S 27 KA 76/15 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
27
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 27 KA 76/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Beschluss der Antragsgegnerin vom 25.3.2015 herzustellen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 88.113,21 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Antragstellerin (Ast.) begehrt mit ihrem Antrag vom 27.5.2015 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 18.5.2015 gegen den Beschluss des Antragsgegners (Ag.) vom 25.3.2015.

Mit Beschluss vom 25.3.2015 hat der Ag. den Widerspruch der Ast. gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 3.12.2014 zurückgewiesen und dem Beigeladenen zu 1 mit vollem Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung mit Vertragsarztsitz H. ab 26.3.2015 zugelassen. Mit Beschluss vom 25.3.2015 hat der Ag. die sofortige Vollziehung angeordnet, weil eine zügige Nachfolge in die unbesetzte, in eine Zulassung umgewandelte Stelle im öffentlichen Interesse liege. Trotz Überversorgung im Planungsbereich H. betrage der Versorgungsgrad bei Frauenärzten in Verwaltungsbezirk B. nur 71,32% (Stand: 1.7.2014). Die ungleichmäßige Verteilung von Frauenärzten führe dazu, dass eine längere Vakanz bei dieser Facharztgruppe im Verwaltungsbezirk B. unter Versorgungsgesichtspunkten vermieden werden müsse. Interessen der Ast. stünden der sofortigen Vollziehung nicht entgegen. Ob diese überhaupt ein schützenwertes Interesse daran habe, dass der Beigeladene zu 1 nicht bereits vor bestandskräftiger Zulassung als Vertragsarzt tätig werde, erscheine zweifelhaft. Jedenfalls blieben die Chancen der Ast. nach erfolgreicher Klage anstelle des Beigeladenen zu 1 zugelassen zu werden, von dessen bis dahin ausgeübter vertragsärztlicher Tätigkeit unberührt.

Mit ihrem Antrag vom 27.5.2015 macht die Ast. geltend, es lägen keine Gründe vor, die einen sofortigen Vollzug rechtfertigten. Unter Hinweis auf einen Versorgungsgrad von 91% und nicht 71,32% laut KV-Journal 5/2014 erklärt die Ast., der Ag. begründe nicht, worin das öffentliche Interesse tatsächlich liegen solle. Sie habe schon im einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses Erfolg gehabt, weil auch dort das öffentliche Interesse nicht begründet worden sei. Sie verweise auf die ausführliche Darstellung im Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 9.3.2015 (Az. S 3 KA 16/15 ER).

Ergänzend trägt sie vor, Versorgungskontinuität setze voraus, dass tatsächlich eine Praxis noch bestehe. Das sei hier nicht der Fall. Bis Juli 2014 sei die ursprüngliche Arztstelle nicht besetzt gewesen. Seit der Rückumwandlung in einen Vertragsarztsitz seien bisher weitere zehn Monate vergangen. Demnach sei seit nunmehr 1 ½ Jahren keine gynäkologische Versorgung der Patienten an der Stelle des ursprünglichen M. GmbH mehr betrieben worden, ohne das die gynäkologische Versorgung beeinträchtigt gewesen sei. Es werde auch ein unzulässiger Handel mit Zulassungen betrieben, weil keine Sachwerte übertragen werden könnten und der Verkehrswert der Praxis gleich null sei. Es fehle also an allem, was zu einer existierenden Praxis gehöre. Schließlich werde die Praxis auch nicht in den bisherigen Räumen weitergeführt. Auf ein überwiegendes Interesse des Beigeladenen zu 1 komme es nicht mehr an. Somit scheide das Merkmal "überwiegendes Interesse" in jedem Fall aus.

Die Ast. beantragt, die durch den Bescheid der Ag. vom 25.3.2015, zugestellt am 18.4.2015, angeordnete sofortige Vollziehung der Zulassung des Beigeladenen zu 1 zur vertragsärztlichen Versorgung und der damit verbundenen Ablehnung ihrer Zulassung bis zu einer Entscheidung über ihre anhängige Klage auszusetzen und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Der Ag. beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Zur Begründung führt er aus, der Antrag dürfte unzulässig sein, weil die Ast. des einstweiligen Rechtsschutzes nicht bedürfe. Mit der sofortigen Vollziehung von den Zulassungsgremien getroffenen Auswahl- und Zulassungsentscheidung werde das Interesse – zunächst – erfolgloser Mitbewerber anstelle des ausgewählten Bewerbers zu gelassen zu werden nicht beeinträchtigt. Letzterer könne nur vorläufig und – abhängig vom Ausgang des Konkurrentenstreitverfahrens – möglicherweise nur vorübergehend vertragsärztlich tätig werden. Es sei nicht ersichtlich, dass und wie dies die Interessen der Ast. beeinträchtige. Der noch nicht bestandskräftig zugelassene Vertragsarzt müsse dem zunächst unterlegenen Konkurrenten weichen, sobald dieser sich in einem Rechtsstreit durchgesetzt habe.

Der Antrag sei auch unbegründet. Zutreffend sei ein Versorgungsgrad von 71,32% (Stand 1.7.2014 nach dem von der Beigeladenen zu 6 vorgelegten Zahlenmaterial) bei Frauenärzten im Bezirk B. zu Grunde gelegt worden. Das Zahlenmaterial des von der Ast. zitierten Artikels gebe nicht die aktuelle Versorgungssituation wieder, sondern beruhe auf dem Stand vom 25.4.2013. Bei einem Versorgungsgrad von 71,32% liege es im öffentlichen Interesse an einer bedarfsgerechten, flächendeckenden, wohnortnahen Versorgung mit frauenärztlichen Leistungen freiwerdende Stellen / Sitze zügig wieder zu besetzen und nicht bis zum bestands-/rechtskräftigen Abschluss möglicherweise langwieriger Konkurrentenstreitigkeiten abzuwarten. Im Übrigen sei die Klage aussichtlos. Die spätere Eintragung der Ast. in die Warteliste lasse bei Gleichstand aller übrigen, hier einschlägigen Auswahlkriterien keine Entscheidung zu Gunsten der Ast. zu. Ganz davon abgesehen, falle es schwer, der nahezu 70jährigen Ast., die vor vier Jahren auf ihr Zulassung verzichtet und ihre Praxis verkauft habe, ein ernsthaftes längerfristiges eigenes Interesse an nochmaliger vertragsärztlicher Tätigkeit mit vollem Versorgungsauftrag abzunehmen.

Mit Beschlüssen vom 28.5.2015 hat das Gericht die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen ausgesprochen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Prozessakten der Kammer und der Verwaltungsakte des Ag. Diese haben vorgelegen. II. Mit dem Ag. teilt die Kammer die Bedenken, ob die Ast. überhaupt des einstweiligen Rechtsschutzes bedarf. Ein entsprechendes eigenes Rechtsschutzinteresse bzw. welche ihrer eigenen Interessen durch die noch nicht bestandskräftige Zulassung des Beigeladenen zu 1 zur vertragsärztlichen Versorgung beeinträchtigt sein sollen, hat die Ast. jedenfalls nicht dargelegt.

Entgegen ihrer Auffassung reicht es jedenfalls auch nicht aus, wenn sich die Ast. auf den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 9.3.2015 beruft. Hier war lediglich deshalb die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet worden, weil der Zulassungsausschuss in seinem Beschluss keinerlei Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben hatte.

Die vom Ag. gegebene Begründung genügend den Anforderungen des § 86 a Abs.2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Ag. hat im Beschluss schriftlich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung begründet. Anders als die Ast. es darstellt, geht es nicht um Versorgungskontinuität in Bezug auf den hier in Streit stehenden Vertragsarztsitz, sondern um die Versorgungssituation im Bezirk B ... Bei einem aktuellen Versorgungsgrad von 71,32% liegt es auch nach Überzeugung der Kammer im öffentlichen Interessen an einer bedarfsgerechten, flächendeckenden, wohnortnahen Versorgung mit frauenärztlichen Leistungen, wenn freigewordene, auch über einige Zeit nicht besetzte Stellen / Vertragsarztsitze wieder besetzt werden, wenn auch zunächst nur vorläufig.

Im Hauptsacheverfahren wird dann zu klären sein, ob im Sinne der Versorgungskontinuität für die Versicherten einer nahezu 70jährigen Bewerberin der Vorzug vor dem zunächst vom Ag. zugelassenen Bewerber zu geben ist.

Der Antrag war nach alledem abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt, so dass ihre Kosten nicht für erstattungsfähig zu erklären waren. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 Satz 1 und §§ 53 Abs. 2 Nr.4, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz und orientiert sich am Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit (Abschnitt C IX. 18.2). Auf die Begründung im Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 9.3.2015 wird mit der Maßgabe verwiesen, dass hier von einer voraussichtlichen Dauer eines Klageverfahrens von einem Jahr ausgegangen worden ist.
Rechtskraft
Aus
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