L 9 R 1040/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 2931/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1040/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 31. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Verfahren S 1 R 2722/10 (Sozialgericht [SG] Heilbronn) sowie S 5 R 5238/08 (SG Stuttgart), in denen die Höhe der Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung und Hochschulausbildung bzw. die Aufhebung eines Vormerkungsbescheides streitig waren, durch einen Vergleich beendet wurden.

Der 1935 geborene Kläger bezieht von der Beklagten Regelaltersrente.

Mit Bescheid vom 07.12.1981 hatte die Beklagte unter anderem die Zeiten vom 19.03.1951 bis 18.03.1952 als (damals) Ausfallzeit wegen Schulausbildung sowie vom 01.01.1956 bis zum 22.11.1965 als Ausfallzeit wegen Hochschulausbildung vorgemerkt.

Nachdem zum 01.01.1997 das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG - vom 25.09.1996 (Bundesgesetzblatt Teil I S. 1461) in Kraft getreten war, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Rentenbescheid vom 24.03.2000 Regelaltersrente, ohne indes die oben erwähnten Ausfallzeiten nunmehr als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2000 zurück. Die am 06.09.2000 hiergegen beim SG Stuttgart eingelegte Klage (S 5 RA 5054/2000) wurde mit Beschluss vom 27.08.2001 ruhend gestellt im Hinblick auf eine zu erwartende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Am 25.07.2008 wurde das Verfahren wieder angerufen und unter dem Az. S 5 R 5238/08 fortgeführt.

Die Beklagte erließ am 04.11.2008 einen Bescheid, wonach die Vormerkung der Zeiten vom 19.03.1951 bis 18.03.1952 als Anrechnungszeit wegen Schulausbildung und vom 01.01.1956 bis 22.11.1965 als Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben wurden. Mit Rentenbescheid vom 12.12.2008 stellte die Beklagte die Regelaltersrente ab dem 01.04.2000 bis 31.10.2008 neu fest unter Anrechnung der streitigen Ausbildungszeiten und errechnete eine Nachzahlung in Höhe von 7.740,80 EUR. Am 09.03.2009 erging ein weiterer Rentenbescheid, geltend ab dem 01.12.2008, nunmehr wiederum ohne Berücksichtigung der streitigen Anrechnungszeiten. Mit Rentenbescheid vom 18.03.2009 erfolgte eine weitere Neuberechnung der Regelaltersgrenze für die Zeit vom 01.11. bis 30.11.2008, nun wiederum unter Berücksichtigung der streitigen Anrechnungszeiten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Aufhebungsbescheid vom 04.11.2008 zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem SG Heilbronn (S 1 R 2722/10).

Mit Beschluss vom 21.10.2010 wurde das Verfahren vor dem SG Stuttgart bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Klageverfahrens vor dem SG Heilbronn ausgesetzt (Fortführung später unter dem Az. S 5 R 5327/11).

Im Rechtsstreit S 1 R 2722/10 vor dem SG Heilbronn schlossen die Beteiligten am 30.08.2011 folgenden Vergleich:

1. Die Beklagte ändert den Bescheid vom 04.11.2008 (Widerspruchsbescheid vom 12.07.2010) ab und beschränkt die teilweise Aufhebung der im Bescheid vom 07.12.1981 vorgemerkten Ausbildungsanrechnungszeiten auf die Zeit ab 01.09.2011.

2. Die Beklagte ändert den Regelaltersrentenbescheid vom 24.03.2000 (Widerspruchsbescheid vom 04.08.2000) in der Fassung der Bescheide vom 12.12.2008 und 18.03.2009 ab. Sie gewährt dem Kläger Regelaltersrente noch bis einschließlich 31.08.2011 aufgrund der im Bescheid vom 07.12.1981 vorgemerkten Versicherungszeiten, die sie wie zuletzt in den Bescheiden vom 12.12.2008 und 18.03.2009 anrechnet und bewertet.

3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass es nach Ziff. 2 für die Zeit ab 01.09.2011 beim Rentenbescheid vom 24.03.2000 (Widerspruchsbescheid vom 04.08.2000) und der Anrechnung und Bewertung der Ausbildungsausfallzeiten laut Vormerkungsbescheid vom 07.12.1981 in der Fassung des Bescheides vom 04.11.2008 (Widerspruchsbescheid vom 12.07.2010) bleibt.

4. Der Kläger und die Beklagte verzichten auf Mehrforderungen.

5. Die Beteiligten erklären die Rechtsstreite S 1 R 2722/10 (SG) und S 5 R 5238/08 (SG Stuttgart) für erledigt.

6. Jeder Beteiligte trägt in den unter Ziff. 5 genannten Rechtsstreiten seine außergerichtlichen Kosten.

In Ausführung des Vergleichs erließ die Beklagte am 27.01.2012 einen Rentenbescheid, wonach die Regelaltersrente ab dem 01.12.2008 bis zum 31.08.2011 neu festgestellt wurde (unter Berücksichtigung der streitigen Anrechnungszeiten), woraus sich eine Nachzahlung von 2.338,- EUR errechnete. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 04.05.2012 Widerspruch ein mit der Begründung, ein befristeter Rentenbescheid dürfe nicht erlassen werden. Seinem Widerspruch gegen die Aufhebung des Vormerkungsbescheides hätte stattgegeben werden müssen, da die Zehnjahresfrist aus § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5, auf die § 48 Abs. 4 SGB X verweise, nicht eingehalten worden sei. Es sei in seinem Fall eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung begangen worden, und der vor dem Sozialgericht geschlossene Vergleich sei als hinfällig anzusehen, da es bei einer korrekten Entscheidung schon gar nicht zu diesem Gerichtsverfahren gekommen wäre.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2012 zurück mit der Begründung, der Vergleich vor dem SG Heilbronn sei richtig ausgeführt worden.

Hiergegen richtete sich die am 03.09.2012 beim SG Heilbronn (S 2 R 2931/12) eingelegte Klage mit der bereits im Widerspruchsverfahren abgegebenen Begründung. Ergänzend ist dargelegt worden, dass sich die Rentenversicherung ihm gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht habe. Hätten die Sachbearbeiter der Rentenversicherung ihre Amtspflichten nicht vorsätzlich und arglistig verletzt und seinem Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 04.11.2008 stattgegeben, wäre es weder zu dem vorangegangenen Verfahren vor dem SG Heilbronn noch zu dem dort abgeschlossenen Vergleich gekommen. Die Beklagte sei dazu verpflichtet, dem Kläger über den 31.08.2000 hinaus diejenige Rente auf Lebenszeit zu gewähren, die ihm auf der Grundlage des Rentenbescheides vom 12.12.2008 zustehe. Bei dem Vormerkungsbescheid vom 07.12.1981 handele sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X nur innerhalb der Zehnjahresfrist hätte zurückgenommen werden dürfen, die vorliegend jedoch schon verstrichen sei. Der Vergleich sei schon vorformuliert gewesen, und er fühle sich betrogen.

Weiterhin hat der Kläger seinen Schriftverkehr mit der Beklagten vorgelegt, worin er u.a. bemängelt hat, das von der Beklagten zur Begründung einer die Zehnjahresfrist außer Acht lassenenden Aufhebung des Vormerkungsbescheides herangezogene BSG-Urteil vom 11.12.1992 (9 a RV 20/90) könne nicht auf seinen Fall übertragen werden, da es sich - anders als im BSG-Urteil - bei dem Vormerkungsbescheid nicht um eine laufende Geldleistung handele, eine Änderung in den rechtlichen und nicht in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten sei und im Fall des BSG Vertrauensschutz keine Bedeutung gehabt habe. Auf § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X werde verwiesen, worin der Gesetzgeber ein Nichtgelten der Zehnjahresfrist nur bei laufenden Geldleistungen vorgesehen habe.

Mit Urteil vom 31.01.2014 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Verfahren S 1 R 2722/10 sei durch Vergleich vom 30.08.2011 beendet worden. Die Erledigung des Verfahrens ergebe sich aus § 101 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dieser Vorschrift könnten die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des Beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen könnten. In der mündlichen Verhandlung vom 30.08.2011 hätten die Beteiligten zur Niederschrift der Vorsitzenden einen Vergleich geschlossen, der geregelt habe, nach welchen Kriterien Anrechnungszeiten zu berücksichtigen seien. Sie hätten sich darauf geeinigt, nach der entsprechenden früheren Vormerkung die Regelaltersrente noch einen gewissen Zeitraum weiter zu gewähren. Nach diesem Zeitraum sollte aber allerdings der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 04.11.2008 wirksam werden. Es habe sich hierbei um eine Vereinbarung gehandelt, die die Streitpunkte der Beteiligten umfassend berücksichtigt und eine für beide verbindliche Regelung in gegenseitigem Einvernehmen getroffen habe. Damit sei ein Vergleich über den damals anhängigen Streitgegenstand geschlossen worden, der ordnungsgemäß protokolliert worden sei und damit Wirksamkeit entfalte. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger betrogen worden sei und die damalige Vorsitzende Richterin einen Vergleich schon vorformuliert gehabt habe, fänden sich in der Akte nicht. Sonstige Gründe, die zur Unwirksamkeit bzw. zur Nichtigkeit des gerichtlichen Vergleichs führen könnten, seien nicht ersichtlich. Soweit der Kläger sich mit der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2012 wende, sei die Klage nicht begründet. Die Beklagte habe in diesem Bescheid die Regelaltersrente entsprechend den im Vergleich festgelegten Kriterien angepasst.

Hiergegen richtet sich die am 28.02.2014 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Berufung mit der Begründung, der gerichtliche Vergleich sei wirksam angefochten worden. Ergänzend hat der Kläger dargelegt, das Urteil des SG sei schon deshalb aufzuheben, weil das Gericht über einen Klagantrag entschieden habe, welcher gar nicht mehr zur Debatte gestanden habe. Vielmehr hätte das Gericht über den Antrag entscheiden müssen, den gerichtlichen Vergleich vom 30.08.2011 als auch den Bescheid vom 04.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2010 aufzuheben. Die Rechtslage sei eindeutig und ergebe sich aus § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X. Wäre sich das Gericht der Eindeutigkeit der Rechtslage bewusst gewesen, hätte es die Parteien in der mündlichen Verhandlung am 30.08.2011 hierauf hingewiesen mit der Folge, dass der Abschluss eines Vergleichs für den Kläger überhaupt nicht in Betracht gekommen wäre. Der Kläger habe sich erfolglos bei der Rentenversicherung beschwert und ihm sei wiederholt mitgeteilt worden, es gebe keinerlei Fristen für den Aufhebung seines Vormerkungsbescheides vom 07.12.1981. Die Beklagte habe sich auch auf ein Urteil des BSG vom 11.12.1992 berufen, aus dem sich das genaue Gegenteil von dem ergebe, was die Rentenversicherung neuerdings behauptet habe. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten betrügerisch und böswillig gehandelt.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des SG Heilbronn vom 31.01.2014 (S 2 R 2931/12) und den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2012 aufzuheben und festzustellen, dass der Vergleich vom 30.08.2011 nicht wirksam ist und das Verfahren S 1 R 2722/10 noch nicht beendet ist,

2. den Bescheid der Beklagten vom 04.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2010 aufzuheben,

3. festzustellen, dass sich das sozialgerichtliche Verfahren vor dem SG Stuttgart (S 5 R 5238/08, nach Wiederaufruf S 5 R 5327/11) noch nicht erledigt hat,

4. die zuständige Sachbearbeiterin Frau Wilczewsky und das Mitglied des Gremiums der Widerspruchsstelle namens Blecks als Zeugen zu laden und anzuhören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Verfahren S 1 R 2722/10 sei wirksam durch Vergleichsabschluss beendet. Der Kläger habe keinen Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit des Vergleiches ergeben könnte.

Mit Schreiben vom 07.08.2014 hat das Gericht eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 153 Abs. 4 SGG angekündigt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen. Weiterhin hat das Gericht die Akten des SG Stuttgart (S 5 RA 5054/00, S 5 R 5238/08) und des SG Heilbronn (S 1 R 2722/10) beigezogen, auf deren Inhalt ebenfalls verwiesen wird.

II.

Gemäß § 153 SGG kann das LSG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Mit Schreiben vom 07.08.2014 hat der Senat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, ist jedoch mit allen Anträgen unbegründet.

Soweit sich die Berufung im Klageantrag Ziffer 1 gegen den Rentenbescheid vom 27.01.2012 (Widerspruchsbescheid vom 06.08.2012) richtet, ist die Klage bereits unzulässig, da dieser Rentenbescheid als Ausführungsbescheid lediglich den gerichtlichen Vergleich vom 30.08.2011 umsetzt und insofern keine eigene Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) trifft (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18.09.2003, B 9 V 82/02 B m.w.N. zu Ausführungsbescheiden nach ergangenem Urteil).

Soweit sich der Kläger im Berufungsantrag Ziffer 2 gegen den Bescheid vom 04.11.2008 (Widerspruchsbescheid vom 12.07.2010) richtet, ist die Klage ebenfalls unzulässig. Dieser Bescheid ist, soweit er nicht durch den Vergleich abgeändert worden ist, bestandskräftig geworden (§ 77 SGG), da das hiergegen gerichtete Klageverfahren vor dem SG Heilbronn durch den gerichtlichen Vergleich beendet worden ist (s. hierzu unten).

Im Übrigen ist die Klage als Feststellungsklage zulässig, aber nicht begründet, da das Verfahren sowohl vor dem SG Heilbronn (Az. S 1 R 2722/10) als auch vor dem SG Stuttgart (S 5 R 5238/08) durch den Vergleich vom 30.08.2011 beendet worden ist. Bei einem Streit über die Beendigung eines Rechtsstreites durch Vergleich ist der ursprüngliche Rechtsstreit vor dem bis zur Beendigung des Rechtsstreits zuständigen Gericht zu führen. Dieses entscheidet dann entweder dahin, dass die Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich festgestellt wird, oder, wenn eine Beendigung nicht vorliegt, in der Sache selbst (vgl. BSG, Urteil vom 28. 11. 2002, B 7 AL 26/02 R, m. w. N.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 101 Rdnr. 17a, m. w. N.). Soweit der Kläger im Berufungsverfahren nun auch die Feststellung begehrt, dass auch das Verfahren vor dem SG Stuttgart nicht beendet worden ist, kann offenbleiben, ob dieses Begehren nicht bereits auch Gegenstand des Verfahrens in der ersten Instanz war, da der angefochtene Vergleich ausdrücklich auch das Verfahren vor dem SG Stuttgart zum Gegenstand hatte, oder ob es sich um eine sachdienliche Klageänderung (§§ 99 Abs. 1, 153 Abs. 1 SGG) handelt.

Die Verfahren vor dem SG Stuttgart und dem SG Heilbronn sind durch den Vergleich vom 30.08.2011 beendet worden.

Nach § 101 Abs. 1 SGG können die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts (oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters) einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen. Ein Prozessvergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur: Er ist einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits eine Prozesshandlung, welche die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt (vgl. BSG, Urteile vom 26.04.1963, 2 RU 228/59, vom 17.05.1989, 10 RKg 16/88, und vom 24.01.1991, 2 RU 51/90; Leitherer, in: Meyer-Ladewig a.a.O, § 101 Rdnr. 3, jeweils m. w. N.). Diese Doppelnatur hat zur Folge, dass ein Prozessvergleich wirksam ist, wenn ihm weder prozessrechtliche noch materiell-rechtliche Gründe für seine Wirksamkeit entgegenstehen (vgl. BSG a.a.O, Leitherer a.a.O.).

Der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.08.2011 geschlossene Vergleich ist ordnungsgemäß und wirksam zustande gekommen. Der Vergleich verstößt nicht gegen § 101 Abs. 1 SGG, denn die Beteiligten konnten über den Gegenstand der Klage verfügen. Es handelt sich auch um eine vergleichsweise Beendigung des Verfahrens durch gegenseitiges Nachgeben. Der Prozessvergleich ist nicht aus prozessrechtlichen Gründen unwirksam. Er wurde den Beteiligten vorgelesen, der Wortlaut wurde von diesen genehmigt. Der Kläger stimmte dem Vergleich nach dem Verlesen ausdrücklich zu, was sich aus dem Protokoll ergibt (vgl. § 122 SGG i. V. m. § 162 Abs. 1 Satz 1 und § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 Satz 3, § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Eine Widerrufsmöglichkeit ist in diesem Vergleich nicht vorgesehen. Dass der Inhalt des Vergleiches falsch in der Niederschrift wiedergegeben wurde, ist von der Klägerseite nicht dargetan.

Der Prozessvergleich ist auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig oder unwirksam.

Ein Prozessvergleich entfaltet aus materiell-rechtlichen Gründen keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben, wenn der Vergleich als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nichtig oder wirksam angefochten ist oder wenn der nach dem Inhalt des Vergleiches als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (vgl. BSG, Urteil vom 26.04.1963, a.a.O., vom 17.05.1989, a.a.O. und vom 24.01.1991, a.a.O). Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben.

1. Der Vergleich ist nicht nach § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam. Hiernach ist ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Vorliegend war bei Vergleichsabschluss zwischen den Beteiligten streitig, ob und in welchem Umfang die Beklagte die Altersrente ohne Berücksichtigung der Anrechnungszeiten berechnen durfte. Wenn der Kläger nun vorträgt, er habe die Rechtslage nach Vergleichsabschluss erneut geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, die Zehnjahresfrist sei nicht eingehalten worden, bezieht sich dieser Vortrag gerade nicht auf einen Sachverhalt, der zwischen den Beteiligten feststand im Sinne des § 779 BGB, sondern gerade auf den (rechtlichen) Sachverhalt, der zwischen den Beteiligten streitig bzw. ungewiss war und dessentwegen eben dieser Vergleich geschlossen wurde. Es fehlt somit bereits an einem Irrtum über die Vergleichsgrundlage im Sinne des § 779 BGB.

2. Der Kläger kann auch nicht argumentieren, den Vergleich wirksam angefochten zu haben im Sinne des § 119 Abs. 1, 2 BGB, der nach der Rechtsprechung auch im Sozialrecht anzuwenden ist (siehe hierzu nur BSG, Urteil vom 23.10.2003, B 4 RA 27/03 R, m.w.N.). Soweit ein Vergleich angefochten wird, muss hinreichend klar sein, dass der Vergleich gerade aufgrund eines Irrtums im Erklärungsakt, eines Inhaltsirrtums oder eines Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache oder einer Person nicht mehr gelten soll. Zudem muss die Anfechtungserklärung auch unverzüglich im Sinne des § 121 BGB erfolgen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat (Sächsisches LSG, Urteil vom 03.07.2013, L 3 AS 353/10).

Ein Irrtum in der Erklärungshandlung (§ 119 Abs. 1, 2. Fall BGB ) im Sinne eines Versprechens/Verschreibens liegt erkennbar nicht vor (siehe hierzu Palandt, BGB, 74. Auflage 2014, § 119 Rdnr. 10 m.w.N.). Es fehlt aber auch an einem Irrtum über den Erklärungsinhalt (§ 119 Abs. 1, 2. Fall BGB). Ein solcher liegt vor, wenn der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung irrt (Palandt, a.a.O, Rdnr. 11). Vorliegend wusste der Kläger aber, dass durch den Vergleich der Rechtsstreit beendet ist und er nur bis einschließlich August 2011 die um die Anrechnungszeiten erhöhte Rente bekommen wird, sodass auch ein Inhaltsirrtum fehlt. Bei einem Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB) irrt der Erklärende über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklärung liegende Wirklichkeit. Hier hat der Kläger zwar vorgetragen, die Rechtslage nach dem Vergleichsabschluss nochmals eingehend geprüft zu haben mit dem Ergebnis, dass es wegen Nichteinhaltung der Zehnjahresfrist nicht zu dem gerichtlichen Verfahren und somit auch nicht zum Abschluss des Vergleichs hätte kommen dürfen. Selbst wenn diese jetzige rechtliche Auffassung des Klägers zutreffen sollte - was vom Senat, wie weiter unten dargestellt werden wird, verneint wird - , handelte es sich hierbei nicht um einen Eigenschaftsirrtum, sondern - ähnlich wie ein einseitiger Kalkulationsirrtum - um einen schon im Stadium der Willensbildung unterlaufenden Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum), d.h. der Erklärende wäre von einer unrichtigen Vorstellung ausgegangen, die die Entstehung seines Geschäftswillens beeinflusst, in ihm aber keinen Ausdruck gefunden hat (s. hierzu OLG Bamberg, Urteil vom 10.05.2002, 6 U 1/02). Betroffen wäre dann also lediglich der Motivationsprozess insofern, als der Kläger vor Abschluss des Vergleiches die zugrundeliegende Rechtslage anders beurteilt hat als danach. Ein solcher Motivirrtum berechtigt jedoch nicht zur Anfechtung (BGH, Urteil vom 07.07.1998, X ZR 17/97 m.w.N.). Wenn sich der Irrtum nicht auf objektiv, mit deutlichem und unmissverständlichem Inhalt abgegebene Erklärungen selbst bezieht, sondern auf die der Willenserklärung vorgelagerten Vorstellungen, Beweggründe und Motive, dann fallen nicht Wille und Erklärung, sondern lediglich Vorstellung und Wirklichkeit auseinander. Wollte man auch solche Motivirrtümer zur berechtigten Anfechtung zulassen, so würde es angesichts der nahezu unbegrenzbaren Motivationen keine rechtsverbindliche Willenserklärung mehr geben (vgl. hierzu OLG Bamberg, Urteil vom 10.05.2002 , 6 U 1/02 m.w.N.).

3. Weiterhin macht der Kläger geltend, die Beklagte habe ihn getäuscht, indem sie wider besseres Wissen die Zehnjahresfrist für die Aufhebung des Vormerkungsbescheides missachtet habe. Nach § 123 Abs. 1 BGB kann, wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, die Erklärung anfechten. Täuschen ist das bewusste Vorspiegeln unwahrer oder Unterdrücken wahrer Tatsachen, um den Getäuschten vorsätzlich zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu veranlassen (Staudinger/Reinhard Singer (2012) BGB § 123 Rdnr. 5 ff. m.w.N.). Eine solche Täuschung liegt hier nicht vor. Vielmehr war die Beklagte berechtigt, auch nach Ablauf von zehn Jahren nach Einführung des WFG die Rente des Klägers für die Zukunft an die veränderte Rechtslage anzupassen. Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob eine Korrektur des Vormerkungsbescheides aufgrund der Vorschrift des § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI hätte erfolgen können, wonach die Verwaltung bei Gesetzesänderungen unter erleichterten Voraussetzungen die festgestellten Daten des Versicherungsfalles aufheben kann (vgl. hierzu BSG Urteil vom 24.04.2014, B 13 R 3/13 R). Ob diese erleichterte Aufhebungsmöglichkeit auch dann noch gilt, wenn die Aufhebung im ersten Rentenbescheid bzw. im Widerspruchsbescheid versäumt wurde, wird zum Teil verneint (vgl. Diel in Hauck/Haines, SGB VI, Stand Dez. 2009, § 149 Rdnr. 46). Jedenfalls ist eine Aufhebung aber nach den allgemeinen Vorschriften möglich: Mit Wirkung für die Zukunft können Bescheide mit Dauerwirkung auch dann noch wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn seit der Änderung mehr als zehn Jahre verstrichen sind. Dem steht nach der Rechtsprechung des BSG die Regelung in § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X nicht entgegen (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 11.12.1992, 9a RV 20/90; s. auch Heße in Beck´scher Online-Kommentar, Stand September 2014, § 48 SGB X Rdnr. 54).

§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X bestimmt, dass § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X "entsprechend" gilt. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch bei vorwerfbarem Verhalten des Begünstigten nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Das BSG hat hierzu ausgeführt, diese Zehnjahresfrist verbiete lediglich die rückwirkende Änderung des Bescheides. Im Rahmen des § 45 SGB X verfestige sich die Bestandskraft eines Dauerbescheides im Laufe der Zeit immer mehr und führe schließlich zur Unzulässigkeit der Bescheidsänderung zu Lasten des Begünstigten. Anders sei die Lage hingegen im Rahmen des § 48 SGB X zu beurteilen: Im Falle der Änderung der Verhältnisse fehle es hinsichtlich der nunmehr maßgebenden Sach- und Rechtslage an einer Verwaltungsentscheidung, die dem Betroffenen Anlass geben könnte, sich auf die Unerheblichkeit der eingetretenen Änderung zu verlassen. Auch bestehe kein überzeugender Grund, die Aufhebung des Ausgangsbescheides für die Zukunft davon abhängig zu machen, wann die Änderung eingetreten sei (zu den weiteren Argumenten gegen die Anwendung der Zehnjahresfrist s. BSG a.a.O). Das BSG sah es deshalb im damaligen Fall für gerechtfertigt an, die Bewilligung einer Witwenrente aufzuheben, nachdem herausgekommen war, dass sich die Witwe bereits vor über zehn Jahren wiederverheiratet hatte.

Diese überzeugende Rechtsprechung des BSG ist auch auf den vorliegenden Fall übertragbar, obwohl hier - worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat - keine laufende Geldleistung streitig ist, keine Änderung in den tatsächlichen, sondern rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist und die Witwe anders als der Kläger rechtsmissbräuchlich gehandelt hatte. Dennoch ist das zentrale Argument des BSG, die Verwaltung habe eben keine Verwaltungsentscheidung getroffen, aus der der Betroffene schließen könne, dass die eingetretene Änderung keine Auswirkungen habe, auch hier einschlägig. Mangels Verwaltungsentscheidung, in der die Änderung der Verhältnisse berücksichtigt worden wäre, kann sich die Position des Klägers auch nicht "verfestigen". Soweit der Kläger argumentiert, der Gesetzgeber habe 1998 den Satz 4 in § 45 Abs. 3 SGB X hinzugefügt, wonach Verwaltungsakte über eine laufende Geldleistung auch noch nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die Zukunft zurückgenommen werden können, woraus sich schließen lasse, dass er es in allen anderen Fällen bei der Zehnjahresfrist habe belassen wollen, überzeugt dies nicht: Anlass für die Einfügung der Sätze 4 und 5 in § 45 Abs. 3 SGB X war ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 13/10033 S 20 zu Art 5 Nr. 2) die Kritik des Bundesrechnungshofs (vgl BT-Drucks 13/5700 S 72 unter 26.4), dass nach der bis dahin geltenden Rechtslage selbst Rentenempfänger, die sich der Unrechtmäßigkeit von Rentenzahlungen bewusst waren, diese allein wegen des Ablaufs der Zehnjahresfrist nicht mehr zurückzahlen mussten. Mit der Gesetzesänderung wollte der Gesetzgeber die vom Bundesrechnungshof angemahnten offensichtlich unbilligen Ergebnisse bei der Anwendung der strikten Zehnjahresfrist vermeiden (s. hierzu BSG, Urteil vom 01. 07. 2010, B 13 R 77/09 R m.w.N.) Dementsprechend lautet auch die Begründung wie folgt (BT-Drucks 13/10033 S 20 zu Art 5 Nr. 2): "Die Praxis, insbesondere bei den Trägern der Rentenversicherung, hat gezeigt, dass rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung nach Überschreitung der Zehnjahresfrist nicht mehr zurückgenommen werden können, auch wenn sich der Rentner der Unrechtmäßigkeit z. B. doppelter Rentenzahlungen bewusst ist (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Der Bundesrechnungshof fordert eine Rechtsänderung (BT-Drucksache 13/5700). Die Neuregelung lässt eine Rücknahme auch nach Ablauf von 10 Jahren zu, begrenzt die Rücknahme aber auf laufende Geldleistungen. Abgeschlossene Fälle werden nicht erfasst. Eine Rücknahme für die Zeit ab Inkrafttreten der Neuregelung (§ 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X) ist auch in den Fällen zulässig, in denen die Frist von 10 Jahren am Tage des Inkrafttretens der Neuregelung bereits abgelaufen war; in diesen Fällen soll jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes die Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen sein."

Hieraus wird wiederum deutlich, dass der Gesetzgeber der Verwaltung die Möglichkeit einräumen wollte, für die Vergangenheit unter engen Voraussetzungen eine rückwirkende Aufhebung einer Bewilligung zu ermöglichen. Da vorliegend aber eine Aufhebung für die Zukunft erfolgt ist und ein Vertrauenstatbestand nicht geschaffen worden ist, da nicht ein Fall des § 45, sondern des § 48 SGB X vorliegt, verbleibt es bei dem im Urteil des BSG aufgestellten Grundsatz, dass die Zehnjahresfrist hier nicht gilt.

Insofern war die Beklagte berechtigt, den Vormerkungsbescheid mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen und die Rente dementsprechend anzupassen. Eine Täuschung kann ihr somit nicht vorgeworfen werden.

Somit war auch dem Antrag des Klägers, die Mitarbeiter der Beklagten als Zeugen zu hören, nicht stattzugeben.

Da der gerichtliche Vergleich im Ergebnis wirksam ist und die Verfahren vor dem SG Heilbronn sowie SG Stuttgart beendet hat, war die Berufung mit allen Anträgen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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