S 12 SB 223/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 223/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 185/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger beantragte am 30.09.2013 beim Beklagten die Feststellung eines GdB. Zur Begründung gab er an, er leide unter einem Impingement-Syndrom der rechten Schulter, einer Tendinitis des Musculus biceps brachii rechts (Entzündung der langen Bizepssehne), einer Partialruptur der Supraspinatussehne bei Zustand nach Operation, Läsion der Rotatorenmanschette rechts und (Zustand nach) arthroskopischer subacromialer Dekompression.

Der Beklagte holte Befundberichte des Allgemeinmediziner Dr. O und des Orthopäden Dr. E ein und wertete diese, zusammen mit Arztberichten des Sankt N und des Sankt B E durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, aufgrund Funktionsstörungen der rechten oberen Gliedmaße sei beim Kläger ein GdB von 10 festzustellen.

Mit Bescheid vom 03.12.2013 lehnte der Beklagte daraufhin die Feststellung eines GdB ab.

Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 17.12.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die beim Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere diejenigen am rechten Arm seien nicht sachgerecht bewertet worden. Allein der Umstand, dass am rechten Schultergelenk eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegung einerseits und ein Schmerzempfinden andererseits gegeben seien, ziehe einen GdB von mindestens 30 nach sich. Darüber hinaus leide der Kläger unter erheblichen Schlafstörungen und einer Konzentrationsschwäche. Schließlich bestünden neurologische Beeinträchtigungen dahingehend, dass er zittrige Hände habe. Den Widerspruch beigefügt war ein Entlassungsbericht der M betreffend den Aufenthalt des Klägers vom 13.11. bis 04.12.2013.

Der medizinische Dienst des Beklagten nahm hierzu erneut Stellung und führte aus, auch unter Berücksichtigung der im Rahmen der medizinischen Rehabilitation erhobenen Befunde komme ein höherer GdB als 10 nicht in Betracht. Im Rahmen der Abschlussuntersuchung seien rückläufige Schmerzen in Ruhe und Bewegung im Bereich des rechten Schultergelenks angegeben worden. Die Vorwärtsanhebung sei bis 140°, die seitliche Anhebung des rechten Arms im Schultergelenk bis 160° möglich gewesen. Neurologische Defizite seien nicht beschrieben worden, insbesondere kein andauerndes Zittern der Hände als Folge einer neurologischen Erkrankung. Die noch bestehende Restbeschwerdesymptomatik und Unmöglichkeit des Liegens auf dem operierten Schultergelenk sei mit dem bisher veranschlagten GdB angemessen berücksichtigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2014 wies die Bezirksregierung N den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 10.03.2014 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Zur Begründung hatte im Wesentlichen ausgeführt, die Beeinträchtigungen im Bereich des rechten Armes seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Es hätten sich hieraus auch Kopfschmerzen und psychisch bedingte Magenschmerzen ergeben. Der Kläger hat sich überdies auf ein Attest der Internistin M vom 19.02.2014 bezogen, wonach er unter einer schmerzhaften Funktionsstörung des rechten Schultergelenks leidet, sowie auf einen Bericht seines behandelnden Physiotherapeuten vom 07.03.2014.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichts des Neurologen und Psychiaters Dr. S, der den Kläger am 19.02.2014 untersucht und behandelt hat.

Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. L.

Hierzu hat der Kläger ausgeführt, die Gutachterin habe zu Unrecht in ihrem Gutachten eine Narbe am rechten Daumen beschrieben. Am rechten Daumen liege aber keinerlei Beeinträchtigung, weder durch eine Narbe in den Weichteilen noch in irgendeiner Form vor. Der rechte Daumen sei funktionstüchtig. Der Kläger habe darauf verwiesen, dass sein linker Daumen beeinträchtigt sei. Dies resultiere aus einer früheren Verletzung, die er in seinem Heimatland Mazedonien erlitten hatte, wobei der linke Daumen abgetrennt worden war und er dadurch eine erhebliche Bewegungseinschränkung habe. Der Kläger legte überdies eine gutachterliche Äußerung des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit Dr. K vor, wonach die Arbeitsbelastbarkeit des Klägers vorwiegend durch eine Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenks eingeschränkt werde. Aus arbeitsmedizinischer Sicht solle der Kläger zukünftig körperlich schwere Tätigkeiten meiden, insbesondere vom rechtsseitigen Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeiten körperlichen Zwangshaltungen, wie Überkopfarbeiten und Armvorhalten werde abgeraten. Durch diese Beeinträchtigungen seien die Aussichten des Klägers am Arbeitsleben teilzuhaben nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert. Der Beklagte hat schließlich ein Attest des Chirurgen Dr. L zu den Akten gereicht, bei dem sich der Kläger am 11.09.2014 vorgestellt hat. Dieser diagnostiziert einen Zustand nach Verletzung des linken Daumens, Zustand nach Strecksehnendurchtrennung des linken Daumens mit jetzt deutlicher Bewegungseinschränkung des linken Daumens (besonders Beugung des Daumens) und Verkürzung der Strecksehnen bzw. Verwachsungen. Bei der Fauststellung der Hand sei der linke Daumen gestreckt. In der dorsalen Seite des Grundgliedes sei eine Sensibilitätsminderung festzustellen. Die Narbe sei deutlich berührungsempfindlich.

Die Kammer hat sich hierauf hin die Gutachterin zu ergänzenden Stellungnahme aufgefordert. Dieser hat erklärt, dass in ihrem Gutachten bei der Beschreibung des klinischen Befundes der Daumen offensichtlich die Seiten vertauscht worden seien. Bei ihrer Untersuchung habe eine eingeschränkte Funktion des linken Daumengrundgelenks festgestellt werden können (- 20°), was der durch Dr. L beschriebenen Funktionseinschränkung entspreche, wobei dieser keine Winkelgrade angebe. Der Faustschluss, dass Fingerspreizen und der Fingerspitzgriff seien bei ihrer Untersuchung regelrecht durchgeführt worden, weswegen die von Dr. L nunmehr beschriebene Streckstellung des Daumens nicht nachvollziehbar sei. Darüber hinaus weise sie darauf hin, dass bei der Anamneseerhebung keinerlei diesbezügliche Klagen vorgetragen worden seien. Nach ihrer Auffassung sei aber, selbst wenn die beschriebene Funktionsstörung tatsächlich vorliege, hierfür höchstens ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen, was sich auf den Gesamtgrad der Behinderung nicht auswirke.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2015 hat der Kläger weiterhin die Auffassung vertreten, die gesunden Beeinträchtigungen, insbesondere auch die des linken Daumens seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die vom zu uns Beeinträchtigungen des Daumens seien mit den Wirkungen einer Amputation vergleichbar.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 03.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2014 aufzuheben und den GdB des Klägers mindestens mit 50 zu bewerten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt auf das Ergebnis der gerichtlichen Begutachtung Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Ihm steht derzeit kein höherer GdB als 10 zu, auf dessen Feststellung nach § 69 Abs.1 Satz 5 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) kein Anspruch besteht.

Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.

Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).

Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches LSG Urteil vom 18.06.2013 – L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67 ff.; Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2013 – L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.

Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die bei dem Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht die Feststellung eines GdB von mehr als 10 rechtfertigen.

Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter

1. Funktionsstörung des rechten Schultergelenks nach operativer Behandlung eines Sehnenengpasszustandes und einer operativen Korrektur der langen Bizepssehne 2. Zustand nach Verletzung mit Strecksehnendurchtrennung des linken Daumens 3. Hämorrhoidalleiden 4. Narbe nach operativen Behandlung eines eingewachsenen Großzehennagels

Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte, sowie des Gutachtens der Frau Dr. L fest. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat – nachdem die zunächst offensichtlich stattgefundene fehlerhafte Beschreibung des rechten bzw. des linken Daumens durch die Sachverständige eingeräumt und korrigiert worden ist, keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Soweit der Kläger sich auf das Attest von Dr. L und die Feststellungen des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit bezieht, ergeben sich solche substantiierten Einwände nicht (dazu unten).

Für das Funktionssystem der oberen Extremitäten ist gemäß Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinische Grundsätze insgesamt ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.

Im Rahmen der Untersuchung zeigte sich die Schultergürtelmuskulatur regelrecht entwickelt. Auch die Muskulatur der oberen Extremitäten war seitengleich und gut entwickelt. Erkennbare Umfangsdifferenzen fanden sich nicht. Hautfarbe und Temperatur waren seitengleich. Der Nacken- und Schürzenbindeglieder waren rechts eingeschränkt, die Mittellinie wurde aber erreicht. Links waren sie frei. Der Impingementtest nach Neer war auf beiden Seiten negativ (vgl. dazu Buckup/Buckup, Klinische Tests an Knochen, Gelenken und Muskeln, 5. Aufl. 2012, S. 122). Bei der weiterführenden passiver Bewegungsprüfung wurden Schmerzen angegeben. Die Beweglichkeit des rechten Arms seitwärts/körperwärts wurde mit 160°/0°/30°, die des linken mit 180°/0°/30° ermittelt, die Bewegung rückwärts/vorwärts rechts mit 30°/0°/120° und links mit 40°/0°/150°, das auswärts/einwärts Drehen mit anliegendem Arm rechts mit 30°/0°/90° und links mit 50°/0°/95° und mit 90° abgewinkelten Oberarm rechts mit 70°/0°/0° und links mit 70°/0°/70°. Die Schulterbeweglichkeit rechts ist damit zwar eingeschränkt, allerdings nicht in wesentlichem Umfang (vgl. zur normgerechten Beweglichkeit des Schultergelenks, Buckup/Buckup, a.a.O., S 95). Die Beweglichkeit der Ellenbogen- und Handgelenke sowie der Unterarme war altersentsprechend normgerecht (vgl. dazu Neurath/Lohse, Anamnese und klinische Untersuchung, 3. Aufl. 2010, S 322 ff.). Die Gutachterin kommt damit in etwa auf die gleichen Werte, wie diese bereits bei Ende der Rehabilitationsmaßnahme Ende 2013 ermittelt worden waren. Neurologische oder psychische Auffälligkeiten finden sich beim Kläger ebenfalls nicht, wie der Befundbericht des Dr. S ergibt, der im Rahmen des Verfahrens eingeholt wurde. Entsprechend den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich des Schultergürtels) bei Armhebung nur bis 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10 zu bewerten. Eine besondere Schmerzsymptomatik ist beim Kläger nicht objektiviert, so dass die Kammer – in Übereinstimmung mit der Gutachterin Dr. L – keinen höheren GdB für angemessen erachtet. Die Tatsache, dass der ärztliche Gutachter der Bundesagentur für Arbeit Einschränkungen des Klägers in der Arbeitsbelastung feststellt, führt ebenfalls nicht zu einer höheren Bewertung. Es geht vorliegend um die objektivierten Auswirkungen, wobei gemäß Teil A Ziffer 2 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze der GdB unabhängig vom ausgeübten Beruf zu beurteilen ist. Ein besonderes berufliches Betroffensein ist im Schwerbehindertenrecht unbeachtlich.

Der Kläger leidet darüber hinaus im Bereich der oberen Extremitäten unter Bewegungseinschränkungen des linken Daumens. Diese Gedanken strich dies steht zur Überzeugung der Kammer fest – sind aber ebenfalls höchstens mit einem GdB von 10 zu bewerten. In diesem Zusammenhang ist nach Auffassung der Kammer zum einen zu berücksichtigen, dass die behaupteten Schwierigkeiten am linken Daumen erstmalig vom Kläger angeführt worden sind, nachdem für diesen ersichtlich wurde, dass die bestehenden Probleme im Bereich der Schulter keinesfalls geeignet sind, den vom Kläger begehrten Grad der Behinderung von 50 auch nur annähernd zu begründen. Im gesamten Verwaltungsverfahren, insbesondere auch bei Antragstellung stand allein die Schulterproblematik im Vordergrund. Es waren zunächst auch keine Arztberichte oder Behandlungen erkennbar, die die vom Kläger geschilderten Probleme im Bereich des Daumens objektivierten. Soweit der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung hat vortragen lassen, der Daumen sei aufgrund gleichsam elektrifizierender Schmerzen ohne Funktion und daher vergleichbar mit der Situation nach einer Amputation, finden sich hierfür keine hinreichenden objektivierenden Anhaltspunkte. Beim Kläger besteht zweifellos seit Langem ein Zustand nach Sehnendurchtrennung im Bereich des linken Daumens. Im Rahmen der Rehabilitation in der Lahntalklinik wurde noch Ende 2013 im Entlassungsbericht festgehalten, die Hand sei funktionell orientierend unauffällig. Auch gegenüber dem Neurologen Dr. O wurden Angaben über elektrischeren Schmerzen offenbar nicht gemacht, jedenfalls wurden entsprechende neurologische Befunde nicht erhoben. Im Rahmen der Untersuchung durch Frau Dr. L gab der Kläger im Rahmen der Eigenanamnese an, er habe sich vor vielen Jahren eine Verletzung an dem Daumen zugezogen. Die Gutachterin beschrieb hier auch eine Beeinträchtigung der Beweglichkeit im Grundgelenk (0°/0°/30°) sowie im Endgelenk (10°/0°/40°). Soweit im ursprünglichen Gutachten zunächst diese Beeinträchtigung im rechten Daumen zugeschrieben wurden, hat die Gutachterin dies zwischenzeitlich korrigiert. Der andere Daumen war unauffällig. Im Übrigen beschrieb die Gutachterin aber bei beiden Händen, dass der Faustschluss, dass Fingerspreizen und der Fingerspitzgriff ungehindert waren. Auch die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der C macht keine Angaben hinsichtlich einer etwaigen Problematik im Bereich der Hände, vielmehr geht es dort ausschließlich um die Beeinträchtigung der Schulter. Erstmalig sucht der Kläger im September 2014 den Chirurgen Dr. L auf, der feststellt bei der Fauststellung der Hand bleibe der linke Daumen gestreckt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Krankheitsgeschichte liegt nach Auffassung der Kammer insoweit durchaus der Verdacht einer Aggravation durch den Kläger nahe. Dies vor allem auch deshalb, weil auch die Gutachterin Dr. L die von Dr. L beschriebene Situation für nicht nachvollziehbar hält. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass zwischenzeitlich eine entsprechende weitergehende Funktionsbeeinträchtigung des Daumens vorliegt, so teilt die Kammer die Auffassung von Frau Dr. L, dass insoweit höchstens eine Analogie zu einer Versteifung eine Daumengelenks in günstiger Stellung zu ziehen ist, welche entsprechende Vorgaben der Versorgungsmedizinische Grundsätze mit einem GdB von 0-10 zu bewerten wäre. Dieser erhöhte den GdB für das Funktionssystem der oberen Extremitäten nicht. Eine Vergleichbarkeit mit dem vollständigen Verlust des Daumens ist nach Auffassung der Kammer keinesfalls gerechtfertigt.

Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die einen GdB von mehr als 10 bedingten sind beim Kläger nicht objektiviert. Soweit der Kläger gegenüber Frau Dr. L angegeben hat, er leide ständig an Kopfschmerzen, was nach Aussage seiner Physiotherapeutin von der Wirbelsäule und von den Armen und Schulter, ist eine entsprechende Behandlung des Klägers nicht nachgewiesen. Im Übrigen erweist sich die Wirbelsäule bei der Untersuchung durch die Gutachterin als weitgehend altersentsprechend normgerecht, wie im Übrigen auch schon im Rahmen der Ende 2013 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme (vgl. zu den normgerechten Bewegungsausmaßen nach Neutral-Null Buckup/Buckup, a.a.O., S. 23). Dies gilt insbesondere auch für die Halswirbelsäule. Bei der Untersuchung durch Dr. L zeigten sich die paravertebrale Halsmuskulatur und die Schultermuskulatur weich, kräftig ausgebildet und nicht druckschmerzhaft und nicht verspannt.

Soweit der Kläger angibt unter Magenproblemen zu leiden, hat nach eigenen Angaben eine einmalig durchgeführte Magenspiegelung kein Ergebnis gebracht. Es sei ihm geraten worden auf Kaffee und harte Speisen zu verzichten. Darüber hinaus nimmt er nach eigenen Angaben Omeprazol ein. Dies ist nach Auffassung der Kammer, wie auch die gegenüber der Gutachterin angegeben Einschlaf- und Durchschlafstörungen eher Ausdruck der beim Kläger von dessen Hausarzt beschriebenen sog. "vegetative Dystonie", als einer somatischen Erkrankung im Sinne von Teil B Ziffer 10.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Durch diesen - freilich sehr unscharf definierten – Begriff der "vegetativen Dystonie" (vgl. dazu etwa Bräutigam/Christian/von Rad, Psychosomatische Medizin, 6. Aufl. 1997, S. 378 ff.; Widder/Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie, 2. Aufl. 2011, S 415; Sturm et. al. [Hrsg.], Hausärztliche Patientenversorgung, 2006, S. 127 sprechen von "Pseudodiagnose") wird nach Auffassung der Kammer deutlich, dass beim Kläger neben den körperlichen Beeinträchtigungen auch psychosomatische Beschwerden vorliegen, die sich allerdings insgesamt gemäß Teil B Ziffer 3.7 als leichte psychovegetative Störungen darstellen. Wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sind keinesfalls objektiviert. Beim Kläger findet auch keine spezifische Behandlung, so dass nach Auffassung der Kammer auch insoweit – bei überdies bestehenden Überschneidungen zu den somatischen Beschwerden – ein GdB von mehr als 10 auch insoweit nicht in Betracht kommt (vgl. dazu etwa Nieder/Losch/Thomann, Behinderungen zutreffend einschätzen und begutachten, 2012, S. 89).

Das in der Vergangenheit operativ behandelte Hämorrhoidalleiden bedingt gemäß Teil B Ziffer 10.2.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze keinen GdB. Das Gleiche gilt für die Narbe nach operativer Behandlung eines eingewachsenen Großzehennagels. Auch insoweit sind keine Beeinträchtigungen objektiviert, die gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB rechtfertigen könnten.

Ausgehend von den objektivierten Beeinträchtigungen ist bei dem Kläger für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 10 in Ansatz zu bringen.

§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).

Im vorliegenden Fall sind beim Kläger insgesamt nur Beeinträchtigungen objektiviert, die allesamt keinen GdB von mehr als 10 rechtfertigen. GdB von 10 wirken sich regelhaft nicht erhöhend auf den Gesamt- GdB aus. So auch im vorliegenden Fall. Damit beträgt der Gesamt-GdB des Klägers, wie vom Beklagten in den angefochtenen Bescheiden festgestellt – insgesamt 10.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved