L 1 U 264/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 3234/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 264/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 10.12.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer multiplen Sklerose (MS-Erkrankung) als Folge der Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 (im Folgenden: BK 1302) der Anlage 1 zur Berufskrankenheiten-Verordnung (BKV) streitig.

Die 1960 in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geborene Klägerin absolvierte nach ihren eigenen Angaben von 1976 bis 1978 in der (mittlerweile nicht mehr existierenden) landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) "Florian Geyer" in Aschersleben eine Ausbildung zur Gärtnerin. Während dieser Zeit hatte sie keinen Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln und brachte auch keine entsprechenden Mittel auf die Felder aus. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie bis Dezember 1985 als Gärtnerin bei der genannten LPG. Diese produzierte zu DDR-Zeiten im Gemüsebereich Champignons, Salatgurken, Tomaten und Chicorée. Im Bereich des Zierpflanzenbaus wurden Topf- und Schnittpflanzen produziert. Die Klägerin arbeitete fast ausschließlich in Glasgewächshäusern bzw. Folientunneln. Nur an ein bis zwei Tagen im Monat wurden Arbeiten im Freiland durchgeführt. Die Klägerin war mit den kompletten Pflege- und Anzuchtarbeiten beschäftigt. Hierzu zählte auch das Ausbringen von verschiedenen Pflanzenschutzmitteln. Nach ihren Angaben wurden die Pflanzenschutzmittel zweimal wöchentlich an ca. vier Stunden in der Nacht zwischen 20.00 und 24.00 Uhr ausgebracht. Auch war sie regelmäßig mit dem Begasen der Gewächshäuser beauftragt worden. Hierzu wurden Dosen, aus denen eine Zündschnur ragte, auf den Wegen der Gewächshäuser aufgestellt, die dann von der Klägerin mittels eines Feuerzeugs angezündet wurden. Die Dosen begannen daraufhin auszugasen. Die Klägerin trug hierbei eine Art Halbmaske mit Atemschutzfilter. In dem Betrieb wurde des Weiteren Lindan sowie das Präparat "Bi 58" als Pflanzenschutzmittel verwendet. Das Pflanzenschutzmittel "Bi 58" wurde von der Klägerin selbst angesetzt und in eine motorbetriebene Rückenspritze gefüllt, um dann in den Gewächshäusern ausgebracht zu werden. Darüber hinaus musste die Klägerin Stahlbehälter reinigen, die zuvor mit einer Spritzbrühe gefüllt waren. In den Behältern kam es zu Temperaturen von über 40 Grad Celsius. Ab Januar 1986 hatte die Klägerin eine Kräuterannahmestelle (im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit) inne und verkaufte die Kräuter an pharmazeutische Betriebe. Während dieser Zeit hatte sie keinen Kontakt mit Pestiziden. Ab 1991 war sie als Kassiererin in verschiedenen Kaufhäusern tätig. Seit 2008 bezieht sie eine Berufsunfähigkeitsrente, nachdem im Oktober 2007 vom U. F. eine MS-Erkrankung diagnostiziert worden ist.

Am 21.12.2009 zeigte der Nervenarzt Dr. B. unter Vorlage seines Arztbriefes vom 15.12.2009 bei der Beklagten den Verdacht einer BK an. Als Beschwerden gab er "multiple Sklerose, Erschöpfung, lange Arbeit mit Pestiziden" an. Im Arztbrief vom 15.12.2009 führte er aus, die Klägerin leide häufig an Schwindel, Übelkeit, Gelenkschmerzen, Erschöpfung und schließlich auch an einem Brustkarzinom. Sie sei bislang viermal operiert worden, wobei sie seit dem Jahr 2007 Brustprothesen trage. Die Klägerin habe ihm gegenüber angegeben, sie sei früher immer sehr aktiv gewesen und habe keine Übelkeit beim Spritzen im Gewächshaus bemerkt. Die Vorgeschichte der Gewächshausarbeiter sei in seiner Praxis immer gleich und bei keinem seien die toxischen Belastungen während des Arbeitslebens erwähnt worden. Es sei bedauerlich, dass die Versicherungen die Statistiken im Hinblick auf diese Berufe verheimlichten und dass die Gerichte diese Statistiken nicht anforderten. Die Beklagte zog daraufhin unter anderem den Bericht des Dr. B. vom 10.12.2009 über eine testpsychologische Untersuchung der Klägerin, den Arztbrief des Allgemeinarztes Dr. W. vom 04.05.2010 (Diagnose: MS, Hashimoto-Thyreoditis, Thyreodektomie 03/2010 und Z.n. Mammakarzinom Grad II mit Resektion 01/2006) sowie Auskünfte der B. G.-S. bei und befragte die Klägerin nach ihren bisherigen Beschäftigungen (Antwort vom 31.03.2010).

Im Anschluss daran holte die Beklagte die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 01.07.2010 ein. Darin wurde angegeben, dass die Klägerin nicht im gesamten Beschäftigungszeitraum bis 1985 mit Pflanzenschutzmitteln in Kontakt gekommen sei. Die Klägerin habe diese Tätigkeiten lediglich von August 1978 bis Dezember 1979 durchgeführt. Nach ihren eigenen Angaben sei sie ab Dezember 1979 schwanger gewesen, was dazu geführt habe, dass sie während der Schwangerschaft und auch danach keinen Kontakt mehr mit Pflanzenschutzmitteln gehabt habe. Die Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln sei daher als kurzzeitig (17 Monate) und als geringfügig anzusehen. Außerdem werde die Begasung von Gewächshäusern zeitlich und saisonal begrenzt durchgeführt. Ein wöchentlicher Umgang mit derartigen Mitteln sei nicht anzunehmen. Aufgrund der Größe der LPG sei davon auszugehen, dass die Klägerin nicht als einzige Pflanzenschutzmittel appliziert habe. Zudem sei es in der ehemaligen DDR üblich gewesen, dass eine Person Pflanzenschutzbeauftragter gewesen sei. Diese Beauftragten seien umfassend geschult und zur Durchführung und Überwachung der Pflanzenschutzmittelanwendungen ausgebildet gewesen. In einem Telefonvermerk vom 29.09.2010 (Bl. 72 der Verw.-Akte) wurde festgehalten, dass die Klägerin angegeben habe ausschließlich während ihrer Zeit im gärtnerischen Bereich mit Pflanzenschutzmitteln bzw. Pestiziden in Kontakt gekommen zu sein. Ab Mitte der 80-iger Jahre sei sie als Verkäuferin im Einzelhandel tätig gewesen. Seit dieser Zeit habe sie keinen Kontakt mehr mit Pflanzenschutzmitteln und chemischen Substanzen gehabt.

Mit Bescheid vom 21.10.2010 stellte die Beklagte fest, das keine BK 1302 vorliege und Ansprüche auf Leistungen nicht bestünden. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei die bei der Klägerin festgestellte Erkrankung nicht ursächlich auf ihre berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie hätte nicht nur 17 Monate Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln gehabt, sondern während ihrer zehn Jahre im Gewächshaus. Sie habe mit Lindan gespritzt. Außerdem habe sie bei hoher Temperatur Stahlbehälter, in denen zuvor Pflanzenschutzmittel gewesen sei, reinigen müssen. In ihrer Familie bestünden keinerlei Autoimmunerkrankungen, sodass die bei ihr vorliegende Erkrankung allein auf die gefährdende Tätigkeit zurückzuführen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen aus, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der MS-Erkrankung sowie den weiteren Beschwerden und der beruflichen Tätigkeit sei nicht gegeben. Entscheidend seien die Ermittlungen ihres Präventionsdienstes. Da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorlägen, könne dahingestellt bleiben, ob die medizinischen Voraussetzungen erfüllt seien. Im Hinblick auf eine etwaige BK 1317 werde ein eigenständiges Verwaltungsverfahren durchgeführt.

Hiergegen hat die Klägerin am 27.12.2012 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und zunächst die Anerkennung ihrer Erkrankung als BK 1302 und 1317 beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, bereits zu Beginn ihrer Ausbildung in der LPG "Florian Geyer" sei sie mit Spritzmitteln in Kontakt gekommen. Dies könne ihr damaliger Vorgesetzter, Herr K. H., bezeugen. Alle damaligen Mitarbeiter der LPG seien erkrankt und verstorben. Sie hätten die gleichen Symptome wie sie gezeigt. Neben ihrer MS-Erkrankung leide sie an Gleichgewichtsstörungen, Schwindelgefühlen, Übelkeit, an einer Lähmung beider Beine, an Gelenkschmerzen, an Erschöpfungsgefühlen und an einem Brustkarzinom. Sie sei mittlerweile fünfmal operiert worden. Bei Handarbeiten fange ihr gesamter Körper an zu zittern. Montags habe sie in der LPG ernten und freitags spritzen müssen. Darüber hinaus habe sie jede Woche nach dem Spritzmitteleinsatz eine große Wanne mit dem Wirkstoff Lindan von innen und außen reinigen müssen. Sie sei auch nach ihrer Ausbildung ständig mit dem Spritzmittel Lindan und anderen Halogenkohlenwasserstoffen in Kontakt gekommen zu sein.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die sachverständige Zeugenaussage des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 03.04.2013 eingeholt. Dieser hat angegeben, die Klägerin leide an einer MS-Erkrankung mit primär chronischem Verlauf. Die Krankheit habe einen sehr schwerwiegenden Verlauf genommen, es bestünde eine Lähmung der Arme und Beine, des Weiteren eine Störung beim Wasserlassen und auch eine leichte kognitive Störung. Er hat seiner Auskunft den Arztbrief des Dr. F. vom 27.01.2011 beigefügt.

Darüber hinaus hat das SG das Gutachten nach Aktenlage des Prof. Dr. D., Direktor des Instituts und der Polyklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der U ... E.-N., vom 05.08.2013 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, die Klägerin leide an einer MS-Erkrankung mit primär chronischem Verlauf und akuten Exacerbationen, an einer Schilddrüsenerkrankung mit Zustand nach Operation, an einer Beeinträchtigung der Sprache (Dysphonee), an einer Hypothyreose, an einer Hypercholesterinämie, an einem Zustand nach malignem Melanom (schwarzer Hautkrebs - vollständig entfernt) und an einem Tachykardiesyndrom. Unstrittig sei die Exposition der Klägerin gegenüber Pestiziden zwischen August 1978 und Dezember 1985, darunter Lindan und zwei organische Phosphorsäureester, wobei davon ausgegangen werden müsse, dass die Klägerin im genannten Zeitraum auch gegenüber weiteren Pflanzenschutzmitteln exponiert gewesen sei. Zu beachten sei, das Halogenkohlenwasserstoffe, die als Pflanzenschutzmittel eingesetzt worden seien, nicht eindeutig als Humankanzerogene identifiziert worden seien. Halogenkohlenwasserstoffe könnten die Haut, das Nervensystem, die Leber und die Nieren schädigen. Nach Beendigung der Exposition komme es in aller Regel zu einem Rückgang des Symptomatik bis hin zu einer vollständigen Ausheilung. In aller Regel entwickele sich das Krankheitsbild aus einer akuten Vergiftung heraus und es komme im Laufe der Jahre zu einer Besserung bzw. zu einem stagnierenden Verlauf. Eine Latenzzeit von mehreren Jahren zwischen Exposition und dem Beginn einer neurologischen Symptomatik sei wissenschaftlich nicht beschrieben. Der Verlauf der Erkrankung spreche somit gegen eine Verursachung durch berufliche Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln in den Jahren 1978 bis 1985. Eine Literatursuche Ende Mai 2013 habe unter den Suchbegriffen "MS und Beruf" 97 Treffer in der Datenbank PuB Med ergeben. Mit der beruflichen Verursachung hätten sich nur relativ wenige Arbeiten beschäftigt. Die wissenschaftliche Literatur gehe insgesamt davon aus, dass es sich bei der MS um eine immunologisch vermittelte Erkrankung unbekannten Ursprungs handle. Die wenigen Hinweise auf eine berufliche Verursachung seien widersprüchlich und ergäben keinen Hinweis darauf, dass Personen, die beruflich gegenüber Pflanzenschutzmitteln exponiert seien oder waren, vermehrt an MS erkrankten. Auch ergebe die derzeit verfügbare Literatur keinen Hinweis darauf, dass eine Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln als wesentlicher Teilfaktor bei der Genese von Mammakarzinomen betrachtet werden könne. Die Verursachung einer Hashimoto-Thyreoiditis durch Pestizide lasse sich anhand der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten nicht erkennen. Auch in den entsprechenden Merkblättern seien die Erkrankungen nicht aufgeführt. Es könne somit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt werden, das Pflanzenschutzmittel die Ursache oder eine wesentliche Teilursache der Erkrankung der Klägerin seien. Insgesamt lägen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen vor: MS, Mammakarzinom und Hashimoto-Thyreoiditis. Das Melanoma in Situ sei mit der vollständigen Entfernung als geheilt zu betrachten. Ergänzende Ermittlungen im Hinblick auf die verwendeten Pflanzenschutzmittel führten unabhängig von deren Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung. Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen seien letztlich in ihrer Verursachung ungeklärt, wahrscheinlich handle es sich um eine multifakturiell verursachte Erkrankungen. Soweit sich Dr. B. in seinen Ausführungen auf Statistiken beziehe, die einen Zusammenhang der Erkrankungen mit den toxischen Belastungen belegten, seien diese Statistiken nicht bekannt.

Mit Urteil vom 10.12.2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 1302 seien nach dem Gutachten von Prof. Dr. D., der ein erfahrener Arbeitsmediziner sei, nicht gegeben. Die Ursachen für die MS-Erkrankung der Klägerin seien derzeit wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Ein Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln bzw. Halogenkohlenwasserstoffen lasse sich nicht klar feststellen. Dabei habe der Gutachter auch die Argumente des Dr. B. berücksichtigt, habe diesen aber nicht zu folgen vermocht. Ermittlungen zum Umfang der Exposition seien nicht notwendig, da hieraus kein weiterer Erkenntnisgewinn zu erwarten sei. Hierauf habe Prof. Dr. D. hingewiesen. Daher bedürfe es auch nicht der Vernehmung des früheren Vorgesetzten der Klägerin oder sonstiger Arbeitskollegen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 19.12.2013 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 20.01.2014, einem Montag, beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, das SG habe zu Unrecht die Ursächlichkeit der Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln bzw. Halogenkohlenwasserstoffen und ihren gesundheitlichen Beschwerden verneint. Das SG habe insbesondere die Argumente des Dr. B. nur in Ansätzen berücksichtigt. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei ihre Erkrankung auf die Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln zurückzuführen. Allein deswegen, dass Prof. Dr. D. die Statistiken, die Dr. B. erwähne, nicht bekannt seien, könne eine Kausalität nicht verneint werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 10.12.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 21.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2012 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihr vorliegende multiple Sklerose eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Nachdem der Senat am 03.07.2013 die Beteiligten schriftlich auf die Pressemeldung der Deutschen Multiple Sklerose-Gesellschaft (DMSG) vom 01.10.2013 und auf die darin genannte neue Studie zur MS-Erkrankung sowie auf ein entsprechendes Urteil des 6. Senats des LSG vom 19.12.2013 (L 6 VS 2041/13) hingewiesen hatte, hat er auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten nach Aktenlage des Nervenarztes Dr. B. vom 01.10.2014 eingeholt. In seinem Gutachten führt Dr. B. aus, er habe die Klägerin zweimal, im Dezember 2009 und im Dezember 2011, persönlich untersucht und am 24. und 25.09.2014 telefonisch mit ihr Rücksprache gehalten. Die Klägerin leide an einer MS, Polyneuropathie, Myopathie, an einer chemischen Überempfindlichkeit, an Gleichgewichtsstörungen, an einem Tremor, an ständiger Müdigkeit, an einem sehr schweren Leistungsabfall in der Psychometrie und an einer chronischen Depressivität nach langjähriger Exposition im Beruf, vor allem gegenüber Pestiziden, Reinigungsmitteln und Lösungsmitteln. Dazu kämen, wie bei allen Vergiftungen, viele Multiorganerkrankungen, z.B. Mammakarzinom und Hashimoto. Auch im Hinblick auf die Mitteilung der DMSG vom 01.10.2013 sei festzuhalten, dass ein großer Teil von MS-Erkrankung im Hinblick auf ihre Ursachen ungeklärt seien. Vor allem sei die Rolle von Umweltfaktoren und der Zusammenhang zwischen toxischer Schäden bei der Arbeit und der Entstehung der MS nicht völlig geklärt. Die Substanzen, denen die Klägerin ausgesetzt gewesen sei, hätten eine hohe toxische Bedeutung. Allerdings sei das Aufteilen des beruflichen und privaten Lebensverhaltens und der Arbeitsfähigkeit auf einzelne Substanzen nicht möglich. In einem Artikel im "Stern" aus dem Jahr 1994 über die Praxis und die Bedeutung von Pestiziden in Weinbergen seien die wichtigsten Pestizide und die deutlichen Zahlen der geschädigten Weinbergsfamilien genannt. Die Gefahren von Lindan zeigten sich auch in den Informationen, die in Wikipedia zu finden seien. Bei der Klägerin läge eine BK 1302 vor. Die Auffassung des Prof. Dr. D., nach Beendigung der Exposition komme es in aller Regel zu einem Rückgang der Symptomatik bis hin zu einer vollständigen Ausheilung, sei in keiner Weise gesichert. Es sei auch falsch, dass es keine Hinweise gebe, das Personen, die beruflich gegenüber Pflanzenschutzmittel exponiert seien oder waren, vermehrt an MS erkrankten. Entsprechende toxische Schäden bei der Arbeit würden jedoch heruntergespielt. Sie würden jedoch sehr häufig auftreten, ohne wieder zu verschwinden. Entsprechende Statistiken würden manipuliert werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 21.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2012 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Feststellung abgelehnt, dass die MS-Erkrankung der Klägerin eine BK nach Nr. 1302 ist.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG), mit der unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung der Beklagten die gerichtliche Feststellung begehrt wird, dass die MS-Erkrankung der Klägerin eine Listen-BK nach Nr. 1302 ist. Ein Versicherter, dem gegenüber ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass ein Anspruch auf Feststellung einer bestimmten BK nicht gegeben ist, kann deren Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche vorab im Wege einer Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungs- oder Feststellungsklage klären lassen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 BKV, jeweils RdNr. 11 m.w.N; BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R = BSGE 108, 274; zuletzt BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 22/10 R = NZS 2012, 151). Nicht streitgegenständlich ist hingegen das Vorliegen einer BK 1317. Einen entsprechenden Antrag hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 10.12.2013 nicht mehr aufrechterhalten (vgl. die Niederschrift vom 10.12.2013, Bl. 70 der SG-Akte). Das SG hat deshalb auch nicht über das Vorliegen einer BK 1317 entschieden. Außerdem ist auch nicht streitgegenständlich das Vorliegen einer sogenannten Wie-BK nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Denn hierüber hat die Beklagte in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich nicht entschieden. Die anwaltlich vertretende Klägerin hat auch nicht die Feststellung einer Wie-BK beantragt.

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist indes nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung ihrer MS-Erkrankung als BK 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) der Anlage 1 zu BKV.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII sowie des auf seiner Grundlage erlassenen Rechts, weil die MS-Erkrankung im Oktober 2007 (so die Angaben im Arztbrief des Dr. F. vom 26.01.2011) festgestellt worden ist und der geltend gemachte Versicherungsfall damit nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 eingetreten sein soll (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen (Satz 2).

Für die Feststellung einer Listen-BK ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist nach der Rechtsprechung des BSG keine Voraussetzung einer Listen-BK (BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 22/10 R = NZS 2012, 151). Dabei gilt für die Überzeugungsbildung des Gerichts hinsichtlich der "versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" der Beweisgrad des Vollbeweises, also der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Für die Überzeugungsbildung vom Vorliegen der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge und der rechtlich zu bewertenden Wesentlichkeit einer notwendigen Bedingung genügt indes der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R = BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2109 Nr. 1; Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R = BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 BKV, jeweils RdNr. 16 m.w.N. und - B 2 U 9/08 R = BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 14 BKV, jeweils RdNr. 9 m.w.N.; BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R = BSGE 108, 274).

Klarstellend und abweichend von der früheren gelegentlichen Verwendung des Begriffs durch den 2. Senat des BSG (vgl. BSG vom 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16; BSG vom 04.12.2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 1) hat das BSG in der Entscheidung vom 02.04.2009 (B 2 U 30/07 R = BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr 4 BKV) betont, dass im BK-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann, sondern als Einwirkungskausalität. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheit(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall (vgl. nur BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils Rdnr. 10) ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den BK-Folgen, die dann ggf. zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der BK keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Nach Maßgabe dieser für das BK-Recht modifizierten Terminologie des BSG ist im Fall der Klägerin die haftungsbegründende Kausalität zwischen der von der ihr geltend gemachten Einwirkungen und die bei ihr vorliegende MS-Erkrankung nicht hinreichend wahrscheinlich.

Die Klägerin leidet - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - an einer MS-Erkrankung. Diese wurde im Oktober 2007 im U. F. diagnostiziert. Der Senat entnimmt dies dem Arztbericht des Dr. F. vom 27.01.2011. Auch Prof. Dr. D. und Dr. B. sowie der sachverständige Zeuge Dr. R.(Arztauskunft vom 03.04.2013) haben dies bestätigt. Darüber hinaus besteht ein Zustand nach Mammakarzinom mit Resektion im Januar 2006. Dies entnimmt der Senat dem Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. W ... vom 04.05.2010. Schließlich ergibt sich aus dem genannten Arztbrief des Dr. F. auch, dass die Klägerin an einer Hashimoto-Thyreoiditis leidet. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin allerdings nur die Anerkennung der MS-Erkrankung als BK 1302.

Zu Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer BK genügt - wie bereits dargelegt - eine hinreichende Wahrscheinlich des ursächlichen Zusammenhangs. Im vorliegenden Fall ist jedoch weder nachgewiesen, noch kann es auch nur wahrscheinlich gemacht werden, dass die MS durch schädigende Einwirkungen während der grundsätzlich versicherten Tätigkeit der Klägerin in der LPG "Florian Geyer" bzw. während ihrer Tätigkeit als Kassiererin hervorgerufen worden ist. Dabei weist der Senat darauf hin, dass die Erkrankungen, die zur Anerkennung einer BK 1302 führen können, nach dem amtlichen Merkblatt durch Halogenkohlenwasserstoffe verursacht worden sein müssen. Die BKV umschreibt den Tatbestand der BK 1302 wie folgt: "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe". In diesem Zusammenhang geht der Senat davon aus, dass entsprechende Einwirkungen allenfalls bis Dezember 1985 möglich waren. Denn ab Januar 1986 war die Klägerin nicht mehr als Gärtnereiarbeiterin in der LPG "Florian Geyer" eingesetzt. Dies entnimmt der Senat zum einen dem Bericht des Präventionsdienstes der Beklagten vom 01.07.2010 und zum anderen den eigenen Angaben der Klägerin gegenüber Dr. B ... Ihm gegenüber hat die Klägerin telefonisch angegeben, ab Januar 1986 in einer Kräuterannahmestelle als Selbstständige gearbeitet zu haben, wobei sie während ab dieser Zeit keinen Kontakt mehr mit Pestiziden gehabt habe.

Im Hinblick auf den Zeitraum von 1976 bis Dezember 1985 variieren die Angaben der Klägerin. Gegenüber dem Präventionsdienst der Beklagten hat sie am 12.05.2010 angegeben, während ihrer Ausbildung von 1976 bis Juli 1978 nicht mit Pflanzenschutzmitteln in Kontakt gekommen zu sein. Ab Dezember 1979, dem Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft, sei sie ebenfalls nicht mehr mit Pflanzenschutzmitteln in Kontakt gekommen. All dies ergibt sich aus dem genannten Bericht des Präventionsdienstes vom 01.07.2010. In dem Telefonvermerk vom 29.09.2010 wurde zudem von der Beklagten festgehalten, dass die Klägerin angegeben habe, ab Mitte der 80-iger Jahre als Verkäuferin tätig gewesen zu sein und ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Pflanzenschutzmitteln oder chemischen Substanzen in Kontakt gewesen zu sein. Im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens gab die Klägerin (in ihrer Widerspruchsbegründung) hingegen an, sie sei 10 Jahre (zu meist im Gewächshaus) in Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln gewesen. Dadurch, dass in dem Merkblatt zur BK 1302 (BArbBl. 1985, S. 55) keine Referenzzeit hinsichtlich der schädigenden Einwirkungen angegeben wird, kommt es letztlich auf den genauen Zeitraum der schädigenden Einwirkungen aber nicht an. Denn obwohl die Klägerin während ihrer Zeit als Gärtnerin in der LPG "Florian Geyer" mit schädlichen Pflanzenschutzmitteln, wie zum Beispiel Lindan, einem nicht näher beschriebenen Gas und mit dem Präparat "Bi 58" in Kontakt kam (vgl. Bericht des Präventionsdienstes der Beklagten vom 01.07.2010), kann nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass hierdurch die MS-Erkrankung hervorgerufen worden ist. Der Senat stützt sich - ebenso wie das SG - insoweit auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des Prof. Dr. D. vom 05.08.2013. Dieser hat ausführlich dargelegt, dass nach einer Literatursuche Ende Mai 2013 die wenigen Hinweise auf eine berufliche Verursachung einer MS widersprüchlich sind und keinen Hinweis darauf ergeben haben, dass Personen, die beruflich gegenüber Pflanzenschutzmitteln exponiert sind oder waren, vermehrt an MS erkranken. Auch wurde eine Latenzzeit von mehreren Jahren zwischen Exposition und dem Beginn einer neurologischen Symptomatik wissenschaftlich nicht beschrieben. Vorliegend wurde die MS-Erkrankung der Klägerin jedoch erst im Oktober 2007 diagnostiziert, das heißt mehr als 20 Jahre nach der Beendigung ihrer Tätigkeit als Gärtnerin bei der LPG "Florian Geyer". Insofern überzeugt auch die Einschätzung von Prof. Dr. D., wonach der Verlauf der Erkrankung gegen eine Verursachung durch eine berufliche Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln in den Jahren 1978 bis 1985 spricht.

Die Auffassung des Gutachters wird auch durch die unfallversicherungsrechtliche Literatur bestätigt. Auch Schönberger/Merthens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 247 f.) führen aus, dass bis heute die Ätiologie der MS wissenschaftlich ungeklärt und daher ein Ursachenzusammenhang zwischen der Entstehung dieser Erkrankung oder deren Verschlimmerung und einer Einwirkung von außen nicht wahrscheinlich zu machen ist. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich - wie auch Prof. Dr. D. dargelegt hat - bei der MS um eine immunologisch vermittelte Erkrankung unbekannten Ursprungs handelt. Dies wird letztlich auch durch die am 29.09.2013 in der Zeitschrift Nature Genitics online veröffentlichte Studie, auf die die DMSG in ihrer - den Beteiligten vom Senat übersandte - Pressemitteilung vom 01.10.2013 hingewiesen hat, bestätigt. Hierbei handelt es sich um die bisher größte Untersuchung von MS-Genen, bei der die Erbsubstanz von 29.300 MS-Erkrankten sowie von 50.794 nicht verwandten gesunden Kontrollpersonen analysiert worden ist. Sie wurde von der Miller School of Medicine der University of Miami geleitet und von einem internationalen Team von 193 Wissenschaftlern aus 84 Forschungsgruppen in dreizehn Ländern realisiert, wobei die beteiligten Forschungsgruppen aus Deutschland von Prof. Dr. Hemmer (Technische Universität München), Prof. Dr. Zipp (Universität Mainz) und Prof. Heesen (Universität Hamburg) geleitet wurden. Nach dieser neuesten wissenschaftlichen Studie ist die MS eine chronische neurologische Krankheit, die weltweit über 2,5 Millionen Menschen betrifft. Sie führt zur Entzündung und Schädigungen des zentralen Nervensystems und verursacht, je nach Lokalisierung, Mobilitäts-, Balance-, Empfindungs- und Wahrnehmungsstörungen. Auch nach dieser Studie sind indes die Ursachen der MS noch weitgehend unbekannt, man vermutet ein Zusammenspiel genetischer Grundlagen mit Umweltfaktoren. Ist die Erkrankung in der Familie bereits einmal aufgetreten, ist das Risiko, MS zu entwickeln, erhöht. Studien mit Zwillingen und Adoptivkindern haben gezeigt, dass dieses erhöhte Risiko in erster Linie das Resultat genetischer Risikofaktoren ist. Die nun veröffentlichten Ergebnisse verdoppeln die Anzahl der bestätigten MS-Genorte, unterstreichen die Rolle des Immunsystems bei der Entwicklung der MS und heben die deutlichen Ähnlichkeiten zwischen der genetischen Architektur, die einer Vorbelastung für diese und viele andere Autoimmunkrankheiten zugrunde liegt, hervor.

Mithin entspricht der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand, der für die objektive Kausalitätsbeurteilung zugrunde zu legen ist (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R = BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2109 Nr. 1, jeweils Rdnr. 27), der von Prof. Dr. D. wiedergegebenen Lehrmeinung, wonach keine Hinweise darauf bestehen, dass eine MS-Erkrankung auf eine Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen zurückgeführt werden kann, sodass schädigende Einwirkungen während ihrer Tätigkeit in der LPG "Florian Geyer" nicht als wahrscheinliche Ursache für ihre MS-Erkrankung festgestellt werden können.

An diesem Ergebnis ändert auch das Gutachten des Dr. B. vom 01.10.2014 nichts. Die Schlussfolgerungen des Dr. B. überzeugen den Senat nicht. Zum einen ist zu beachten, dass es sich hierbei um den behandelnden Nervenarzt der Klägerin handelt, sodass eine gewisse therapeutische Nähe, die gegen die Objektivität bei der Begutachtung sprechen kann, auch bei der Erstellung des Gutachtens nach Aktenlage nicht auszuschließen ist. Dr. B. hat selbst angegeben, dass die Klägerin persönlich im Dezember 2009 und Dezember 2011 in seiner Praxis behandelt hat. Zum anderen überzeugen seine Schlussfolgerungen aber schon deshalb nicht, weil Dr. B. weder auf die aktuelle unfallversicherungsrechtliche Literatur noch auf die von Prof. Dr. D. genannten medizinischen Studienergebnisse konkret eingegangen ist. Er stützt sich vielmehr auf allgemeine Aussagen, die sich im Wesentlichen auf einen "Stern"-Artikel aus dem Jahr 1994, auf Wikipedia-Einträge und Presseberichte von privaten Vereinigungen ("Pestizidaktions-Netzwerk e.V." und "Gemeinnütziges Netzwerk für Umweltkranke e.V.") stützen. Diese Veröffentlichungen stellen nicht den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis dar. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, Urteil vom 15.09.2011 – B 2 U 25/10 R = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 20, Rdnr. 20). Über die von Dr. B. angenommenen Erkenntnisse besteht aber gerade kein Konsens, was sich dem Gutachten des Prof. Dr. D. entnehmen lässt, der eine konkrete und aktuelle Literaturrecherche bei PuB Med durchgeführt und die gefundenen Ergebnisse ausführlich dargestellt hat. Auch im Hinblick auf die nunmehr von der DMSG zitierten Studie der Miller School of Medicine der University of Miami, bei der es sich um die bisher größte Untersuchung von MS-Genen handelt, geht der Senat davon aus, dass die Auffassung von Dr. B. eine - i.S. der genannten Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) - nicht ins Gewicht fallende Gegenstimme ist.

Die Ausführungen von Dr. B. sind darüber hinaus aber auch nicht schlüssig. Zum einen bejaht er das Vorliegen der BK 1302, zum anderen vertritt er aber selbst die Auffassung (S. 7 seines Gutachtens), dass der Zusammenhang toxischer Schäden bei der Arbeit mit der Entstehung der MS "nicht völlig geklärt und lange nicht zu Ende" sei. Weiter führt er aus (a.a.O., S. 9), dass das "Aufteilen des beruflichen und privaten Lebensverhaltens und der Arbeitsfähigkeit auf einzelne Substanzen" nicht möglich sei. Im weiteren Verlauf seines Gutachtens begründet er seine Annahmen vor allen Dingen mit (früheren) Pestizidverwendungen in Weinbergen (insbesondere in Rheinland-Pfalz und in Frankreich). Seine dann aber nicht näher begründete Schlussfolgerung, wonach vorliegend die Voraussetzungen der BK 1302 erfüllt seien, überzeugt vor diesem Hintergrund nicht, zumal er sich auch nicht mit der hier vorliegenden Latenzzeit von über 20 Jahren auseinandersetzt.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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