S 13 SB 1648/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 1648/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein erst in der mündlichen Verhandlung gestellter Antrag gem. § 109 SGG ist aus grober Nachlässigkeit zu spät gestellt, wenn das Gericht den Klägerbevollmächtigten bereits zum dritten Mal zur mündlichen Verhandlung geladen und zuvor mitgeteilt hat, keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen mehr durch-zuführen zu wollen
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 60.

Der Kläger stellte am 29. Januar 2013 einen Erstantrag auf Feststellung der Schwerbehinder-teneigenschaft beim Landratsamt Karlsruhe.

Als Gesundheitsstörungen machte er einen Schlaganfall, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit sowie einen Unfall an der Wirbelsäule und der Archillessehne geltend.

Das LRA zog Befundunterlagen der behandelnden Ärzte bei und stellte durch Bescheid vom 18. April 2013 einen GdB von 50 seit dem 29. Januar 2013 fest. In der dem Bescheid zugrun-deliegende Stellungnahme berücksichtigte der versorgungsmedizinische Dienst folgende Gesundheitsstörungen:

1.01 Bluthochdruck, Hirndurchblutungsstörungen, Sprachstörung Einzel-GdB 30 1.02 Arterielle Verschlusskrankheit des Beines Einzel-GdB 30 1.03 Unfallfolgen (geringe Bewegungseinschränkung im Bereich des Überganges der Brustwirbel- zur Lendenwirbelsäule, Keilwirbelbildung mit Höhenminderung) Einzel-GdB 20 1.04 degenerative Veränderung der Wirbelsäule Einzel-GdB 10

Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Klägerbevollmächtigte aus, die Funktionsbeeinträchtigung wegen des Archilessehnenrisses sei nicht berücksichtigt, ebenso eine Sehminderung des Klägers.

Das LRA hörte erneut seinen ärztlichen Dienst an, der an seinen bisherigen Feststellungen festhielt. Der Beklagte wies den Widerspruch daraufhin durch Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2014 als unbegründet zurück.

Aus diesem Grund hat der Kläger am 13. Mai 2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erho-ben. Der Klägerbevollmächtigte ist der Ansicht die Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klä-gers rechtfertigten einen höheren GdB.

Der Kläger beantragt,

1. Der Bescheid des Landratsamts vom 18. April 2013 sowie der Widerspruchsbe-scheid des Regierungspräsidiums vom 7. Mai 2014 werden aufgehoben. Der Be-klagte wird verpflichtet, dem Kläger einen GdB von mindestens 60 zu gewähren, 2. hilfsweise die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG. Als Gutachter wird Dr. S., Facharzt für Orthopädie, Karlsruhe benannt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er stützt sich auf die im Gerichtsverfahren vorgelegte versorgungsmedizinische Stellungnahmen und hält die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig.

Das Gericht hat im Rahmen der Beweiserhebung den vom Kläger genannten Mediziner als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat die Einschätzung des Beklagten hinsichtlich des Gesamt-GdB geteilt.

Das Gericht hat dem Klägerbevollmächtigtem mit Schreiben vom 23. Juni 2014 mitgeteilt, es seien keine weiteren Amtsermittlungen mehr beabsichtigt und ihm eine vierwöchige Stel-lungnahmefrist eingeräumt. Mit Verfügung vom 28. Juli 2014 hat das Gericht die Rechtsache zur Terminbestimmung vorgesehen. Nach erneutem Vortrag des Klägerbevollmächtigtem am 7. August 2014 hat das Gericht nochmals mit Schreiben vom 8. August 2014 darauf hingewiesen, keine weiteren Amtsermittlungen mehr durchzuführen. Daraufhin hat das Gericht am 18. September 2014 einen Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2014 bestimmt. Nachdem dieser Termin auf Ersuchen des Klägerbevollmächtigten aufgehoben werden musste, hat das Gericht mit Schreiben vom 16. Oktober 2014 einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. November 2014 festgesetzt. Schließlich hat das Gericht, nach einer krankheitsbedingten Aufhebung dieses Termin, mit Schreiben vom 26. November 2014 eine mündliche Verhandlung für den 15. Januar 2015 angesetzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und die Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung als 50. Der Bescheid des Landratsamts vom 18. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums vom 7. Mai 2014 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.

1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Schwerbehindertenrecht liegt eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Behinderten durch das Hinzutreten neuer oder den Wegfall bestehender Funktionsstörungen oder durch eine Änderung der anerkannten Funktionsstörungen verschlechtert oder verbessert.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Feststellung und Bewertung des GdB ist § 69 Abs. 1 SGB IX, wonach die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Be-hörden (Versorgungsämter und Landesversorgungsämter) auf Antrag des behinderten Men-schen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB feststellen. Die Feststellung des GdB richtet sich seit dem 01. Januar 2009 nach den Bewertungsmaßstäben der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV), die aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassen worden sind (§ 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX) und den medizinischen Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergeben.

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 S. 4 SGB IX). Der Begriff des GdB bezieht sich auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Verursachung, wobei die üblichen seelischen Begleiterscheinungen und Schmerzen mitberücksichtigt sind.

Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn der veränderte Gesundheitszustand mehr als sechs Monate angehalten hat oder voraussichtlich anhalten wird und wenn sich der Gesamt-Grad der Behinderung (Gesamt-GdB) um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen medizinischen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden (vgl. BSG Urteil vom 15.08.1996, Az. 9 RVs 10/94, Rdnr. 11 nach juris, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2010, Az. L 8 SB 1549/10, Rdnr. 22 nach juris). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen.

Für die Feststellung des GdB sind dabei in einem ersten Schritt die einzelnen, nicht nur vo-rübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus ergebenden Teilhabebeeinträchti-gungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in der Anlage zu § 2 der Vers-MedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - der Gesamt-GdB zu bilden (vgl. BSG Urteil vom 24.04.2008, Az. B 9/9a SB 10/06 R, Rdnr. 23 nach juris). Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB sind jegliche Rechenmethoden für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der gesamten Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen (Teil A. Nr. 3 der Anlage zu § 2 der VersMedV).

Nach diesen Maßstäben ergibt sich kein höherer Grad der Behinderung als 50.

Für diese Überzeugung stützt sich das erkennende Gericht auf die sachverständige Zeugen-aussage von Dr. B. sowie die versorgungsmedizinischen Stellungnahmen von Dr. B. und macht sich deren Einschätzung nach eigener kritischer Urteils- und Überzeugungsbildung zu eigen.

Der behandelnde Arzt des Klägers Dr. B. hat sich der Auffassung des Beklagten hinsichtlich des Gesamt-GdB angeschlossen. Insbesondere lässt sich seiner Aussage kein Anhaltspunkt für eine höhere Bewertung des GdB entnehmen.

So hat der Beklagte die beim Kläger nach einem Schlaganfall bestehenden Sprach- und Durchblutungsstörungen korrekterweise mit einem Teil-GdB Wert von 30 bewertet. Dr. B. hat deutliche Wortfindungsstörungen sowie ein Stottern beschrieben. Dies trete insbesondere bei Aufregung auf.

Die beim Kläger vorliegende arterielle Verschlusskrankheit der Beine bedingt nach den Grundsätzen der VersMedV keinen höheren Teil-GdB als 30. Entscheidend ist dabei, ab wel-cher Gehstrecke ein- oder beidseitig Schmerzen auftreten. Hierzu führt Dr. B. aus, dass eine Strecke von 200-300 m vom Kläger schmerzfrei zurückgelegt werden kann. Diesbezüglich sieht die VersMedV einen Spielraum für die Bildung eines Teil-GdB von 30-40 vor. Eine Höherbewertung ist erst bei einer nachgewiesenen Gehstrecken von unter 100 m möglich. Eine solche Limitierung der Gehfähigkeit ist aber derzeit nicht vom behandelnden Arzt mitgeteilt worden.

Die chronisch degenerativen Veränderungen an der Brust- und Lendenwirbelsäule rechtferti-gen keine höhere Bewertung als 20. Der Kläger befindet sich diesbezüglich nicht in fachärzt-licher orthopädischer Behandlung. Schwergradige funktionelle Auswirkungen sind damit derzeit nicht nachgewiesen.

Bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten geltend gemachten Erkrankung Archillessehnenverletzung ist zu entgegen, dass der Kläger sich diesbezüglich ausweislich der vorliegenden Befundberichte nicht in Behandlung befindet. Selbst gegenüber seinem Hausarzt Dr. B. hat der Kläger keine Beschwerden mit der Archillessehne geltend gemacht. Daher ist nicht nachgewiesen, dass sich tatsächlich eine Funktionseinschränkung aus dieser Erkrankung ergibt. Eine weitere Sachverhaltsermittlung von Amts wegen war daher nicht erforderlich.

Weitere Gesundheitsstörungen, die einem anderen Funktionssystem zuzuordnen sind und zumindest einen Einzelbehinderungsgrad von 10 bedingen, sind nicht festzustellen

Ausgehend von der obigen Beurteilung der einzelnen Beeinträchtigungen des Klägers ent-sprechen seine Behinderungen einem Gesamt-GdB in Höhe von 50.

Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der Versorgungsmedizin-Verordnung in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2010, L 8 SB 1549/10, Rdnr. 25 nach juris.). Die einzelnen GdB-Werte dürfen für die Bildung des Gesamt-GdB weder addiert, noch mit anderen Rechenmethoden gebildet werden. Ausschlaggebend sind stattdessen die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen. Ein Einzel-GdB in Höhe von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB in Höhe von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV).

Aus den Einzel-GdB-Werten von zweimal 30, einmal 20 und 10 ist unter Berücksichtigung des oben beschriebenen Maßstabs ein Gesamt-GdB in Höhe von 50 zu bilden.

Aus diesem Grund sind die Bescheide des LRA und des Beklagten rechtmäßig.

2. Dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägerbevollmächtigten ein Gutachten gem. § 109 SGG einzuholen, war nicht zu folgen.

§ 109 Abs. 2 SGG ermöglicht dem Gericht, einen klägerischen Antrag auf gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes abzulehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die Einholung des beantragten Gutachtens hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Musste der Antragsteller erken-nen, dass das Gericht von Amts wegen nicht weiter ermittelt, liegt grobe Nachlässigkeit vor, wenn der Antrag nicht in angemessener Frist gestellt wird. Als angemessene Frist, innerhalb derer ein Antrag nach § 109 SGG zu stellen ist, sind in der Regel vier Wochen zu verstehen, wenn das Gericht keine andere Frist setzt. (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. September 2012, L 3 R 351/10, Rdnr. 36 nach juris) Das Gericht muss auf die Mög-lichkeit eines Antrags nach § 109 SGG nicht hinweisen. (vgl. BSG, Beschluss vom 23.10.1957, 4 RJ 142/57, Rdnr. 12 nach juris)

Vorliegend hat das Gericht bereits mit seinen Verfügungen vom 23. Juni und 8. August 2014 ausdrücklich erklärt, keine weiteren Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen zu beabsich-tigen. Spätestens mit Erhalt der 1. Ladung zur mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2014 war erkennbar, dass von Amts wegen kein Sachverständigengutachten eingeholt wird. Auch die zwei weiteren Terminladungen haben dies erkennen lassen. Der vom Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2015 gestellte Antragt ist folglich verspätet. Nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (vgl. LSG, Urteil vom 21.03.2013, L 6 SB 4703/12, nach juris) ist bereits ein unmittelbar vor einer mündlichen Verhandlung gestellter Antrag verfristet. Dies muss erst Recht für einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag gelten.

Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ergibt sich auch kein Hinweis auf eine frühere Antragstellung. Nicht ausreichend, da ohne Benennung eines bestimmter Gutachters, ist die Formulierung des Klägerbevollmächtigten in seinem Schreiben vom 7. August 2014: "Beweis: Beizug der Akten sowie Sachverständigengutachten". Ein Antrag gem. § 109 Abs. 1 SGG setzt bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Bestimmung eines konkreten Arztes als Gutachter voraus. Daher handelt es sich hierbei keinesfalls um einen Beweisantrag im Sinne des § 109 Abs. 1 SGG.

Demgemäß konnte das Gericht den hilfsweise gestellten Antrag gem. § 109 SGG als verfristet gem. § 109 Abs. 2 SGG ablehnen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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