Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3051/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1100/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung der medizinischen Voraussetzungen) des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Bei der 1935 geborenen, in Deutschland wohnhaften Klägerin hatte das Landratsamt Ravensburg als Versorgungsamt (LRA) zuletzt mit Bescheid vom 21.07.2011 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt Dem lagen nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.07.2011 eine Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB 70), Nervenwurzelreizungen mit Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulterarmsyndrom, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) und Wirbelgleiten (Einzel-GdB 50), ein Diabetes mellitus (Einzel-GdB 30), eine Sehbehinderung (Einzel-GdB 20), eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und Knorpelschäden am Kniegelenk (Einzel-GdB 20) sowie eine Harninkontinenz (Einzel-GdB 10) zu Grunde. Das bereits damals - zum wiederholten Male - geltend gemachte Merkzeichen "aG" hatte das LRA abgelehnt. Die Merkzeichen "RF" (Ermäßigung der Rundfunkbeiträge) und "G" (gehbehindert) hatte der Beklagte der Klägerin bereits auf Grund des gerichtlichen Vergleichs vom 01.03.2011 in dem Verfahren S 10 SB 198/09 vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) zuerkannt.
Am 15.05.2012 beantragte die Klägerin erneut die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Sie berief sich auf Schmerzen in Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, starke Arthrosen, einen Diabetes mellitus, Wadenkrämpfe, Bluthochdruck und eine rheumatische Erkrankung. Das LRA holte ärztliche Befundscheine ein. Allgemeinmediziner Dr. A. teilte unter dem 28.05.2012 mit, das Gehvermögen sei unsicher und wacklig, es betrage an Unterarmgehstützen wenige Meter, am Rollator 50 m langsam. Treppensteigen sei nur unter großer Mühe möglich. Der Facharzt für Orthopädie Dr. B. teilte mit Schreiben vom 08.06.2012 die aktuellen Befunde hinsichtlich der Wirbelsäule (chronifiziertes lumbales und cervicales Schmerz¬syn¬drom u.a.) und der Kniegelenke (Gonarthrose, Zustand nach zementierter medialer Kniegelenksteilprothese) mit Gestützt auf eine versorgungsärztliche Auswertung dieser Angaben durch Dr. Schröder lehnte das LRA den Antrag der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 08.08.2012 ab
Im Vorverfahren teilte Dr. B. unter dem 28.08.2012 dem LRA ergänzend mit, die Klägerin benutze auch für kürzere Strecken einen Rollator. Daraufhin erließ das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 30.11.2012.
Am 07.12.2012 hat die Klägerin Klage zum SG erhoben. Sie hat vorgetragen, ihre Situation habe sich wesentlich verschlechtert. Die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" sei geboten. Sie könne keine 50 m mehr ohne Rollator laufen.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. A. hat unter dem 21.02.2013 bekundet, das Gehvermögen habe sich im Vergleich zu seiner Stellungnahme vom 28.05.2012 eher noch verschlechtert. Er hat auch auf neuropathische Schmerzen der Klägerin an beiden Beinen hingewiesen. Dr. B. hat mit Schreiben vom 04.03.2012 mitgeteilt, an der LWS bestehe keine radikuläre Kompression, es gebe aber paravertebrale Muskelverspannungen. Die Kniegelenksfunktion sei schmerzhaft eingeschränkt, restliche Streckung und Beugung lägen bei 0-10-90°, die Knie-TEP sei wohl gelockert. Der Radiologe Dr. C. hat unter dem 08.03.2013 angegeben, er habe eine arterielle Verschlusskrankheit vom Beckentyp beidseits festgestellt.
Im Anschluss daran hat das SG die Klägerin bei dem Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. D. begutachten lassen. Dieser Sachverständige hat unter dem 03.07.2013 mitgeteilt, bei der Klägerin beständen - soweit für das begehrte Merkzeichen von Interesse - degenerative Wirbelsäulenerkrankungen mit Wirbelgleiten und Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 50) sowie Funktionsbehinderungen und Knorpelschäden an beiden Kniegelenken und Kniegelenksendoprothese rechts (Einzel-GdB 20). Die Hüftgelenke seien frei beweglich. Danach bestehe keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei besser als bei einem Doppeloberschenkelamputierten. Die Klägerin sei, ausgestattet mit Rollator bzw. zwei Unterarmgehstützen, durchaus in der Lage, außerhalb des Autos sicher zu gehen. Die Gutachterpraxis habe sie von der Bushaltestelle, die etwas mehr 100 m entfernt liege, an zwei Unterarmgehstützen erreicht. In der Praxis habe sie sich an den Stützen im sicheren Vierpunktegang bewegt. Fremde Hilfe habe sie nicht benötigt. Sie habe auch mitgeteilt, sie fahre im Umkreis von bis zu 10 km noch allein Auto, auch zu Ärzten und anderen Behandlern. Sie könne mit der Fußsohle ("plantigrad") auftreten. Am Rollator sei sie zu ebener Erde mit einer gewissen Anstrengung sicher unterwegs. Bei der klinischen Untersuchung hätten sich keine Hinweise für neuromotorische Ausfallerscheinungen gezeigt. Die unteren Gliedmaßen müssten nicht orthetisch versorgt werden. Wegen der weiteren Ausführungen des Sachverständigen wird auf sein schriftliches Gutachten Bezug genommen.
Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, einen Antrag auf Vernehmung eines Wahlgutachters nicht stellen zu wollen, hat das SG ihre Klage mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 22.01.2014 abgewiesen. Es hat ausgeführt, das Merkzeichen "aG" sei zuzuerkennen, wenn sich der schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeugs bewegen könne. Dies sei, so das SG, bei der Klägerin nicht der Fall. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen aus dem Gutachten von Dr. D. verwiesen.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihr am 25.01.2014 zugestellt worden war, hat die Klägerin bei dem SG am 24.02.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat ergänzend auf einen Rollstuhl hingewiesen, den sie - bei der Begutachtung - dabei gehabt habe und auf den sie jeden Tag angewiesen sei.
Die Klägerin beantragt schriftlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Januar 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 08. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. November 2012 zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13.05.2015 durch Urteil entscheiden, obzwar die Klägerin nicht erschienen war, denn sie war in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
2. Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) der Klägerin als unbegründet abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" besteht nicht.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" stellen sich zur Zeit wie folgt dar:
Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Vierte Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes [SchwbAwV]). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne des § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen (Rollstuhlfahrersymbol, Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen (zum Beispiel vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von 3 Stunden). Darüber hinaus führt sie unter anderem zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz [KraftStG]) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB IX) und gegebenenfalls zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Sie macht die steuerliche Geltendmachung von Kosten des Kraftfahrzeuges, soweit sie nicht schon Werbungs- oder Betriebskosten sind, als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) in angemessenem Umfang möglich.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Dies ist, obwohl nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) erlassene Verwaltungsvorschriften keine unmittelbare Außenwirkung entfalten, ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (zuletzt in BSG, Urt. v. 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann (Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO). Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO).
Der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) mit den in ihrer Anlage 2 normierten "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (VG) ließen sich bislang im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Merkzeichens "aG" entnehmen. Die in den VG enthaltenen Regelungen zu - unter anderem - diesem Merkzeichen waren als unwirksam anzusehen, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlte. Eine solche Ermächtigung fand sich weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30.06.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 01.07.2011 noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (vgl. Beschluss des Senats vom 15.12.2014 - L 3 SB 3922/13, Urteil des Senats vom 28.05.2013 - L 3 SB 5383/12 - juris). Dies hat sich zwar mit Wirkung ab 15.01.2015 mit Einführung des § 70 Abs. 2 SGB IX geändert. Danach wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Jedoch hat der Gesetzgeber von dieser Verordnungsermächtigung noch keinen Gebrauch gemacht. Allerdings hat der Gesetzgeber ebenfalls mit Wirkung ab 15.01.2015 in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung erlassen. Danach sollen, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Der Senat lässt es offen, ob der Gesetzgeber damit wirksam und in Übereinstimmung mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen für die mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassene VersMedV - quasi nachträglich - eine Verordnungsermächtigung hat schaffen können. Der Senat stellt daher auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Kriterien ab, zumal ein Abstellen auf die VG zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen würde, denn die dort geregelten Kriterien entsprechen jenen des Straßenverkehrsrechts und eine Erweiterung bzw. Konkretisierung der gleichgestellten behinderten Menschen findet sich dort nur in Bezug auf innere Erkrankungen wie Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz oder wie Atemerkrankungen mit Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - juris). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Solche Besonderheiten können aber angesichts des mit der Zuerkennung des Merkzeichens aG bezweckten Nachteilsausgleichs nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beziehungsweise § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (BT-Drucks 8/3150, S. 9 und 10 in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - juris).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Dabei lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Auch soweit diese großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" reichen überdies nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität der Schmerzen beziehungsweise der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich unter anderem aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten liegt auf der Hand, dass allein das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert. Gerade die Anwendung eines einzelnen starren Kriteriums birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden. Denn für den Nachteilsausgleich "aG" gelten gegenüber dem Nachteilsausgleich "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - juris).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßen-verkehrsrechtlichen Zweck des Nachteilsausgleichs "aG" herleiten. Insofern kommt es nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Der Nachteilsausgleich "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - SozR 3870 § 3 Nr. 18). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahelegen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen. Aber auch diesem Ansatz ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze (Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zum Beispiel die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
b) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klägerin nicht außergewöhnlich gehbehindert, insbesondere ist ihr Restgehvermögen nicht wie bei einem doppeloberschenkelamputierten Menschen eingeschränkt.
Die Klägerin kann mit Unterarmgehstützen oder zumindest mit einem Rollator zu ebener Erde sicher gehen. Dies geben die behandelnden Ärzte und der Sachverständige Dr. D. - der diesen Umstand selbst wahrgenommen hat - übereinstimmend wieder. Dabei ist unerheblich, dass Dr. D. die Klägerin von der Bushaltestelle kommend an Unterarmgehstützen mehr als 100 m hat gehen sehen, während der behandelnde Arzt Dr. A. in seinem Befundbericht vom 28.05.2012 angegeben hatte, das Gehvermögen betrage an Unterarmgehstützen wenige Meter, am Rollator 50 m langsam. Selbst wenn man von diesem - schlechteren - Gehvermögen ausgeht, liegen die Voraussetzungen des begehrten Merkzeichens nicht vor. Relevant ist vor allem, dass die Klägerin nach den Beobachtungen Dr. D.s an den Stützen sicher im Vierpunktegang gehen kann, also die Krücken im Wechsel benutzt und beide Beine (voll) belasten kann.
Die von Dr. D. erhobenen medizinischen Befunde stützen seine Einschätzung. Danach liegen an den unteren Gliedmaßen keine Schäden vor, die das Gehvermögen auf das schwerste einschränken würden. Die Kniegelenke waren nur geringfügig bewegungseingeschränkt, wobei für das Gehvermögen das Beugedefizit auf 90° deutlich weniger relevant ist als das Streckdefizit von 10°. Die Hüftgelenke waren frei. Die Schädigungen an der LWS sind - im Vergleich zu jenen an der HWS - geringfügig, insbesondere liegen hier keine radikulären Reizzustände vor, die zu Schmerzempfindungen oder Gefühlsstörungen in den Beinen führen könnten.
Dass die Klägerin im Berufungsverfahren von einem "Rollstuhl" gesprochen hat, ändert an der Einschätzung des Senats nichts. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass sie nunmehr auf einen Rollstuhl angewiesen wäre. Bei dem "Rollstuhl" dürfte es sich vielmehr um den Rollator handeln. Dies ergibt sich aus der Angabe der Klägerin, sie habe den "Rollstuhl" bei Dr. D. dabei gehabt; tatsächlich hatte sie dort aber nur ihre Unterarmgehstützen und den Rollator "Thuasane" dabei (S. 7 des Gutachters).
Der Senat berücksichtigt bei seiner Einschätzung des Restgehvermögens noch, dass die Klägerin nach wie vor allein Auto fährt, auch zu ärztlichen Behandlungen. Sie ist also offensichtlich in der Lage, ihren Wagen allein zu verlassen und auch längere Strecken - von allgemeinen Parkplätzen bis an ihr jeweiliges Ziel - ohne fremde Hilfe zurückzulegen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung der medizinischen Voraussetzungen) des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Bei der 1935 geborenen, in Deutschland wohnhaften Klägerin hatte das Landratsamt Ravensburg als Versorgungsamt (LRA) zuletzt mit Bescheid vom 21.07.2011 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt Dem lagen nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.07.2011 eine Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB 70), Nervenwurzelreizungen mit Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulterarmsyndrom, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) und Wirbelgleiten (Einzel-GdB 50), ein Diabetes mellitus (Einzel-GdB 30), eine Sehbehinderung (Einzel-GdB 20), eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und Knorpelschäden am Kniegelenk (Einzel-GdB 20) sowie eine Harninkontinenz (Einzel-GdB 10) zu Grunde. Das bereits damals - zum wiederholten Male - geltend gemachte Merkzeichen "aG" hatte das LRA abgelehnt. Die Merkzeichen "RF" (Ermäßigung der Rundfunkbeiträge) und "G" (gehbehindert) hatte der Beklagte der Klägerin bereits auf Grund des gerichtlichen Vergleichs vom 01.03.2011 in dem Verfahren S 10 SB 198/09 vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) zuerkannt.
Am 15.05.2012 beantragte die Klägerin erneut die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Sie berief sich auf Schmerzen in Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, starke Arthrosen, einen Diabetes mellitus, Wadenkrämpfe, Bluthochdruck und eine rheumatische Erkrankung. Das LRA holte ärztliche Befundscheine ein. Allgemeinmediziner Dr. A. teilte unter dem 28.05.2012 mit, das Gehvermögen sei unsicher und wacklig, es betrage an Unterarmgehstützen wenige Meter, am Rollator 50 m langsam. Treppensteigen sei nur unter großer Mühe möglich. Der Facharzt für Orthopädie Dr. B. teilte mit Schreiben vom 08.06.2012 die aktuellen Befunde hinsichtlich der Wirbelsäule (chronifiziertes lumbales und cervicales Schmerz¬syn¬drom u.a.) und der Kniegelenke (Gonarthrose, Zustand nach zementierter medialer Kniegelenksteilprothese) mit Gestützt auf eine versorgungsärztliche Auswertung dieser Angaben durch Dr. Schröder lehnte das LRA den Antrag der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 08.08.2012 ab
Im Vorverfahren teilte Dr. B. unter dem 28.08.2012 dem LRA ergänzend mit, die Klägerin benutze auch für kürzere Strecken einen Rollator. Daraufhin erließ das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 30.11.2012.
Am 07.12.2012 hat die Klägerin Klage zum SG erhoben. Sie hat vorgetragen, ihre Situation habe sich wesentlich verschlechtert. Die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" sei geboten. Sie könne keine 50 m mehr ohne Rollator laufen.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. A. hat unter dem 21.02.2013 bekundet, das Gehvermögen habe sich im Vergleich zu seiner Stellungnahme vom 28.05.2012 eher noch verschlechtert. Er hat auch auf neuropathische Schmerzen der Klägerin an beiden Beinen hingewiesen. Dr. B. hat mit Schreiben vom 04.03.2012 mitgeteilt, an der LWS bestehe keine radikuläre Kompression, es gebe aber paravertebrale Muskelverspannungen. Die Kniegelenksfunktion sei schmerzhaft eingeschränkt, restliche Streckung und Beugung lägen bei 0-10-90°, die Knie-TEP sei wohl gelockert. Der Radiologe Dr. C. hat unter dem 08.03.2013 angegeben, er habe eine arterielle Verschlusskrankheit vom Beckentyp beidseits festgestellt.
Im Anschluss daran hat das SG die Klägerin bei dem Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. D. begutachten lassen. Dieser Sachverständige hat unter dem 03.07.2013 mitgeteilt, bei der Klägerin beständen - soweit für das begehrte Merkzeichen von Interesse - degenerative Wirbelsäulenerkrankungen mit Wirbelgleiten und Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 50) sowie Funktionsbehinderungen und Knorpelschäden an beiden Kniegelenken und Kniegelenksendoprothese rechts (Einzel-GdB 20). Die Hüftgelenke seien frei beweglich. Danach bestehe keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei besser als bei einem Doppeloberschenkelamputierten. Die Klägerin sei, ausgestattet mit Rollator bzw. zwei Unterarmgehstützen, durchaus in der Lage, außerhalb des Autos sicher zu gehen. Die Gutachterpraxis habe sie von der Bushaltestelle, die etwas mehr 100 m entfernt liege, an zwei Unterarmgehstützen erreicht. In der Praxis habe sie sich an den Stützen im sicheren Vierpunktegang bewegt. Fremde Hilfe habe sie nicht benötigt. Sie habe auch mitgeteilt, sie fahre im Umkreis von bis zu 10 km noch allein Auto, auch zu Ärzten und anderen Behandlern. Sie könne mit der Fußsohle ("plantigrad") auftreten. Am Rollator sei sie zu ebener Erde mit einer gewissen Anstrengung sicher unterwegs. Bei der klinischen Untersuchung hätten sich keine Hinweise für neuromotorische Ausfallerscheinungen gezeigt. Die unteren Gliedmaßen müssten nicht orthetisch versorgt werden. Wegen der weiteren Ausführungen des Sachverständigen wird auf sein schriftliches Gutachten Bezug genommen.
Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, einen Antrag auf Vernehmung eines Wahlgutachters nicht stellen zu wollen, hat das SG ihre Klage mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 22.01.2014 abgewiesen. Es hat ausgeführt, das Merkzeichen "aG" sei zuzuerkennen, wenn sich der schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeugs bewegen könne. Dies sei, so das SG, bei der Klägerin nicht der Fall. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen aus dem Gutachten von Dr. D. verwiesen.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihr am 25.01.2014 zugestellt worden war, hat die Klägerin bei dem SG am 24.02.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat ergänzend auf einen Rollstuhl hingewiesen, den sie - bei der Begutachtung - dabei gehabt habe und auf den sie jeden Tag angewiesen sei.
Die Klägerin beantragt schriftlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Januar 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 08. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. November 2012 zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13.05.2015 durch Urteil entscheiden, obzwar die Klägerin nicht erschienen war, denn sie war in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
2. Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) der Klägerin als unbegründet abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" besteht nicht.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" stellen sich zur Zeit wie folgt dar:
Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Vierte Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes [SchwbAwV]). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne des § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen (Rollstuhlfahrersymbol, Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen (zum Beispiel vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von 3 Stunden). Darüber hinaus führt sie unter anderem zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz [KraftStG]) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB IX) und gegebenenfalls zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Sie macht die steuerliche Geltendmachung von Kosten des Kraftfahrzeuges, soweit sie nicht schon Werbungs- oder Betriebskosten sind, als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) in angemessenem Umfang möglich.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Dies ist, obwohl nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) erlassene Verwaltungsvorschriften keine unmittelbare Außenwirkung entfalten, ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (zuletzt in BSG, Urt. v. 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann (Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO). Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO).
Der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) mit den in ihrer Anlage 2 normierten "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (VG) ließen sich bislang im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Merkzeichens "aG" entnehmen. Die in den VG enthaltenen Regelungen zu - unter anderem - diesem Merkzeichen waren als unwirksam anzusehen, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlte. Eine solche Ermächtigung fand sich weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30.06.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 01.07.2011 noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (vgl. Beschluss des Senats vom 15.12.2014 - L 3 SB 3922/13, Urteil des Senats vom 28.05.2013 - L 3 SB 5383/12 - juris). Dies hat sich zwar mit Wirkung ab 15.01.2015 mit Einführung des § 70 Abs. 2 SGB IX geändert. Danach wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Jedoch hat der Gesetzgeber von dieser Verordnungsermächtigung noch keinen Gebrauch gemacht. Allerdings hat der Gesetzgeber ebenfalls mit Wirkung ab 15.01.2015 in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung erlassen. Danach sollen, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Der Senat lässt es offen, ob der Gesetzgeber damit wirksam und in Übereinstimmung mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen für die mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassene VersMedV - quasi nachträglich - eine Verordnungsermächtigung hat schaffen können. Der Senat stellt daher auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Kriterien ab, zumal ein Abstellen auf die VG zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen würde, denn die dort geregelten Kriterien entsprechen jenen des Straßenverkehrsrechts und eine Erweiterung bzw. Konkretisierung der gleichgestellten behinderten Menschen findet sich dort nur in Bezug auf innere Erkrankungen wie Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz oder wie Atemerkrankungen mit Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - juris). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Solche Besonderheiten können aber angesichts des mit der Zuerkennung des Merkzeichens aG bezweckten Nachteilsausgleichs nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beziehungsweise § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (BT-Drucks 8/3150, S. 9 und 10 in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - juris).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Dabei lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Auch soweit diese großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" reichen überdies nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität der Schmerzen beziehungsweise der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich unter anderem aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten liegt auf der Hand, dass allein das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert. Gerade die Anwendung eines einzelnen starren Kriteriums birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden. Denn für den Nachteilsausgleich "aG" gelten gegenüber dem Nachteilsausgleich "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - juris).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßen-verkehrsrechtlichen Zweck des Nachteilsausgleichs "aG" herleiten. Insofern kommt es nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Der Nachteilsausgleich "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - SozR 3870 § 3 Nr. 18). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahelegen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen. Aber auch diesem Ansatz ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze (Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zum Beispiel die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
b) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klägerin nicht außergewöhnlich gehbehindert, insbesondere ist ihr Restgehvermögen nicht wie bei einem doppeloberschenkelamputierten Menschen eingeschränkt.
Die Klägerin kann mit Unterarmgehstützen oder zumindest mit einem Rollator zu ebener Erde sicher gehen. Dies geben die behandelnden Ärzte und der Sachverständige Dr. D. - der diesen Umstand selbst wahrgenommen hat - übereinstimmend wieder. Dabei ist unerheblich, dass Dr. D. die Klägerin von der Bushaltestelle kommend an Unterarmgehstützen mehr als 100 m hat gehen sehen, während der behandelnde Arzt Dr. A. in seinem Befundbericht vom 28.05.2012 angegeben hatte, das Gehvermögen betrage an Unterarmgehstützen wenige Meter, am Rollator 50 m langsam. Selbst wenn man von diesem - schlechteren - Gehvermögen ausgeht, liegen die Voraussetzungen des begehrten Merkzeichens nicht vor. Relevant ist vor allem, dass die Klägerin nach den Beobachtungen Dr. D.s an den Stützen sicher im Vierpunktegang gehen kann, also die Krücken im Wechsel benutzt und beide Beine (voll) belasten kann.
Die von Dr. D. erhobenen medizinischen Befunde stützen seine Einschätzung. Danach liegen an den unteren Gliedmaßen keine Schäden vor, die das Gehvermögen auf das schwerste einschränken würden. Die Kniegelenke waren nur geringfügig bewegungseingeschränkt, wobei für das Gehvermögen das Beugedefizit auf 90° deutlich weniger relevant ist als das Streckdefizit von 10°. Die Hüftgelenke waren frei. Die Schädigungen an der LWS sind - im Vergleich zu jenen an der HWS - geringfügig, insbesondere liegen hier keine radikulären Reizzustände vor, die zu Schmerzempfindungen oder Gefühlsstörungen in den Beinen führen könnten.
Dass die Klägerin im Berufungsverfahren von einem "Rollstuhl" gesprochen hat, ändert an der Einschätzung des Senats nichts. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass sie nunmehr auf einen Rollstuhl angewiesen wäre. Bei dem "Rollstuhl" dürfte es sich vielmehr um den Rollator handeln. Dies ergibt sich aus der Angabe der Klägerin, sie habe den "Rollstuhl" bei Dr. D. dabei gehabt; tatsächlich hatte sie dort aber nur ihre Unterarmgehstützen und den Rollator "Thuasane" dabei (S. 7 des Gutachters).
Der Senat berücksichtigt bei seiner Einschätzung des Restgehvermögens noch, dass die Klägerin nach wie vor allein Auto fährt, auch zu ärztlichen Behandlungen. Sie ist also offensichtlich in der Lage, ihren Wagen allein zu verlassen und auch längere Strecken - von allgemeinen Parkplätzen bis an ihr jeweiliges Ziel - ohne fremde Hilfe zurückzulegen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
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