfaktors im Rahmen der Vorbereitung der Feststellung des Wertes des Rechtes auf Verletztenrente darstellt (BSG, Urteil vom 18. September 2012, B 2 U 14/11 R, juris, Rn. 18), zu Recht von den Einkünften des Klägers entsprechend einer halben A-13-Stelle ausgegangen. Sie hat dabei § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO als zutreffende Rechtsgrundlage herangezogen und hat die Voraussetzungen der §§ 573 Abs. 1, 577 RVO zu Recht verneint.
Die nach § 44 Abs. 1 SGB X maßgebliche Frage der zutreffenden JAV-Bemessung war vom Senat nach den §§ 570-578 RVO zu beurteilen. Die den JAV ab 1. Januar 1997 regelnden §§ 81-93 SGB VII finden keine Anwendung. Nach § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gelten die SGB VII-Vorschriften über den JAV auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienstes nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund des § 90 SGB VII neu festgesetzt wird. Danach sind die SGB VII Bestimmungen für "Altfälle" nur bei erstmaliger JAV-Feststellung oder bei erstmaliger Neufeststellung des JAV nach § 90 SGB VII (entsprechend nach § 573 RVO) vorgesehen, nicht aber bei Überprüfung der Billigkeit oder der Voraussetzungen der §§ 571 ff. RVO bzw. 90 SGB VII nach § 44 Abs. 1 SGB X. Insofern sind die RVO-Bestimmungen anzuwenden, wie die erstinstanzliche Entscheidung bereits zutreffend ausgeführt hat (ebenso Harks in: juris-Praxiskommentar, Anmerkung 14 zu § 214 SGB VII m.w.N.).
Der Systematik der §§ 571 bis 578 RVO folgend gilt nach § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung –) des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall als JAV. Für Zeiten, in denen er im Jahre vor dem Arbeitsunfall kein Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen bezog, wird das Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das durch eine Tätigkeit erzielt wird, die der letzten Tätigkeit des Verletzten vor dieser Tätigkeit entspricht (§ 571 Abs. 1 Satz 2 RVO). Befand sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalles noch in einer Schul- oder Berufsausbildung, so wird nach § 573 Abs. 1 Satz 1 RVO, wenn es für den Berechtigten günstiger ist, der JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet. Dieser Berechnung ist das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag festgesetzt oder sonst ortsüblich ist. Erreicht der so errechnete JAV nicht die in § 575 Abs. 1 RVO festgesetzte Mindesthöhe, muss der JAV nach dieser Vorschrift festgesetzt werden. Ist der nach §§ 571-576 RVO berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig, so ist er im Rahmen des § 575 RVO in Anwendung von § 577 Satz 1 RVO nach billigem Ermessen festzustellen (vgl. BSG SozR 2200 § 577 Nr. 11, BSG, Urteil vom 30. Oktober 1991 - 2 RU 61/90). Letztlich sind jedoch die für den Fall des Klägers relevanten Bestimmungen in der RVO und dem SGB VII inhaltsgleich. Die erstmalige Festsetzung des JAV war nach § 571 RVO ebenso wie nach § 82 SGB VII auf der Basis des Gesamtbetrages der Arbeitsentgelte festzustellen, die der Versicherte in den 12 Kalendermonaten vor dem Unfallmonat bezogen hatte. Eine Neufestsetzung nach erfolgter Schul- oder Berufsausbildung sah § 573 RVO ebenso vor wie dies nun § 90 SGB VII regelt. Die Korrektur eines JAV wegen grober Unbilligkeit erlaubte früher § 577 RVO ab 1. Januar 1997 jetzt §§ 87, 91 SGB VII.
Da der Kläger zum Zeitpunkt des Motorradunfalles, den er auf dem Weg zur Arbeitsstelle am 20. September 1983 erlitten und den die Beklagte als Wegeunfall nach § 550 RVO anerkannt hatte, das Examen als Diplom-Chemiker bereits abgelegt hatte und sich im Graduiertenstudium befand, das er zum Zwecke der Promotion absolvierte, hat er keinen Anspruch auf Neufeststellung des JAV nach § 573 Abs. 1 RVO. Danach wird - wenn der Verletzte sich zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet – der JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung neu berechnet, wenn dies für den Berechtigten günstiger ist. Der neuen Berechnung ist das Entgelt zu Grunde zu legen, dass in diesem Zeitpunkt für Personen mit gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist. Der Kläger unterfällt der Bestimmung des § 573 Abs. 1 RVO nicht, da er sich zum Unfallzeitpunkt nicht mehr in einer Berufsausbildung sondern in einer beruflichen Weiterbildung befand, für die eine von der Grundregel des § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO abweichende Sonderregelung zur JAV-Festsetzung nicht existiert.
Zur Bestimmung des Schutzbereiches des § 573 Abs. 1 RVO ist die Berufsausbildung von der sogenannten Weiterbildung abzugrenzen, da die Rechtsprechung es nicht mehr als Berufsausbildung wertet, wenn Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung ergriffen werden, um einen bestimmten Status, eine Verbesserung der Qualifikation, der beruflichen Chancen und Verdienstmöglichkeiten zu erzielen (Urteil des Senats vom 7. November 2008, Az.: L 3 U 232/07 Seite 8 m.w.N.). Die Rechtsprechung geht seit dem BSG-Urteil vom 30. November 1962 – 2 RU 193/59 – BSGE 18, 136 – davon aus, dass ein Diplom-Chemiker, der aufgrund eines Privatdienstvertrages als wissenschaftliche Hilfskraft in einem chemischen Universitätsinstitut Forschungen durchführt, die ihm zugleich als Doktorarbeit angerechnet werden, sich während der Ausübung dieser Tätigkeit nicht mehr in einer Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO a.F. (§ 573 RVO n.F.) befindet. Mit Ablegung der Diplom-Chemiker-Hauptprüfung wird danach nicht nur das Studium der Chemie sondern – anders als bei der Referendarprüfung – die gesamte Berufsausbildung eines Chemikers abgeschlossen. Denn die Verleihung des akademischen Grades eines Diplom-Chemikers berechtigt diesen zur Ausübung des Berufes eines Chemikers. Der Chemiker erlangt zwar durch die Anfertigung der Doktorarbeit weitere Kenntnisse auf einem Spezialgebiet der Chemie und stellt durch die Ablegung des Doktorexamens seine Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit besonders unter Beweis, wodurch er sich für den Wettbewerb im Wirtschafts- oder Arbeitsleben eine günstigere Position verschafft. Diese Vorteile gegenüber dem nicht promovierten Chemiker sind jedoch nicht das Ergebnis einer Berufsausbildung sondern einer Weiterbildung in dem bereits erlernten Beruf. Allerdings hatte das BSG damals in der 1962er Entscheidung die erst im Entwurf vorliegende Regelung des § 577 RVO n.F. ausdrücklich nicht geprüft (Ziffer 21). Seine Rechtsprechung hat es sodann wiederholt bestätigt (beispielsweise Urteile vom 30. Oktober 1991 2 RU 61/90 Rn. 17 juris und vom 5. August 1993 2 RU 24/92 Rn. 18 juris) und hat darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber die Vorschriften des §§ 565 RVO a.F. (entsprechend 573 Abs. 1 RVO n.F.) durch das Unfallversicherungsneuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 trotz Kenntnis seiner Rechtsprechung nicht geändert hat, so das weiter davon auszugehen ist, dass die berufliche Weiterbildung nicht zur Berufsausbildung i.S.d. § 573 Abs. 1 RVO zählt. Dasselbe muss nach Auffassung des erkennenden Senats im Hinblick auf das ab 1. Januar 1997 in Kraft getretene SGB VII gelten, das insofern auch keine andere Regelung vorsieht, so dass das BSG auch ab 1997 an seiner Rechtsprechung festgehalten hat (dazu Urteil vom 7. Februar 2006 - B 2 U 3/05 Rn. 16 juris). Die Rechtsprechung hat § 573 RVO bzw. § 90 SGB VII immer als Ausnahmereglung angesehen und es stets abgelehnt, die Ausnahmebestimmungen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auf andere, vermeintlich ähnlich liegende Sachverhalte auszudehnen. Denn mit der Möglichkeit, erst nach Eintritt des Versicherungsfalles nach einer Schul- oder Berufsausbildung die Bemessungsgrundlage anzuheben, weicht der Gesetzgeber für einen Sonderfall vom ansonsten herrschenden Grundsatz ab, dass die Verdienstverhältnisse im Jahr vor dem Arbeitsunfall für alle Zeiten die maßgebende Grundlage der Geldleistungen bleiben und spätere Erwerbsaussichten bei Feststellung des JAV nicht zu berücksichtigen sind (Urteile des Senats vom 7. November 2007 L 3 U 232/07 Seite 8 sowie vom 24. März 2009 Seite 10 m.w.N.; BSG, Urteil vom 7. Februar 2006 B 2 U 3/05 juris). Dasselbe hat das BSG für die Regelung des § 90 Abs. 1 SGB VII entschieden (BSG, Urteil vom 18. September 2012 – B 2 U 11/11 R juris). Danach stellen die §§ 82 ff. SGB VII ein stimmiges Konzept des Gesetzgebers dar und bieten keine von der Rechtsprechung auszufüllende Lücke (BSG a.a.O. Ziffern 36, 38).
Für die Entscheidung der Rechtsfrage, ob die Doktorandenzeit der Berufsausbildung zuzurechnen ist, hat der Senat (ebenso wie BSGE 18, 136) maßgeblich darauf abgestellt, dass mit Ablegung der Diplom-Chemie-Hauptprüfung nicht nur das Studium der Chemie sondern auch die berufsqualifizierende wissenschaftliche Ausbildung eines Chemikers abgeschlossen wird mit der Folge, dass der mit dem akademischen Grad eines Diplomchemikers Ausgezeichnete zur Ausübung des Berufes eines Chemikers berechtigt ist und als solcher ins Berufsleben eintreten kann. Infolgedessen hat der Senat die Frage der Einordnung des vom Kläger nach dem Studienabschluss fortgesetzten Graduiertenstudiums offen gelassen, während dessen - wie die vom Kläger vorgelegten Studienbescheinigungen erkennen lassen - diese die Fachsemesterzahl fortschreiben und nicht etwa mit Semester 1 eines Graduiertenstudiums neu beginnen. Nicht entscheidungserheblich war für den Senat auch das Verhältnis der Zahlen der ins Berufsleben eintretenden Diplom-Chemiker mit und ohne Promotion. Im Graduiertenstudium hat der Kläger sich - wie von der Beklagten nicht bestritten und für den Senat vom Kläger wiederholt glaubhaft dargelegt - weitere Kenntnisse im Hauptfach Biochemie ebenso erarbeitet wie in den Nebenfächern analytische Chemie und Mikrobiologie, die über die Lehrinhalte des Chemiestudiums hinausgingen und auch Gegenstand der Promotionsprüfung wurden. Er hat damit seine berufliche Qualifikation erhöht und - im Hinblick auf die hohe Zahl ins Berufsleben eintretender promovierter Diplom-Chemiker - auch die Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt und sicher auch seine Verdienstmöglichkeiten gesteigert. Ob letztlich 87 % (so die Klagebegründung vom 12. März 2009 auf Seite 3) oder sogar mehr als 90 % (so die Auskunft der mit Schriftsatz vom 21. Mai 2012 vorgelegten Stellungnahme der Gesellschaft Deutscher Chemiker vom 12. März 2009, wonach nur 5 bis 7 % der Diplom-Chemiker ohne Promotion ins Berufsleben eintreten) der Diplomchemiker promovieren, bevor sie ins Berufsleben eintreten, war für den Senat nicht entscheidungserheblich. Denn die Möglichkeit des Berufseinstiegs für Diplom-Chemiker besteht unverändert, wenn diese auch nur von wenigen Hochschulabsolventen des Faches Chemie direkt wahrgenommen wird, was zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig war.
Als Ergebnis vorstehender Abgrenzung der Berufsausbildung von der Weiterbildung ist nicht zu verkennen, dass der Kläger als Mitglied der Gruppe der nach dem Studienabschluss promovierenden Diplom-Chemiker ebenso wie eine Vielzahl weiterer unter denselben Umständen vor allem in den Naturwissenschaften Promovierender zweifach ungleich behandelt wird: Für einen Versicherten, der einen Arbeitsunfall noch als Student erleidet, käme die Vergünstigung des § 573 Abs. 1 RVO in Betracht und kommt es zum Arbeitsunfall erst nach Eintritt ins Berufsleben - egal ob als nur diplomierter oder als promovierter Chemiker, ist das dann erzielte Einkommen nach § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO Maßstab für die JAV-Feststellung. Für die Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber beiden Vergleichsgruppen gibt es indes sachliche Gründe, die einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verneinen lassen.
Der rechtfertigende Grund für die unterschiedliche Leistungsbemessung bei Unfällen während einer Schul- oder Berufsausbildung auf der einen und Unfällen während einer sonstigen beruflichen Bildungsmaßnahme auf der anderen Seite liegt in der unterschiedlichen Ausgangssituation der betroffenen Versicherten. Eine Schul- oder Berufsausbildung wird in aller Regel vor dem Eintritt in das Erwerbsleben absolviert und der Betroffene hat noch kein oder nur ein geringes Arbeitseinkommen. Umgekehrt ist für Maßnahmen der beruflichen Qualifikation oder Weiterbildung typisch, dass die Teilnehmer zuvor bereits berufstätig gewesen sind und vor Eintritt des Versicherungsfalles in der Regel Arbeitsentgelt oder eine Lohnersatzleistung bezogen haben, woran bei Feststellung des JAV angeknüpft werden kann – auch wenn das Arbeitsentgelt oder die Lohnersatzleistung hinter dem Entgelt zurückgeblieben ist, das der Versicherte bei einem erfolgreichen Abschluss der Maßnahme hätte erzielen könne (ebenso BSG, Urteil vom 15. September 2011 B 2 U 24/10 R juris, Rdnr. 42 ff.).
Auch für die unterschiedliche Behandlung der Gruppe der nach Studienabschluss promovierenden Chemiker bzw. Naturwissenschaftler gegenüber den ins Berufsleben eingetretenen bestehen sachliche Gründe. Denn mit dem JAV erhält das grundsätzlich auf abstrakte Schadensbemessung ausgelegte Rentenrecht der gesetzlichen Unfallversicherung eine Konkretisierung dahin, dass der Stellung des Versicherten im Erwerbsleben im Jahr vor dem Versicherungsfall Rechnung getragen werden soll. Die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens in diesem Zeitraum entspricht der Funktion der Verletztenrente als abstraktem Erwerbsschadensausgleich. Mit diesem Einkommen soll der Lebensstandard des Versicherten im Jahr vor dem Versicherungsfall zum Ausdruck gebracht und damit der soziale Status bei Eintritt des Versicherungsfalls bei Bemessung der Geldleistung berücksichtigt werden (dazu Schudmann, Rdnrn. 22, 24; BSG, Urteil vom 30. September 1979, 8a RU 56/78, juris, Rdnr. 10 ff.). Der einmal zutreffend festgestellte JAV nimmt an der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung danach nur noch über die jährliche Rentenerhöhung entsprechend dem jeweiligen Anpassungsfaktor teil. Ansonsten gilt der Grundsatz, dass die Verdienstverhältnisse im Jahr vor dem Arbeitsunfall für alle Zeiten die maßgebende Grundlage der Rentenleistung bleiben (BSGE, 31, 40; 38, 216, 218, 47, 137, 140 sowie Urteile des Senats vom 7. November 2008, Az.: L 3 U 232/07 sowie vom 27. März 2009, Az.: L 3 U 111/07).
Entgegen der erstinstanzlichen Auffassung kommt auch eine Korrektur des JAV über die Billigkeitsregelung des § 577 RVO nicht in Betracht. Ist der nach dem § 571-576 berechnende JAV in erheblichem Maße unbillig, so ist der JAV nach § 577 RVO im Rahmen des § 575 nach billigem Ermessen festzustellen. Hierbei ist außer den Fähigkeiten, der Ausbildung und der Lebensstellung des Verletzten seine Erwerbstätigkeit zur Zeit des Arbeitsunfalles oder, soweit er nicht gegen Entgelt tätig war, eine gleichartige oder vergleichbare Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Der Kläger unterfällt dieser Regelung nicht, da ein Ausgleich für ein dauerhaft akzeptiertes geringes Einkommen, das in der Jahresfrist des § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO unverändert bezogen wurde, nicht über § 577 RVO zu korrigieren ist.
Bei der Bewertung, ob der JAV unbillig ist, steht dem Versicherungsträger kein Beurteilungsspielraum zu (BSG, Urteil vom 15. September 2011, B 2 U 24/10 R, juris, Rn. 23). Die Frage der Unbilligkeit des JAV ist vielmehr vollumfänglich von den Sozialgerichten zu überprüfen. Wenn die in erheblichem Maße bestehende Unbilligkeit feststeht, hat der Versicherungsträger eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Höhe des JAV zu treffen, die an den Kriterien des § 577 Satz 2 RVO zu orientieren ist und von den Sozialgerichten nur eingeschränkt im Rahmen des § 54 Abs. 2 SGG gerichtlich überprüfbar ist (BSG, Urteil vom 30. Oktober 1991, 2 RU 61/90, juris, Rn. 19; Urteil des Senats vom 24. März 2009, Az. L 3 U 11/07).
Nicht unbeachtet bleiben darf bei inhaltlicher Auslegung des § 577 RVO die Historie der §§ 570 ff. RVO (dazu Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, Stand Januar 1992, Anm. 5 zu § 577, Seite 446), die zu einer Vereinfachung der rechtlichen Gestaltung und Anwendung der JAV-Feststellung zwecks Ablösung der vorherigen ausufernden Kasuistik führen sollte. Nach der Begründung zu § 577 RVO in BT Drucks. 4/1205 (dazu: Lauterbach, a.a.O., Anmerkung 1 zu § 577) erfasst die Bestimmung Fälle, in denen das Arbeitseinkommen aus besonderen Gründen zeitweilig so niedrig ist, dass es nicht zur Grundlage der normalen Lebenshaltung dienen konnte. Dann soll es auch nicht als Anknüpfung für die Berechnung der dauerhaften Unfallrente herangezogen werden. Ein Arbeitsentgelt, das einen nicht nur vorübergehend niedrigeren, dem Lebensstandard des Verletzten entsprechenden Verdienst abbildet, wurde grundsätzlich nicht als erheblich unbillig angesehen (Lauterbach, a.a.O., Anmerkung 2 zu § 577). Eine erhebliche Unbilligkeit wurde angenommen, wenn die JAV-Berechnung auf einem Gehalt beruhte, das nur aufgrund einer vorübergehenden Notlage - beispielsweise zur Überbrückung der finanziellen Schwierigkeiten eines Arbeitgebers - herabgesetzt war oder wenn ein Wissenschaftler für eine vorübergehende Zeit eine niedrig bezahlte Tätigkeit zu Versuchszwecken für seine Forschung ausgeübt hatte und hierbei verunglückt war (Lauterbach, a.a.O., Anmerkung 3 zu § 577).
Dieser "historischen" Interpretation entspricht die Rechtsprechung zur RVO und zum SGB VII. § 577 RVO bietet danach keinen Ausgleich für ein dauerhaft niedrigeres und so akzeptiertes Einkommen des Versicherten (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1981 in SozR Nr. 9 zu § 577 RVO). Von einer Unbilligkeit im Sinne des § 577 soll nur bei Veränderungen innerhalb der Jahresfrist ausgegangen werden, nicht aber bei einem über das gesamte Jahr hinweg gleichen Einkommen (Urteil des BSG vom 15. September 2011 B 2 U 24/10 R juris Ziffern 27, 29; BSG vom 30. April 1979 8 a RU 56/58 juris in Abgrenzung des § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO zu dessen Satz 2). Eine Aufstockung nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO käme nicht nur bei zufälligen sondern auch bei gewollten zeitweiligen Einkommensminderungen bzw. einer Einkommenslosigkeit in Betracht (BSGE 51, 179). Ein Ausgleich einer dauerhaft akzeptierten Einkommensminderung über § 577 RVO scheidet aber aus.
Die vom Kläger vor dem Senat nochmals dargelegte Einkommenssituation der Familie A. war seit Mitte 1981 geprägt durch das aus der halben A-13-Stelle erzielte Einkommen des Klägers als wissenschaftliche Hilfskraft. Die zum Unfallzeitpunkt bereits fünfköpfige Familie hatte sich bei freier Wohnung im Elternhaus des Klägers auf dieser Basis finanziell eingerichtet. Die Familie lebte nicht wesentlich anders als auch schon zu Studienzeiten des Klägers in den Jahren zuvor, als der Kläger und seine Ehefrau - wenn auch zum Teil aus anderen Quellen – Einkünfte in ähnlicher Höhe erzielt hatten. Der Kläger hatte danach in dem für die JAV Feststellung gemäß § 571 Abs. 1 RVO relevanten Jahreszeitraum vor dem Unfalltag, dem 20. September 1983, ein gleichbleibendes Einkommen erzielt, für das eine Aufstockung nach § 571 Abs. 1 Satz 2 RVO von vornherein auszuscheiden hat. Die langjährig im Wesentlichen gleiche Einkommenssituation der Familie A. prägte die Lebensstellung des Klägers. Er hätte zwar die Möglichkeit gehabt, nach Ablegung des Diplom-Chemiker-Examens ins Berufsleben einzutreten, hatte den nach seinen damaligen Fähigkeiten und dem erreichten formalen Ausbildungsstand möglichen Schritt nicht getan, um sich - wie die allermeisten Berufskollegen - im Rahmen einer Promotion weiter zu qualifizieren, um seine Chancen und Verdienstmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt für Chemiker zu verbessern. Die Verletztenrente als abstrakter Erwerbsschadensausgleich knüpft indessen an den zur Zeit des Versicherungsfalles erreichten Lebensstandard an und den dem zu Grunde liegenden sozialen Status. Sie entschädigt zukünftige Einkommensverbesserungen im Wege eines beruflichen Aufstiegs nicht (BSG in SozR § 571 RVO Nr. 1; Urteil des Senats vom 7. November 2008, Az. L 3 U 232/07).
Die vorliegende Fallkonstellation ist weder mit dem Sonderfall im Urteil des BSG vom 30. Oktober 1991 – 2 RU 61/90 juris – noch mit dem Fall des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Januar 2012 Az.: L 3 U 181/09 vergleichbar. In dem dem BSG-Urteil zugrunde liegenden Fall konnte ein asylberechtigter approbierter Arzt wegen der längerfristigen Dauer des Asylverfahrens vor Erleiden eines tödlichen Arbeitsunfalles nur als Hilfsarbeiter tätig sein. Ohne diese Widrigkeiten hätte er für etwa ¼ Jahr bis zu seinem Tode als Arzt arbeiten können, was das BSG im Sinne der Unbilligkeit zugunsten der Hinterbliebenen berücksichtigt hat. Demgegenüber beruhte die Einkommenssituation des Klägers im Jahreszeitraum vor dem Unfall auf einem freiwilligen Entschluss im Hinblick auf einen später angestrebten höheren beruflichen Erfolg. In der Fallkonstellation, die das Bayerische LSG zu entscheiden hatte, hatte eine bereits früher in Vollzeit tätige Tierärztin zeitweise im Jahr vor dem Arbeitsunfall auf einer Halbtagsstelle gearbeitet, wobei es sich allerdings um einen Auffüllungsfall nach § 82 Abs. 2 Satz 1 SGB VII (entsprechend § 571 Abs. 1 Sätze 2 und 3 RVO) gehandelt hatte. Der Kläger stellt bei einem dauerhaft akzeptierten gleichmäßig geringen Einkommen keinen "Aufstockungsfall" dar und einen Ausgleich für ein derart reduziertes Einkommen erlaubt § 577 RVO nicht.
Die im Verwaltungsvermerk der Beklagten vom 6. März 2007 beschriebene und von der erstinstanzlichen Entscheidung aufgegriffene "gesetzessystematische Lücke" zwischen Ausbildungsende und Aufnahme einer Lebensstellung ließe sich nach Vorstehendem durchaus bestreiten, wobei eine derartige Lücke - diese einmal zu Gunsten des Klägers unterstellt - nicht von der Rechtsprechung zu füllen wäre. Denn es handelt sich jedenfalls nicht um eine "planwidrige Unvollständigkeit" (dazu BSG, Urteil vom 18. September 2002, B 2 U 11/11 R, juris, Rdnr. 3), auch wenn sozial- oder rechtspolitische Erwägungen für eine erweiterte Ausnahmeregelung vom Grundsatz der Regelberechnung des §§ 571 Abs. 1 RVO bzw. 82 Abs. 1 SGB VII sprechen sollten. Denn von einer solchen Ausnahmeregelung wären quasi alle in naturwissenschaftlichen Fächern Promovierenden betroffen, die früher wie heute ihre Promotionsphase in ähnlicher Weise wie der Kläger wirtschaftlich absichern, wobei die Rechtsprechung dies seit über 50 Jahren in vorstehender Weise einordnet, so dass es nicht Sache der an Recht und Gesetz gebundenen Gerichte sein kann, sondern Aufgabe des Gesetzgebers wäre, eine Regelung im Sinne des Klägers und aller im Bereich der Naturwissenschaft Promovierenden zu treffen.
Da die JAV Feststellung der Beklagten letztlich nicht zu beanstanden war, musste auch die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen werden, die auf Feststellung eines noch höheren JAV entsprechend dem Einkommen eines promovierten Chemikers abzielte und zur Zahlung einer nochmals höheren Verletztenrente führen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Diese besteht nicht nur im Hinblick auf die besondere Betroffenheit des Klägers im speziellen Fall sondern auch wegen der Konsequenzen für quasi alle im naturwissenschaftlichen Bereich Promovierende, die einen Arbeitsunfall nach dem Ende des Studiums aber vor Erreichen einer Beschäftigung auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt für Chemiker bzw. Naturwissenschaftler erreichen.
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