L 5 KR 101/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KR 550/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 101/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Beendigung des Krankengeldanspruches bei AUB-Lücke in fortbestehendem Arbeitsverhältnis
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Februar 2012 sowie der Bescheid vom 19. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Mai 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum 17. Februar bis 29. Oktober 2008 Krankengeld zu gewähren soweit Arbeitsunfähigkeit jeweils belegt ist.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Krankengeld in der Zeit 17.2.2008 bis 29.10.2008.

1. Die 1984 geborene Klägerin seit 2003 war aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Verkäuferin bei der Firma E. SB-Warenhausgesellschaft Südbayern mbH gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Vergleichs des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 9.12.2008 wegen einer ordentlichen personenbedingten Arbeitgeberkündigung zum 31.12.2008 bei Freistellung der Klägerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bei Arbeitsentgeltbezug in der Zeit vom 30.10. bis 31.12.2008.

Während der Beschäftigung erkrankte die Klägerin am 13.8.2007 wegen Suchterkrankung (Valoron/Tildin) und Persönlichkeitsänderung, psychische Verhaltensstörungen Eisenmangelanämie sowie Neuralgie arbeitsunfähig und bezog nach Ende der Entgeltfortzahlung ab 16.9.2007 von der Beklagten Krankengeld. Erstmals beendete die Beklagte auf Grund einzeiliger handschriftlicher Notiz des MDK vom 2.1.2008 mit Schreiben vom gleichen Tag den Krankengeldbezug zum 14.1.2008. Dagegen erhob die Klägerin unter Bezugnahme auf weitere ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) Widerspruch. Die Beklagte verlängerte daraufhin mit Bescheid vom 24.1.2008 den Krankengeldbezug bis 1.2.2008 und teilte mit, sie gehe von einer Arbeitsaufnahme am 2.2.2008 aus. Nach Vorlage weiterer AUB änderte die Beklagte ihre Entscheidung mit Bescheid vom 8.2.2008 ab und bewilligte Krankengeld nunmehr bis 11.2.2008, wobei sie auch in dieser Entscheidung von einer Arbeitsaufnahme ab dem Folgetag ausging.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Stellungnahme des MDK (22.2.2008) ein und hob der dortigen Einschätzung folgend mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 19.2.2008 den Bescheid vom 8.2.2008 auf unter Bewilligung von Krankengeld bis 16.2.2008. Das Mitgliedschaftsverhältnis der Klägerin führte die Beklagte in der Folgezeit als freiwillige Versicherung weiter.

Gegen die Versagung von Krankengeld ab 17.2.2008 erhob die Klägerin Widerspruch und legte weitere AUBen sowie ärztliche Atteste vor. Nach Einholung einer weiteren Arbeitsunfähigkeit verneinenden Stellungnahme des MDK (11.4.2008) wies die Beklagte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9.5.2008 zurück.

2. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München hat die Klägerin Krankgengeldzahlung über den 16.2.2008 hinaus beantragt und sich zur Begründung namentlich auf ein Attest des behandelnden Arztes Dr. F. bezogen, der unter dem 9.4.2008 ausgeführt hat, insbesondere wegen der Unterleibschmerzen der Klägerin bestehe AU, eine Aussage zum Ende der AU sei derzeit nicht möglich.

Das Sozialgericht hat den medizinischen Sachverhalt ermittelt und insbesondere die einschlägigen ärztlicher Befund- und Behandlungsberichte beigezogen sowie ein eines internistischen Sachverständigengutachten des Dr. B. (21.4.2009), der Arbeitsunfähigkeit zunächst verneint hat, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten der Dr. M. (31.7.2009), welche Arbeitsunfähigkeit verneint hat sowie ein ergänzendes Gutachten des Dr. B. vom 14.10.2009 eingeholt. Dieser hat dort zuletzt ausgeführt, dass die verschiedenen Gesundheitsstörungen durch gegenseitige Wechselwirkung zu einem nicht unerheblichen Krankheitsgefühl geführt hätten. Arbeitsunfähigkeit nach dem 16.2.2008 erscheine deshalb gerechtfertigt.

Mit Urteil vom 14.2.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nach Ende des Krankengeldanspruches zum 16.2.2008 als freiwillige Versicherte gemäß § 9 Abs. 1 Nummer 1 SGB V ohne Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit fortgedauert hätte, scheitere ein Krankengeldanspruch an der bestehenden Lücke, weil erst am 19.2.2008 eine Anschluss-AUB ausgestellt worden sei.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt zur Weiterverfolgung ihres Begehrens. Auf Anforderung der Mitgliedschaftsakten, welche das Entstehen der freiwilligen Versicherung der Klägerin aufklären sollte, hat die Beklagte mitgeteilt, die Akten seien vernichtet.

Die Klägerin beantragt,

dass Urteil des Sozialgerichts München vom 14.2.2012 sowie den Bescheid vom 19.2.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen der Klägerin Krankgeld über den 16.2.2008 hinaus bis 29.10.2008 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Beklagtenakten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Instanzen wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG) und begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 19.2.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Krankengeld über den 16.2.2008 hinaus bis 29.10.2008, soweit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt sind. Denn die Klägerin war über den 16.2.2008 hinaus gesetzlich mit Anspruch auf Krankgengeld versichertes Mitglied der Beklagten.

1. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte u.a. dann Anspruch auf Krankengeld, wenn sie mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert und wenn sie arbeitsunfähig sind. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (BSG, Urteil vom 4.3.2014 - B 1 KR 17/13 R, Rn. 13 mwN - zitiert nach juris). Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld bei ambulanter Behandlung - wie hier - von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt. Wird Krankengeld wegen ärztlich festgestellter AU begehrt, ist für den Umfang des Versicherungsschutzes der Tag maßgeblich, der dem Tag der AU-Feststellung folgt. Nach der gesetzlichen Regelung ist § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V keine bloße Zahlungsvorschrift. Ein Krankengeld-Anspruch entsteht gemäß § 44 SGB V nicht allein durch Eintritt von AU (BSG, aaO, Rn. 14; vgl. auch die Entscheidungen BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 31/14 R; B 1 KR 35/14 R; B 1 KR 37/14 R; B 1 KR 25/14 R; B 1 KR 19/14 R).

2. In Würdigung der vorgelegten medizinischen Dokumentation, der Stellungnahmen und Gutachten des MDK sowie der erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten des Dr. B. und des Gutachtens der Dr. M. steht fest, dass bei der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum eine Suchterkrankung bei Tilidinabhängigkeit und Nikotinabhängigkeit nachgewiesen war, Anhaltspunkte für den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung mit nicht klar zu definierenden Unterbauchstörungen bestanden, eine normozytäre Anämie bestand ebenso wie eine allergische Diathese und eine polyvalente Bronchitis. Diese Erkrankungen werden auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

In Wechselwirkung dieser Erkrankungen bestand nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. B. entsprechend den AUB der behandelnden Ärzte auch Arbeitsunfähigkeit. Dem schließt sich der Senat an. Denn das Gutachten des Dr. B. deckt alle Gesichtspunkte ab, auf die es für den Anspruch auf Krankengeld ankommt und wertet zutreffend gewichtend die vorliegenden Wechselwirkungen der verschiedenen Erkrankungen der Klägerin. Der Sachverständige listet die Beurteilungsquellen, insbesondere die Aktenlage, die Vorbefunde und -gutachten, erhebt die krankengeldrelevante Anamnese, dokumentiert die Vorgehensweise der Gutachtenserstellung und beantwortet die gestellten AU-bezogenen Beweisfragen mit medizinischer Begründung der gefundenen Einschätzung.

3. Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung war die Klägerin im strittigen Zeitraum auch mit Anspruch auf Krankengeld versichert, so dass ihr entsprechend der Vorlegung ärztlicher AUB Krankengeld zuzusprechen ist.

Die Klägerin war zunächst bis Sommer 2007 aufgrund Beschäftigung bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 44 SGB V). Diese Mitgliedschaft bestand danach wegen des Bezuges von Krankengeld gem. § 192 SGB V fort und blieb nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V unstrittig jedenfalls bis 16.2.2008 erhalten. Dass ab 17.2.2008 eine - wie erstinstanzlich ohne Tatsachenbezug sowie ohne Sachaufklärung unterstellt - freiwillige Versicherung ohne Anspruch auf Krankengeld bestanden hätte (§ 188 Abs. 4 SGB V) lässt sich nicht feststellen. Denn dieses Versicherung steht in Konkurrenz zum nachlaufenden Versicherungsschutz gem. § 19 Abs. 2 SGB V. Dieser wird - auch von der Auffangversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGBV in den Fällen des § 5 Abs. 8a Satz 4 SGB V - nur unter folgender Voraussetzung verdrängt: Am letzten Tag der bisherigen Mitgliedschaft - hier also am 16.2.2008 - ist bei prognostischer Betrachtung nicht zu erkennen, dass die Betroffenen spätestens nach Ablauf eines Monats nach dem Ende der bisherigen Mitgliedschaft eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen werden (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 - B 1 KR 19/11 R, USK 2012-31, sowie Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 68/12 R, USK 2014-2). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Denn das Arbeitsverhältnis der Klägerin war erst zum 31.12.2008 beendet worden. Auch die Beklagte selbst war vom fortbestehenden Arbeitsverhältnis ausgegangen, als sie in den Bescheiden vom 28.1.2008 sowie vom 8.2.2008 ausdrücklich eine Arbeitsaufnahme nach Ende der AU benannt hat. Damit stand auf Seiten der Klägerin für den Fall der Beendigung der AU sowie der auf Krankengeld bezogenen Mitgliedschaft gem. § 192 SGB V eine Absicherung im Krankheitsfall als Beschäftigte gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zu Gebote. Dass diese Absicherung im Krankheitsfall von einer freiwilligen Versicherung verdrängt wäre könnte allenfalls mit Hilfe der Versichertenakten der Beklagten festgestellt werden. Diese Akten aber hat die Beklagte vernichtet, obgleich der Anspruch auf Krankengeld, welcher insbesondere wegen der Regelungen in § 44 Abs. 2 SGB V vom Mitgliedschafts- und vom Versicherungsverhältnis abhängig ist, seit 4.6.2008 Gegenstand der Klage vor dem Sozialgericht München war. Die Unaufklärbarkeit der Umstände der freiwilligen Versicherung darf daher nicht zu Lasten des Krankengeldanspruches der Klägerin gehen. 4. Damit ist der Klägerin der strittige Krankengeldanspruch entsprechend den vor Ablauf der Frist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V vorgelegten AUBen zuzusprechen für die Zeit über den 16.2.2008 hinaus, in der die Ausführungen gem. Ziff. 3 gelten. Dies ist namentlich der Fall für einen Krankengeldanspruch auf Grund der AUBen des Dr. S. vom 19.2.2008 (ab dem Folgetag bis 23.2.2008), der Dr. D. vom 25.2.2008 (ab dem Folgetag bis 1.3.2008), der Dres. H. vom 5.3.2008 (bis 8.3.2008), des Dr. S. vom 11.3.2008 (ab dem Folgetag bis 15.3.2008), auf Grund der Krankenhausbehandlung im Klinikum P. am 14.3.2008 (§ 46 Satz 1 Nr 1 SGB V), auf Grund der AUBen des Dr. S. vom 18.3.2008 (dem Folgetag bis 22.3.2008), der Dr. H. vom 26.3.2008 (dem Folgetag bis 29.3.2008), des Dr. F. vom 27.3.2008 (bis 5.4.2008 - überlappend mit AUB des Dr. S. vom 1.4.2008). Daran anschließend begründet das erstinstanzlich mit der Klage vom 4.6.2008 vorgelegte Attest des Dr F. vom 9.4.2008 innerhalb der Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld ab Zugang bei der Beklagten. Dass diese Bescheinigung nicht auf einem Formblatt ausgestellt ist bleibt für den Anspruch auf Krankengeld ohne Belang, weil § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nur eine ärztliche Feststellung vorschriebt, nicht aber deren Form. Da Dr. F. eine Aussage zum Ende der AU als nicht möglich angesehen hat und diese Einschätzung mit überzeugenden Feststellungen von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. B. geteilt wird, endet der entsprechend begründete Anspruch der Klägerin erst mit der Vorlage der nächsten AUB. Dies ist nach den im vorliegenden Verfahren dem Gericht bekanntgegebenen AUBen spätestens mit der AUB des Dr. D. vom 9.9.2008 (mit weiterem Krankengeldanspruch ab dem Folgetag bis 16.9.2008) geschehen. Ob eine AUB ohne Aussage zum Ende der AU wegen des Rechtsgedankens in § 42 SGB VI spätestens nach sechs Monaten ihre Wirkung verliert, braucht daher nicht entschieden zu werden. Sollte die Klägerin in strittigen Zeitraum der Beklagten weitere AUBen vorgelegt haben, die aber dem Gericht nicht zugänglich gemacht wurden, steht der Klägerin ein entsprechend zu behandelnder Leistungsanspruch zu. Auf die Berufung waren somit die ergangenen Entscheidungen aufzuheben und die Beklagte zur Bewilligung von Krankengeld zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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