L 9 KR 125/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 KR 43/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 125/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 23/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Oktober 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Hilfe beim An- und Ausziehen und Duschen anlässlich der verordneten Bewegungsbäder und Unterwasserdruckstrahlbehandlungen gewähren muss.

Die 1943 geborene Klägerin leidet an einer juvenilen chronischen Polyarthritis mit schwersten Gelenkzerstörungen und Fehlstellungen sowie zahlreichen Sekundärveränderungen und Kontrakturen. Bei einem Verkehrsunfall im Jahre 1996 kam es zu einer Lendenwirbelsäulenfraktur, die in den darauffolgenden Jahren zu einer zunehmenden Schiefhaltung der Wirbelsäule führte; daneben besteht ein Zustand nach Ellenbogen- und Oberschenkelhalsfraktur rechts aufgrund eines weiteren Verkehrsunfalles im Jahre 1998. Wegen Problemen im pulmologischen Bereich ist die Klägerin seit 1985 mit einem Tracheostoma mit Trachealkanüle versorgt. Seit ihrem 21. Lebensjahr ist sie auf den Rollstuhl angewiesen.

Trotz ihrer Behinderungen absolvierte die Klägerin die Handelsschule und machte eine Lehre als Bürogehilfin. Zuletzt arbeitete sie 14 Jahre lang als Chefarztsekretärin im E. Krankenhaus in Sch. Seit 1990 ist sie Erwerbsunfähigkeitsrentnerin. Die Pflegekasse gewährt ihr seit dem 20. März 1996 Leistungen nach Pflegestufe III. Aus dem Pflegegutachten vom 19. Dezember 1996 ergibt sich, dass die Klägerin auf die völlige Übernahme aller körperbezogenen Verrichtungen durch Dritte angewiesen ist.

Am 16. Mai 1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Assistenz beim Be- und Entkleiden und beim Duschen anlässlich der verordneten Bewegungsbäder. Derzeit erhalte sie zwar alle notwendigen Hilfen in einem Umfang von etwa 45 Minuten im Krankenhaus Sch. aufgrund ihrer Stellung als ehemalige Mitarbeiterin. Sie befürchte aber, dass diese Hilfe nicht mehr gewährleistet werden könne, wenn ihre dortige Bezugsperson in naher Zukunft in den Ruhestand gehe.

Am 18. August 1997 wurde der Klägerin nach den Angaben der Beklagten telefonisch mitgeteilt, dass es keine Möglichkeit gebe, die beantragte Assistenz zu gewähren.

Am 27. Januar 1998 erhob die Klägerin Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Berlin, da ihr Antrag nicht ordnungsgemäß bearbeitet worden sei.

Mit Bescheid vom 22. Juni 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Hilfe beim Be- und Entkleiden und Duschen ab und führte zur Begründung aus, die im Land Berlin mit den Krankenhäusern vereinbarten Vergütungssätze für die Abgabe von Bewegungsbädern und Unterwasserdruckstrahlbehandlungen beinhalteten auch die Nachbehandlung, Ruhe und Bedienung. Wegen des unterschiedlichen Gesundheitszustandes sei die zu gewährende Assistenz nicht minutiös fixiert. Darüber hinaus könnten Kosten nicht übernommen werden. Außerdem sei nach einer Information der Beklagten die Behandlung im E. Krankenhaus Sch. weiter sichergestellt.

Zu diesem Zeitpunkt zahlte die Beklagte den Krankenhäusern im Land Berlin 17,55 DM bzw. 14,75 DM für ein Bewegungsbad und 24,70 DM für eine Unterwasserdruckstrahlbehandlung.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 16. Juli 1998 Widerspruch.

Daraufhin holte die Beklagte eine Auskunft der Frau I. vom E. Krankenhaus Sch. vom 28. August 1998 ein. Diese erklärte, die Versorgung der Klägerin mit Bewegungsbädern und Unterwasserdruckstrahlmassagen einschließlich der benötigten Assistenz sei weiter sichergestellt. Die Klägerin befürchte allerdings, dass das Krankenhaus im Rahmen der Umstrukturierungsmaßnahmen des Berliner Krankenhauswesens geschlossen werde und ihre Versorgung dann nicht mehr gewährleistet sei.

Die Beklagte bemühte sich daraufhin um den Nachweis weiterer Versorgungsmöglichkeiten und holte Auskünfte des Herrn F. vom E. J. vom 2. September und 28. Oktober 1998 ein. Das Krankenhaus erklärte sich danach bereit, die erforderliche Hilfe beim Be- und Entkleiden und Duschen anlässlich der verordneten Bewegungsbäder zu leisten; eine Übernahme der Behandlung erfolgte jedoch nicht, da die Klägerin die Abgabe der Unterwasserdruckstrahlmassagen in einem separaten Becken wünschte. Ein solches ist im E. J. nicht vorhanden.

Die Klägerin erhielt entsprechende Mitteilungen vom 3. September und 5. November 1998. Mit Schreiben vom 20. Februar 1999 machte sie geltend, dass ihre Versorgung entgegen der Behauptung der Beklagten nicht sichergestellt sei, weil eine Therapeutin im E. Krankenhaus Sch. durch Urlaub und eine zweiwöchige Arbeitsunfähigkeit verhindert sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1999 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 22. Juli 1998 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Abgabe von Unterwasserdruckstrahlmassagen und Bewegungsbädern grundsätzlich auch die Hilfe beim An- und Auskleiden erfasse. Diese sei aber in einem zeitlichen Zusammenhang zur jeweiligen Behandlungsdauer des verordneten Heilmittels zu sehen. Der Behandlungsrichtwert betrage hier üblicherweise 30 Minuten. Die benötigte Hilfe von etwa 45 Minuten stehe daher in keinem kausalen Zusammenhang mit den verordneten Heilmitteln. Hieraus folge, dass die von der Klägerin benötigte Assistenz eine zeitlichen Mehraufwand darstelle, der aufgrund der gesetzlichen Regelungen nicht mehr in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung falle.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 29. Juni 1999 umgestellten Untätigkeitsklage gewandt und beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, die im Zusammenhang mit den regelmäßig erfolgenden Unterwasserdruckstrahlmassagen und Bewegungsbädern notwendig werdende Hilfe beim An- und Auskleiden und Duschen zu finanzieren. Denn ohne diese Hilfe könne sie die verordneten Heilmittel überhaupt nicht in Anspruch nehmen.

Mit Urteil vom 8. Oktober 1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass nach § 31 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I) Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürften, soweit ein Gesetz dies vorschreibe oder zulasse. Das Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) enthalte jedoch weder eine ausdrückliche Regelung über persönliche Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Erbringung von Heilmitteln noch ermächtige das Gesetz, eine derartige Leistung durch Rechtsverordnung oder Kassensatzung vorzusehen. Aus § 32 Abs. 1 SGB V folge lediglich ein Anspruch auf das Heilmittel selbst. Nebenleistungen seien hierin nicht enthalten. Der Gesetzgeber habe die Bewilligung von Nebenleistungen auf einige ausdrücklich geregelte Fälle beschränkt. Auch aus dem Umstand, dass Nebenleistungen die Erbringung der durch die Krankenkasse zu finanzierenden Hauptleistungen überhaupt erst ermöglichen, könne nicht geschlossen werden, dass die Krankenkasse damit auch die Kosten für diese Nebenleistungen zu erbringen habe. Aus dem Fehlen einer Regelung über akzessorische Nebenleistungen in Form von persönlichen Dienstleistungen im Zusammenhang mit Kassenleistungen dürfe auch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Gesetzeslücke bestehe, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden könne. Das Erfordernis von persönlichen Dienstleistungen und Begleitung für Schwerstbehinderte sei dem Gesetzgeber grundsätzlich bekannt und habe auch umfassenden Einfluss in die Gesetzgebung zum Pflegeversicherungsgesetz (Sozialgesetzbuch/Elftes Buch - SGB XI -) gefunden. Da für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung aber weiterhin entsprechende Rechtsvorschriften fehlen würden, könne nicht von einer planwidrigen Gesetzeslücke gesprochen werden. Eine Verpflichtung zur Erbringung der hier begehrten Nebenleistungen folge auch nicht aus dem von der Beklagten überreichten "Leistungsverzeichnis und Vergütungsliste für Krankenhäuser im Westteil Berlins". Im Anschluss an die Vergütungsliste sei dort zwar ausgeführt, dass sich sämtliche Preise einschließlich Bedienung verstünden. Nach dem Sinn und Zweck des Leistungsverzeichnisses könne aber mit dem Begriff Bedienung nur eine solche bei der Anwendung selbst gemeint sein, während andere persönliche Dienstleistungen hierdurch nicht erfasst seien. Jedes andere Verständnis der Vergütungsliste würde zu einer unvertretbaren Leistungsausweitung führen.

Gegen das ihr am 26. Oktober 1999 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung vom 17. November 1999. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr Vorbringen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren und trägt ergänzend vor, dass auch ihr die notwendigen Nebenleistungen zu den verordneten Heilmitteln zu gewähren seien, wenn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Anspruch auf Übernahme der Stromkosten eines mit einem Elektrorollstuhl versorgten Versicherten bestünde. Unterschiede zwischen Heil- und Hilfsmitteln dürften insoweit nicht gemacht werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die im Zusammenhang mit den regelmäßig verordneten
Unterwasserdruckstrahlmassagen und Bewegungsbädern notwendig werdende Hilfe beim An- und Auskleiden und Duschen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt ihrer Bescheide und hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und der Pflegekasse sowie auf die Gerichtsakten Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Hilfe beim Aus- und Ankleiden und Duschen anlässlich der als Heilmittel nach § 32 SGB V verordneten Bewegungsbäder und Unterwasserdruckstrahlmassagen hat.

Zutreffend hat das Sozialgericht mit der von ihm gegebenen Begründung ausgeführt, dass die der Klägerin gewährten Bewegungsbäder und Unterwasserdruckstrahlbehandlungen Heilmittel i. S. des § 32 SGB V sind und die genannte Norm nur einen Anspruch auf das Heilmittel selbst und nicht auch auf vom Heilmittelbegriff nicht erfasste Nebenleistungen vermittelt (vgl. zum Heilmittelbegriff Höfler in Kasseler Kommentar, § 32 SGB V Rdnr. 4; Mrozynski in Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 32 SGB V Rdnr. 5 ff.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die begehrte Leistung auch nicht im Rahmen der Soziotherapie nach § 37a SGB V gewährt werden, da dieser Anspruch voraussetzt, dass Versicherte wegen schwerer psychischer Erkrankungen nicht in der Lage sind, die ärztlich verordnete Leistung selbständig in Anspruch zu nehmen. Diese Voraussetzung ist hier offensichtlich nicht gegeben.

Ein Anspruch der Klägerin besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der von der Beklagten geschuldeten ärztlichen Behandlung (§§ 27, 28 Abs. 1 S. 2 SGB V), weil die begehrte Hilfeleistung keinen medizinischen Charakter hat. Der Umstand, dass nach dem Gesetzestext praktisch jede Berufsgruppe zur Hilfeleistung hinzugezogen werden kann, entbindet nicht von dieser Grundvoraussetzung, die sich aus der Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Umstand, dass die Leistung einem Arzt als Leistungserbringer zugerechnet wird, ergibt. Eigenverantwortlich kann der Arzt als zugelassener Leistungserbringer im System der gesetzlichen Krankenversicherung nur dem Grunde nach medizinische Leistungen erbringen (so Mrozynski in Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 28 SGB V Rdnr. 14). Anderenfalls könnte nahezu jede nichtmedizinische Leistung, die ein Arzt anordnet, über die gesetzliche Krankenversicherung abgerechnet werden, was zu einer nicht vertretbaren Leistungsausweitung führen würde. Darauf hat schon das Sozialgericht zu Recht hingewiesen.

Weitere Anspruchsgrundlagen für die hier begehrte Hilfeleistung als Nebenleistung zur Erbringung eines verordneten Heilmittels sind im SGB V nicht enthalten. Dies hat das Sozialgericht mit der von ihm gegebenen Begründung zutreffend ausgeführt, so dass der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Damit hat die Beklagte im Ergebnis zutreffend darauf hingewiesen, dass die mit den Leistungserbringern nach § 125 SGB V abgeschlossenen Verträge diese nicht zu einer Leistungserbringung verpflichten, die die Beklagte gar nicht sicherzustellen hat, sondern der Begriff der Bedienung in den Verträgen so zu verstehen ist, dass damit nur die notwendigen Handreichungen, die mit der unmittelbaren Heilmittelerbringung verbunden sind, gemeint sind.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. Februar 1997 (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 24), in dem es einem mit einem Elektrorollstuhl versorgten Versicherten die für das Aufladen der Akkus notwendigen Stromkosten als Erstattungsanspruch gegen die Krankenkasse zugebilligt hat. Bei den Stromkosten handelt es sich um unmittelbar notwendige Kosten, die anfallen, um das Hilfsmittel selbst nutzbar zu machen. Insoweit liegen in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall notwendige Nebenkosten des Hilfsmittels selbst vor. Die hier begehrte Hilfeleistung beim An- und Auskleiden und beim Duschen betrifft nicht das erbrachte Heilmittel selbst, hier Bewegungsbäder und Unterwasserdruckstrahlbehandlungen, sondern stellt nur eine - wenn auch notwendige - Vorleistung dar. Vergleichbar wären die Fallgestaltungen nur dann, wenn das Bundessozialgericht in dem von der Klägerin zitierten Urteil ausgeführt hätte, dass auch Vorleistungen für die Benutzung des Rollstuhls, z. B. das Ankleiden, als notwendige Kosten des Hilfsmittels anzusehen seien. Dies ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind daher rechtmäßig; der Berufung musste der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist zugelassen worden, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Diese ergibt sich aus der Frage, ob der Heilmittelbegriff im Wege der Rechtsfortbildung in den Fallgestaltungen, in denen das Heilmittel ohne die Einbringung der Nebenleistung überhaupt nicht erbracht werden kann, um die in diesem Sinne unverzichtbare Nebenleistung erweitert werden muss.
Rechtskraft
Aus
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