Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 1616/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 1750/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19. März 2014 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte erstattet auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren.
Tatbestand:
1. Die Beteiligten streiten über die Leistungshöhe von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 21.12.2011 bis zum 19.02.2012.
2. Der 1962 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebt in Deutschland. Er war seit 2002 regelmäßig mit Unterbrechungen bei dem Unternehmen W. AG (im Folgenden: Arbeitgeberin) in B. (Schweiz) als Gipser bzw. Fassaden-Isolierer beschäftigt. Er wohnte währenddessen in Deutschland und kehrte täglich nach Hause zurück. Für seine Tätigkeiten in der Schweiz erzielte er durchgängig jeweils einen Stundenlohn von CHF 33,00. In den Zeiten der Arbeitslosigkeit bewilligte ihm die beklagte Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Beklagte) jeweils Alg, und zwar mit Bescheid vom 11.02.2009 für 360 Kalender¬tage ab dem 11.12.2008 mit einem Leistungssatz von EUR 49,20 kalendertäglich, mit Bescheid vom 07.01.2010 für noch 243 Tage mit einem täglichen Bemessungsentgelt von EUR 132,17 und mit Bescheid vom 23.03.2010 ab diesem Tage für noch 163 Tage bei gleichem Bemessungsentgelt. Aus diesem Leistungsbezug meldete sich der Kläger ab dem 12.07.2010 in eine neue Beschäftigung bei der Arbeitgeberin ab, die Beklagte hob die Bewilligung auf.
Aus dieser Tätigkeit meldete sich der Kläger am 16.12.2010 erneut arbeitslos. Die Arbeitgeberin bescheinigte auf dem Vordruck E 301 (CH) eine (letzte) Beschäftigung vom 12.07. bis 15.12.2010 mit dem genannten Stundenlohn von CHF 33,00 und einem Gesamtverdienst von CHF 32.447,85. Mit Bescheid vom 12.01.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 16.12.2010 Alg für (noch) 220 Tage mit einem täglichen Leistungsbetrag von EUR 33,31. Die Beklagte hatte hierbei einen Lohn von EUR 1.954,00 monatlich gemäß der höchsten Gehaltsstufe des Gehaltstarifvertrags für das Dachdeckerhandwerk pp in Deutschland zu Grunde gelegt und hier¬aus ein tägliches Bemessungsentgelt von EUR 64,24 errechnet. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Rechtsbehelf ein. Aus dieser Arbeitslosigkeit meldete sich der Kläger ab dem 17.05.2011 in die entsprechende Tätigkeit bei der Schweizer Arbeitgeberin ab.
Am 21.12.2011 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos. Die Arbeitgeberin bescheinigte die Tätigkeit vom 17.05. bis 20.12.2011. Mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 29.12.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für eine restliche Dauer von 68 Kalendertagen ab dem 21.12.2011. Erneut setzte sie auf Grundlage eines (fiktiven) Bemessungsentgelts von EUR 64,24 EUR einen Leistungssatz von kalendertäglich EUR 33,31 fest.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger über seinen Verfahrensbevollmächtigten Widerspruch. Im weiteren Verfahren ließ er über seinen Bevollmächtigten ferner unter dem 23.02.2012 Über-prüfung des Bewilli¬gungsbescheids vom 12.01.2011 im Zugunstenverfahren beantragen. Zur Begründung führte er aus, die Höhe seines Alg-Anspruchs richte sich weder nach den deutschen Vorschriften des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) noch nach den Regelungen in dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung (Alv-Abk) vom 20.10.1982 (BGBl. 1983 II, S. 279), sondern allein nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom 14.06.1971 (im Folgenden: VO 1408/71) sowie weiteren europarechtlichen Vorschriften, die auf ihn - den Kläger - als türkischen Staatsbürger auf Grund des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (im Folgenden: ARB 3/80) anwendbar seien. Hiernach sei, da die Tätigkeit in der Schweiz länger als vier Wochen angedauert habe, als Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen, das während der letzten Beschäftigung in der Schweiz im Bemessungszeitraum erzielt worden sei.
Die Beklagte erließ - in diesem Verfahren - den an den Bevollmächtigten gerichteten zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 28.02.2012. Zur Begründung führte sie aus, dass aufgrund fehlender Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist vom 16.12.2010 bis 30.12.2011 kein neuer Anspruch auf Alg entstanden sei und deswe¬gen auch die Bemessungsgrundlage nicht isoliert überprüft werden könne. Der Überprüfungsantrag werde gesondert beschieden.
3. Mit Schriftsatz vom 30.03.2012, eingegangen beim Gericht am selben Tage, hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 28.02.2012 Klage zum Sozialgericht Freiburg er¬hoben. Er hat seine rechtlichen Ausführungen aus dem Vorverfahren vertieft. Die von der Beklagten vorgenommene Ermittlung der Anspruchshöhe auf Grundlage eines fiktiven Bemessungsentgelts verstoße gegen supranationales Recht und stelle eine Diskriminierung auf Grund seiner türkischen Staatsangehörigkeit dar. Er – der Kläger – habe auch bis zum 21.12.2011 die notwendige Anwartschaftszeit erfüllt, weil er mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, der Kläger habe keine (neue) Anwartschaftszeit erfüllt, da er vom 17.05. bis 20.12.2012 nur 218 Tage in der Schweiz beschäftigt gewesen sei. Ihm habe daher nur der Rest von 68 Tagen aus seinem früheren Alg-Anspruch "einschließlich der damals festgestellten Höhe" bewilligt werden können.
Der Kläger hat hierauf erwidert, eine (etwaige) Bindungswirkung des früheren Bescheids vom 11.01.2011 habe sich auf die konkret bewilligte Leistung, den Leistungszeitraum und die Leistungshöhe beschränkt und nicht Angaben zu den Berechnungselementen erfasst. Im jetzigen Verfahren sei die Leistungshöhe ohne Bindung an Verwaltungsakte, die frühere Leistungszeiträume beträfen, zu ermitteln.
In einer Duplik auf diese Ausführungen hat die Beklagte – zur Sache – vorgetragen, die internationalen Rechtsvorschriften der EU, insbesondere die VO 1408/71, seien auf den Kläger wegen seiner türkischen Staatsangehörigkeit nicht anzuwenden. Für den Personenkreis, dem er angehöre, gelte vielmehr weiterhin das deutsch-schweizerische Alv-Abk mit dem Zusatzabkommen vom 31.03.1994. Nach diesem Abkommen sei für die Bemessung des Alg das am Wohnsitz des Arbeitslosen maßgebliche tarifliche oder ortsübliche Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen. Insoweit, so die Beklagte, sei sie an die eindeutigen Geschäftsanwei¬sungen ihrer Zentrale zur Anwendung der "Internationalen EU-Rechtsvorschriften" gebunden. Die Vorgaben des Alv-Abk habe sie, die Beklagte, beachtet. Da der Kläger auch innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens keinen Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt - und zwar in Deutschland - zurückgelegt habe, sei als Bemessungsgrundlage ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen gewesen.
Wegen der weiteren - rechtlichen - Ausführungen der Beteiligten in erster Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 16.01. und 25.02.2014 und der Beklagten vom 21.01. und 13.03.2014 verwiesen.
Das genannte parallele Überprüfungsverfahren führte zur weiteren Klage vom 30.07.2012 (Widerspruchsbescheid vom 27.06.2012, S 15 AS 3768/12).
4. Mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 19.03.2014 hat das SG der hiesigen Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.02.2012 verurteilt, dem Kläger für die die Zeit vom 21.12.2011 bis zum 19.02.2012 Alg nach den gesetzlichen Vorschriften unter Berücksichtigung des in der Schweiz tatsächlich erzielten Entgelts als Bemessungsentgelt zu gewähren.
a) Das SG hat ausgeführt, der angegriffene Bewilligungsbescheid sei entgegen der Ansicht der Beklagten "isoliert" anfechtbar. Zwar treffe es zu, dass aufgrund fehlender Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit keine neue Bemessung zu erfolgen habe. Al¬lerdings sei auch der Bescheid vom 29.12.2011 mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene und ausdrücklich als "Bewilligungsbescheid" bezeichnet gewesen. Eine Bin¬dungswirkung einer bei erstmaliger Bewilligung von Alg verfügten Feststellung des Bemessungsentgelts sehe das Gesetz nicht vor. Hierzu hat das SG auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug genommen (Urt. v. 13.05.1981, 7 RAr 68/77).
b) In der Sache, so das SG, habe der Kläger Anspruch auf Alg in begehrter Höhe. Die Beklagte habe zu Unrecht ihrer Berechnung ein fiktives Arbeitsentgelt und nicht das zuletzt in der Schweiz tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt. Zwar könnten in der Tat nach den nationalrechtlichen Vorschriften des SGB III nur versicherungspflichtige Beschäftigungen im Inland berücksichtigt werden. Hier jedoch würden diese inländischen Regelungen durch Vorschriften des über- und des zwischenstaatlichen Rechts überlagert.
aa) Für den Anspruch des Klägers gelte dabei nicht - wie von der Beklagten angenommen - das Alv-Abk vom 20.10.1982. Einschlägig sei vielmehr die jenes Abkommen überlagernde VO 1408/71. Die nachfolgende Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (VO 883/2004) sei hingegen nicht anwendbar, da die Schweiz als Drittstaat dieser VO erst mit Beschluss Nr. 1/2012 des Gemischten Ausschusses vom 31.03.2012 (Abl. L 103 v. 13.04.2012) mit Wirkung zum 01.04.2012 - und damit nach dem streitgegenständlichen Zeitraum - beigetre¬ten sei. Im Einzelnen hat das SG die VO 1408/71 wie folgt angewandt:
Der Kläger falle in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71. Zwar sei er nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaats im Sinne von Art. 2 Abs. 1 VO 1408/71. Allerdings finde die VO 1408/71 dem Grunde nach über Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80 Anwendung. Danach hätten Personen, die im Gebiet eines Mitgliedsstaats der EWG (heute: EU) wohnten und für die der Beschluss gelte, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mit¬gliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der Kläger unterfalle (auch) dem persönlichen Geltungsbereich des ARB 3/80. Dieser gelte für (türkische) Arbeitnehmer. Die Tatsache, dass der Kläger im streitbefangenen Zeit¬raum arbeitslos gewesen sei, ändere nichts an der persönlichen Anwendbarkeit, denn er habe den Anspruch auf Alg als Arbeitnehmer erworben. Auch der sachliche Anwendungsbereich sei eröffnet, weil der Beschluss ARB 3/80 gem. Art. 4 Abs. 1 lit. g - auch - für Leistungen der so¬zialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit gelte. Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80 enthalte ein Gleich¬behandlungs¬gebot auch hinsichtlich von Rechten, die aufgrund einer EWG-Verordnung einge¬räumt würden. Zwar beziehe sich diese Regelung ihrem Wortlaut nach nur auf "Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates". Hie¬r¬unter fielen jedoch auch Rechtsnormen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts, denn auch diese seien Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung, auf die sich der Kläger unmittelbar stützen könne. Dies habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden (Verweis auf Entsch. v. 04.05.1999, Rs. C 262/96 "Sürül"). Hiernach könne der Kläger Gleichbehandlung mit Bürgern der EU beanspruchen. Insoweit sei auch nicht relevant, dass die Schweiz nicht zu den vertragsschließenden Parteien des ARB 3/80 gehöre, da es ausreiche, dass der Kläger auf Grund des Beschlusses - hier - einem Deutschen gleichzustellen sei, es sei nicht erforderlich, dass er einem schweizerischen Staatsangehörigen gleichgestellt werde.
Auch der sachliche Anwendungsbereich sei eröffnet. Zwar gehöre die Schweiz nicht der EU an. Die VO 1408/71 sei im Verhältnis zur Schweiz gleichwohl anwendbar, denn sie sei in Anhang II Abschn. A des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit ("Sektorenabkommen") vom 21.06.1999 (BGBl. 2001 II S. 810 i.V.m. ABl. EG L 114, 480) aufgeführt, das seiner¬seits (für Deutschland und die Schweiz) am 01.06.2002 in Kraft getreten sei. Dass die Schweiz bislang der Verordnung (EG) Nr. 859/2003 zur Ausdehnung des Geltungsbereichs der VO 1408/71 auf Drittstaatsangehörige (DrittstaatenVO) nicht beigetreten sei, sei nicht von Relevanz. Es reiche aus, dass sich Deutschland insoweit gebunden habe, denn der für die Leistungserbringung maßgebliche Staat sei nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71 der Staat, bei dem der Arbeitslose seinen Anspruch geltend mache.
bb) Nach den Vorschriften der demnach anwendbaren VO Nr. 1408/71, so das SG, sei für den Alg-Anspruch des Klägers das in der Schweiz erzielte Entgelt maßgeblich.
Grundsätzlich erhielten Grenzgänger - darunter echte Grenz¬gänger wie der Kläger - nach Art. 71 Abs. 1 lit. a Abs. ii Hs. 1 VO 1408/71 bei Vollar¬beitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dessen Gebiet sie wohnten, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates für sie gegolten hätten. Dieser Grundsatz, der überhaupt erst zu einem Anspruch auf Alg in Deutschland nach einer Auslands¬beschäftigung führe, werde in Art. 67 ff. VO 1408/71 konkretisiert: Hiernach würden ausländische Beschäftigungs- und Versicherungszeiten nach Art. 67 Abs. 1 und Abs. 2 VO 1408/71 berück¬sichtigt, soweit dies "für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leis¬tungsanspruchs" erforderlich sei. Dies gelte an sich nach Art. 67 Abs. 3 VO 1408/71 nur dann, wenn der Arbeitslose "unmittelbar zuvor" entsprechende Zeiten im (jetzigen) Wohnsitzstaat zu¬rückgelegt habe; aus dem hier enthaltenen Verweis auf Art. 71 Abs. 1 lit. a Abs. ii VO 1408/71 ergebe sich jedoch, dass diese einschränkende Voraussetzung bei echten Grenzgängern - wie dem Klä¬ger - nicht gefordert sei. Ferner würden ausländische Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach Art. 67 Abs. 4 VO 1408/71 bei der Bestimmung der Dauer der Leistungsgewährung im Wohnsitzstaat berücksichtigt.
Anders seien dagegen die Regelungen über die Höhe eines Leistungsanspruchs bei Vollarbeitslosigkeit ausgestaltet. Hier bestimme Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71, dass der zuständige Leistungsträger im Wohnsitzstaat "ausschließlich" das Entgelt zu Grunde zu legen habe, das der Arbeitslose während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet "dieses Staates" erhalten habe. Damit sei die letzte Beschäftigung im Wohnsitzstaat gemeint, also gerade nicht die Auslandsbeschäftigung. Dies werde bestätigt durch bestimmte Ausnahmeregelungen in Art. 68 Abs. 1 S. 2 VO 1408/71 für die Fälle, in denen die letzte Beschäftigung "dort" (also im Wohnsitzstaat) weniger als vier Wochen gedauert habe. Allerdings werde - auch - in solchen Fällen nicht etwa das Entgelt während der Auslandsbeschäftigung berücksichtigt, sondern (fiktiv) das "Entgelt, das am Wohnort [ ...] des Arbeitslosen für eine Be¬schäftigung üblich ist, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitglied¬staats ausgeübt hat, gleichwertig oder vergleichbar ist". Dies wäre im Falle des Klägers, so das SG, in der Tat jenes Entgelt, das im Bezirk der Beklagten für eine Tätigkeit als Gipser üblich sei. Bei einer solchen - wörtlichen - Auslegung des Art. 68 Abs. 1 VO 1408/71 wäre vorliegend, so das SG weiter, gar kein Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, da der Kläger vor Eintritt der Arbeitslosigkeit überhaupt keine Beschäftigung in Deutschland mehr ausgeübt habe. Für solche Fälle habe der EuGH entschieden, dass Art. 68 Abs. 1 VO 1408/71 im Lichte von Art. 51 EWG-Vertrag dahin auszulegen sei, dass die Leistungen für einen vollarbeitslosen Grenzgänger i.S.d. Art. 1 lit. b VO 1408/71 im Wohn¬sitzmitgliedsstaat unter Berücksichtigung des Entgelts zu berechnen habe, das der Arbeitnehmer während der letzten Beschäftigung in dem Mitglied¬staat erhalten habe, in dem er unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt gewesen sei (Verweis auf Urt. v. 28.02.1980, 67/79 "Fellinger"). Dem folgend habe auch das BSG entschieden, dass bei echten Grenzgängern dann auf das zuletzt tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen sei, wenn sie - wie vorliegend der Kläger - direkt aus ihrer Auslandsbeschäftigung heraus arbeitslos geworden seien. Diese bislang nur richterlich gebildete Ausnahme zu Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71 habe der europäische Verordnungsgeber nunmehr in Art. 62 Abs. 3 VO 883/2004 übernommen und damit bestätigt.
Hierzu hat das SG abschließend noch ausgeführt, dass die Dienstanweisungen der Beklagten, so sie etwas anderes regelten, nicht mit dem maßgeblichen europäischen Recht übereinstimmten und ohnehin keine Bindungswirkung für die Gerichte entfalteten.
5. Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 17.04.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie weist erneut darauf hin, dass die Ansicht des SG ihrer internen Weisungslage widerspreche. Es sei daran festzuhalten, dass auf den Alg-Anspruch des Klägers Art. 7 Abs. 2 lit. a des deutsch-schweizerischen Alv-Abk anzuwenden sei und nicht die VO 1408/71 bzw. die VO 87783/04. Diese Verordnungen gölten nicht für Drittstaatsangehörige im Verhältnis zur Schweiz. Die Schweiz habe die Geltung dieser Verordnungen in dem mit der EU geschlossenen "Sektorenabkommen" nur im Verhältnis zwischen ihr und den EU-Staaten anerkannt, jedoch nicht für Drittstaatsangehörige wie den Kläger. Die Verordnungen (EG) Nr. 859/03 vom 14.05.2003 und Nr. 1231/10 vom 24.11.2010, die Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnungen auf Drittstaatsangehörige vorsähen, habe die Schweiz nicht übernommen. Nach dem Alv-Abk seien (zwar) die Versicherungszeiten in der Schweiz zu berücksichtigen, die Bemessung erfolge (aber) nach einer fiktiven Einstufung. Entgegen der Ansicht des Klägers folge etwas Anderes auch nicht aus dem ARB 3/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei. Dieser Beschluss verlange eine Gleichbehandlung türkischer Staatsbürger nur bei der Anwendung innerstaatlichen Rechts. Nach dem nationalen Recht, dem SGB III, ergebe sich (aber) überhaupt kein Alg-Anspruch nach Zurücklegung (nur) schweizerischer Versicherungszeiten. Dies gelte auch für Deutsche. Eine Anwendung des ARB 3/80 auf zwischenstaatliche Abkommen ergebe sich nicht. Das SG habe, so die Beklagte abschließend, auch übersehen, dass die hier maßgeblichen Vorschriften des deutsch-schweizerischen Abkommens auch nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 i.V.m. Anhang II der VO 883/04 in Kraft geblieben seien.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er meint, der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 4, Abs. 4 lit g ARB 3/80 erfasse auch die Anwendung günstigeren EU-Rechts. Die Normen des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts seien Bestandteile des innerstaatlichen deutschen Rechts. Es sei die VO 1408/71 anwendbar. Das Sektorenabkommen mit der Schweiz sei nicht nur mit der EU, sondern auch mit deren Mitgliedsstaaten geschlossen worden. Es sei am 01.06.2002 Bestandteil des deutschen Rechts geworden. Seine Inhalte unterfielen damit dem Beschluss des Assoziationsrats.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einvernehmen mit den Beteiligen ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben worden.
2. Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zu Recht verurteilt, bei der Bemessung des Alg des Klägers das im Bemessungszeitraum in der Schweiz erzielte Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen.
a) Der Senat schließt sich zur Begründung für diese Einschätzung den ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid an, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG).
Dies gilt zunächst für die Ansicht des SG, dass der – nicht angefochtene, sondern später einem Überprüfungsantrag unterzogene – Bewilligungsbescheid vom 12.01.2011 keine Bindungswirkung für den hier angefochtenen Bescheid entfaltet hat, jedenfalls nicht wegen des zu Grunde gelegten Bemessungsentgelts. Ein Bewilligungsbescheid, der nicht zugleich Grundlagenbescheid ist, hat Bindungswirkung (§ 77 SGG) nur in seinem Geltungsbereich und für seinen Geltungszeitraum. Nachdem die Beklagte jenen Bescheid wieder aufgehoben hatte, nachdem sich der Kläger ab dem 17.05.2011 in Arbeit abgemeldet hatte, konnte der Bescheid keine Wirkungen mehr entfalten.
Zu den Ausführungen des SG zur Bemessung des Alg-Anspruchs auf materiellrechtlicher Ebene fügt der Senat - nur ergänzend - an:
b) Die Parteien sind sich darin einig, dass für die Bemessung des Alg-Anspruchs des Klägers nicht § 131 Abs. 1 SGB III in der hier noch anwendbaren, bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung (vgl. §§ 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III n.F.) heranzuziehen ist. Diese Ansicht ist offensichtlich richtig. Nach jener Vorschrift ermittelt sich das Bemessungsentgelt aus dem tatsächlich im Bemessungszeitraum erzielten Entgelt aus der versicherten Beschäftigung. Damit ist jedoch allein eine (versicherungspflichtige) Beschäftigung im Inland gemeint. Zeiten einer Beschäftigung im Ausland können grundsätzlich (vgl. § 3 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]) schon keine Anwartschaften für beitragsgebundene Sozialleistungsansprüche, insbesondere für Ansprüche auf Alg, begründen, ebenso können sie nicht für die Bemessung einer solchen Sozialleistung herangezogen werden. Allein aus seinen Schweizer Beschäftigungszeiten hätte der Kläger überhaupt keinen Anspruch auf Alg erworben.
c) Der Senat schließt sich ebenfalls der Ansicht des SG an, dass dann, wenn auf den Anspruch des Klägers die VO 1408/71 anwendbar ist, für die Bemessung des Alg die im Bemessungszeitraum in der Schweiz tatsächlich erzielten Entgelte maßgeblich sind.
Der erkennende Senat hatte allerdings in seinem Urteil vom 19.10.2011 (L 3 AL 5476/10, Juris) entschieden, dass das Alg eines (deutschen) Arbeitnehmers, der als echter Grenzgänger in der Schweiz gearbeitet hatte, danach aber zunächst für weniger als 150 Tage in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, bevor er sich arbeitslos meldete, nach § 132 Abs. 1 SGB III a.F. fiktiv nach seiner beruflichen Qualifikation ohne Berücksichtigung des in der Schweiz erzielten Entgelts berechnet wird und dass diese Rechtslage insbesondere mit Art. 68 Abs. 1 der VO 1408/71 vereinbar ist. Diese Entscheidung hat in Rechtsprechung und Literatur Widerspruch erfahren. So hat der 8. Senat des LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 22.03.2013 (L 8 AL 1225/11, Juris) ausgeführt, dass der Alg-Anspruch eines vormaligen Grenzgängers, der vor der Arbeitslosigkeit wieder (und zwar für weniger als 150 Tage) in seinem Wohnsitzland Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, nach Art. 62 Abs. 1 VO 883/2004, der wortgleich mit Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71 sei, nicht fiktiv nach § 152 SGB III, sondern in entsprechender Anwendung von § 151 SGB III unter Berücksichtigung des ausländischen Arbeitsentgelts zu bemessen sei und dass die anders lautende, nämlich eine fiktive Bemessung anordnende Dienstanweisung der Beklagten sowohl früherem als auch dem aktuellen EU-Recht widerspreche. Ergänzend führt Kador (in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 62 VO 883/2004, Rn. 20.1) aus, ohne dies allerdings näher zu begründen, dass die Entscheidung des erkennenden Senats vom 19.10.2011 den Umstand verkenne, dass der einjährige Bemessungsrahmen nach § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III n.F. nicht allein aus der im zuständigen Mitgliedstaat zurückgelegten Zeit zu bilden sei, vielmehr sei der Bezugszeitraum auch auf die davor liegenden ausländischen Zeiten zu erstrecken.
Der Senat muss an dieser Stelle nicht entscheiden, ob er an dem Urteil vom 19.10.2011 festhält. Der hiesige Kläger hat nach dem Ende seiner Beschäftigung in der Schweiz überhaupt keine versicherungspflichtige Zeit im Inland zurückgelegt. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der erkennende Senat bereits in jenem Urteil auch darauf hingewiesen hat, dass für Grenzgänger, die nach dem Ende ihrer Auslandsbeschäftigung keine Beschäftigung im Inland mehr ausüben, bevor sie sich arbeitslos melden, das im Ausland erzielte Entgelt heranzuziehen ist. Der Senat hat damals ausgeführt (a.a.O., Rn. 30 ff.):
"Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es für echte Grenzgänger wie den Kläger eine weitere Ausnahme von Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO 1408/71 gibt, und zwar dann, wenn sie vor ihrer Arbeitslosigkeit in ihrem Wohnsitzland überhaupt kein Arbeitsentgelt erzielt haben, sondern direkt aus ihrer Auslandsbeschäftigung heraus arbeitslos geworden sind. Bei wörtlicher Auslegung beider Sätze des Art. 68 Abs. 1 VO wäre dann gar kein Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Es wäre allerdings denkbar, hier Satz 2 anzuwenden, nämlich mit der Begründung, dass auch eine fehlende Beschäftigung eine Beschäftigung von "weniger als vier Wochen" ist ( ). Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung jedoch eine andere Lösung für dieses Problem gewählt. In dem Urteil vom 28.02.1980 in der Rs. Fellinger (Az. 67/79, SozR 6050, Art. 68 Nr. 1) hat er entschieden, dass Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO im Lichte von Art. 51 des (damaligen) Vertrags über die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsunion (EWGV) dahin auszulegen ist, dass im Falle eines vollarbeitslosen Grenzgängers der zuständige Leistungsträger des Wohnsitzmitgliedsstaats die von ihm zu gewährenden Leistungen unter Berücksichtigung des Entgelts zu berechnen hat, dass der Arbeitnehmer während der letzten Beschäftigung in dem (ggfs. anderen) Mitgliedsstaat erhalten hat, in dem er "unmittelbar" vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt war. Entsprechend diesem Urteil des EuGH hat das Bundessozialgericht (BSG), auf dessen Vorlagebeschluss vom 15.02.1979 hin das Urteil Fellinger ergangen ist, in seinem Urteil vom 13.05.1981 (7 RAr 68/77, Juris Rn. 21) ausgeführt, das im Ausland erzielte Entgelt sei zu berücksichtigen, wenn die letzte Beschäftigung "unmittelbar" vor der Arbeitslosigkeit im Ausland ausgeübt worden ist. Jenem Verfahren zu Grunde lag der Alg-Antrag eines echten Grenzgängers, der nach seiner Auslandsbeschäftigung überhaupt nicht mehr in Deutschland gearbeitet, sondern sich direkt arbeitslos gemeldet hatte. Diese Rechtsprechung hat dann zu der Praxis der Beklagten geführt, das ausländische Entgelt nur dann zu berücksichtigen, wenn überhaupt keine Inlandsbeschäftigung mehr ausgeübt worden ist (vgl. BA-Rundbrief 2003 Nr. 5, S. 1-2 vom 14.01.2003, zit. nach Juris)."
Wie auch das SG hat der Senat damals zur weiteren Begründung seiner Ansicht auf die zwischenzeitliche Neuregelung des europäischen Sekundärrechts hingewiesen, die allerdings weder auf den damals entschiedenen Fall noch auf jenen des hiesigen Klägers anwendbar ist (a.a.O., Rn. 31):
"Diese bislang nur richterrechtlich gebildete Ausnahme zu Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO hat der europäische Verordnungsgeber (hier: Parlament und Rat) nunmehr in Art. 62 Abs. 3 VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 übernommen. Nach dieser Regelung - die aber wie ausgeführt hier noch nicht anwendbar ist - berücksichtigt der Träger des Wohnmitgliedsstaats bei der Berechnung der Leistungen bei Vollarbeitslosigkeit das Entgelt, das der Grenzgänger in dem Mitgliedsstaat erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung gegolten haben. Die Formulierung, es sei die "letzte" Beschäftigung maßgeblich, wird auch in der entsprechenden Durchführungsregelung in Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 verwendet."
Zur inhaltlichen Begründung für die Differenzierung zwischen (ehemaligen) Grenzgängern mit und ohne kurzzeitiger anschließender Beschäftigung im Inland bei der Bemessung des Alg hatte der Senat - auch im Hinblick auf die Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) – ausgeführt (a.a.O., Rn. 33):
"Auch inhaltlich lässt sich diese Auslegung rechtfertigen. Wenn sich ein Grenzgänger nach dem Ende seiner Auslandsbeschäftigung im Wohnsitzstaat nicht direkt arbeitslos meldet, sondern zunächst noch eine Inlandsbeschäftigung aufnimmt, verliert er seinen Status als Grenzgänger und wird - zunächst - im ganz üblichen Sinn Inlandsarbeitnehmer. Er gliedert sich (wieder) in den Arbeitsmarkt seines Wohnsitzstaates ein. Auf ihn können daher uneingeschränkt allein die innerstaatlichen Regelungen angewandt werden. Es bleibt dann dem für die Leistungsgewährung zuständigen Wohnsitzstaat überlassen, ob er gleichwohl (auch) die Auslandsbeschäftigungen berücksichtigt oder nicht. Das Europarecht kann ihm für einen derartigen Inlandssachverhalt keine Vorgaben machen. Sie wären auch kaum einheitlich möglich, weil es dem Mitgliedsstaat selbst überlassen ist, wie er seine etwaigen Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit berechnet. In einem Mitgliedsstaat etwa, der allein auf den letzten Beschäftigungsmonat abstellt und nicht auf längere Zeiträume wie Deutschland mit den Regeln über den Bemessungsrahmen (ähnlich wie z. B. die deutschen Regeln über die Berechnung von Krankengeld), käme die Frage gar nicht auf, ob länger zurückliegende Auslandsbeschäftigungen zu berücksichtigen seien."
An dieser Ansicht hält der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG fest. Sie ist auch zwischen den Parteien nicht umstritten.
d) Es bleibt die Frage, ob der Kläger in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 fiel oder nicht. Die Beklagte bestreitet dies unter Hinweis auf seine türkische Staatsangehörigkeit und unter Berufung auf ihre Geschäftsanweisungen (vgl. insoweit Nr. 1.1 Abs. 4 der GA "IntRecht Alv Schweiz", Stand 09/2012), der Kläger beruft sich dagegen auf eine Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80. Jener Beschluss war vom Assoziationsrat EWG/Türkei erlassen worden auf Grundlage des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei (Assoziierungsabkommen Türkei, "Ankara-Abkommen") vom 12.09.1963 (ABl. EWG Nr. 217 v. 29.12.1964, S. 3687 ff.). Der Senat schließt sich auch in diesem Punkt der Rechtsansicht des SG an.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurde die Konstellation, dass ein türkischer Staatsbürger, der (im dortigen Fall zumindest zeitweise) in Deutschland wohnte und im Ausland arbeitete und dann hier nahtlos nach dem Verlust seiner ausländischen Arbeitsstelle Alg beantragt hat, soweit ersichtlich nur in dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2000 (L 12 AL 125/98, veröffentlicht bei http://www.sozialgerichtsbar¬keit.de) behandelt. Dort hatte der Versicherte in den Niederlanden gearbeitet. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat zunächst dargelegt, dass der ARB 3/80 anwendbar sei, also der (dortige) Kläger in den persönlichen und der geltend gemachte Alt-Anspruch in den sachlichen Anwendungsbereich des Beschlusses fielen:
"Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gilt gem. ihrem Art. 2 Abs. 1 u.a. für Arbeitnehmer, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates sind. Dies ist beim Kläger zwar nicht der Fall. Er kann jedoch aufgrund von Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80, der auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützt ist, Gleichbehandlung mit EG-Bürgern beanspruchen. Gem. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 haben die Personen, die im Gebiet eines EWG-Mitgliedstaates wohnen, und für die der ARB 3/80 gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. ( ) Auch der sachliche Anwendungsbereich des ARB 3/80 ist eröffnet, weil dieser Beschluss nach seinem Art. 4 Abs. 1 g) für Leistungen der sozialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit gilt."
Im Weiteren hat sich das LSG Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen mit der Frage beschäftigt, ob der ARB 3/80 wirksam sei und in Deutschland geltendes Recht sei und ob er auch anwendbar sei, obwohl die für seine Durchführung notwendigen Begleitbestimmungen der EU-Organe (damals) noch nicht erlassen worden waren. Diese Frage hat das LSG bejaht:
"Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 ist eine geltende Rechtsnorm ( ). Der Senat sieht sich hierin bestätigt durch die Urteile des EuGH vom 30.09.1997 (SozR 3 6935 Nr. 3; und vom 04.05.1999 - Rs C 262/96 Sürül - in Inf. AuslR. 1999 324 ff.). Insbesondere im Urteil vom 04.05.1999 (Sürül) hat der EuGH ausgeführt, daß der Beschluss 3/80 auch ohne Durchführungsbestimmungen anwendbar sei. Dies gelte insbesondere für Personen, die gegen Arbeitslosigkeit pflichtversichert seien (Nr. 74, 78 und 79 des EuGH-Urteils). ( ) Der Senat folgert aus den ( ) Ausführungen des EuGH, daß ARB 3/80 unmittelbar geltendes Recht ist und ein türkischer Arbeitnehmer, der in Deutschland versicherungspflichtig gegen Arbeitslosigkeit versichert war, ( ) Anspruch auf Leistungen wie ein vergleichbarer deutscher Arbeitsuchender hat. Zwar verkennt der Senat nicht, daß das Urteil des EuGH zum Kindergeldrecht ergangen ist. Es werden jedoch keine gravierenden Unterschiede gesehen, die hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten vermag der Senat mit der vom Sozialgericht gegebenen Begründung nicht zu teilen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, bei Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 handele es sich nicht um eine Rechtsnorm. Zum einen fehle hierfür die Grundlage. Art. 12 des Assoziationsabkommens spare die Vorschrift des Art. 51 EWG-Vertrages, der ein System zur Sicherstellung sozialrechtlicher Ansprüche und Leistungen für Wanderarbeitnehmer vorsieht, ausdrücklich aus dem Assoziationsabkommen aus. Erst das Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen ermächtige in Art. 39 den Assoziationsrat, Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für türkische Wanderarbeitnehmer zu treffen. In Art. 39 Abs. 2 würden ausdrücklich jedoch keine Vorgaben für Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemacht. Es könne daher davon ausgegangen werden, daß der Assoziationsrat jedenfalls auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung nicht rechtssetzungsbefugt sei. Dies sei auch sinnvoll, weil die Türkei kein System der Arbeitslosenversicherung kenne und somit die in internationalen Verträgen sonst übliche Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei. Im Übrigen sei der Beschluss des Assoziationsrates nie in Kraft getreten, weil der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziierungsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates nie gefaßt habe.
Der Senat schließt sich mit dem Sozialgericht diesen Bedenken nicht an. Nach Art. 6 des Assoziierungsabkommens treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen und wird der Assoziationsrat im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind. Eine solche Zuweisungsnorm ist Art. 39 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen. Art. 39 Abs. 1 ermächtigt den Assoziationsrat generell, Bestimmungen für türkische Wanderarbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu treffen. Art. 39 Abs. 2 bis 5 enthalten Mindestanforderungen für den Inhalt dieser Bestimmungen, nicht aber - wie die Beklagte meint - abschließende Regelungen.
Die Anwendung des ARB 3/80 scheitert auch nicht daran, daß die Organe der EU bislang keine Bestimmungen zu seiner Anwendbarkeit erlassen haben. Zwar enthält Art. 2 Nr. 1 des Durchführungsabkommens (BGBl. II 1964 S. 558) die Vorschrift, daß die Anwendbarkeit der Beschlüsse des Assoziationsrates durch einstimmig gefaßte Beschlüsse des Rates nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen wird. Bei dem Durchführungsabkommen handelt es sich indes um eine Vereinbarung, die von den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedsstaaten der EG abgeschlossen wurde, ohne daß der andere Vertragspartner, die Türkei, hieran beteiligt war. Die Mitgliedsstaaten haben kein Mandat, wodurch sie einen völkerrechtlichen Beschluss des Assoziationsrates von weiteren Zustimmungen abhängig machen können ( ). Für diese Auffassung spricht auch die Rechtsprechung des EuGH, der hinsichtlich verschiedener anderer Beschlüsse des Assoziationsrates die unmittelbare Anwendbarkeit bejaht hat (EuGH v. 04.05.1999, a.a.O., m.w.N.).
Diese Rechtsfragen haben die Parteien des jetzigen Verfahrens nicht angeschnitten. Der Senat geht davon aus, dass die Gültigkeit des Beschlusses an sich nicht streitig ist. Der ausführlichen Begründung des LSG Nordrhein-Westfalen ist insoweit nichts hinzuzufügen.
Diskutiert wurde in dem jetzigen Verfahren nur noch die Frage, ob der ARB 3/80 mit der Formulierung in Art. 3 Abs. 1, die erfassten (türkischen) Arbeitnehmer hätten "die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates" auch Recht auf Grund europäischen Rechts umfasst, ob also konkret die VO 1408/71 eine "Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats" ist, hier konkret Deutschlands. Hierzu hat das LSG Nordrhein-Westfalen in dem Urteil vom 26.01.2000 nur ausgeführt:
"Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 enthält ein Gleichbehandlungsgebot auch hinsichtlich von Rechten, die aufgrund einer EWG-Verordnung eingeräumt werden. Zwar bezieht sich diese Regelung ihrem Wortlaut nach nur auf "Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates". Hierunter fallen jedoch auch Rechtsnormen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts, denn auch diese Normen sind Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung."
Auch dieser Rechtsmeinung schließt sich der Senat zumindest für die hier einschlägige Verordnung an. Verordnungen der Europäischen Union sind in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltendes Recht und genießen sogar einen Anwendungsvorrang vor etwaigen entgegenstehenden anderen nationalstaatlichen Vorschriften. Dies ergibt sich schon aus den einschlägigen Vorschriften des Primärrechts, heute Art. 288 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), früher Art. 249 Abs. 2, Art. 189 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft (EGV). Der EuGH hat die unmittelbare Geltung von Verordnungen in den Mitgliedsstaaten mit unmittelbarer Wirkung für und gegen die Bürger erstmals in seinem Urteil vom 14.12.1971 (C-43/71, Rs. "Politi", Juris) festgestellt und dort ausgeführt: "Die Wirkung, die den Verordnungen nach Artikel 189 EWG-Vertrag zukommt, steht der Anwendung aller – auch späteren – gesetzgeberischen Maßnahmen entgegen, die mit den Verordnungsbestimmungen unvereinbar sind." Diese Rechtslage, dass Verordnungen der Organe der EU unmittelbar in den Mitgliedsstaaten gelten, ist seitdem nicht bestritten worden. Danach lässt sich auch nicht sagen, es handle sich bei den Verordnungen weiterhin um EU-Recht und nicht "nationale Rechtsvorschriften" des Mitgliedsstaats im Sinne von Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80. Wenn eine europäische Verordnung in einem Mitgliedsstaat unmittelbar gilt und anderes nationales Rechts verdrängt, dass stellt sie das maßgebliche "nationale Recht" dar. Es ist unbestritten, dass EU-Recht, auch Sekundärrecht, mit seiner jeweiligen Reichweite als Verordnung, Richtlinie, Beschluss pp. (vgl. Art. 249 AEUV) Bestandteil der nationalen Rechtsordnung ist. Der ggfs. notwendige Rechtsanwendungsbefehl des deutschen Gesetzgebers (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG) liegt in den Zustimmungsgesetzen zum Primärrecht, im Übrigen ist Art. 23 Abs. 1 GG eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage für die Einbeziehung des EU-Rechts in die deutsche Rechtsordnung. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der ARB 3/80 nicht im Rahmen eines Abkommens allein zwischen Deutschland und der Türkei ergangen ist, sondern das Ankara-Abkommen ein (allerdings bilaterales) Abkommen zwischen der Türkei und der (damaligen) EWG im Ganzen ist. Wenn in einem Beschluss im Rahmen eines solchen Abkommens auf die "Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats" abgestellt wird, dann liegt der Gedanke fern, dass damit das in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltende EU-Recht nicht gemeint sei.
Dass die Schweiz am Ankara-Abkommen nicht beteiligt war und daher der ARB 3/80 für sie nicht gilt, ist - auch dies hat das SG zutreffend ausgeführt - irrelevant, da der Kläger die Gleichbehandlung mit einem Deutschen gegenüber Deutschland begehrt.
Hiergegen kann die Beklagte auch nicht mit ihrem Hinweis durchdringen, Art. 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 i.V.m. Anhang II VO 883/04 ordne die Weitergeltung des deutsch-schweizerischen Alv-Abk an (das in der Tat eine fiktive Bemessung zuließe). Damit ist nichts über den Anwendungsbereich dieses Abkommens gesagt. Jenes Abkommen behält seine praktische Relevanz für solche Grenzgänger, die weder die Staatsangehörigkeit eines EU-Staates besitzen noch die Staatsangehörige eines Staates sind, der im Rahmen eines Assoziationsabkommens insoweit einem EU-Staat gleichgestellt ist; dies sind zurzeit lediglich türkische Arbeitnehmer.
e) Weitere Einwände gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Beklagte nicht erhoben. Sie sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Tenor im Sinne eines Urteils mit einer Verurteilung dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) ausreichend bestimmt. Bei der Berechnung des Alg nach der Entscheidung des SG wird die Beklagte die gesetzlich vorgesehenen Umrechnungsvorschriften und ggfs. die Beitragsbemessungsgrenze zu beachten haben.
3. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision sieht der Senat nicht. Divergenz (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG) liegt nicht vor, nachdem sich der Senat der einzigen bekannten entsprechenden Entscheidung eines anderen Landessozialgerichts (LSG Nordrhein-Westfalen) anschließt. Und eine rechtliche Grundsatzbedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Die einzige in diesem Verfahren strittige Rechtsfrage, ob die VO 1408/71 eine "Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 sei, ist ohne weitere Schwierigkeiten aus den allgemeinen Grundsätzen über die Rechtsnatur von Verordnungen der Europäischen Union zu beantworten.
2. Die Beklagte erstattet auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren.
Tatbestand:
1. Die Beteiligten streiten über die Leistungshöhe von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 21.12.2011 bis zum 19.02.2012.
2. Der 1962 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebt in Deutschland. Er war seit 2002 regelmäßig mit Unterbrechungen bei dem Unternehmen W. AG (im Folgenden: Arbeitgeberin) in B. (Schweiz) als Gipser bzw. Fassaden-Isolierer beschäftigt. Er wohnte währenddessen in Deutschland und kehrte täglich nach Hause zurück. Für seine Tätigkeiten in der Schweiz erzielte er durchgängig jeweils einen Stundenlohn von CHF 33,00. In den Zeiten der Arbeitslosigkeit bewilligte ihm die beklagte Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Beklagte) jeweils Alg, und zwar mit Bescheid vom 11.02.2009 für 360 Kalender¬tage ab dem 11.12.2008 mit einem Leistungssatz von EUR 49,20 kalendertäglich, mit Bescheid vom 07.01.2010 für noch 243 Tage mit einem täglichen Bemessungsentgelt von EUR 132,17 und mit Bescheid vom 23.03.2010 ab diesem Tage für noch 163 Tage bei gleichem Bemessungsentgelt. Aus diesem Leistungsbezug meldete sich der Kläger ab dem 12.07.2010 in eine neue Beschäftigung bei der Arbeitgeberin ab, die Beklagte hob die Bewilligung auf.
Aus dieser Tätigkeit meldete sich der Kläger am 16.12.2010 erneut arbeitslos. Die Arbeitgeberin bescheinigte auf dem Vordruck E 301 (CH) eine (letzte) Beschäftigung vom 12.07. bis 15.12.2010 mit dem genannten Stundenlohn von CHF 33,00 und einem Gesamtverdienst von CHF 32.447,85. Mit Bescheid vom 12.01.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 16.12.2010 Alg für (noch) 220 Tage mit einem täglichen Leistungsbetrag von EUR 33,31. Die Beklagte hatte hierbei einen Lohn von EUR 1.954,00 monatlich gemäß der höchsten Gehaltsstufe des Gehaltstarifvertrags für das Dachdeckerhandwerk pp in Deutschland zu Grunde gelegt und hier¬aus ein tägliches Bemessungsentgelt von EUR 64,24 errechnet. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Rechtsbehelf ein. Aus dieser Arbeitslosigkeit meldete sich der Kläger ab dem 17.05.2011 in die entsprechende Tätigkeit bei der Schweizer Arbeitgeberin ab.
Am 21.12.2011 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos. Die Arbeitgeberin bescheinigte die Tätigkeit vom 17.05. bis 20.12.2011. Mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 29.12.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für eine restliche Dauer von 68 Kalendertagen ab dem 21.12.2011. Erneut setzte sie auf Grundlage eines (fiktiven) Bemessungsentgelts von EUR 64,24 EUR einen Leistungssatz von kalendertäglich EUR 33,31 fest.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger über seinen Verfahrensbevollmächtigten Widerspruch. Im weiteren Verfahren ließ er über seinen Bevollmächtigten ferner unter dem 23.02.2012 Über-prüfung des Bewilli¬gungsbescheids vom 12.01.2011 im Zugunstenverfahren beantragen. Zur Begründung führte er aus, die Höhe seines Alg-Anspruchs richte sich weder nach den deutschen Vorschriften des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) noch nach den Regelungen in dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung (Alv-Abk) vom 20.10.1982 (BGBl. 1983 II, S. 279), sondern allein nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom 14.06.1971 (im Folgenden: VO 1408/71) sowie weiteren europarechtlichen Vorschriften, die auf ihn - den Kläger - als türkischen Staatsbürger auf Grund des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (im Folgenden: ARB 3/80) anwendbar seien. Hiernach sei, da die Tätigkeit in der Schweiz länger als vier Wochen angedauert habe, als Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen, das während der letzten Beschäftigung in der Schweiz im Bemessungszeitraum erzielt worden sei.
Die Beklagte erließ - in diesem Verfahren - den an den Bevollmächtigten gerichteten zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 28.02.2012. Zur Begründung führte sie aus, dass aufgrund fehlender Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist vom 16.12.2010 bis 30.12.2011 kein neuer Anspruch auf Alg entstanden sei und deswe¬gen auch die Bemessungsgrundlage nicht isoliert überprüft werden könne. Der Überprüfungsantrag werde gesondert beschieden.
3. Mit Schriftsatz vom 30.03.2012, eingegangen beim Gericht am selben Tage, hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 28.02.2012 Klage zum Sozialgericht Freiburg er¬hoben. Er hat seine rechtlichen Ausführungen aus dem Vorverfahren vertieft. Die von der Beklagten vorgenommene Ermittlung der Anspruchshöhe auf Grundlage eines fiktiven Bemessungsentgelts verstoße gegen supranationales Recht und stelle eine Diskriminierung auf Grund seiner türkischen Staatsangehörigkeit dar. Er – der Kläger – habe auch bis zum 21.12.2011 die notwendige Anwartschaftszeit erfüllt, weil er mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, der Kläger habe keine (neue) Anwartschaftszeit erfüllt, da er vom 17.05. bis 20.12.2012 nur 218 Tage in der Schweiz beschäftigt gewesen sei. Ihm habe daher nur der Rest von 68 Tagen aus seinem früheren Alg-Anspruch "einschließlich der damals festgestellten Höhe" bewilligt werden können.
Der Kläger hat hierauf erwidert, eine (etwaige) Bindungswirkung des früheren Bescheids vom 11.01.2011 habe sich auf die konkret bewilligte Leistung, den Leistungszeitraum und die Leistungshöhe beschränkt und nicht Angaben zu den Berechnungselementen erfasst. Im jetzigen Verfahren sei die Leistungshöhe ohne Bindung an Verwaltungsakte, die frühere Leistungszeiträume beträfen, zu ermitteln.
In einer Duplik auf diese Ausführungen hat die Beklagte – zur Sache – vorgetragen, die internationalen Rechtsvorschriften der EU, insbesondere die VO 1408/71, seien auf den Kläger wegen seiner türkischen Staatsangehörigkeit nicht anzuwenden. Für den Personenkreis, dem er angehöre, gelte vielmehr weiterhin das deutsch-schweizerische Alv-Abk mit dem Zusatzabkommen vom 31.03.1994. Nach diesem Abkommen sei für die Bemessung des Alg das am Wohnsitz des Arbeitslosen maßgebliche tarifliche oder ortsübliche Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen. Insoweit, so die Beklagte, sei sie an die eindeutigen Geschäftsanwei¬sungen ihrer Zentrale zur Anwendung der "Internationalen EU-Rechtsvorschriften" gebunden. Die Vorgaben des Alv-Abk habe sie, die Beklagte, beachtet. Da der Kläger auch innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens keinen Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt - und zwar in Deutschland - zurückgelegt habe, sei als Bemessungsgrundlage ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen gewesen.
Wegen der weiteren - rechtlichen - Ausführungen der Beteiligten in erster Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 16.01. und 25.02.2014 und der Beklagten vom 21.01. und 13.03.2014 verwiesen.
Das genannte parallele Überprüfungsverfahren führte zur weiteren Klage vom 30.07.2012 (Widerspruchsbescheid vom 27.06.2012, S 15 AS 3768/12).
4. Mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 19.03.2014 hat das SG der hiesigen Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.02.2012 verurteilt, dem Kläger für die die Zeit vom 21.12.2011 bis zum 19.02.2012 Alg nach den gesetzlichen Vorschriften unter Berücksichtigung des in der Schweiz tatsächlich erzielten Entgelts als Bemessungsentgelt zu gewähren.
a) Das SG hat ausgeführt, der angegriffene Bewilligungsbescheid sei entgegen der Ansicht der Beklagten "isoliert" anfechtbar. Zwar treffe es zu, dass aufgrund fehlender Erfüllung einer neuen Anwartschaftszeit keine neue Bemessung zu erfolgen habe. Al¬lerdings sei auch der Bescheid vom 29.12.2011 mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene und ausdrücklich als "Bewilligungsbescheid" bezeichnet gewesen. Eine Bin¬dungswirkung einer bei erstmaliger Bewilligung von Alg verfügten Feststellung des Bemessungsentgelts sehe das Gesetz nicht vor. Hierzu hat das SG auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug genommen (Urt. v. 13.05.1981, 7 RAr 68/77).
b) In der Sache, so das SG, habe der Kläger Anspruch auf Alg in begehrter Höhe. Die Beklagte habe zu Unrecht ihrer Berechnung ein fiktives Arbeitsentgelt und nicht das zuletzt in der Schweiz tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt. Zwar könnten in der Tat nach den nationalrechtlichen Vorschriften des SGB III nur versicherungspflichtige Beschäftigungen im Inland berücksichtigt werden. Hier jedoch würden diese inländischen Regelungen durch Vorschriften des über- und des zwischenstaatlichen Rechts überlagert.
aa) Für den Anspruch des Klägers gelte dabei nicht - wie von der Beklagten angenommen - das Alv-Abk vom 20.10.1982. Einschlägig sei vielmehr die jenes Abkommen überlagernde VO 1408/71. Die nachfolgende Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (VO 883/2004) sei hingegen nicht anwendbar, da die Schweiz als Drittstaat dieser VO erst mit Beschluss Nr. 1/2012 des Gemischten Ausschusses vom 31.03.2012 (Abl. L 103 v. 13.04.2012) mit Wirkung zum 01.04.2012 - und damit nach dem streitgegenständlichen Zeitraum - beigetre¬ten sei. Im Einzelnen hat das SG die VO 1408/71 wie folgt angewandt:
Der Kläger falle in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71. Zwar sei er nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaats im Sinne von Art. 2 Abs. 1 VO 1408/71. Allerdings finde die VO 1408/71 dem Grunde nach über Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80 Anwendung. Danach hätten Personen, die im Gebiet eines Mitgliedsstaats der EWG (heute: EU) wohnten und für die der Beschluss gelte, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mit¬gliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der Kläger unterfalle (auch) dem persönlichen Geltungsbereich des ARB 3/80. Dieser gelte für (türkische) Arbeitnehmer. Die Tatsache, dass der Kläger im streitbefangenen Zeit¬raum arbeitslos gewesen sei, ändere nichts an der persönlichen Anwendbarkeit, denn er habe den Anspruch auf Alg als Arbeitnehmer erworben. Auch der sachliche Anwendungsbereich sei eröffnet, weil der Beschluss ARB 3/80 gem. Art. 4 Abs. 1 lit. g - auch - für Leistungen der so¬zialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit gelte. Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80 enthalte ein Gleich¬behandlungs¬gebot auch hinsichtlich von Rechten, die aufgrund einer EWG-Verordnung einge¬räumt würden. Zwar beziehe sich diese Regelung ihrem Wortlaut nach nur auf "Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates". Hie¬r¬unter fielen jedoch auch Rechtsnormen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts, denn auch diese seien Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung, auf die sich der Kläger unmittelbar stützen könne. Dies habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden (Verweis auf Entsch. v. 04.05.1999, Rs. C 262/96 "Sürül"). Hiernach könne der Kläger Gleichbehandlung mit Bürgern der EU beanspruchen. Insoweit sei auch nicht relevant, dass die Schweiz nicht zu den vertragsschließenden Parteien des ARB 3/80 gehöre, da es ausreiche, dass der Kläger auf Grund des Beschlusses - hier - einem Deutschen gleichzustellen sei, es sei nicht erforderlich, dass er einem schweizerischen Staatsangehörigen gleichgestellt werde.
Auch der sachliche Anwendungsbereich sei eröffnet. Zwar gehöre die Schweiz nicht der EU an. Die VO 1408/71 sei im Verhältnis zur Schweiz gleichwohl anwendbar, denn sie sei in Anhang II Abschn. A des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit ("Sektorenabkommen") vom 21.06.1999 (BGBl. 2001 II S. 810 i.V.m. ABl. EG L 114, 480) aufgeführt, das seiner¬seits (für Deutschland und die Schweiz) am 01.06.2002 in Kraft getreten sei. Dass die Schweiz bislang der Verordnung (EG) Nr. 859/2003 zur Ausdehnung des Geltungsbereichs der VO 1408/71 auf Drittstaatsangehörige (DrittstaatenVO) nicht beigetreten sei, sei nicht von Relevanz. Es reiche aus, dass sich Deutschland insoweit gebunden habe, denn der für die Leistungserbringung maßgebliche Staat sei nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71 der Staat, bei dem der Arbeitslose seinen Anspruch geltend mache.
bb) Nach den Vorschriften der demnach anwendbaren VO Nr. 1408/71, so das SG, sei für den Alg-Anspruch des Klägers das in der Schweiz erzielte Entgelt maßgeblich.
Grundsätzlich erhielten Grenzgänger - darunter echte Grenz¬gänger wie der Kläger - nach Art. 71 Abs. 1 lit. a Abs. ii Hs. 1 VO 1408/71 bei Vollar¬beitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dessen Gebiet sie wohnten, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates für sie gegolten hätten. Dieser Grundsatz, der überhaupt erst zu einem Anspruch auf Alg in Deutschland nach einer Auslands¬beschäftigung führe, werde in Art. 67 ff. VO 1408/71 konkretisiert: Hiernach würden ausländische Beschäftigungs- und Versicherungszeiten nach Art. 67 Abs. 1 und Abs. 2 VO 1408/71 berück¬sichtigt, soweit dies "für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leis¬tungsanspruchs" erforderlich sei. Dies gelte an sich nach Art. 67 Abs. 3 VO 1408/71 nur dann, wenn der Arbeitslose "unmittelbar zuvor" entsprechende Zeiten im (jetzigen) Wohnsitzstaat zu¬rückgelegt habe; aus dem hier enthaltenen Verweis auf Art. 71 Abs. 1 lit. a Abs. ii VO 1408/71 ergebe sich jedoch, dass diese einschränkende Voraussetzung bei echten Grenzgängern - wie dem Klä¬ger - nicht gefordert sei. Ferner würden ausländische Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach Art. 67 Abs. 4 VO 1408/71 bei der Bestimmung der Dauer der Leistungsgewährung im Wohnsitzstaat berücksichtigt.
Anders seien dagegen die Regelungen über die Höhe eines Leistungsanspruchs bei Vollarbeitslosigkeit ausgestaltet. Hier bestimme Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71, dass der zuständige Leistungsträger im Wohnsitzstaat "ausschließlich" das Entgelt zu Grunde zu legen habe, das der Arbeitslose während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet "dieses Staates" erhalten habe. Damit sei die letzte Beschäftigung im Wohnsitzstaat gemeint, also gerade nicht die Auslandsbeschäftigung. Dies werde bestätigt durch bestimmte Ausnahmeregelungen in Art. 68 Abs. 1 S. 2 VO 1408/71 für die Fälle, in denen die letzte Beschäftigung "dort" (also im Wohnsitzstaat) weniger als vier Wochen gedauert habe. Allerdings werde - auch - in solchen Fällen nicht etwa das Entgelt während der Auslandsbeschäftigung berücksichtigt, sondern (fiktiv) das "Entgelt, das am Wohnort [ ...] des Arbeitslosen für eine Be¬schäftigung üblich ist, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitglied¬staats ausgeübt hat, gleichwertig oder vergleichbar ist". Dies wäre im Falle des Klägers, so das SG, in der Tat jenes Entgelt, das im Bezirk der Beklagten für eine Tätigkeit als Gipser üblich sei. Bei einer solchen - wörtlichen - Auslegung des Art. 68 Abs. 1 VO 1408/71 wäre vorliegend, so das SG weiter, gar kein Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, da der Kläger vor Eintritt der Arbeitslosigkeit überhaupt keine Beschäftigung in Deutschland mehr ausgeübt habe. Für solche Fälle habe der EuGH entschieden, dass Art. 68 Abs. 1 VO 1408/71 im Lichte von Art. 51 EWG-Vertrag dahin auszulegen sei, dass die Leistungen für einen vollarbeitslosen Grenzgänger i.S.d. Art. 1 lit. b VO 1408/71 im Wohn¬sitzmitgliedsstaat unter Berücksichtigung des Entgelts zu berechnen habe, das der Arbeitnehmer während der letzten Beschäftigung in dem Mitglied¬staat erhalten habe, in dem er unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt gewesen sei (Verweis auf Urt. v. 28.02.1980, 67/79 "Fellinger"). Dem folgend habe auch das BSG entschieden, dass bei echten Grenzgängern dann auf das zuletzt tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen sei, wenn sie - wie vorliegend der Kläger - direkt aus ihrer Auslandsbeschäftigung heraus arbeitslos geworden seien. Diese bislang nur richterlich gebildete Ausnahme zu Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71 habe der europäische Verordnungsgeber nunmehr in Art. 62 Abs. 3 VO 883/2004 übernommen und damit bestätigt.
Hierzu hat das SG abschließend noch ausgeführt, dass die Dienstanweisungen der Beklagten, so sie etwas anderes regelten, nicht mit dem maßgeblichen europäischen Recht übereinstimmten und ohnehin keine Bindungswirkung für die Gerichte entfalteten.
5. Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 17.04.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie weist erneut darauf hin, dass die Ansicht des SG ihrer internen Weisungslage widerspreche. Es sei daran festzuhalten, dass auf den Alg-Anspruch des Klägers Art. 7 Abs. 2 lit. a des deutsch-schweizerischen Alv-Abk anzuwenden sei und nicht die VO 1408/71 bzw. die VO 87783/04. Diese Verordnungen gölten nicht für Drittstaatsangehörige im Verhältnis zur Schweiz. Die Schweiz habe die Geltung dieser Verordnungen in dem mit der EU geschlossenen "Sektorenabkommen" nur im Verhältnis zwischen ihr und den EU-Staaten anerkannt, jedoch nicht für Drittstaatsangehörige wie den Kläger. Die Verordnungen (EG) Nr. 859/03 vom 14.05.2003 und Nr. 1231/10 vom 24.11.2010, die Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnungen auf Drittstaatsangehörige vorsähen, habe die Schweiz nicht übernommen. Nach dem Alv-Abk seien (zwar) die Versicherungszeiten in der Schweiz zu berücksichtigen, die Bemessung erfolge (aber) nach einer fiktiven Einstufung. Entgegen der Ansicht des Klägers folge etwas Anderes auch nicht aus dem ARB 3/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei. Dieser Beschluss verlange eine Gleichbehandlung türkischer Staatsbürger nur bei der Anwendung innerstaatlichen Rechts. Nach dem nationalen Recht, dem SGB III, ergebe sich (aber) überhaupt kein Alg-Anspruch nach Zurücklegung (nur) schweizerischer Versicherungszeiten. Dies gelte auch für Deutsche. Eine Anwendung des ARB 3/80 auf zwischenstaatliche Abkommen ergebe sich nicht. Das SG habe, so die Beklagte abschließend, auch übersehen, dass die hier maßgeblichen Vorschriften des deutsch-schweizerischen Abkommens auch nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 i.V.m. Anhang II der VO 883/04 in Kraft geblieben seien.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er meint, der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 4, Abs. 4 lit g ARB 3/80 erfasse auch die Anwendung günstigeren EU-Rechts. Die Normen des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts seien Bestandteile des innerstaatlichen deutschen Rechts. Es sei die VO 1408/71 anwendbar. Das Sektorenabkommen mit der Schweiz sei nicht nur mit der EU, sondern auch mit deren Mitgliedsstaaten geschlossen worden. Es sei am 01.06.2002 Bestandteil des deutschen Rechts geworden. Seine Inhalte unterfielen damit dem Beschluss des Assoziationsrats.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einvernehmen mit den Beteiligen ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben worden.
2. Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zu Recht verurteilt, bei der Bemessung des Alg des Klägers das im Bemessungszeitraum in der Schweiz erzielte Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen.
a) Der Senat schließt sich zur Begründung für diese Einschätzung den ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid an, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG).
Dies gilt zunächst für die Ansicht des SG, dass der – nicht angefochtene, sondern später einem Überprüfungsantrag unterzogene – Bewilligungsbescheid vom 12.01.2011 keine Bindungswirkung für den hier angefochtenen Bescheid entfaltet hat, jedenfalls nicht wegen des zu Grunde gelegten Bemessungsentgelts. Ein Bewilligungsbescheid, der nicht zugleich Grundlagenbescheid ist, hat Bindungswirkung (§ 77 SGG) nur in seinem Geltungsbereich und für seinen Geltungszeitraum. Nachdem die Beklagte jenen Bescheid wieder aufgehoben hatte, nachdem sich der Kläger ab dem 17.05.2011 in Arbeit abgemeldet hatte, konnte der Bescheid keine Wirkungen mehr entfalten.
Zu den Ausführungen des SG zur Bemessung des Alg-Anspruchs auf materiellrechtlicher Ebene fügt der Senat - nur ergänzend - an:
b) Die Parteien sind sich darin einig, dass für die Bemessung des Alg-Anspruchs des Klägers nicht § 131 Abs. 1 SGB III in der hier noch anwendbaren, bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung (vgl. §§ 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III n.F.) heranzuziehen ist. Diese Ansicht ist offensichtlich richtig. Nach jener Vorschrift ermittelt sich das Bemessungsentgelt aus dem tatsächlich im Bemessungszeitraum erzielten Entgelt aus der versicherten Beschäftigung. Damit ist jedoch allein eine (versicherungspflichtige) Beschäftigung im Inland gemeint. Zeiten einer Beschäftigung im Ausland können grundsätzlich (vgl. § 3 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]) schon keine Anwartschaften für beitragsgebundene Sozialleistungsansprüche, insbesondere für Ansprüche auf Alg, begründen, ebenso können sie nicht für die Bemessung einer solchen Sozialleistung herangezogen werden. Allein aus seinen Schweizer Beschäftigungszeiten hätte der Kläger überhaupt keinen Anspruch auf Alg erworben.
c) Der Senat schließt sich ebenfalls der Ansicht des SG an, dass dann, wenn auf den Anspruch des Klägers die VO 1408/71 anwendbar ist, für die Bemessung des Alg die im Bemessungszeitraum in der Schweiz tatsächlich erzielten Entgelte maßgeblich sind.
Der erkennende Senat hatte allerdings in seinem Urteil vom 19.10.2011 (L 3 AL 5476/10, Juris) entschieden, dass das Alg eines (deutschen) Arbeitnehmers, der als echter Grenzgänger in der Schweiz gearbeitet hatte, danach aber zunächst für weniger als 150 Tage in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, bevor er sich arbeitslos meldete, nach § 132 Abs. 1 SGB III a.F. fiktiv nach seiner beruflichen Qualifikation ohne Berücksichtigung des in der Schweiz erzielten Entgelts berechnet wird und dass diese Rechtslage insbesondere mit Art. 68 Abs. 1 der VO 1408/71 vereinbar ist. Diese Entscheidung hat in Rechtsprechung und Literatur Widerspruch erfahren. So hat der 8. Senat des LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 22.03.2013 (L 8 AL 1225/11, Juris) ausgeführt, dass der Alg-Anspruch eines vormaligen Grenzgängers, der vor der Arbeitslosigkeit wieder (und zwar für weniger als 150 Tage) in seinem Wohnsitzland Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, nach Art. 62 Abs. 1 VO 883/2004, der wortgleich mit Art. 68 Abs. 1 S. 1 VO 1408/71 sei, nicht fiktiv nach § 152 SGB III, sondern in entsprechender Anwendung von § 151 SGB III unter Berücksichtigung des ausländischen Arbeitsentgelts zu bemessen sei und dass die anders lautende, nämlich eine fiktive Bemessung anordnende Dienstanweisung der Beklagten sowohl früherem als auch dem aktuellen EU-Recht widerspreche. Ergänzend führt Kador (in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 62 VO 883/2004, Rn. 20.1) aus, ohne dies allerdings näher zu begründen, dass die Entscheidung des erkennenden Senats vom 19.10.2011 den Umstand verkenne, dass der einjährige Bemessungsrahmen nach § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III n.F. nicht allein aus der im zuständigen Mitgliedstaat zurückgelegten Zeit zu bilden sei, vielmehr sei der Bezugszeitraum auch auf die davor liegenden ausländischen Zeiten zu erstrecken.
Der Senat muss an dieser Stelle nicht entscheiden, ob er an dem Urteil vom 19.10.2011 festhält. Der hiesige Kläger hat nach dem Ende seiner Beschäftigung in der Schweiz überhaupt keine versicherungspflichtige Zeit im Inland zurückgelegt. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der erkennende Senat bereits in jenem Urteil auch darauf hingewiesen hat, dass für Grenzgänger, die nach dem Ende ihrer Auslandsbeschäftigung keine Beschäftigung im Inland mehr ausüben, bevor sie sich arbeitslos melden, das im Ausland erzielte Entgelt heranzuziehen ist. Der Senat hat damals ausgeführt (a.a.O., Rn. 30 ff.):
"Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es für echte Grenzgänger wie den Kläger eine weitere Ausnahme von Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO 1408/71 gibt, und zwar dann, wenn sie vor ihrer Arbeitslosigkeit in ihrem Wohnsitzland überhaupt kein Arbeitsentgelt erzielt haben, sondern direkt aus ihrer Auslandsbeschäftigung heraus arbeitslos geworden sind. Bei wörtlicher Auslegung beider Sätze des Art. 68 Abs. 1 VO wäre dann gar kein Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Es wäre allerdings denkbar, hier Satz 2 anzuwenden, nämlich mit der Begründung, dass auch eine fehlende Beschäftigung eine Beschäftigung von "weniger als vier Wochen" ist ( ). Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung jedoch eine andere Lösung für dieses Problem gewählt. In dem Urteil vom 28.02.1980 in der Rs. Fellinger (Az. 67/79, SozR 6050, Art. 68 Nr. 1) hat er entschieden, dass Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO im Lichte von Art. 51 des (damaligen) Vertrags über die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsunion (EWGV) dahin auszulegen ist, dass im Falle eines vollarbeitslosen Grenzgängers der zuständige Leistungsträger des Wohnsitzmitgliedsstaats die von ihm zu gewährenden Leistungen unter Berücksichtigung des Entgelts zu berechnen hat, dass der Arbeitnehmer während der letzten Beschäftigung in dem (ggfs. anderen) Mitgliedsstaat erhalten hat, in dem er "unmittelbar" vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt war. Entsprechend diesem Urteil des EuGH hat das Bundessozialgericht (BSG), auf dessen Vorlagebeschluss vom 15.02.1979 hin das Urteil Fellinger ergangen ist, in seinem Urteil vom 13.05.1981 (7 RAr 68/77, Juris Rn. 21) ausgeführt, das im Ausland erzielte Entgelt sei zu berücksichtigen, wenn die letzte Beschäftigung "unmittelbar" vor der Arbeitslosigkeit im Ausland ausgeübt worden ist. Jenem Verfahren zu Grunde lag der Alg-Antrag eines echten Grenzgängers, der nach seiner Auslandsbeschäftigung überhaupt nicht mehr in Deutschland gearbeitet, sondern sich direkt arbeitslos gemeldet hatte. Diese Rechtsprechung hat dann zu der Praxis der Beklagten geführt, das ausländische Entgelt nur dann zu berücksichtigen, wenn überhaupt keine Inlandsbeschäftigung mehr ausgeübt worden ist (vgl. BA-Rundbrief 2003 Nr. 5, S. 1-2 vom 14.01.2003, zit. nach Juris)."
Wie auch das SG hat der Senat damals zur weiteren Begründung seiner Ansicht auf die zwischenzeitliche Neuregelung des europäischen Sekundärrechts hingewiesen, die allerdings weder auf den damals entschiedenen Fall noch auf jenen des hiesigen Klägers anwendbar ist (a.a.O., Rn. 31):
"Diese bislang nur richterrechtlich gebildete Ausnahme zu Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO hat der europäische Verordnungsgeber (hier: Parlament und Rat) nunmehr in Art. 62 Abs. 3 VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 übernommen. Nach dieser Regelung - die aber wie ausgeführt hier noch nicht anwendbar ist - berücksichtigt der Träger des Wohnmitgliedsstaats bei der Berechnung der Leistungen bei Vollarbeitslosigkeit das Entgelt, das der Grenzgänger in dem Mitgliedsstaat erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung gegolten haben. Die Formulierung, es sei die "letzte" Beschäftigung maßgeblich, wird auch in der entsprechenden Durchführungsregelung in Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 verwendet."
Zur inhaltlichen Begründung für die Differenzierung zwischen (ehemaligen) Grenzgängern mit und ohne kurzzeitiger anschließender Beschäftigung im Inland bei der Bemessung des Alg hatte der Senat - auch im Hinblick auf die Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) – ausgeführt (a.a.O., Rn. 33):
"Auch inhaltlich lässt sich diese Auslegung rechtfertigen. Wenn sich ein Grenzgänger nach dem Ende seiner Auslandsbeschäftigung im Wohnsitzstaat nicht direkt arbeitslos meldet, sondern zunächst noch eine Inlandsbeschäftigung aufnimmt, verliert er seinen Status als Grenzgänger und wird - zunächst - im ganz üblichen Sinn Inlandsarbeitnehmer. Er gliedert sich (wieder) in den Arbeitsmarkt seines Wohnsitzstaates ein. Auf ihn können daher uneingeschränkt allein die innerstaatlichen Regelungen angewandt werden. Es bleibt dann dem für die Leistungsgewährung zuständigen Wohnsitzstaat überlassen, ob er gleichwohl (auch) die Auslandsbeschäftigungen berücksichtigt oder nicht. Das Europarecht kann ihm für einen derartigen Inlandssachverhalt keine Vorgaben machen. Sie wären auch kaum einheitlich möglich, weil es dem Mitgliedsstaat selbst überlassen ist, wie er seine etwaigen Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit berechnet. In einem Mitgliedsstaat etwa, der allein auf den letzten Beschäftigungsmonat abstellt und nicht auf längere Zeiträume wie Deutschland mit den Regeln über den Bemessungsrahmen (ähnlich wie z. B. die deutschen Regeln über die Berechnung von Krankengeld), käme die Frage gar nicht auf, ob länger zurückliegende Auslandsbeschäftigungen zu berücksichtigen seien."
An dieser Ansicht hält der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG fest. Sie ist auch zwischen den Parteien nicht umstritten.
d) Es bleibt die Frage, ob der Kläger in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 fiel oder nicht. Die Beklagte bestreitet dies unter Hinweis auf seine türkische Staatsangehörigkeit und unter Berufung auf ihre Geschäftsanweisungen (vgl. insoweit Nr. 1.1 Abs. 4 der GA "IntRecht Alv Schweiz", Stand 09/2012), der Kläger beruft sich dagegen auf eine Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80. Jener Beschluss war vom Assoziationsrat EWG/Türkei erlassen worden auf Grundlage des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei (Assoziierungsabkommen Türkei, "Ankara-Abkommen") vom 12.09.1963 (ABl. EWG Nr. 217 v. 29.12.1964, S. 3687 ff.). Der Senat schließt sich auch in diesem Punkt der Rechtsansicht des SG an.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurde die Konstellation, dass ein türkischer Staatsbürger, der (im dortigen Fall zumindest zeitweise) in Deutschland wohnte und im Ausland arbeitete und dann hier nahtlos nach dem Verlust seiner ausländischen Arbeitsstelle Alg beantragt hat, soweit ersichtlich nur in dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2000 (L 12 AL 125/98, veröffentlicht bei http://www.sozialgerichtsbar¬keit.de) behandelt. Dort hatte der Versicherte in den Niederlanden gearbeitet. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat zunächst dargelegt, dass der ARB 3/80 anwendbar sei, also der (dortige) Kläger in den persönlichen und der geltend gemachte Alt-Anspruch in den sachlichen Anwendungsbereich des Beschlusses fielen:
"Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gilt gem. ihrem Art. 2 Abs. 1 u.a. für Arbeitnehmer, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates sind. Dies ist beim Kläger zwar nicht der Fall. Er kann jedoch aufgrund von Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80, der auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützt ist, Gleichbehandlung mit EG-Bürgern beanspruchen. Gem. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 haben die Personen, die im Gebiet eines EWG-Mitgliedstaates wohnen, und für die der ARB 3/80 gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. ( ) Auch der sachliche Anwendungsbereich des ARB 3/80 ist eröffnet, weil dieser Beschluss nach seinem Art. 4 Abs. 1 g) für Leistungen der sozialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit gilt."
Im Weiteren hat sich das LSG Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen mit der Frage beschäftigt, ob der ARB 3/80 wirksam sei und in Deutschland geltendes Recht sei und ob er auch anwendbar sei, obwohl die für seine Durchführung notwendigen Begleitbestimmungen der EU-Organe (damals) noch nicht erlassen worden waren. Diese Frage hat das LSG bejaht:
"Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 ist eine geltende Rechtsnorm ( ). Der Senat sieht sich hierin bestätigt durch die Urteile des EuGH vom 30.09.1997 (SozR 3 6935 Nr. 3; und vom 04.05.1999 - Rs C 262/96 Sürül - in Inf. AuslR. 1999 324 ff.). Insbesondere im Urteil vom 04.05.1999 (Sürül) hat der EuGH ausgeführt, daß der Beschluss 3/80 auch ohne Durchführungsbestimmungen anwendbar sei. Dies gelte insbesondere für Personen, die gegen Arbeitslosigkeit pflichtversichert seien (Nr. 74, 78 und 79 des EuGH-Urteils). ( ) Der Senat folgert aus den ( ) Ausführungen des EuGH, daß ARB 3/80 unmittelbar geltendes Recht ist und ein türkischer Arbeitnehmer, der in Deutschland versicherungspflichtig gegen Arbeitslosigkeit versichert war, ( ) Anspruch auf Leistungen wie ein vergleichbarer deutscher Arbeitsuchender hat. Zwar verkennt der Senat nicht, daß das Urteil des EuGH zum Kindergeldrecht ergangen ist. Es werden jedoch keine gravierenden Unterschiede gesehen, die hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten vermag der Senat mit der vom Sozialgericht gegebenen Begründung nicht zu teilen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, bei Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 handele es sich nicht um eine Rechtsnorm. Zum einen fehle hierfür die Grundlage. Art. 12 des Assoziationsabkommens spare die Vorschrift des Art. 51 EWG-Vertrages, der ein System zur Sicherstellung sozialrechtlicher Ansprüche und Leistungen für Wanderarbeitnehmer vorsieht, ausdrücklich aus dem Assoziationsabkommen aus. Erst das Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen ermächtige in Art. 39 den Assoziationsrat, Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für türkische Wanderarbeitnehmer zu treffen. In Art. 39 Abs. 2 würden ausdrücklich jedoch keine Vorgaben für Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemacht. Es könne daher davon ausgegangen werden, daß der Assoziationsrat jedenfalls auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung nicht rechtssetzungsbefugt sei. Dies sei auch sinnvoll, weil die Türkei kein System der Arbeitslosenversicherung kenne und somit die in internationalen Verträgen sonst übliche Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei. Im Übrigen sei der Beschluss des Assoziationsrates nie in Kraft getreten, weil der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziierungsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates nie gefaßt habe.
Der Senat schließt sich mit dem Sozialgericht diesen Bedenken nicht an. Nach Art. 6 des Assoziierungsabkommens treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen und wird der Assoziationsrat im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind. Eine solche Zuweisungsnorm ist Art. 39 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen. Art. 39 Abs. 1 ermächtigt den Assoziationsrat generell, Bestimmungen für türkische Wanderarbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu treffen. Art. 39 Abs. 2 bis 5 enthalten Mindestanforderungen für den Inhalt dieser Bestimmungen, nicht aber - wie die Beklagte meint - abschließende Regelungen.
Die Anwendung des ARB 3/80 scheitert auch nicht daran, daß die Organe der EU bislang keine Bestimmungen zu seiner Anwendbarkeit erlassen haben. Zwar enthält Art. 2 Nr. 1 des Durchführungsabkommens (BGBl. II 1964 S. 558) die Vorschrift, daß die Anwendbarkeit der Beschlüsse des Assoziationsrates durch einstimmig gefaßte Beschlüsse des Rates nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen wird. Bei dem Durchführungsabkommen handelt es sich indes um eine Vereinbarung, die von den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedsstaaten der EG abgeschlossen wurde, ohne daß der andere Vertragspartner, die Türkei, hieran beteiligt war. Die Mitgliedsstaaten haben kein Mandat, wodurch sie einen völkerrechtlichen Beschluss des Assoziationsrates von weiteren Zustimmungen abhängig machen können ( ). Für diese Auffassung spricht auch die Rechtsprechung des EuGH, der hinsichtlich verschiedener anderer Beschlüsse des Assoziationsrates die unmittelbare Anwendbarkeit bejaht hat (EuGH v. 04.05.1999, a.a.O., m.w.N.).
Diese Rechtsfragen haben die Parteien des jetzigen Verfahrens nicht angeschnitten. Der Senat geht davon aus, dass die Gültigkeit des Beschlusses an sich nicht streitig ist. Der ausführlichen Begründung des LSG Nordrhein-Westfalen ist insoweit nichts hinzuzufügen.
Diskutiert wurde in dem jetzigen Verfahren nur noch die Frage, ob der ARB 3/80 mit der Formulierung in Art. 3 Abs. 1, die erfassten (türkischen) Arbeitnehmer hätten "die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates" auch Recht auf Grund europäischen Rechts umfasst, ob also konkret die VO 1408/71 eine "Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats" ist, hier konkret Deutschlands. Hierzu hat das LSG Nordrhein-Westfalen in dem Urteil vom 26.01.2000 nur ausgeführt:
"Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 enthält ein Gleichbehandlungsgebot auch hinsichtlich von Rechten, die aufgrund einer EWG-Verordnung eingeräumt werden. Zwar bezieht sich diese Regelung ihrem Wortlaut nach nur auf "Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates". Hierunter fallen jedoch auch Rechtsnormen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts, denn auch diese Normen sind Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung."
Auch dieser Rechtsmeinung schließt sich der Senat zumindest für die hier einschlägige Verordnung an. Verordnungen der Europäischen Union sind in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltendes Recht und genießen sogar einen Anwendungsvorrang vor etwaigen entgegenstehenden anderen nationalstaatlichen Vorschriften. Dies ergibt sich schon aus den einschlägigen Vorschriften des Primärrechts, heute Art. 288 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), früher Art. 249 Abs. 2, Art. 189 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft (EGV). Der EuGH hat die unmittelbare Geltung von Verordnungen in den Mitgliedsstaaten mit unmittelbarer Wirkung für und gegen die Bürger erstmals in seinem Urteil vom 14.12.1971 (C-43/71, Rs. "Politi", Juris) festgestellt und dort ausgeführt: "Die Wirkung, die den Verordnungen nach Artikel 189 EWG-Vertrag zukommt, steht der Anwendung aller – auch späteren – gesetzgeberischen Maßnahmen entgegen, die mit den Verordnungsbestimmungen unvereinbar sind." Diese Rechtslage, dass Verordnungen der Organe der EU unmittelbar in den Mitgliedsstaaten gelten, ist seitdem nicht bestritten worden. Danach lässt sich auch nicht sagen, es handle sich bei den Verordnungen weiterhin um EU-Recht und nicht "nationale Rechtsvorschriften" des Mitgliedsstaats im Sinne von Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80. Wenn eine europäische Verordnung in einem Mitgliedsstaat unmittelbar gilt und anderes nationales Rechts verdrängt, dass stellt sie das maßgebliche "nationale Recht" dar. Es ist unbestritten, dass EU-Recht, auch Sekundärrecht, mit seiner jeweiligen Reichweite als Verordnung, Richtlinie, Beschluss pp. (vgl. Art. 249 AEUV) Bestandteil der nationalen Rechtsordnung ist. Der ggfs. notwendige Rechtsanwendungsbefehl des deutschen Gesetzgebers (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG) liegt in den Zustimmungsgesetzen zum Primärrecht, im Übrigen ist Art. 23 Abs. 1 GG eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage für die Einbeziehung des EU-Rechts in die deutsche Rechtsordnung. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der ARB 3/80 nicht im Rahmen eines Abkommens allein zwischen Deutschland und der Türkei ergangen ist, sondern das Ankara-Abkommen ein (allerdings bilaterales) Abkommen zwischen der Türkei und der (damaligen) EWG im Ganzen ist. Wenn in einem Beschluss im Rahmen eines solchen Abkommens auf die "Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats" abgestellt wird, dann liegt der Gedanke fern, dass damit das in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltende EU-Recht nicht gemeint sei.
Dass die Schweiz am Ankara-Abkommen nicht beteiligt war und daher der ARB 3/80 für sie nicht gilt, ist - auch dies hat das SG zutreffend ausgeführt - irrelevant, da der Kläger die Gleichbehandlung mit einem Deutschen gegenüber Deutschland begehrt.
Hiergegen kann die Beklagte auch nicht mit ihrem Hinweis durchdringen, Art. 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 i.V.m. Anhang II VO 883/04 ordne die Weitergeltung des deutsch-schweizerischen Alv-Abk an (das in der Tat eine fiktive Bemessung zuließe). Damit ist nichts über den Anwendungsbereich dieses Abkommens gesagt. Jenes Abkommen behält seine praktische Relevanz für solche Grenzgänger, die weder die Staatsangehörigkeit eines EU-Staates besitzen noch die Staatsangehörige eines Staates sind, der im Rahmen eines Assoziationsabkommens insoweit einem EU-Staat gleichgestellt ist; dies sind zurzeit lediglich türkische Arbeitnehmer.
e) Weitere Einwände gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Beklagte nicht erhoben. Sie sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Tenor im Sinne eines Urteils mit einer Verurteilung dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) ausreichend bestimmt. Bei der Berechnung des Alg nach der Entscheidung des SG wird die Beklagte die gesetzlich vorgesehenen Umrechnungsvorschriften und ggfs. die Beitragsbemessungsgrenze zu beachten haben.
3. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision sieht der Senat nicht. Divergenz (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG) liegt nicht vor, nachdem sich der Senat der einzigen bekannten entsprechenden Entscheidung eines anderen Landessozialgerichts (LSG Nordrhein-Westfalen) anschließt. Und eine rechtliche Grundsatzbedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Die einzige in diesem Verfahren strittige Rechtsfrage, ob die VO 1408/71 eine "Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 sei, ist ohne weitere Schwierigkeiten aus den allgemeinen Grundsätzen über die Rechtsnatur von Verordnungen der Europäischen Union zu beantworten.
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