S 12 KA 316/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 316/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 14/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Parallelverfahren zu SG Marburg, Gerichtsb. v. 02.02.2015 - S 12 KA 470/14 -.
Bemerkung
mit Berichtigungsbeschluss; Parallelverfahren S 12 KA 470/14
1. Unter Abänderung der EHV-Bescheide betreffend die Quartale III und IV/08 sowie II/09 bis IV/10 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte und der Kläger haben jeweils 1/2 der Gerichtskosten zu tragen. Die Beklagte hat dem Kläger 1/2 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

4. Der Streitwert wird auf 7.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Anspruchs auf Teilnahme an der Erweiterten Honorarverteilung der Beklagten für die Quartale III und IV/08 sowie II/09 bis IV/10 und hierbei um die Anwendung des sog. Nachhaltigkeitsfaktors und für das Jahr 2010 zudem um die fehlende Einbeziehung des Honorars aus Selektivverträgen. Es handelt sich um eine von drei bei der Kammer anhängigen Musterklagen.

Der 1944 geborene und jetzt 70-jährige Kläger war zur vertragsärztlichen Versorgung bis zum 30.09.2004 im Bezirk der Beklagten zugelassen. Er nimmt seit 01.06.2007 an der Erweiterten Honorarverteilung der Beklagten (EHV) teil.

Die Beklagte setzte mit Bescheiden für die Quartale III und IV/09 sowie II/09 bis IV/10 das EHV-Honorar des Klägers auf der Grundlage eines Anspruchssatzes von 8,6633 % für die Quartale III und IV/08, von 8,6674 % für die Quartale II/09 bis einschl. I/10 und von 9,3575 % für die Quartale ab II/10 wie folgt fest:

Quartal Bescheid v. EHV-Bruttohonorar in EUR Auszahlungsquote in % EHV-Anspruch (vor Abzug Verwaltungskosten) in EUR
III/08 09.04.2009 3.627,49 84,0176 3.047,73
IV/08 09.06.2009 3.986,28 83,6371 3.334,01
II/09 03.12.2009 3.927,19 82,4628 3.238,47
III/09 09.03.2010 3.845,85 82,4432 3.170,64
IV/09 17.06.2010 3.959,63 82,6382 3.272,17
I/10 10.09.2010 4.136,71 82,9310 3.430,61
II/10 19.11.2010 4.432,26 81,5666 3.615,24
III/10 02.03.2011 4.147,29 78,7680 3.266,74
IV/10 22.06.2011 4.337,38 78,1374 3.389,12

Hiergegen legte der Kläger jeweils Widerspruch ein. Er trug vor, Er wende sich gegen die Anwendung des sog. Nachhaltigkeitsfaktor und die Nichtanerkennung seiner Mehrzeiten. Ab dem Quartal I/10 trug er ferner vor, die Beklagte sei seit dem 01.01.2010 verpflichtet, die Honorare aus Selektivverträgen zur EHV heranzuziehen

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 20.09.2010 die Mehrzeiten an und erhöhte den Anspruchssatz auf 9,3575 %. Für den Zeitraum 01.06.2007 bis 31.03.2010 setzte sie eine Nachzahlung von insgesamt 2.945,46 EUR abzgl. 94,43 EUR Verwaltungskostenumlage fest. Ausweislich der Nachberechnung ging sie für die Quartale III/07 bis I/10 von einer Erhöhung von 0,6901 %-Punkten (9,3575 % - 8,6674 %) aus.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2012 alle Widersprüche als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen verwies sie auf die Änderung der Grundsätze der EHV zum 01.07.2006 hin. Ferner führte sie aus, die Grundsätze der EHV seien ein auf Umlagebasis finanziertes Altersversorgungswerk der Hessischen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte. Der Finanzbedarf werde im aktuellen Zahlungszeitraum, hier Quartal, durch Umlage von den dieses Versorgungswerk tragenden (aktiven) Vertragsärztinnen und Vertragsärzten aufgebracht. Nach § 3 der GEHV errechne sich der Anspruch auf Teilnahme an der Honorarverteilung im Rahmen der EHV zunächst auf der Basis der um die besonderen Praxiskosten der nach § 5 sowie der Anlage zu § 5 reduzierten Durchschnittshonorarforderungen aller Vertragsärzte im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Die durchschnittliche Honorarforderung errechne sich, indem nach Abzug der besonderen Kosten die Gesamtsumme der anerkannten Honorarforderungen durch die Zahl der im gleichen Quartal tätigen Vertragsärzte geteilt werde. Vor dem Hintergrund einer steigenden Belastung der aktiv tätigen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte als Folge der Alterspyramide der Hessischen Vertragsärzte sowie zunehmenden Lebenserwartung sei im Dezember 2000 eine erste grundsätzliche EHV-Novellierung beschlossen worden. Ein Teil diese Reform sei die Berücksichtigung sog. besonderer Kosten gewesen. Dies habe dazu geführt, dass die Honoraranteile von Praxen mit kostenintensiven Leistungen in Teilen von den EHV-Zahlungen ausgenommen worden seien. Unter dem Druck langfristig steigender Beiträge zur EHV bei rückläufigen Praxisumsetzungen sei nach Scheitern weiterer Reformansätze der Fortbestand des EHV-Systems gefährdet. Nach langen Beratungen sei es gelungen, den Generationsvertrag und das Solidaritätsprinzip der EHV durch Beschlüsse der Vertreterversammlung zu erneuern. Die Neufassung sei zum 01.07.2006 in Kraft getreten. Mit der EHV-Reform 2006 sei u. a. der § 8 (Finanzierung der EHV-Ansprüche) aufgenommen worden. Nach Abs. 1 würden die für die Finanzierung nach §§ 3 ff. festgestellten EHV-Ansprüche notwendigen Mittel durch Quotierung der im Rahmen der Honorarverteilung festgestellten Punktwerte bereitgestellt werden. Die Quote dürfe dabei einen Wert von 5 % nicht überschreiten. Die festgestellten Ansprüche bezögen sich dabei auf das jeweils anerkannte durchschnittliche Honorar aus der Behandlung Versicherter der Primär- und Ersatzkassen gem. § 3 i. V. m. § 5 Abs. 3. Sollten die erforderlichem Mittel (nach Abs. 1 S. 2) für die Finanzierung der EHV-Ansprüche nicht ausreichen, seien alle Ansprüche über einen Nachhaltigkeitsfaktor so zu quotieren, dass die quotenmäßige Belastung der Punktwerte der Honorarverteilung eine Wert von 5 % nicht überschreite. Im Übrigen sei ab dem Quartal III/06 auch die Berechnungsweise des EHV-Honorars insoweit umgestellt worden, als nunmehr auf die Brutto-Durchschnittshonoraranforderungen der niedergelassenen Vertragsärzte zurückgegriffen werde. Vor dem Quartal III/06 sei hier das Netto-Durchschnittshonorar zugrunde gelegt worden. Auf den ersten Blick erscheine daher der Nachhaltigkeitsfaktor sehr hoch. Dies relativiere sich allerdings, wenn auf Grundlage des Netto-Durchschnittshonorars die EHV-Bezüge gerechnet worden wären. Aus der nachstehenden Tabelle sei ersichtlich, dass das EHV-Honorar bei der alten Berechnungsweise (Grundlage Netto-Durchschnittshonorar) unwesentlich höher gewesen wäre. Der Eigentumsschutz bedeute nicht, dass ein festes EHV-Honorar (als Eurobetrag) zugesichert werden müsse. Eine Regelung hinsichtlich der Kostenanteile sei zwischenzeitlich verabschiedet worden. Mit der Aufnahme des § 11 "Ergänzende Bestimmungen zur Einbeziehung von Vergütungen im Rahmen von Sonderverträgen außerhalb der Gesamtvergütung" in die GEHV sei sie der entsprechenden Gesetzesänderung nachgekommen. Eine Veröffentlichung in "EHV Aktuell" sei in der Ausgabe vom 06.07.2011 erfolgt. Darin werde eine Mitteilungspflicht für Sonderverträge ab dem Quartal III/11 eingeführt. Die Änderungen hätten der Behandlung in der Vertreterversammlung und der Genehmigung des Ministers bedurft, weshalb eine frühere Umsetzung nicht habe erfolgen können.

Hiergegen hat der Kläger am 08.02.2012 zum Az.: S 12 KA 68/12 die Klage erhoben. Die Kammer hat auf Antrag der Beteiligten das Verfahren mit Beschluss vom 25.04.2012 zum Ruhen gebracht und am 20.10.2014 wieder aufgerufen.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage vor, die Verringerung der EHV-Leistungen durch den sog. Nachhaltigkeitsfaktor verstoße gegen die hessische Verfassung und das Grundgesetz. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.02.2014 diskutiere die Vertreterversammlung nunmehr eine Korrektur der Grundsätze der EHV. Für das Jahr 2010 komme aber hinzu, dass auch die Honorare aus Selektivverträgen zu berücksichtigen seien, da die Teilhabe an der EHV eigentumsgeschützt sei.

Der Kläger beantragt,
die EHV-Bescheide betreffend die Quartale III und IV/08 sowie II/09 bis IV/10 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm höhere Leistungen der EHV zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt sie vor, sie biete vergleichsweise eine Neubescheidung unter Beachtung der Grundsätze der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.02.2014 an. Eine Neubescheidung könne sie erst nach der 2. Lesung und Genehmigung der GEHV sowie deren Veröffentlichung vornehmen. Die Neufassung des § 8 KVHG in § 11 GEHV a. F. sei in EHV-Aktuell vom 06.07.2011 veröffentlicht worden. Weder Umsetzung noch Anwendung seien in den streitgegenständlichen Quartalen erfolgt. Ein Anspruch auf Teilhabe bestehe in dieser Hinsicht nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu angehört.

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch z. T. begründet. Die angefochtenen EHV-Bescheide betreffend die Quartale III und IV/08 sowie II/09 bis IV/10 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 sind rechtswidrig. Sie waren daher abzuändern. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung über seinen EHV-Anspruch für die Quartale III und IV/08 sowie II/09 bis IV/10 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Ein Anspruch auf eine bestimmte höhere EHV-Festsetzung besteht aber nicht. Die Klage war daher im Übrigen abzuweisen.

Die strittige Festsetzung in den angefochtenen Bescheiden ist rechtswidrig, soweit die Beklagte bei der Festsetzung des EHV-Anspruchs den sog. Nachhaltigkeitsfaktor zugrunde gelegt hat. Es besteht aber keine Verpflichtung der Beklagten, bereits im Jahr 2010 die Einnahmen der aktiven Vertragsärzte aus sog. Sonderverträgen bei der Berechnung des EHV-Anspruchs zu berücksichtigen.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Teilnahme an der EHV in dem streitbefangenen Zeitraum sind die Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in der ab 01.07.2006 gültigen Fassung, veröffentlicht durch Bekanntmachung im Hessischen Ärzteblatt 9/2006 (im Folgenden: GEHV), ergänzt durch die ab 01.04.2005 geltende und in EHV-Aktuell am 06.07.2011 veröffentlichte Neufassung des § 5 Abs. 1 (im Folgenden: GEHV).

§ 8 GEHV mit dem sog. Nachhaltigkeitsfaktor ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zu den beiden Vorquartalen III und IV/06) rechtswidrig (vgl. BSG, Urt. v. 19.02.2014 - B 6 KA 10/13 R - juris Rdnr. 47 ff.; insofern ist die Entscheidung der Kammer vom 24.02.2010 - S 12 KA 350/09 - überholt). Danach verstößt die konkrete Ausgestaltung des Nachhaltigkeitsfaktors gegen Art 14 Abs. 1 GG. Einschränkungen des Eigentumsrechts dürfen gemessen am sozialen Bezug und an der sozialen Bedeutung des Rechts und mit Blick auf den konkreten Regelungszweck nicht zu einer übermäßigen Belastung führen und den Eigentümer unzumutbar treffen. Das ist hier jedoch der Fall. Der Nachhaltigkeitsfaktor i. V. m. der Begrenzung des Abzugs für die aktiven Vertragsärzte auf 5 % belastet einseitig und unverhältnismäßig die inaktiven Vertragsärzte. Ihre Ansprüche werden im Ergebnis quotiert, um die Grenze einer Belastung der aktiven Vertragsärzte mit einem EHV-Anteil von 5 % einzuhalten. Das führt dazu, dass bereits im Jahr 2006 bei einem Anspruchshöchstsatz von nominal 18 % des Durchschnittshonorars dieser tatsächlich nur noch 17,5 % beträgt. In den Folgejahren sinkt der reale Anspruchssatz auf 16,9 % (2007), 16,3 % (2008), 15,7 % (2009) und 15,2 % im Jahr 2010 ab. Entsprechend sinkt der reale Wert geringerer Anspruchssätze entsprechend. Die Anwartschaft aus der EHV schützt aber gerade den Anspruch auf Teilhabe an der Honorarentwicklung und nicht lediglich ein Existenzminimum. Ebenso wie die sozialversicherungsrechtlichen Rentenansprüche knüpft die EHV an während der Erwerbstätigkeit erbrachte eigene Leistungen an und dient neben der Existenzsicherung tendenziell auch der Absicherung des erlangten Lebensstandards. Es ist ein sachgerechter und ausgewogener Ausgleich zwischen den Interessen der "Beitragszahler" und den Interessen der Leistungsbezieher der EHV zu suchen, was dem Satzungsgeber obliegt. In welcher Weise die Beklagte den widerstreitenden Interessen gerecht wird, ist ihrer Satzungsautonomie überlassen. Die Leistungsgewährung ohne jede Quotierung ist nicht die einzige rechtmäßige Vorgehensweise in den streitbefangenen Quartalen. Denkbar ist vielmehr auch, dass die Beklagte verschiedene Maßnahmen trifft, die in ihrem Zusammenspiel einerseits so weit wie möglich Bestandsschutz gewährleisten, andererseits aber auch unzumutbare Belastungen der "Einzahler" vermeiden. Ob es dabei zu einem "paritätischen Defizitausgleich" kommt, wie er nunmehr in § 5 GEHV in der ab 2012 geltenden Fassung vorgesehen ist, bleibt dem Gestaltungsermessen der Beklagten überlassen.

Auf dieser Grundlage hat die Beklagte eine Satzungsänderung vorzunehmen und den Kläger dann auch für den hier strittigen Zeitraum neu zu bescheiden, was im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig ist.

Die Klage war aber im Übrigen abzuweisen Ein Anspruch auf eine bestimmte höhere EHV-Festsetzung besteht nicht.

Es besteht auch keine Verpflichtung der Beklagten, bereits im Jahr 2010 die Einnahmen der aktiven Vertragsärzte aus sog. Sonderverträgen bei der Berechnung des EHV-Anspruchs zu berücksichtigen.

Die Berücksichtigung der Kostenanteile bzw. die Berücksichtigung der Vergütung "technischer Leistungen" nach § 5 GEHV i. V. m. den dazu beschlossenen Anlagen ist rechtmäßig (vgl. BSG, Urt. v. 19.02.2014 - B 6 KA 10/13 R - juris Rdnr. 36 ff.).

Zu beanstanden war von der Kammer auch das Fehlen einer Übergangsregelung zur Einbeziehung der Einnahmen zur EHV aus Sonderverträgen für die Festsetzung der EHV-Ansprüche.

Die Einnahmen aus Selektivverträgen tragen erst seit dem Quartal III/11 zur Finanzierung der EHV bei.

Die Kammer hat bereits in ihren Urteilen vom 05.11.2014 - S 12 KA 84/13, 83/13 und 331/13 - darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankommt, ob der Gesetzgeber oder die Beklagte verspätet die Rechtsgrundlagen zur Einbeziehung der Einnahmen aus den Selektivverträgen zur Finanzierung der EHV geschaffen haben. Insofern kommen dem Landesgesetzgeber und der Beklagten als Normgeber Gestaltungsspielräume zu. Ein Anspruch des Klägers auf ein bestimmtes Tätigwerden der Normgeber oder ein Tätigwerden zu einem bestimmten Zeitpunkt ist nicht ersichtlich. Maßgeblich ist allein, dass die Normgeber die Einbeziehung der Einnahmen aus den Selektivverträgen zur Finanzierung der EHV geschaffen haben. Nur der Landesgesetzgeber war befugt, die hier erfolgten Anpassungen auf die sich verändernden Versorgungsstrukturen vorzunehmen. Insoweit war die Beklagte als Satzungsgeberin nicht selbst befugt, die Änderungen vorzunehmen, da die hier strittigen Honoraranteile außerhalb des Kompetenzbereichs der Beklagten erzielt werden. Im Übrigen kann aus der Gesetzgebungsgeschichte nicht zwingend auf ein verzögertes Handeln geschlossen werden, da insb. dem Landesgesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzugestehen ist, ob er überhaupt eine Regelung trifft.

§ 11 GEHV wurde durch die Beschlüsse der Vertreterversammlung der KV Hessen in den Sitzungen vom 20.02.2010, 29.05.2010 und 28.08.2010 verabschiedet und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB V vom Hessischen Sozialministerium mit Schreiben vom 10.06.2011 genehmigt und veröffentlicht durch das Mitgliederrundschreiben der Beklagten "EHV Aktuell" vom 06.07.2011. § 11 GEHV mit der Einbeziehung der Honorare aus Selektivverträgen wiederum beruht auf § 8 KVHG in der Fassung des hessischen Landesgesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen vom 14.12.2009, GVBl. 2009, Teil I, 662, in Kraft getreten am 23.12.2009.

Danach sorgt die Kassenärztliche Vereinigung Hessen zunächst wie bisher im Rahmen ihrer Satzung für eine wirtschaftliche Sicherung der invaliden und alten Vertragsärztinnen oder Vertragsärzte und der Hinterbliebenen von Vertragsärztinnen oder Vertragsärzten. Diese Sicherung kann auch durch besondere Honorarverteilungsgrundsätze geregelt werden (Abs. 1). Zur Sicherung der nach Abs. 1 errichteten Erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen werden neben der Gesamtvergütung sämtliche Vergütungen für Leistungen aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung, die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte an gesetzlich krankenversicherten Patienten erbringen und die nicht unmittelbar über die Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ausgezahlt werden, der Erweiterten Honorarverteilung unterworfen. Dies gilt unabhängig von der Rechtsgrundlage der Vergütung auch für die Vergütung aus Direktverträgen zwischen den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten und den gesetzlichen Krankenkassen oder aus Verträgen zur Integrierten Versorgung (Abs. 2). Die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sind verpflichtet, den Umsatz, den sie aufgrund der Abrechnung für Leistungen nach Abs. 2 erhalten, gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen offenzulegen. Sofern sie dieser Verpflichtung nicht innerhalb von drei Monaten nachkommen, ist die Kassenärztliche Vereinigung Hessen befugt, die Vergütung für Leistungen aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung, die die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt an gesetzlich krankenversicherten Patienten erbracht hat und die nicht unmittelbar über die Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ausgezahlt wurden, zu schätzen. Gegen diese Verfügung ist binnen eines Monats gegen über der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen Widerspruch unter Vorlage der vollständigen Unterlagen zulässig. Die Vollständigkeit ist an Eides statt zu erklären (Abs. 3). Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen ist berechtigt, durch Satzung die Einbeziehung der Umsätze für Leistungen nach Abs. 2 zu regeln. Durch Satzung werden auch die Anforderungen an Form und Inhalt der Offenlegung nach Abs. 3 geregelt (Abs. 4).

Das Gesetz geht zurück auf einen Gesetzentwurf der Fraktion der SPD vom 09.06.2009 (LTag-Drs. 18/767; zu den eingegangene Stellungnahmen zu der schriftlichen Anhörung s. Ausschussvorlage AFG 18/6, Teil 1 und Teil 2 mit Stand: 26.08.2009, abrufbar über die Parlamentsdatenbank unter http://starweb.hessen.de/starweb/LIS/Pd Eingang.htm), nachdem ein erster Entwurf vom 06.07.2004 (LTag-Drs. 16/2469) im Landtag nach dem Ablehnungsvorschlag des Sozialpolitischen Ausschusses (LTag-Drs. 16/3200) von der Regierungsfraktion CDU abgelehnt worden war (PlPr 16/53 v. 26.11.2004, S. 3621-3626; zur ersten Lesung s. PlPr 16/42 v. 14.07.2004, S. 2786-2789). Im Gesetzentwurf vom 09.06.2009 weist die SPD-Fraktion auf die Verpflichtung zum Abschluss von Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V bis zum 30.06.2009 durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008, BGBl. I, S. 2426 hin. Hierdurch würden Leistungen, die bisher von zugelassenen Vertragsärzten im System der gesetzlichen Krankenversicherung für die Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten erbracht worden sind und über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen als Gesamtvergütung abgerechnet wurden, aus diesem Abrechnungskreislauf ausgegliedert werden. Dies führe zu dem Problem, dass aus der Gesamtvergütung herausgebrochene Teile auch nicht ohne weiteres in die Berechnung der Umlage für die EHV zur Deckung der bereits erworbenen Ansprüche und Anwartschaften der Altersversorgung einbezogen werden könnten. Im Ergebnis werde die Bemessungsgrundlage für die EHV deutlich verringert. Deshalb sei eine Änderung des § 8 KVHG dringend erforderlich. Im Hinblick auf die, auch durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Juli 2008 (- B 6 KA 38/07 R - BSGE 101, 106 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 43 = USK 2008-65) erforderlich gewordene, anstehende Gesamtdiskussion über die Zukunft der EHV stelle die vorgeschlagene Änderung des § 8 KVHG eine Zwischenlösung dar. Die Entscheidung hierüber sollte aber der Gesamtdiskussion vorangestellt werden, da ansonsten eine Erfüllung der bereits erworbenen Ansprüche und Anwartschaften voraussichtlich bereits im Quartal III/09 nicht mehr gewährleistet werden könne. Die Änderung sei auch erforderlich, da das BSG in seinem bereits erwähnten Urteil eine Regelungspflicht des Landesgesetzgebers für die Anpassung der EHV an Änderungen der Vertragslandschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung erkannt habe. Gegenüber dem Entwurf wurde in Abs. 2 der Verweis auf Verträge insb. nach §§ 73b und 73c SGB V herausgenommen und es bei der Bezugnahme auf die Vergütung aus Direktverträgen belassen und es wurden ausdrücklich auch Verträge zur Integrierten Versorgung aufgenommen. Die Entwurfsfassung sah in Abs. 3 zunächst neben der Offenlegungspflicht des Arztes einen Auskunftsanspruch der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gegenüber den Krankenkassen über die Vergütungshöhe des einzelnen Arztes vor, was dann durch die Ermächtigung zur Schätzung nach Abs. 3 Satz 2 bis 4 ersetzt wurde. Die Endfassung geht zunächst weitgehend auf den nicht weiter begründeten Änderungsantrag der SPD-Fraktion vom 16.09.2009 (LTag-Drs. 18/1104; zu den eingegangene Stellungnahmen zu der schriftlichen Anhörung s. Ausschussvorlage AFG 18/6, Teil 1 mit Stand: 11.11.2009) zurück. Der Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit empfahl dann dem Plenum mit den Stimmen der Fraktion der SPD bei Enthaltung der übrigen Fraktionen, den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des Änderungsantrags in zweiter Lesung anzunehmen (LTagDrs. 18/1610 v. 27.11.2009). In einem weiteren, ebf. nicht begründeten Änderungsantrag vom 08.12.2009 (LTag-Drs. 18/1682) schlug die SPD-Fraktion dann die verabschiedete Fassung vor (zur parlamentarischen Beratung s. PlPr 18/14 v. 17.06.2009, S.874-879; 18/29 v. 09.12.2009, S.2085-2087).

§ 11 GEHV wurde durch die Beschlüsse der Vertreterversammlung der KV Hessen in den Sitzungen vom 20.02.2010, 29.05.2010 und 28.08.2010 verabschiedet und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB V vom Hessischen Sozialministerium mit Schreiben vom 10.06.2011 genehmigt und veröffentlicht durch das Mitgliederrundschreiben der Beklagten "EHV Aktuell" vom 06.07.2011. § 11 GEHV mit der Einbeziehung der Honorare aus Selektivverträgen wiederum beruht auf § 8 KVHG in der Fassung des hessischen Landesgesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen vom 14.12.2009, GVBl. 2009, Teil I, 662.

Die Vertreterversammlung der Beklagten hat somit unmittelbar nach Inkrafttreten der Neufassung des § 8 KVHG am 23.12.2009 bereits mit den Beratungen zur Änderung der GEHV am 20.02.2010 begonnen und diese am 28.08.2010 abgeschlossen. Eine Verzögerung der Beratungen seitens der Beklagten ist damit nicht ersichtlich. Wegen der erforderlichen Regelung konnte die Änderung nicht mehr im Jahr 2010 in Kraft treten. Die Verfahrensdauer des Genehmigungsverfahrens kann der Beklagten nicht angelastet werden. Aber selbst wenn von einer rechtswidrigen Verzögerung auszugehen wäre, folgt hieraus keine Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung der Einnahmen aus Sonderverträgen. Grundsätzlich kann die Beklagte nur die Honoraranteile berücksichtigen, die sie auch zur Beitragsfestsetzung zur EHV herangezogen hat.

Allenfalls käme im Übrigen ein Entschädigungsanspruch aus Amtspflichtverletzung in Betracht, der hier aber nicht streitgegenständlich ist.

Nach allem war der Klage im tenorierten Umfang stattzugeben und die Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten, im Übrigen war sie aber abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Quotelung folgt dem Anteil des jeweiligen Unterliegens.

Die Kammer schätzt, dass die Berücksichtigung der Einnahmen aus Sonderverträgen auf der Grundlage des Anspruchshöchstsatzes von 18 % einen EHV-Mehrbetrag von weniger als 1.000 EUR im Jahr bewirken würde (vgl. Kammerurteile vom 05.11.2014 - S 12 KA 84/13, 83/13 und 331/13 -); unter Berücksichtigung des Anspruchssatzes des Klägers sind hierfür 500 EUR zu veranschlagen. Demgegenüber beträgt die Differenz des EHV-Anspruchs mit und ohne Berücksichtigung des sog. Nachhaltigkeitsfaktors für den strittigen Zeitraum 6.635,35 EUR (36.400,08 EUR - 29.764,73 EUR). Die Quotelung berücksichtigt, dass der Kläger mit seiner Klage bzgl. des sog. Nachhaltigkeitsfaktors im Sinne einer Neubescheidung erfolgreich war.

Der Streitwert war in Höhe der - gerundeten - Differenz des EHV-Anspruchs mit und ohne Berücksichtigung des sog. Nachhaltigkeitsfaktors zzgl. 500 EUR hinsichtlich der Berücksichtigung der Einnahmen aus Sonderverträgen festzusetzen.

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Berichtigungsbeschluss

Der Gerichtsbescheid vom 02.02.2015 wird auf Seite 4, 2. Absatz, Satz 1 wie folgt gefasst:

Hiergegen hat der Kläger am 06.02.2012 zum Az.: S 12 KA 926/11 die Klage erhoben.

Offensichtliche Unrichtigkeiten sind jederzeit von Amts wegen zu berichtigen (§ 138 SGG).

Die offensichtliche Unrichtigkeit der Angabe der Klageerhebung folgt bereits aus der Gerichtsakte.
Rechtskraft
Aus
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