L 3 SB 276/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 449/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 276/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers im Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der am 11.12.1949 geborene Kläger beantragte am 26.04.2011 unter Beifügung diverser Arztbriefe die Feststellung seines GdB. Der Allgemeinmediziner Dr. A. führte unter Beifügung weiterer Arztbriefe in seinem Befundbericht vom 12.07.2011 aus, der Kläger leide an Depressionen mit Schwindel, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen, an Kniegelenksbeschwerden und einem paroxysmalen Vorhofflimmern mit bradykarden Herzrhythmusstörungen. Dr. B. berücksichtige in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.07.2011 als Funktionsbeeinträchtigungen eine depressive Verstimmung und psychovegetative Störungen mit einem Einzel-GdB von 20, eine Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks mit Knorpelschäden mit einem Einzel-GdB von 20, eine Herzrhythmusstörung mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine Wirbelsäulenverformung mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Auf weitere Anfrage des Beklagten führte Dr. A. unter dem 18.08.2011 aus, die Erkrankungen des Klägers bestünden seit 2008. Dr. B. hielt in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.08.2011 an der bisherigen Bewertung fest. Mit Bescheid vom 20.09.2011 stellte der Beklagte den GdB des Klägers mit 30 seit 01.03.2008 fest.

In seinem hiergegen eingelegten Widerspruch führte der Kläger unter anderem aus, seine Beschwerden im linken Kniegelenk und eine erhebliche Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks seien bislang nicht berücksichtigt worden. Leistungssportliche Aktivitäten und handwerklich-künstlerische Hobbys seien nicht mehr durchführbar. Er fügte diverse ärztliche Unterlagen bei. Dr. C. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.11.2011 als zusätzliche Funktionsbeeinträchtigung eine Funktionsbehinderung des linken Handgelenks mit einem Einzel-GdB von 20 und bewertete den Gesamt-GdB nunmehr mit 40. Der Beklagte stellte mit Teil-Abhilfebescheid vom 18.11.2011 den GdB des Klägers mit 40 seit 08.09.2011 fest und hob sinngemäß den Bescheid vom 20.09.2011 insoweit auf. Der Kläger hielt an seinem Widerspruch fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 01.02.2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Bei der psychischen Erkrankung handele es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, so dass diese mit einem höheren Einzel-GdB zu bewerten sei. Auch seien die Beeinträchtigung des rechten Kniegelenks und die Herzrhythmusstörungen höher zu bewerten.

Das SG hat zunächst den Neurologen und Psychiater Dr. D. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat unter dem 03.05.2012 einen Arztbrief vorgelegt und die Einschätzung vertreten, es handele sich bei der somatisierten Depression mit beginnender Angstsymptomatik um eine stärkere Behinderung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Alltagsleben. Der ebenfalls schriftlich als sachverständige Zeuge befragte Orthopäde Dr. E. hat unter dem 27.06.2012 ausgeführt, der Kläger leide an einem chronischen Wirbelsäulensyndrom mit Myopathien und Teilsteife, einer Beinverkürzung links, einer Gonarthrose rechts bei Zustand nach Umstellungsosteotomie mit muskulärer Insuffizienz, einer Teilsteife des linken Handgelenks bei Handwurzelarthrose sowie einer partiellen Schultersteife rechts und hat entsprechende medizinische Unterlagen beigefügt. Dr. F. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.08.2012 die Ansicht vertreten, es lägen keine neuen Erkenntnisse vor, die auf psychiatrischem oder orthopädischem Fachgebiet einen höheren GdB rechtfertigen könnten. Der psychologische Psychotherapeut Dr. Dipl.-Psych. G. hat in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 24.10.2012 dargelegt, nach dem Beschwerdevortrag des Klägers sei von einer mittelgradigen Einschränkung durch die orthopädischen und kardiologischen Beschwerden auszugehen. Die Beschwerden bestünden kontinuierlich und führten zu einem erheblichen psychischen Leistungsdruck sowie Einschränkungen seines Leistungsvermögens und seiner Erlebnisfähigkeit. Dr. A. hat in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 20.11.2012 an Erkrankungen eine paroxysmale absolute Arhythmie mit Vorhofflimmern, ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Steifheit und Myopathien, eine Gonarthrose links, eine Teilsteife des linken Handgelenks und eine Handwurzelarthrose, eine Omarthrose rechts, ein Impingement-Syndrom rechts mit Supraspinatus-Teilruptur rechts, eine Synovitis, eine Bursitis und einen Acromionsporn der rechten Schulter sowie eine Depression mit beginnender Angstsymptomatik aufgeführt und weitere Arztbriefe beigefügt.

Sodann hat das SG von Amts wegen das Gutachten des Orthopäden Dr. H. vom 05.03.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat die Fehlstatik der Rumpfwirbelsäule mit degenerativen Veränderungen lumbal ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Ausfälle mit einem Einzel-GdB von 10, die endgradige Funktionsbehinderung der rechten Schulter bei Zustand nach Gelenktoilette und degenerativen Veränderungen mit einem Einzel-GdB von 10, die endgradige Funktionseinschränkung des linken Handgelenks bei degenerativen Veränderungen und scapholunärer Dissoziation mit einem Einzel-GdB von 10, den Morbus Dupuytren Grad I beider Hände ohne Beeinträchtigung der Streckfunktion in den benachbarten Fingergrundgelenken mit einem Einzel-GdB unter 10, die endgradige Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks bei Zustand nach Umstellungsosteotomie und radiologisch nachweisbarer Gonarthrose Grad II bis III mit einem Einzel-GdB von 20 und unter zusätzlicher Berücksichtigung der für ihn fachfremden Erkrankungen des Klägers den Gesamt-GdB mit 30 bewertet.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG daraufhin das Gutachten des Orthopäden Dr. I. vom 09.08.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat die schmerzhafte Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei skoliotischer Deformation und teilfixiertem Hohlrundrücken ohne radiologische Ausfälle und mit noch ausreichend guter Wirbelsäulenfunktion mit einem Einzel-GdB von 10, die schmerzhafte Funktionseinschränkung der rechten Schulter mit verminderter Kraftentwicklung und einen Zustand nach Abtrennung der langen Bizepssehne mit einem Einzel-GdB von 20, die endgradige schmerzhafte Funktionseinschränkung des linken Handgelenks bei degenerativen Veränderungen und scapholunärer Dissoziation mit einem Einzel-GdB von 10 sowie die schmerzhafte Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks bei Zustand nach Umstellungsosteotomie und radiologisch nachweisbarer Gonarthrose Grad III bis IV mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet und diesbezüglich zur Begründung ausgeführt, es scheine sich zwar hier nur um eine geringe Abnahme der Beugemöglichkeit zu handeln, die Beugefähigkeit hänge jedoch von der Größe des Kniegelenksergusses ab, der im Kniegelenk derzeit nachweisbar sei und der je nach Belastung ansteige. Auch müsse die Verschmächtigung des Oberschenkelmuskels Berücksichtigung finden. Den Gesamt-GdB hat der Sachverständige unter zusätzlicher Berücksichtigung der für ihn fachfremden Erkrankungen des Klägers mit 50 bewertet.

Ferner hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 10.10.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat die von ihm diagnostizierten Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 20 und unter Berücksichtigung der für ihn fachfremden Erkrankungen des Klägers den Gesamt-GdB mit 40 bewertet.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.12.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks mit nachweisbarer Gonarthrose Grad II bis III oder III bis IV bedinge einen Einzel-GdB von 30, wobei dieser als grenzwertig hoch angesetzt worden sei. Beim Kläger lägen mit den Bewegungsmaßen im rechten Kniegelenk bei der Streckung/Beugung von 0-5-120 Grad nach dem Gutachten des Dr. H. beziehungsweise von 0-5-110 Grad nach dem Gutachten des Dr. I. Funktionseinschränkungen vor. Es lasse sich aber nicht nachweisen, dass die von den Sachverständigen im Ausprägungsgrad unterschiedlich bewerteten Knorpelschäden anhaltende Reizerscheinungen zur Folge hätten. Nach der Befunddokumentation könne von häufig rezidivierenden, jedoch nicht anhaltenden Reizerscheinungen ausgegangen werden. Dr. H. habe Reizerscheinungen im Sinne einer Rötung oder Ergussbildung nicht beschreiben können. Demgegenüber habe Dr. I. einen minimalen Erguss befundet. Der den Kläger regelmäßig behandelnde Orthopäde Dr. E. habe keine entzündlichen Veränderungen mitgeteilt. Dr. A. habe wiederum über Reizzustände berichtet. Anhaltende Reizerscheinungen seien mithin nicht nachweisbar. Ferner hat das SG die Funktionseinschränkungen des linken Handgelenks und der Wirbelsäule jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet. Es ist dabei den Schlussfolgerungen der Sachverständigen Dr. H. und Dr. I. gefolgt. Außerdem seien die Funktionseinschränkungen der rechten Schulter nach den dokumentierten Befunden ebenfalls nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Nach dem Gutachten des Dr. K. sei die psychische Erkrankung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Insgesamt ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40.

Gegen den ihm am 20.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 20.01.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Ansicht des SG, im Bereich des rechten Kniegelenks rezidivierende, also sich wiederholende, Reizzustände als nicht "anhaltend" zu bezeichnen, sei nicht schlüssig. "Anhaltend" setze nicht voraus, dass ununterbrochen Reizzustände vorlägen, sondern lediglich, dass diese wiederholt aufträten und es sich insoweit nicht um ein singuläres Ereignis handele. Auch sei die Einschränkung der Schulterbeweglichkeit mit einem höheren GdB zu bewerten. Er hat ferner einen kernspintomografischen Befundbericht betreffend das linke Schultergelenk sowie die Stellungnahme des Dr. E. vom 14.04.2014, in der dieser davon ausgeht, für den Bereich der Schultergelenke sei ein Einzel-GdB von 30 zugrunde zu legen, vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Dezember 2013 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 20. September 2011 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 18. November 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 50 seit 26. April 2011 festzustellen, hilfsweise von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass für das Funktionssystem "Arme" wegen der Verschlechterung der Beweglichkeit der linken Schulter ein Einzel-GdB von 30 und deshalb ein Gesamt-GdB von 50 gegeben ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. L. vom 19.03.2014 vorgelegt, wonach sich aus dem vom Kläger vorgelegten kernspintomographischen Befundbericht das linke Schultergelenk betreffend keine Rückschlüsse auf das Ausmaß an klinischen Funktionseinschränkungen des linken Schultergelenks ziehen ließen. Er hat ferner die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. M. vom 06.08.2014 vorgelegt, in der ausgeführt wird, eine dauerhafte anhaltende Funktionseinschränkung der linken Schulter in einer GdB-relevanten Ausprägung sei nicht belegt.

Sodann hat der Senat Dr. E. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat unter dem 20.10.2014 die Bewegungsmaße der Schultergelenke dargelegt und die Einschätzung vertreten, der GdB auf orthopädischem Fachgebiet betrage 60. In einer weiteren eigeninitiativ verfassten Stellungnahme vom 21.11.2014 hat Dr. E. die aktuell gemessenen Bewegungsmaße mitgeteilt.

Daraufhin hat Dr. M. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.12.2014 als Funktionsbeeinträchtigungen die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks mit Knorpelschäden mit einem Einzel-GdB von 30, die depressive Verstimmung mit psychovegetativen Störungen mit einem Einzel-GdB von 20, die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und des rechten Handgelenks mit einem Einzel-GdB von 20 ab April 2014, die Herzrhythmusstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 sowie die Wirbelsäulenverformung mit einem Einzel-GdB von 10 und den Gesamt-GdB mit 40 bewertet. Die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 könne bei den vorliegenden Einzel-GdB-Werten und unter Beachtung eines eher weitreichenden Einzel-GdB-Wertes von 20 auf psychiatrischem Fachgebiet, da nach dem Gutachten des Dr. K. keine antidepressive Medikation und keine kontinuierliche fachpsychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung erfolge, nicht ausreichend begründet werden.

Hierzu hat der Kläger die Ansicht vertreten, der für die psychische Erkrankung vergebene Einzel-GdB von 20 sei nicht "eher weitreichend". Bereits ein Einzel-GdB von 20 stelle eine unterkrankheitswertige Behinderung dar, was sich aus dem Vergleich mit den einen Einzel-GdB von 30 für psychische Störungen bedingenden Funktionsbehinderungen ergebe. Hinzu komme noch, dass sich die Funktionsbehinderungen im unteren skelettalen System mit den Funktionsbehinderungen im oberen skelettalen System (und umgekehrt) wechselseitig punktuell verstärkten. Hebe- und Tragevorgänge seien also durch die Kumulation der beiden Erkrankungen deutlich schlechter zu bewerkstelligen als nur bei einer Erkrankung in einem einzelnen Bereich des Skelettsystems. Gleichzeitig liege aber nicht etwa eine Überschneidung vor.

Der Berichterstatter hat den Rechtsstreit am 18.03.2015 mit den Beteiligten erörtert. Sie haben sich in diesem Termin übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 10.12.2013, mit dem die auf die Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 20.09.2011 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 18.11.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2012 und auf Verurteilung des Beklagten, den GdB mit 50 festzustellen, gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Der Kläger erstrebt neben der Aufhebung dieses Gerichtsbescheides des SG die Abänderung dieses Bescheides des Beklagten und dessen Verpflichtung, bei ihm den GdB mit 50 festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt der Kläger zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Feststellung des GdB ist § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei gemäß § 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung ab 15.01.2015 (BGBl. II S. 15) wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden, indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung ab 15.01.2015 (BGBl. II S. 15), dass - soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist - die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab 01.07.2011 (BGBl. I S. 2904) erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - nach den den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. a in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist beim Kläger der Gesamt-GdB nicht höher als mit 40 festzustellen.

Das SG hat zu Recht die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks mit Knorpelschäden mit einem Einzel-GdB von 30 im Funktionssystem "Beine" bewertet. Diese in Abweichung von der gutachterlichen Bewertung des Dr. H. erfolgte Einschätzung des weiteren Gutachters Dr. I. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. M. seine Bestätigung gefunden. Ferner hat das SG unter Zugrundelegung der von Dr. H. und Dr. I. in ihren Gutachten dargelegten Bewegungsmaßen die Wirbelsäulenverformung zutreffend mit einem Einzel-GdB von 10 im Funktionssystem "Rumpf" bewertet. Zu Recht ist das SG der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. gefolgt, indem es die von ihm diagnostizierten Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 20 im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" berücksichtigt hat. Im Übrigen hat der Senat ebensowenig wie das SG Anhaltspunkte dafür, die Herzrhythmusstörungen mit einem höheren Einzel-GdB als 10 im Funktionssystem "Herz-Kreislauf" zu bewerten. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen an.

Wegen der seit April 2014 dokumentierten Gesundheitsverschlechterung ist die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und des linken Handgelenks mit einem Einzel-GdB von 20 im Funktionssystem "Arme" zu bewerten. In Bezug auf die Schultern hat Dr. M. die von Dr. E. beschriebenen Befunde zutreffend ausgewertet. Eine nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 für einen GdB von 20 erforderliche nur bis zu 90 Grad mögliche Armhebung mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit ist nicht durchgängig für beide Schultergelenke dokumentiert, zumal Dr. E. ausgeführt hat, die einzelnen Bewegungsmaße wechselten in der Graduierung je nach Schmerzintensität. Mithin hält auch der Senat eine integrierende Bewertung der Bewegungseinschränkungen beider Schultergelenke mit einem Einzel-GdB von 20 für zutreffend. Eine Heraufsetzung dieses Wertes wegen der Funktionsbehinderung im linken Handgelenk kommt nicht in Betracht, zumal hier Dr. H. nur eine relativ geringe Funktionseinschränkung und Dr. I. nur eine endgradige schmerzhafte Funktionseinschränkung beschrieben haben.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 30 für das Funktionssystem "Beine", seit April 2014 Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem "Arme", Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche", Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Rumpf" und Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Herz-Kreislauf") hat der Beklagte und ihm folgend das SG den Gesamt-GdB rechtsfehlerfrei mit 40 festgestellt. Denn bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 2 und 3 von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und ist dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen von Ausnahmefällen abgesehen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 - wie hier diejenigen in den Funktionssystemen "Rumpf" sowie "Herz-Kreislauf" - bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Dies gilt vorliegend für die mit einem Einzel-GdB von 20 bewertete Anpassungsstörung. Insoweit hat Dr. N. in seinem Gutachten dargelegt, dass der Kläger weder antidepressive Medikamente nehme, noch in fachpsychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung stehe. Auch hat der Sachverständige eine echte Depression nicht finden können, so dass der Senat - ebenso wie Dr. M. - die von Dr. N. und vom SG vorgenommene GdB-Beurteilung als zwar gerade noch zutreffend, aber eben dennoch sehr weitreichend erachtet. Nach alledem war der Einzel-GdB von 30 im Funktionssystem "Beine" aufgrund des hinzugekommenen Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem "Arme" auf einen Gesamt-GdB von 40 zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung des GdB rechtfertigen die weiteren vergleichsweise leichteren Funktionsbehinderungen nicht. Dass der Gesamt-GdB des Klägers zutreffend mit 40 einzuschätzen ist, ergibt sich auch daraus, dass bei der Bemessung des Gesamt-GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. So ist ein GdB von 50 beispielsweise nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 bei stärkeren beidseitigen Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk, nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 gegebenenfalls bei einer Versteifung des Schultergelenks in ungünstiger Stellung oder nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bei schweren sozialen Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen anzunehmen. Hinter diesen doch gravierenden Funktionsbehinderungen bleiben die beim Kläger dokumentierten Einschränkungen zurück.

Mithin ist der Gesamt-GdB zu Recht mit 40 festgestellt worden. Der Gerichtsbescheid des SG, mit dem die auf die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des GdB mit 50 gerichtete Klage abgewiesen worden ist, hat sich daher als rechtmäßig erwiesen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Auch dem Hilfsantrag des Klägers, von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass für das Funktionssystem "Arme" wegen der Verschlechterung der Beweglichkeit der linken Schulter ein Einzel-GdB von 30 und deshalb ein Gesamt-GdB von 50 gegeben ist, musste der Erfolg versagt bleiben. Insoweit liegen dem Senat aufgrund der zunächst von den im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Gutachter Dr. H. sowie Dr. I. und sodann von Dr. E. beschriebenen Befunde ausreichende der GdB-Bewertung zu Grunde zu legende Tatsachen vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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