Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 2682/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3980/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 07.08.2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1922 geborenen Kläger waren zuletzt mit Bescheid des Landratsamts K. - Amt für Gesundheit und Versorgung - vom 10.11.2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit dem 18.10.2011 sowie die Merkzeichen "B" und "G" festgestellt worden. Dem lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde:
- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose und chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 50), - Deformierung und Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks, Sudeck`sche Atrophie nach Knöchelbruch und Polyneuropathie (Teil-GdB 30), - Hüftgelenksendoprothese links (Teil-GdB 30), - Kniearthrose links (Teil-GdB 20), - Blasenleiden (Teil-GdB 20), - Herz- und Kreislaufstörungen (Teil-GdB 10) und - Anerkennung nach BVG (Teil-GdB 10) (Bl. 180 u. 192 der Verwaltungsakte).
Der Kläger beantragte beim LRA am 03.04.2012 die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (Merkzeichen "aG"). Zur Begründung machte er eine Lockerung der Hüftgelenksendoprothese links auf Grund einer posttraumatischen Coxarthrose sowie eine chronische Schmerzerkrankung mit Muskel- und Gelenkschmerzen auf Grund einer zu spät behandelten Borrelioseerkrankung geltend. Der Kläger fügte seinem Antrag einen Arztbrief des Neurologen Dr. D. vom 29.10.2010 (Diagnose: chronische Schmerzerkrankung mit Muskel- und Gelenkschmerzen bei Zustand nach Borrelioseerkrankung und Vitamin B12-Mangel) sowie einen Entlassbrief der Klinik für Orthopädie und Rheuma-Orthopädie in D. vom 07.07.2011 (Diagnose: Lockerung der Hüfttotalendoprothese links; Zustand nach Hüft-Totalendoprothese 07/2012) bei (Bl. 197/200 der Verwaltungsakte).
Der Beklagte zog folgende medizinische Unterlagen bei: einen Bericht des städtischen Krankenhauses F. (nicht vollständig in den Akten vorhanden), einen Befundbericht des Internisten Dr. K. vom 20.05.2012 (Diagnosen: Coxarthrose, Zustand nach Implantation einer Hüft-TEP links 2010; weiterhin starke Schmerzen und schmerzbedingte Bewegungseinschränkung), einen Arztbrief des Orthopäden Dr. S. vom 01.04.2011 (Diagnose: Zustand nach Hüft-TEP links und beginnende Coxarthrose rechts), einen Behandlungsbericht der Klinik für Orthopädie und Rheumaorthopädie D. vom 18.05.2011 (Diagnose: Zustand nach Hüft-TEP links 07/10), den bereits aktenkundigen Entlassbrief der Klinik für Orthopädie und Rheumaorthopädie in D. vom 07.07.2011, einen Arztbrief des Dermatologen Dr. S. vom 08.08.2011 (Diagnose: Melanozytennävus beidseits und Psoriasis rechts), Arztbriefe des Neurologen Dr. D. vom 05.09.2011 (Diagnosen: zunehmende Gangstörung und Blasenstörung, chronische Schmerzerkrankung mit Muskel- und Gelenkschmerzen bei Zustand nach Borrelioseerkrankung, Vitamin-B12-Mangel, Zustand nach TEP-Implantation links und Schmerzsyndrom bei Pfannendachlockerung), vom 23.09.2011 (Diagnosen: zunehmende Gangstörung und Blasenstörungen bei absoluten Spinalkanalstenosen in Höhe L3/4 und L4/5, chronische Lumbalgien bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, chronische Schmerzerkrankungen mit Muskel- und Gelenkschmerzen bei Zustand nach Borrelioseerkrankung, Vitamin-B12-Mangel, Zustand nach TEP-Implantation links und Schmerzsyndrom bei Pfannendachlockerung), vom 23.04.2012 (Diagnosen wie im Arztbrief vom 23.09.2011; zusätzlich drop-attacks, Differenzialdiagnose: Stürze im Rahmen der oben geschilderten Gangunsicherheit), Arztbriefe der Radiologie in S. vom 09.02.2012 und vom 29.02.2012 sowie ein Langzeit-EKG der Dres. K. und Kollegen vom 03.05.2012 bei (vgl. Bl. 202/220 der Verwaltungsakte).
Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme bei Dr. K. ein, welcher die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers unter dem 04.06.2012 wie folgt bewertete:
- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose und chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 50), - Deformierung und Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks, Sudeck`sche Atrophie nach Knöchelbruch, Polyneuropathie, Hüftgelenksendoprothese links und Pfannendachlockerung (Teil-GdB 60), - Blasenleiden (Teil-GdB 20), - Herz-Kreislaufstörungen (Teil-GdB 10) und - Anerkennung nach BVB (Teil-GdB 10).
Der Gesamt-GdB betrage 100. Der Kläger sei mit dem Rollator mobil, womit die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B", aber nicht für das Merkzeichen "aG" erfüllt seien (Bl. 221 der Verwaltungsakte).
Das LRA lehnte den Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "aG" mit Bescheid vom 25.06.2012 ab (Bl. 223 der Verwaltungsakte).
Dagegen legte der Kläger vertreten durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 10.07.2012 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortragen ließ, die Ablehnung mit Bescheid vom 25.06.2012 sei mangels ausreichender Begründung durch den Beklagten nicht nachvollziehbar. Weiter verwies er auf ein beigefügtes Attest des Internisten Dr. K. vom 28.06.2012, worin eine ausgeprägte Gangunsicherheit mit rezidivierenden Stürzen und die Notwendigkeit von Absitzen nach bereits 100 Schritten beschrieben sind (Bl. 225 und 227 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 29.06.2012 und 11.07.2012 wandte sich der Kläger selbst an das LRA und begründete seinen Widerspruch ergänzend (Bl. 241 und 243 der Verwaltungsakte).
In der ergänzend eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.08.2012 bewertete Dr. J. den GdB wie Dr. K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.06.2012 und führte aus, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nicht erfüllt, da der Kläger mit dem Rollator und einer Begleitperson mobil sei. Jedoch könne dem Kläger auf Grund der ausgeprägten Schmerzsymptomatik und der zunehmenden Gangunsicherheit das Merkzeichen "aG light" gewährt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2012 wies das Regierungspräsidium S. - Landesver-sorgungsamt - den auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" gerichteten Widerspruch zurück. In der Anlage wurde dem Kläger eine Bescheinigung übersandt, wonach die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Bewilligung von Parkerleichterungen für besondere Gruppen Schwerbehinderter in Baden-Württemberg erfüllt sind (sogenanntes Merkzeichen "aG light", Bl. 246 und 249 der Verwaltungsakte).
Dagegen erhob der Kläger vertreten durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten am 25.10.2012 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Zur Begründung machte er eine ausgeprägte Gehbehinderung geltend und verwies auf ein Attest seines behandelnden Neurologen Dr. D. vom 09.07.2012, einen Arztbrief von Dr. D. vom 07.02.2011, ein Attest des Internisten Dr. K. vom 28.06.2012 und einen Befundbericht von Dr. K. vom 20.05.2012 sowie eine Stellungnahme des Dr. D. vom 10.12.2012.
Das SG vernahm zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 40/52, 53/57, 69/91, 93/94 und 110/114 der SG-Akte verwiesen.
Der Internist und Hausarzt des Klägers Dr. K. schrieb dem SG am 14.01.2013, es habe eine zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Klägers mit Gangunsicherheit und Sturzattacken stattgefunden. Er sei zunehmend gebrechlich und die Beweglichkeit lasse nach. Zudem leide er unter anhaltenden, zuletzt verstärkten Schmerzen im Bewegungsapparat. Es liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor. Gehen sei zuletzt nur mit Hilfe, sehr unsicher und mit Schmerzen möglich gewesen. Am 08.10.2013 teilte Dr. K. dem SG ergänzend mit, der Kläger sei zunehmend hinfälliger. Es sei nicht ganz zu klären, ob die zuletzt häufigen Stürze nicht auch möglicherweise auf kurze Ohnmachten zurückzuführen seien.
Der Neurologe Dr. D. schrieb dem SG am 05.04.2013, der Kläger leide unter einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Die Gehfähigkeit habe kontinuierlich abgenommen. Im Herbst vergangenen Jahres habe der Kläger noch etwa 100 Meter in circa 15 Minuten gehen können. Nun sei die Gehfähigkeit auf 10 bis 20 Meter eingeschränkt. Am 10.01.2014 teilte Dr. D. ergänzend mit, die Schwere der Gehbehinderung des Klägers sei außergewöhnlich, wobei sich Symptome der Spinalkanalstenose mit einer ausgeprägten Claudicatio-Symptomatik mit einem chronischen Schmerzsyndrom bei Zustand nach Borrelioseerkrankung mischten. Ferner müsse eine Hüftgelenks-TEP mit Pfannendachlockerung links wohl revidiert werden.
Der Orthopäde Dr. S. teilte dem SG am 19.11.2013 mit, beim Kläger habe sich ein deutlich hinkendes Gangbild mit positivem Trendelenburgzeichen gezeigt. Jedoch liege beim Kläger keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Das SG holte zur weiteren Sachaufklärung ein fachorthopädisches Gutachten von Amts wegen bei Dr. K. ein. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 123/154 der SG-Akte Bezug genommen.
Im Gutachten vom 08.05.2014 stellte Dr. K. beim Kläger folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest: Funktionsbeeinträchtigung des linken Armes bei Teilversteifung des Ellenbogengelenks rechts (Teil-GdB 30), degeneratives Wirbelsäulensyndrom, Spinalkanalstenose und chronifiziertes Schmerzsyndrom der Wirbelsäule (Teil-GdB 50), Funktionsbeeinträchtigung der Beine mit Funktionsbeeinträchtigung des linken Hüftgelenkes bei Zustand nach Implantation einer Hüfttotalendoprothese links und beginnender Auslockerung der Hüftgelenkspfanne, Kniegelenksarthrose beidseits, Teilversteifung des oberen Sprunggelenks links, Versteifung des unteren Sprunggelenks links und Polyneuropathie (Teil-GdB 60). Der Gesamt-GdB betrage unter Berücksichtigung aller Erkrankungen 100. Die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung lägen beim Kläger nicht vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.08.2014 wies das SG die Klage gestützt auf das Gutachten von Dr. K. vom 08.05.2014 ab.
Dagegen hat der Kläger mit am 11.09.2014 beim SG eingegangenen Schreiben vom 09.09.2014 "Einspruch" eingelegt. Das SG hat das Schreiben an das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) weitergeleitet, wo es am 19.09.2014 eingegangen ist. Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme von Dr. D. vom 10.12.2012 vor, er müsse sich nach circa 150 bis 200 Metern Gehen hinsetzen und ausruhen. Hinzu kämen Stürze, welche zusätzliche Schäden verursachten und vom behandelnden Hausarzt Dr. K. bestätigt werden könnten. Weiter reichte der Kläger einen Arztbrief des Neurologen Dr. W. vom 29.08.2014 sowie zwei Ambulanzberichte der chirurgischen Notfallambulanz des Klinikums R. vom 17.11.2014 ein. Ferner fügte der Kläger diverse Beschwerdeschreiben an verschiedene Stellen wie beispielsweise des Landgericht K., die Ärztekammer, Betreuer, Rechtsanwälte und Arztpraxen bei.
Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 07.08.2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 25.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2012 zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "aG" ab dem 03.04.2012 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, die Ausführungen in der Berufungsschrift seien teilweise nicht nachvoll¬ziehbar und verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.
Zu einem auf den 13.01.2015 anberaumten Termin zur Erörterung des Sachverhalts ist der Kläger nicht erschienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die Prozessakte des Sozialgerichts Konstanz und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 07.08.2014 die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamts K. - Amt für Gesundheit und Versorgung - vom 25.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt - vom 28.09.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG".
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrs-rechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppelober-schenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulation und einseitig Ober-schenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört - unstreitig - nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten.
Der Kläger kann dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden, da seine Gehfähigkeit nicht ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist oder er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat auf Grund der zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen und der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3 3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungs-folgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.
Die Anlage VG zur VersMedV ist rechtlich allerdings nicht beachtlich. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsaus-gleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und im Internet: www.sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungener-maßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3 3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R -, juris).
Der Senat konnte nicht feststellen, dass die Gehfähigkeit des Klägers in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Beweiswürdigung des SG an.
Zwar leidet der Kläger unter degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, einer Spinalkanalstenose und einem chronifizierten Schmerzsyndrom sowie Funktionsbeeinträchti-gungen der unteren Gliedmaßen mit Schmerzsyndrom bei Pfannendachlockerung in Folge einer Hüfttotalendoprothese links, einer beidseitigen Kniegelenksarthrose, einer Teilversteifung des oberen Sprunggelenks links, einer Versteifung des unteren Sprunggelenks links sowie einer Polyneuropathie. Jedoch liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht vor. Die von Dr. K. am 06.05.2014 durchgeführte Untersuchung des Klägers ergab keine wesentliche Beeinträchtigung des rechten Beins in seiner neuromotorischen Funktion. Die Hüft-, Knie- und Sprunggelenke rechts waren frei beweglich. Die Muskulatur war altersentsprechend. Eine Gefühlsstörung gab der Kläger nicht an. Auf der linken Seite bestehen erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen des linken Hüftgelenks sowie der oberen und unteren Sprunggelenke (vgl. die von Dr. K. erhobenen Bewegungsausmaße auf Bl. 14/15 des Gutachtens vom 08.05.2014). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Gehstockes und der Verwendung orthopädisch zugerichteter Schuhe. Bei der Untersuchung durch Dr. K. war mit Schuhen und Gehstock zwar ein verlangsamtes und links hinkendes Gangbild zu beobachten. Es handelte sich aber nicht um ein schleppendes oder watschelndes Gangbild. Weiter konnte aus orthopädischer Sicht nicht mit hinreichender Deutlichkeit dargestellt werden, dass der Gehvorgang nur noch bewerkstelligt werden kann, wenn ein ungewöhnlich hohes Maß an Anstrengung bei Gehen erforderlich ist. Der Kläger war zur Begutachtung mit dem Zug nach Stockach zu Dr. K. gereist und anschließend mit dem Taxi vom Bahnhof in die Praxis gefahren. Den Weg vom Taxi in die Praxis hat der Kläger alleine zurückgelegt. Als Hilfsmittel hat er eine Unterarmgehstütze links sowie Einlagen in handelsüblichen Kaufschuhen benutzt. Es bestehen zur Überzeugung des Senats keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich außerhalb eines Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung praktisch vom ersten Schritt an bewegen kann. Auch die beim Kläger bestehende Sturzneigung führt nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung.
Weitere Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Gehbehinderung lassen sich den medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. Im vom Kläger eingereichten Arztbrief des Neurologen Dr. W. vom 29.08.2014 ist eine Gehstrecke von 100 Metern aufgeführt, nach welcher der Kläger sich hinsetzen müsse und er immer wieder stürze. Hinweise darauf, dass der Kläger sich nur noch unter ebenso großen Anstrengungen die die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, finden sich hingegen nicht. In dem vom Kläger eingereichten Ambulanzbericht der chirurgischen Notfallambulanz des Klinikums R. vom 17.11.2014 ist dokumentiert, dass der Kläger am Gehstock noch verlangsamt aber selbständig mobil ist, was gegen eine außergewöhnliche Gehbehinderung spricht. So hat auch der als sachverständiger Zeuge vom SG befragte Dr. S. gegenüber dem SG am 19.11.2013 mitgeteilt, es liege keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Der Auffassung der vom SG gehörten sachverständigen Zeugen Dr. D. und Dr. K. konnte sich der Senat hingegen nicht anschließen. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit auf das Schwerste und praktisch von den ersten Schritten an wird durch die von Dr. D. und Dr. K. erhobenen Befunde nicht objektiviert.
Nach alldem konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger wegen einer in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkten Gehfähigkeit dem berechtigten Personenkreis gleichzustellen ist.
Damit steht dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" zu, weshalb seine Berufung zurückzuweisen war.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1922 geborenen Kläger waren zuletzt mit Bescheid des Landratsamts K. - Amt für Gesundheit und Versorgung - vom 10.11.2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit dem 18.10.2011 sowie die Merkzeichen "B" und "G" festgestellt worden. Dem lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde:
- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose und chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 50), - Deformierung und Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks, Sudeck`sche Atrophie nach Knöchelbruch und Polyneuropathie (Teil-GdB 30), - Hüftgelenksendoprothese links (Teil-GdB 30), - Kniearthrose links (Teil-GdB 20), - Blasenleiden (Teil-GdB 20), - Herz- und Kreislaufstörungen (Teil-GdB 10) und - Anerkennung nach BVG (Teil-GdB 10) (Bl. 180 u. 192 der Verwaltungsakte).
Der Kläger beantragte beim LRA am 03.04.2012 die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (Merkzeichen "aG"). Zur Begründung machte er eine Lockerung der Hüftgelenksendoprothese links auf Grund einer posttraumatischen Coxarthrose sowie eine chronische Schmerzerkrankung mit Muskel- und Gelenkschmerzen auf Grund einer zu spät behandelten Borrelioseerkrankung geltend. Der Kläger fügte seinem Antrag einen Arztbrief des Neurologen Dr. D. vom 29.10.2010 (Diagnose: chronische Schmerzerkrankung mit Muskel- und Gelenkschmerzen bei Zustand nach Borrelioseerkrankung und Vitamin B12-Mangel) sowie einen Entlassbrief der Klinik für Orthopädie und Rheuma-Orthopädie in D. vom 07.07.2011 (Diagnose: Lockerung der Hüfttotalendoprothese links; Zustand nach Hüft-Totalendoprothese 07/2012) bei (Bl. 197/200 der Verwaltungsakte).
Der Beklagte zog folgende medizinische Unterlagen bei: einen Bericht des städtischen Krankenhauses F. (nicht vollständig in den Akten vorhanden), einen Befundbericht des Internisten Dr. K. vom 20.05.2012 (Diagnosen: Coxarthrose, Zustand nach Implantation einer Hüft-TEP links 2010; weiterhin starke Schmerzen und schmerzbedingte Bewegungseinschränkung), einen Arztbrief des Orthopäden Dr. S. vom 01.04.2011 (Diagnose: Zustand nach Hüft-TEP links und beginnende Coxarthrose rechts), einen Behandlungsbericht der Klinik für Orthopädie und Rheumaorthopädie D. vom 18.05.2011 (Diagnose: Zustand nach Hüft-TEP links 07/10), den bereits aktenkundigen Entlassbrief der Klinik für Orthopädie und Rheumaorthopädie in D. vom 07.07.2011, einen Arztbrief des Dermatologen Dr. S. vom 08.08.2011 (Diagnose: Melanozytennävus beidseits und Psoriasis rechts), Arztbriefe des Neurologen Dr. D. vom 05.09.2011 (Diagnosen: zunehmende Gangstörung und Blasenstörung, chronische Schmerzerkrankung mit Muskel- und Gelenkschmerzen bei Zustand nach Borrelioseerkrankung, Vitamin-B12-Mangel, Zustand nach TEP-Implantation links und Schmerzsyndrom bei Pfannendachlockerung), vom 23.09.2011 (Diagnosen: zunehmende Gangstörung und Blasenstörungen bei absoluten Spinalkanalstenosen in Höhe L3/4 und L4/5, chronische Lumbalgien bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, chronische Schmerzerkrankungen mit Muskel- und Gelenkschmerzen bei Zustand nach Borrelioseerkrankung, Vitamin-B12-Mangel, Zustand nach TEP-Implantation links und Schmerzsyndrom bei Pfannendachlockerung), vom 23.04.2012 (Diagnosen wie im Arztbrief vom 23.09.2011; zusätzlich drop-attacks, Differenzialdiagnose: Stürze im Rahmen der oben geschilderten Gangunsicherheit), Arztbriefe der Radiologie in S. vom 09.02.2012 und vom 29.02.2012 sowie ein Langzeit-EKG der Dres. K. und Kollegen vom 03.05.2012 bei (vgl. Bl. 202/220 der Verwaltungsakte).
Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme bei Dr. K. ein, welcher die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers unter dem 04.06.2012 wie folgt bewertete:
- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose und chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 50), - Deformierung und Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks, Sudeck`sche Atrophie nach Knöchelbruch, Polyneuropathie, Hüftgelenksendoprothese links und Pfannendachlockerung (Teil-GdB 60), - Blasenleiden (Teil-GdB 20), - Herz-Kreislaufstörungen (Teil-GdB 10) und - Anerkennung nach BVB (Teil-GdB 10).
Der Gesamt-GdB betrage 100. Der Kläger sei mit dem Rollator mobil, womit die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B", aber nicht für das Merkzeichen "aG" erfüllt seien (Bl. 221 der Verwaltungsakte).
Das LRA lehnte den Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "aG" mit Bescheid vom 25.06.2012 ab (Bl. 223 der Verwaltungsakte).
Dagegen legte der Kläger vertreten durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 10.07.2012 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortragen ließ, die Ablehnung mit Bescheid vom 25.06.2012 sei mangels ausreichender Begründung durch den Beklagten nicht nachvollziehbar. Weiter verwies er auf ein beigefügtes Attest des Internisten Dr. K. vom 28.06.2012, worin eine ausgeprägte Gangunsicherheit mit rezidivierenden Stürzen und die Notwendigkeit von Absitzen nach bereits 100 Schritten beschrieben sind (Bl. 225 und 227 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 29.06.2012 und 11.07.2012 wandte sich der Kläger selbst an das LRA und begründete seinen Widerspruch ergänzend (Bl. 241 und 243 der Verwaltungsakte).
In der ergänzend eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.08.2012 bewertete Dr. J. den GdB wie Dr. K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.06.2012 und führte aus, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nicht erfüllt, da der Kläger mit dem Rollator und einer Begleitperson mobil sei. Jedoch könne dem Kläger auf Grund der ausgeprägten Schmerzsymptomatik und der zunehmenden Gangunsicherheit das Merkzeichen "aG light" gewährt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2012 wies das Regierungspräsidium S. - Landesver-sorgungsamt - den auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" gerichteten Widerspruch zurück. In der Anlage wurde dem Kläger eine Bescheinigung übersandt, wonach die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Bewilligung von Parkerleichterungen für besondere Gruppen Schwerbehinderter in Baden-Württemberg erfüllt sind (sogenanntes Merkzeichen "aG light", Bl. 246 und 249 der Verwaltungsakte).
Dagegen erhob der Kläger vertreten durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten am 25.10.2012 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Zur Begründung machte er eine ausgeprägte Gehbehinderung geltend und verwies auf ein Attest seines behandelnden Neurologen Dr. D. vom 09.07.2012, einen Arztbrief von Dr. D. vom 07.02.2011, ein Attest des Internisten Dr. K. vom 28.06.2012 und einen Befundbericht von Dr. K. vom 20.05.2012 sowie eine Stellungnahme des Dr. D. vom 10.12.2012.
Das SG vernahm zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 40/52, 53/57, 69/91, 93/94 und 110/114 der SG-Akte verwiesen.
Der Internist und Hausarzt des Klägers Dr. K. schrieb dem SG am 14.01.2013, es habe eine zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Klägers mit Gangunsicherheit und Sturzattacken stattgefunden. Er sei zunehmend gebrechlich und die Beweglichkeit lasse nach. Zudem leide er unter anhaltenden, zuletzt verstärkten Schmerzen im Bewegungsapparat. Es liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor. Gehen sei zuletzt nur mit Hilfe, sehr unsicher und mit Schmerzen möglich gewesen. Am 08.10.2013 teilte Dr. K. dem SG ergänzend mit, der Kläger sei zunehmend hinfälliger. Es sei nicht ganz zu klären, ob die zuletzt häufigen Stürze nicht auch möglicherweise auf kurze Ohnmachten zurückzuführen seien.
Der Neurologe Dr. D. schrieb dem SG am 05.04.2013, der Kläger leide unter einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Die Gehfähigkeit habe kontinuierlich abgenommen. Im Herbst vergangenen Jahres habe der Kläger noch etwa 100 Meter in circa 15 Minuten gehen können. Nun sei die Gehfähigkeit auf 10 bis 20 Meter eingeschränkt. Am 10.01.2014 teilte Dr. D. ergänzend mit, die Schwere der Gehbehinderung des Klägers sei außergewöhnlich, wobei sich Symptome der Spinalkanalstenose mit einer ausgeprägten Claudicatio-Symptomatik mit einem chronischen Schmerzsyndrom bei Zustand nach Borrelioseerkrankung mischten. Ferner müsse eine Hüftgelenks-TEP mit Pfannendachlockerung links wohl revidiert werden.
Der Orthopäde Dr. S. teilte dem SG am 19.11.2013 mit, beim Kläger habe sich ein deutlich hinkendes Gangbild mit positivem Trendelenburgzeichen gezeigt. Jedoch liege beim Kläger keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Das SG holte zur weiteren Sachaufklärung ein fachorthopädisches Gutachten von Amts wegen bei Dr. K. ein. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 123/154 der SG-Akte Bezug genommen.
Im Gutachten vom 08.05.2014 stellte Dr. K. beim Kläger folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest: Funktionsbeeinträchtigung des linken Armes bei Teilversteifung des Ellenbogengelenks rechts (Teil-GdB 30), degeneratives Wirbelsäulensyndrom, Spinalkanalstenose und chronifiziertes Schmerzsyndrom der Wirbelsäule (Teil-GdB 50), Funktionsbeeinträchtigung der Beine mit Funktionsbeeinträchtigung des linken Hüftgelenkes bei Zustand nach Implantation einer Hüfttotalendoprothese links und beginnender Auslockerung der Hüftgelenkspfanne, Kniegelenksarthrose beidseits, Teilversteifung des oberen Sprunggelenks links, Versteifung des unteren Sprunggelenks links und Polyneuropathie (Teil-GdB 60). Der Gesamt-GdB betrage unter Berücksichtigung aller Erkrankungen 100. Die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung lägen beim Kläger nicht vor.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.08.2014 wies das SG die Klage gestützt auf das Gutachten von Dr. K. vom 08.05.2014 ab.
Dagegen hat der Kläger mit am 11.09.2014 beim SG eingegangenen Schreiben vom 09.09.2014 "Einspruch" eingelegt. Das SG hat das Schreiben an das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) weitergeleitet, wo es am 19.09.2014 eingegangen ist. Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme von Dr. D. vom 10.12.2012 vor, er müsse sich nach circa 150 bis 200 Metern Gehen hinsetzen und ausruhen. Hinzu kämen Stürze, welche zusätzliche Schäden verursachten und vom behandelnden Hausarzt Dr. K. bestätigt werden könnten. Weiter reichte der Kläger einen Arztbrief des Neurologen Dr. W. vom 29.08.2014 sowie zwei Ambulanzberichte der chirurgischen Notfallambulanz des Klinikums R. vom 17.11.2014 ein. Ferner fügte der Kläger diverse Beschwerdeschreiben an verschiedene Stellen wie beispielsweise des Landgericht K., die Ärztekammer, Betreuer, Rechtsanwälte und Arztpraxen bei.
Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 07.08.2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 25.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2012 zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "aG" ab dem 03.04.2012 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, die Ausführungen in der Berufungsschrift seien teilweise nicht nachvoll¬ziehbar und verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.
Zu einem auf den 13.01.2015 anberaumten Termin zur Erörterung des Sachverhalts ist der Kläger nicht erschienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die Prozessakte des Sozialgerichts Konstanz und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 07.08.2014 die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamts K. - Amt für Gesundheit und Versorgung - vom 25.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt - vom 28.09.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG".
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrs-rechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppelober-schenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulation und einseitig Ober-schenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört - unstreitig - nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten.
Der Kläger kann dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden, da seine Gehfähigkeit nicht ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist oder er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat auf Grund der zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen und der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3 3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungs-folgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.
Die Anlage VG zur VersMedV ist rechtlich allerdings nicht beachtlich. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsaus-gleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und im Internet: www.sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungener-maßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3 3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R -, juris).
Der Senat konnte nicht feststellen, dass die Gehfähigkeit des Klägers in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Beweiswürdigung des SG an.
Zwar leidet der Kläger unter degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, einer Spinalkanalstenose und einem chronifizierten Schmerzsyndrom sowie Funktionsbeeinträchti-gungen der unteren Gliedmaßen mit Schmerzsyndrom bei Pfannendachlockerung in Folge einer Hüfttotalendoprothese links, einer beidseitigen Kniegelenksarthrose, einer Teilversteifung des oberen Sprunggelenks links, einer Versteifung des unteren Sprunggelenks links sowie einer Polyneuropathie. Jedoch liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht vor. Die von Dr. K. am 06.05.2014 durchgeführte Untersuchung des Klägers ergab keine wesentliche Beeinträchtigung des rechten Beins in seiner neuromotorischen Funktion. Die Hüft-, Knie- und Sprunggelenke rechts waren frei beweglich. Die Muskulatur war altersentsprechend. Eine Gefühlsstörung gab der Kläger nicht an. Auf der linken Seite bestehen erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen des linken Hüftgelenks sowie der oberen und unteren Sprunggelenke (vgl. die von Dr. K. erhobenen Bewegungsausmaße auf Bl. 14/15 des Gutachtens vom 08.05.2014). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Gehstockes und der Verwendung orthopädisch zugerichteter Schuhe. Bei der Untersuchung durch Dr. K. war mit Schuhen und Gehstock zwar ein verlangsamtes und links hinkendes Gangbild zu beobachten. Es handelte sich aber nicht um ein schleppendes oder watschelndes Gangbild. Weiter konnte aus orthopädischer Sicht nicht mit hinreichender Deutlichkeit dargestellt werden, dass der Gehvorgang nur noch bewerkstelligt werden kann, wenn ein ungewöhnlich hohes Maß an Anstrengung bei Gehen erforderlich ist. Der Kläger war zur Begutachtung mit dem Zug nach Stockach zu Dr. K. gereist und anschließend mit dem Taxi vom Bahnhof in die Praxis gefahren. Den Weg vom Taxi in die Praxis hat der Kläger alleine zurückgelegt. Als Hilfsmittel hat er eine Unterarmgehstütze links sowie Einlagen in handelsüblichen Kaufschuhen benutzt. Es bestehen zur Überzeugung des Senats keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich außerhalb eines Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung praktisch vom ersten Schritt an bewegen kann. Auch die beim Kläger bestehende Sturzneigung führt nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung.
Weitere Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Gehbehinderung lassen sich den medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. Im vom Kläger eingereichten Arztbrief des Neurologen Dr. W. vom 29.08.2014 ist eine Gehstrecke von 100 Metern aufgeführt, nach welcher der Kläger sich hinsetzen müsse und er immer wieder stürze. Hinweise darauf, dass der Kläger sich nur noch unter ebenso großen Anstrengungen die die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, finden sich hingegen nicht. In dem vom Kläger eingereichten Ambulanzbericht der chirurgischen Notfallambulanz des Klinikums R. vom 17.11.2014 ist dokumentiert, dass der Kläger am Gehstock noch verlangsamt aber selbständig mobil ist, was gegen eine außergewöhnliche Gehbehinderung spricht. So hat auch der als sachverständiger Zeuge vom SG befragte Dr. S. gegenüber dem SG am 19.11.2013 mitgeteilt, es liege keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Der Auffassung der vom SG gehörten sachverständigen Zeugen Dr. D. und Dr. K. konnte sich der Senat hingegen nicht anschließen. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit auf das Schwerste und praktisch von den ersten Schritten an wird durch die von Dr. D. und Dr. K. erhobenen Befunde nicht objektiviert.
Nach alldem konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger wegen einer in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkten Gehfähigkeit dem berechtigten Personenkreis gleichzustellen ist.
Damit steht dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" zu, weshalb seine Berufung zurückzuweisen war.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
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