Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 SB 7035/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4731/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 01. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Rahmen einer Neufeststellung die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) und die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.
Dem am 24.09.1952 geborenen, in Deutschland wohnhaften Kläger hatte das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises als Versorgungsamt (LRA) mit Bescheid vom 13.07.2007 einen GdB von 20 seit dem 11.06.2007 zuerkannt In jenem Verfahren war der Entlassungsbericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation Stuttgart, Dr. A., vom 14.03.2007 zur Akte gelangt Der damalige Widerspruch war ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 08.10.2007). Ebenso ohne Erfolg blieb ein erster Erhöhungsantrag vom 29.01.2008 (Bescheid vom 23.04.2008).
Am 18.06.2009 beantragte der Kläger erneut Neufeststellung. Zur Begründung verwies er insbesondere auf seine orthopädischen Leiden. Er legte Befundberichte seiner behandelnden Ärzte vor, darunter die Berichte von Dr. B. vom 22.04.2009 (Wirbelgleiten, Diabetes mellitus, Hypertonie) und von Dr. Richter vom 19.01.2009 (Ausschluss rheumatologische Erkrankung, V.a. HWS-Syndrom, beginnende Fingerpolyarthrose, chronisches Schmerzsyndrom). Gestützt auf die versorgungsärztliche Auswertung der Unterlagen durch Dr. C. vom 06.08.2009 (Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Schulter-Arm-Syndrom, Einzel-GdB 20; Diabetes mellitus, Einzel- GdB 10) lehnte das LRA mit Bescheid vom 12.08.2009 den Antrag ab.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Nach Heranziehung weiterer Befundunterlagen und entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahmen (zuletzt von Dr. D. v. 08.01.2010 ) wies das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt den Widerspruch unter dem 09.02.2010 als unbegründet zurück.
Am 03.03.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Er hat angegeben, es bestehe ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit erheblichen Schmerzen, selbst bei leichten Drehbewegungen, beim Niesen und Liegen. Hinzu träten eine Ischialgie am linken Bein, ein nächtliches Taubheitsgefühl in beiden Händen und ausgeprägte Beschwerden an Schulter und Oberarm¬. Seine Berufstätigkeit (Maschinenbauer) sei hierdurch erheblich beeinträchtigt.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst den behandelnden Orthopäden des Klägers, Dr. E., schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 27.01.2011 von zahlreichen Beeinträchtigungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule berichtet, dazu Schädigungen an den Knien bds. und einer diabetischen Polyneuropathie. Ferner hat er die Restbeweglichkeiten des Klägers an Schultern und Wirbelsäule mitgeteilt.
Der Beklagte hat daraufhin - gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. vom 26.05.2011 - im Vergleichswege die Feststellung eines GdB von 30 angeboten. Ein solcher Vergleich ist jedoch letztlich nicht zu Stande gekommen.
Nachdem der Kläger von weiteren Beeinträchtigungen, darunter einer psychischen Erkrankung mit mehreren Diagnosen (Attest Dr. G. v. 29.11.2011), einer Hörminderung mit Tinnitus (Bericht Klinikum I., Dr. H., vom 20.10.2011) sowie einem Asthma bronchiale und einer schlechten Einstellung des Diabetes berichtet hatte (Attest Dr. K. vom 02.11.2011), hat das SG den Orthopäden Dr. L. sowie - auch auf Grund von Hinweisen von Dr. L. - den Neurologen und Psychiater Dr. M. mit Begutachtungen des Klägers beauftragt.
Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 26.11.2012 mitgeteilt, bei dem Kläger beständen eine teilfixierte Rundrückenbildung mit Streckhemmung der kopfnahen Brustwirbelsäulenhälfte (BWS) von 20° und endgradig eingeschränkter Rechts-Dreh-Beweglichkeit, eine 20-%-ige Entfaltbarkeitshemmung der Lendenwirbelsäule (LWS) ohne Nachweis sensibler oder motorischer Nervenwurzelreizerscheinungen, eine endgradig eingeschränkte Streckung im linken Ellenbogengelenk sowie eine endgradig eingeschränkte Streckung sämtlicher linksseitiger Langfinger. Die Gesundheitsbeeinträchtigungen an der Wirbelsäule seien mittelschwer und mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die übrigen Befunde seien lediglich leicht und rechtfertigten daher keinen Teil-GdB. Schließlich habe die Untersuchung weder eine aktive Bewegungseinschränkung der Schultergelenke noch eine radikuläre Symptomatik seitens der LWS ergeben.
Dr. M. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 30.04.2013, basierend auf der ambulanten Untersuchung vom 26.04.2013, bei dem Kläger funktionelle Wirbelsäulenbeschwerden vor dem Hintergrund einer Persönlichkeit mit histrionischen Zügen und bewusstseinsnahen Tendenzen (Aggravationen) diagnostiziert. Besondere Hinweise auf eine Depression beständen nicht. Hierfür sei auf psychiatrischem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 20 zu veranschlagen, wobei erhebliche Überschneidungen mit den orthopädischen Beschwerden beständen.
Der Kläger hat noch das in privatem Auftrage erstellte Gutachten des Orthopäden Dr. N. vom 14.12.2012 (Panalgesie bei somatoformer Schmerzstörung, chronisches Lumbalsyndrom bei BWS-Kyphose und kräftigen degenerativen Veränderungen untere LWS, Zervikozephalgie mit Schwindel; metabolisches Syndrom; starke Inkonsistenzen zwischen geschilderten Beschwerden und Symptomen) sowie den Entlassbericht der Rems-Murr-Kliniken, Dr. O., vom 10.07.2013 (Thoraxschmerzen, WS-Schmerzsyndrom, hypertensive Entgleisung, kardiovaskuläre Risikofaktoren) zur Akte gereicht.
Nach einer Anhörung der Beteiligten, insbesondere des Klägers in Person, in nichtöffentlicher Sitzung am 17.09.2013 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 01.10.2013 den Beklagten unter entsprechender Abänderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, dem Kläger ab dem 18.06.2009 einen GdB von 30 zuzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und den Beklagten in ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers verurteilt. Zur Begründung hat das SG nach Darstellung der rechtlichen Grundlagen einer GdB-Feststellung ausgeführt, ein Gesamt-GdB von 30 sei ausreichend und angemessen. Für die WS sei ein GdB von 20 zu vergeben. Entsprechende Beeinträchtigungen habe Dr. L. nachgewiesen und in seinem Gutachten dargestellt. Die von ihm gemessenen aktiven Restbeweglichkeiten ergäben allenfalls diese Beurteilung (vgl. Tabelle S. 8 Gerichtsbescheid). Den zum Teil abweichenden Einschätzungen der behandelnden Ärzte sei nicht zu folgen. Dr. N. selbst habe in seinem Gutachten erhebliche Inkonsistenzen zwischen den Messwerten und dem Verhalten des Klägers mitgeteilt. Dr. M. habe in seinem späteren Gutachten von einer sehr plastischen und erstaunlich beweglichen Demonstration der WS-Beschwerden durch den Kläger berichtet. Dies sei im Erörterungstermin ähnlich gewesen. Die Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten, so das SG weiter, rechtfertigten keinen GdB. An Ellenbogen und Fingern beständen lediglich endgradige Einschränkungen der Streckfähigkeit. An den Schultergelenken bestehe nach den übereinstimmenden Feststellungen von Dr. L. und Dr. E. keine Beweglichkeitseinbuße. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe bei dem Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit histrionischen Zügen und bewusstseinsnahen Tendenzen. Im Mittelpunkt ständen die somatischen Beschwerden vor allem an der Wirbelsäule. Psychische Einbußen im Übrigen lägen nicht vor, Konzentrations- und Merkfähigkeit seien nicht beeinträchtigt, die Schwingungsfähigkeit gut, das Denken formal geordnet, es gebe keine Hinweise auf depressive Episoden. Wegen der starken Überschneidung der somatischen und psychischen Beeinträchtigungen, so das SG abschließend, sei ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der seinem damaligen Prozessbevollmächtigten am 04.10.2013 zugestellt worden war, hat der Kläger am 04.11.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erheben lassen. Er trägt vor, die Beeinträchtigungen seien massiver als angenommen. Eine weitergehende Begründung hat der Kläger trotz entsprechender Aufforderungen und Fristsetzungen durch den Senat nicht abgegeben.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 01. Oktober 2013 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2010 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 ab Antragstellung festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen und verweist erneut auf das Fehlen objektivierbarer Funktionsbeeinträchtigungen.
Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und in Augenschein. Auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 13.05.2015 wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30 besteht nicht.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die einzelnen medizinischen Anforderungen an die Bewertung einzelner Behinderungen mit einem GdB sowie die Bildung eines Gesamt-GdB hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt. Sie beruhen auf den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV). Diese gilt auch nach den Neuregelungen in den §§ 69 Abs. 1, 70 Abs. 2, 159 Abs. 7 SGB IX durch das Gesetz vom 07.01.2015 (BGBl. II S. 15) für die Bemessung des GdB vorläufig weiter. Ebenso hat das SG die Voraussetzungen einer Abänderung bereits bindend festgestellter GdB (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Auch der Senat hält den zwischenzeitlich festgestellten GdB von 30 für zutreffend.
aa) Für das Funktionssystem Rumpf (vgl. zur zusammenfassenden Beurteilung von Funktionssystemen Teil A Nr. 2 Buchstabe e Satz 2 VG) kann ein GdB von 20 angenommen werden.
Wirbelsäulenschäden sind nach Teil B Nr. 18.9 VG zu bewerten. Danach ergibt sich die Höhe des Teil-GdB bei Wirbelsäulenschäden in erster Linie aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und der Instabilität der Wirbelsäule sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) bedingen danach einen GdB von 10. Bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungs¬einschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) wird ein GdB von 20 erreicht. Diese Bewertung gilt auch die üblichen Schmerzen ab, die sich bei Wirbelsäulenschäden oftmals in radikulären oder pseudoradikulären Reizungen der Nervenwurzeln an den Austrittspunkten mit Ausstrahlung in die Gliedmaßen zeigen. Darauf hatte bereits das SG zutreffenderweise hingewiesen.
Bei dem Kläger finden sich allenfalls an einem WS-Abschnitt mittelgradige Beeinträchtigungen, und zwar an der Brustwirbelsäule (BWS). Bereits diese liegen aber im unteren Bereich davon. Die beiden anderen WS-Abschnitte, die Halswirbelsäule (HWS) und die Lendenwirbelsäule (LWS), sind gar nicht oder nur geringfügig betroffen. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung der WS-Schäden mit einem GdB von 20 nicht zu niedrig: An der HWS hat der Kläger keine nennenswerten Beeinträchtigungen aufgewiesen. Dr. L. hat insoweit normwertige Neigungen vor-, rück- und seitwärts festgestellt; auch die Drehfähigkeit war nicht eingeschränkt. An der BWS waren - lediglich - die aktive Drehung des Oberkörpers mit fixiertem Becken (sitzend) nach rechts geringfügig um 5° gegenüber dem Normwert von mindestens 30° und die Entfaltbarkeit bzw. Vorwärtsbeugung (Ott’sches Zeichen 30:31 cm) etwas stärkergradig eingeschränkt. Die LWS entfaltete sich beim Vorwärtsneigen zu 80 %, das Schober’sche Zeichen betrug 10:14 cm (Normwert 10:15 cm). Ein Ischias-Dehnungsschmerz konnte rechts wie links nicht ausgelöst werden, das Lasegue-Zeichen war negativ. Diese Einschränkungen beim Vorwärtsbeugen haben sich auch im Finger-Boden-Abstand (FBA) von 25 cm gezeigt. Radikuläre oder pseudoradikuläre Reizungen, ggfs. mit Schmerzausstrahlungen oder Gefühlseinbußen in die Gliedmaßen, hat Dr. L. überzeugend verneinen können. Zu den von Dr. L. erhobenen Befunden korrespondiert die gerade und ordnungsgemäß ausgeprägte Rückenmuskulatur in allen drei Wirbelsäulenabschnitten sowie die regelgerechte Kraftprüfung der Kernmuskulatur. Diese Feststellungen des Sachverständigen lassen sich auch nicht wegen der nachfolgenden Untersuchung bei Dr. N. am 14.12.2012 in Frage stellen. Dieser berichtet zwar über massivere Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der HWS, BWS und LWS. Er selbst notiert jedoch auch, dass eine starke Inkonsistenz der geschilderten Beschwerden zu den erhobenen Befunden bestehe. Ferner führt er aus, er könne die vom Kläger behaupteten Funktionsbeeinträchtigungen weder durch ein bildgebendes Verfahren noch durch eine äußerliche Untersuchung objektivieren. Diese Einschätzung willensgesteuert dargestellter Funktionseinbußen wird bestätigt durch die Feststellung des neurologischen Gutachters Dr. M. am 26.04.2013, der berichtet hat, der Kläger sei zu einer "sehr plastischen und erstaunlich beweglichen Demonstration" seiner Beschwerden in der Lage gewesen. Vor diesem Hintergrund führt auch das Gangbild, das der Kläger nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt hat, nicht zu einer anderen Beurteilung.
bb) Auf psychiatrischem Gebiet ist ein Teil-GdB von höchstens 20 gerechtfertigt.
Die Bewertung psychischer Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und eventuellen sozialen Anpassungsschwierigkeiten richtet sich nach Teil B Nr. 3.7 VG. Danach sind leichtere Störungen mit einem Teil-GdB von 0 bis 20 zu bewerten. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägte depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitsweit, somatoforme Störungen) ist ein Teil-GdB von 30 bis 40 in Ansatz zu bringen, je nachdem ob die Störung eine Tendenz zu einer schweren Störung aufweist (dann Teil-GdB von 40) oder nicht (dann Teil-GdB von 30).
Auf diesem Fachgebiet hat der Sachverständige Dr. M. im Wesentlichen eine Persönlichkeit mit histrionischen Zügen und bewusstseinsnahen Tendenzen beschrieben. Das Bild, wie es Dr. M. in seinem Gutachten von dem Kläger gezeichnet hat, konnte auch der Senat in der mündlichen Verhandlung am 13.05.2015 bestätigen. Eine solche Persönlichkeit hat, auch wenn sie nicht erworben ist, Krankheitswert (F60.4 ICD-10 nach der ICD-10-GM, der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme", German modification, 10. Aufl. 2014) und kann daher, wenn sie zu Einschränkungen der Teilhabe an der Gesellschaft führt, eine Behinderung darstellen. Eine depressive Erkrankung (F32.x oder F33.x ICD-10-GM) hat Dr. M. dagegen verneint. Er hat ausgeführt, dass bei dem Kläger die Konzentrations- und Merkfähigkeit nicht beeinträchtigt seien, die Schwingungsfähigkeit gut vorhanden sei und das Denken sei formal geordnet. Es fehlen auch depressive Symptome wie ein sozialer Rückzug oder eine Herabgestimmtheit.
Aus einer Persönlichkeitsstörung, wie sie bei dem Kläger vorliegt, folgen aber geringere Einbußen in der Teilhabe als z.B. bei einer depressiven Erkrankung. Insbesondere bestehen bei dem Kläger keine Einbußen auf der sozialen Leistungsebene. Er steht um sieben Uhr auf und nimmt dann seine Medikamente ein. Er legt sich dann zwar gelegentlich noch einmal hin, aber andererseits hilft er im Haushalt mit und erledigt Einkäufe. Zudem wohnen zwei seiner Söhne noch bei ihm zu Hause. Befragt nach dem Verhältnis zu seiner Familie, hat er angegeben, es gebe keinen Streit und das Verhältnis sei gut. Es liegen daher ein strukturierter Tagesablauf und eine soziale Integration - vor allem in die Familie - vor. Für soziale Anpassungsschwierigkeiten, die sich im Umgang mit anderen Menschen äußern würden, bestehen überhaupt keine Anhaltspunkte. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger mit seiner Persönlichkeit lange berufstätig war und dass er seine Interessen zu artikulieren weiß. Ein psychischer Leidensdruck besteht bei dem Kläger ebenfalls nicht. Zu berücksichtigen sind daher im Wesentlichen nur die somatoform überhöhten Schmerzen aus dem Bereich der WS auf physischem Gebiet.
cc) Ansonsten liegen bei dem Kläger keine Behinderungen vor, die jeweils einen Teil-GdB von mehr als 10, wie er für die Bildung des Gesamt-GdB relevant wäre (Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG), bedingen könnten.
Wegen der geltend gemachten Beeinträchtigungen am Ellenbogengelenk und an der Schulter (diagnostiziert waren Impingementsyndrom bzw. Tendinitis) verweist der Senat wiederum auf die zutreffenden Ausführungen des SG.
Der Diabetes mellitus war bei dem Kläger bereits während des Aufenthalts im Zentrum für ambulante Rehabilitation (Entlassungsbericht vom 14.03.2007) medikamentös eingestellt. Daran hat sich nichts geändert: der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sein Diabetes nach wie vor mit Metformin behandelt wird. Dieses Medikament erhöht die Neigung zu Hypo¬glykämien nicht. Der Diabetes bedingt daher nach der Neufassung von Teil B Nr. 15.1 VG durch die 2. VersMedV-ÄndV v. 14.07.2010 (BGBl. I S. 928) keinen GdB.
Die vom Kläger im Antragsverfahren noch geltend gemachte Hypertonie ist kein Dauerzustand, jedenfalls erreicht sie nicht das für einen GdB von 20 notwendige Ausmaß nach Teil B Nr. 9.3 VG. Vielmehr finden hypertensive Entgleisungen statt, die aber behandelbar sind. So war der Blutdruck bei der Entlassung aus der kardiologischen Klinik des Rems-Murr-Kreises am 10.07.2013 wieder auf 131/87 mmHg gesunken. Organbeteiligungen liegen nicht vor. Die fortlaufende Behandlung der Hypertonie mit Ramipril hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Der im Verfahren einmal erwähnte Tinnitus wurde nicht weiter aufgegriffen und auch vom Kläger nicht spezifiziert. Er ist womöglich kein Dauerzustand geworden. Eine HNO-ärztliche Behandlung findet nach den Angaben des Klägers über seine behandelnden Ärzte gegenüber dem SG in der Aufstellung vom 15.11.2010 nicht statt. Vor diesem Hintergrund kann ein GdB nach Teil B Nr. 5.3 VG nicht anerkannt werden, zumal sich die Auswirkungen eines Tinnitus auch auf psychisches Gebiet erstrecken und insoweit eine starke Überschneidung mit den Auswirkungen der psychischen Erkrankung bzw. der vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur beständen.
Weitergehende Beeinträchtigungen aus den bekannten Schädigungen oder gar neue Behinderungen hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht.
dd) Auch hinsichtlich der Bildung eines Gesamt-GdB von 30 aus den beiden relevanten GdB von 20 schließt sich der Senat den Ausführungen des SG an.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Rahmen einer Neufeststellung die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) und die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.
Dem am 24.09.1952 geborenen, in Deutschland wohnhaften Kläger hatte das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises als Versorgungsamt (LRA) mit Bescheid vom 13.07.2007 einen GdB von 20 seit dem 11.06.2007 zuerkannt In jenem Verfahren war der Entlassungsbericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation Stuttgart, Dr. A., vom 14.03.2007 zur Akte gelangt Der damalige Widerspruch war ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 08.10.2007). Ebenso ohne Erfolg blieb ein erster Erhöhungsantrag vom 29.01.2008 (Bescheid vom 23.04.2008).
Am 18.06.2009 beantragte der Kläger erneut Neufeststellung. Zur Begründung verwies er insbesondere auf seine orthopädischen Leiden. Er legte Befundberichte seiner behandelnden Ärzte vor, darunter die Berichte von Dr. B. vom 22.04.2009 (Wirbelgleiten, Diabetes mellitus, Hypertonie) und von Dr. Richter vom 19.01.2009 (Ausschluss rheumatologische Erkrankung, V.a. HWS-Syndrom, beginnende Fingerpolyarthrose, chronisches Schmerzsyndrom). Gestützt auf die versorgungsärztliche Auswertung der Unterlagen durch Dr. C. vom 06.08.2009 (Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Schulter-Arm-Syndrom, Einzel-GdB 20; Diabetes mellitus, Einzel- GdB 10) lehnte das LRA mit Bescheid vom 12.08.2009 den Antrag ab.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Nach Heranziehung weiterer Befundunterlagen und entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahmen (zuletzt von Dr. D. v. 08.01.2010 ) wies das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt den Widerspruch unter dem 09.02.2010 als unbegründet zurück.
Am 03.03.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Er hat angegeben, es bestehe ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit erheblichen Schmerzen, selbst bei leichten Drehbewegungen, beim Niesen und Liegen. Hinzu träten eine Ischialgie am linken Bein, ein nächtliches Taubheitsgefühl in beiden Händen und ausgeprägte Beschwerden an Schulter und Oberarm¬. Seine Berufstätigkeit (Maschinenbauer) sei hierdurch erheblich beeinträchtigt.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst den behandelnden Orthopäden des Klägers, Dr. E., schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 27.01.2011 von zahlreichen Beeinträchtigungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule berichtet, dazu Schädigungen an den Knien bds. und einer diabetischen Polyneuropathie. Ferner hat er die Restbeweglichkeiten des Klägers an Schultern und Wirbelsäule mitgeteilt.
Der Beklagte hat daraufhin - gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. vom 26.05.2011 - im Vergleichswege die Feststellung eines GdB von 30 angeboten. Ein solcher Vergleich ist jedoch letztlich nicht zu Stande gekommen.
Nachdem der Kläger von weiteren Beeinträchtigungen, darunter einer psychischen Erkrankung mit mehreren Diagnosen (Attest Dr. G. v. 29.11.2011), einer Hörminderung mit Tinnitus (Bericht Klinikum I., Dr. H., vom 20.10.2011) sowie einem Asthma bronchiale und einer schlechten Einstellung des Diabetes berichtet hatte (Attest Dr. K. vom 02.11.2011), hat das SG den Orthopäden Dr. L. sowie - auch auf Grund von Hinweisen von Dr. L. - den Neurologen und Psychiater Dr. M. mit Begutachtungen des Klägers beauftragt.
Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 26.11.2012 mitgeteilt, bei dem Kläger beständen eine teilfixierte Rundrückenbildung mit Streckhemmung der kopfnahen Brustwirbelsäulenhälfte (BWS) von 20° und endgradig eingeschränkter Rechts-Dreh-Beweglichkeit, eine 20-%-ige Entfaltbarkeitshemmung der Lendenwirbelsäule (LWS) ohne Nachweis sensibler oder motorischer Nervenwurzelreizerscheinungen, eine endgradig eingeschränkte Streckung im linken Ellenbogengelenk sowie eine endgradig eingeschränkte Streckung sämtlicher linksseitiger Langfinger. Die Gesundheitsbeeinträchtigungen an der Wirbelsäule seien mittelschwer und mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die übrigen Befunde seien lediglich leicht und rechtfertigten daher keinen Teil-GdB. Schließlich habe die Untersuchung weder eine aktive Bewegungseinschränkung der Schultergelenke noch eine radikuläre Symptomatik seitens der LWS ergeben.
Dr. M. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 30.04.2013, basierend auf der ambulanten Untersuchung vom 26.04.2013, bei dem Kläger funktionelle Wirbelsäulenbeschwerden vor dem Hintergrund einer Persönlichkeit mit histrionischen Zügen und bewusstseinsnahen Tendenzen (Aggravationen) diagnostiziert. Besondere Hinweise auf eine Depression beständen nicht. Hierfür sei auf psychiatrischem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 20 zu veranschlagen, wobei erhebliche Überschneidungen mit den orthopädischen Beschwerden beständen.
Der Kläger hat noch das in privatem Auftrage erstellte Gutachten des Orthopäden Dr. N. vom 14.12.2012 (Panalgesie bei somatoformer Schmerzstörung, chronisches Lumbalsyndrom bei BWS-Kyphose und kräftigen degenerativen Veränderungen untere LWS, Zervikozephalgie mit Schwindel; metabolisches Syndrom; starke Inkonsistenzen zwischen geschilderten Beschwerden und Symptomen) sowie den Entlassbericht der Rems-Murr-Kliniken, Dr. O., vom 10.07.2013 (Thoraxschmerzen, WS-Schmerzsyndrom, hypertensive Entgleisung, kardiovaskuläre Risikofaktoren) zur Akte gereicht.
Nach einer Anhörung der Beteiligten, insbesondere des Klägers in Person, in nichtöffentlicher Sitzung am 17.09.2013 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 01.10.2013 den Beklagten unter entsprechender Abänderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, dem Kläger ab dem 18.06.2009 einen GdB von 30 zuzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und den Beklagten in ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers verurteilt. Zur Begründung hat das SG nach Darstellung der rechtlichen Grundlagen einer GdB-Feststellung ausgeführt, ein Gesamt-GdB von 30 sei ausreichend und angemessen. Für die WS sei ein GdB von 20 zu vergeben. Entsprechende Beeinträchtigungen habe Dr. L. nachgewiesen und in seinem Gutachten dargestellt. Die von ihm gemessenen aktiven Restbeweglichkeiten ergäben allenfalls diese Beurteilung (vgl. Tabelle S. 8 Gerichtsbescheid). Den zum Teil abweichenden Einschätzungen der behandelnden Ärzte sei nicht zu folgen. Dr. N. selbst habe in seinem Gutachten erhebliche Inkonsistenzen zwischen den Messwerten und dem Verhalten des Klägers mitgeteilt. Dr. M. habe in seinem späteren Gutachten von einer sehr plastischen und erstaunlich beweglichen Demonstration der WS-Beschwerden durch den Kläger berichtet. Dies sei im Erörterungstermin ähnlich gewesen. Die Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten, so das SG weiter, rechtfertigten keinen GdB. An Ellenbogen und Fingern beständen lediglich endgradige Einschränkungen der Streckfähigkeit. An den Schultergelenken bestehe nach den übereinstimmenden Feststellungen von Dr. L. und Dr. E. keine Beweglichkeitseinbuße. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe bei dem Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit histrionischen Zügen und bewusstseinsnahen Tendenzen. Im Mittelpunkt ständen die somatischen Beschwerden vor allem an der Wirbelsäule. Psychische Einbußen im Übrigen lägen nicht vor, Konzentrations- und Merkfähigkeit seien nicht beeinträchtigt, die Schwingungsfähigkeit gut, das Denken formal geordnet, es gebe keine Hinweise auf depressive Episoden. Wegen der starken Überschneidung der somatischen und psychischen Beeinträchtigungen, so das SG abschließend, sei ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der seinem damaligen Prozessbevollmächtigten am 04.10.2013 zugestellt worden war, hat der Kläger am 04.11.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erheben lassen. Er trägt vor, die Beeinträchtigungen seien massiver als angenommen. Eine weitergehende Begründung hat der Kläger trotz entsprechender Aufforderungen und Fristsetzungen durch den Senat nicht abgegeben.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 01. Oktober 2013 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2010 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 ab Antragstellung festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen und verweist erneut auf das Fehlen objektivierbarer Funktionsbeeinträchtigungen.
Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und in Augenschein. Auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 13.05.2015 wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30 besteht nicht.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die einzelnen medizinischen Anforderungen an die Bewertung einzelner Behinderungen mit einem GdB sowie die Bildung eines Gesamt-GdB hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt. Sie beruhen auf den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV). Diese gilt auch nach den Neuregelungen in den §§ 69 Abs. 1, 70 Abs. 2, 159 Abs. 7 SGB IX durch das Gesetz vom 07.01.2015 (BGBl. II S. 15) für die Bemessung des GdB vorläufig weiter. Ebenso hat das SG die Voraussetzungen einer Abänderung bereits bindend festgestellter GdB (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Auch der Senat hält den zwischenzeitlich festgestellten GdB von 30 für zutreffend.
aa) Für das Funktionssystem Rumpf (vgl. zur zusammenfassenden Beurteilung von Funktionssystemen Teil A Nr. 2 Buchstabe e Satz 2 VG) kann ein GdB von 20 angenommen werden.
Wirbelsäulenschäden sind nach Teil B Nr. 18.9 VG zu bewerten. Danach ergibt sich die Höhe des Teil-GdB bei Wirbelsäulenschäden in erster Linie aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und der Instabilität der Wirbelsäule sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) bedingen danach einen GdB von 10. Bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungs¬einschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) wird ein GdB von 20 erreicht. Diese Bewertung gilt auch die üblichen Schmerzen ab, die sich bei Wirbelsäulenschäden oftmals in radikulären oder pseudoradikulären Reizungen der Nervenwurzeln an den Austrittspunkten mit Ausstrahlung in die Gliedmaßen zeigen. Darauf hatte bereits das SG zutreffenderweise hingewiesen.
Bei dem Kläger finden sich allenfalls an einem WS-Abschnitt mittelgradige Beeinträchtigungen, und zwar an der Brustwirbelsäule (BWS). Bereits diese liegen aber im unteren Bereich davon. Die beiden anderen WS-Abschnitte, die Halswirbelsäule (HWS) und die Lendenwirbelsäule (LWS), sind gar nicht oder nur geringfügig betroffen. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung der WS-Schäden mit einem GdB von 20 nicht zu niedrig: An der HWS hat der Kläger keine nennenswerten Beeinträchtigungen aufgewiesen. Dr. L. hat insoweit normwertige Neigungen vor-, rück- und seitwärts festgestellt; auch die Drehfähigkeit war nicht eingeschränkt. An der BWS waren - lediglich - die aktive Drehung des Oberkörpers mit fixiertem Becken (sitzend) nach rechts geringfügig um 5° gegenüber dem Normwert von mindestens 30° und die Entfaltbarkeit bzw. Vorwärtsbeugung (Ott’sches Zeichen 30:31 cm) etwas stärkergradig eingeschränkt. Die LWS entfaltete sich beim Vorwärtsneigen zu 80 %, das Schober’sche Zeichen betrug 10:14 cm (Normwert 10:15 cm). Ein Ischias-Dehnungsschmerz konnte rechts wie links nicht ausgelöst werden, das Lasegue-Zeichen war negativ. Diese Einschränkungen beim Vorwärtsbeugen haben sich auch im Finger-Boden-Abstand (FBA) von 25 cm gezeigt. Radikuläre oder pseudoradikuläre Reizungen, ggfs. mit Schmerzausstrahlungen oder Gefühlseinbußen in die Gliedmaßen, hat Dr. L. überzeugend verneinen können. Zu den von Dr. L. erhobenen Befunden korrespondiert die gerade und ordnungsgemäß ausgeprägte Rückenmuskulatur in allen drei Wirbelsäulenabschnitten sowie die regelgerechte Kraftprüfung der Kernmuskulatur. Diese Feststellungen des Sachverständigen lassen sich auch nicht wegen der nachfolgenden Untersuchung bei Dr. N. am 14.12.2012 in Frage stellen. Dieser berichtet zwar über massivere Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der HWS, BWS und LWS. Er selbst notiert jedoch auch, dass eine starke Inkonsistenz der geschilderten Beschwerden zu den erhobenen Befunden bestehe. Ferner führt er aus, er könne die vom Kläger behaupteten Funktionsbeeinträchtigungen weder durch ein bildgebendes Verfahren noch durch eine äußerliche Untersuchung objektivieren. Diese Einschätzung willensgesteuert dargestellter Funktionseinbußen wird bestätigt durch die Feststellung des neurologischen Gutachters Dr. M. am 26.04.2013, der berichtet hat, der Kläger sei zu einer "sehr plastischen und erstaunlich beweglichen Demonstration" seiner Beschwerden in der Lage gewesen. Vor diesem Hintergrund führt auch das Gangbild, das der Kläger nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt hat, nicht zu einer anderen Beurteilung.
bb) Auf psychiatrischem Gebiet ist ein Teil-GdB von höchstens 20 gerechtfertigt.
Die Bewertung psychischer Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und eventuellen sozialen Anpassungsschwierigkeiten richtet sich nach Teil B Nr. 3.7 VG. Danach sind leichtere Störungen mit einem Teil-GdB von 0 bis 20 zu bewerten. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägte depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitsweit, somatoforme Störungen) ist ein Teil-GdB von 30 bis 40 in Ansatz zu bringen, je nachdem ob die Störung eine Tendenz zu einer schweren Störung aufweist (dann Teil-GdB von 40) oder nicht (dann Teil-GdB von 30).
Auf diesem Fachgebiet hat der Sachverständige Dr. M. im Wesentlichen eine Persönlichkeit mit histrionischen Zügen und bewusstseinsnahen Tendenzen beschrieben. Das Bild, wie es Dr. M. in seinem Gutachten von dem Kläger gezeichnet hat, konnte auch der Senat in der mündlichen Verhandlung am 13.05.2015 bestätigen. Eine solche Persönlichkeit hat, auch wenn sie nicht erworben ist, Krankheitswert (F60.4 ICD-10 nach der ICD-10-GM, der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme", German modification, 10. Aufl. 2014) und kann daher, wenn sie zu Einschränkungen der Teilhabe an der Gesellschaft führt, eine Behinderung darstellen. Eine depressive Erkrankung (F32.x oder F33.x ICD-10-GM) hat Dr. M. dagegen verneint. Er hat ausgeführt, dass bei dem Kläger die Konzentrations- und Merkfähigkeit nicht beeinträchtigt seien, die Schwingungsfähigkeit gut vorhanden sei und das Denken sei formal geordnet. Es fehlen auch depressive Symptome wie ein sozialer Rückzug oder eine Herabgestimmtheit.
Aus einer Persönlichkeitsstörung, wie sie bei dem Kläger vorliegt, folgen aber geringere Einbußen in der Teilhabe als z.B. bei einer depressiven Erkrankung. Insbesondere bestehen bei dem Kläger keine Einbußen auf der sozialen Leistungsebene. Er steht um sieben Uhr auf und nimmt dann seine Medikamente ein. Er legt sich dann zwar gelegentlich noch einmal hin, aber andererseits hilft er im Haushalt mit und erledigt Einkäufe. Zudem wohnen zwei seiner Söhne noch bei ihm zu Hause. Befragt nach dem Verhältnis zu seiner Familie, hat er angegeben, es gebe keinen Streit und das Verhältnis sei gut. Es liegen daher ein strukturierter Tagesablauf und eine soziale Integration - vor allem in die Familie - vor. Für soziale Anpassungsschwierigkeiten, die sich im Umgang mit anderen Menschen äußern würden, bestehen überhaupt keine Anhaltspunkte. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger mit seiner Persönlichkeit lange berufstätig war und dass er seine Interessen zu artikulieren weiß. Ein psychischer Leidensdruck besteht bei dem Kläger ebenfalls nicht. Zu berücksichtigen sind daher im Wesentlichen nur die somatoform überhöhten Schmerzen aus dem Bereich der WS auf physischem Gebiet.
cc) Ansonsten liegen bei dem Kläger keine Behinderungen vor, die jeweils einen Teil-GdB von mehr als 10, wie er für die Bildung des Gesamt-GdB relevant wäre (Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG), bedingen könnten.
Wegen der geltend gemachten Beeinträchtigungen am Ellenbogengelenk und an der Schulter (diagnostiziert waren Impingementsyndrom bzw. Tendinitis) verweist der Senat wiederum auf die zutreffenden Ausführungen des SG.
Der Diabetes mellitus war bei dem Kläger bereits während des Aufenthalts im Zentrum für ambulante Rehabilitation (Entlassungsbericht vom 14.03.2007) medikamentös eingestellt. Daran hat sich nichts geändert: der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sein Diabetes nach wie vor mit Metformin behandelt wird. Dieses Medikament erhöht die Neigung zu Hypo¬glykämien nicht. Der Diabetes bedingt daher nach der Neufassung von Teil B Nr. 15.1 VG durch die 2. VersMedV-ÄndV v. 14.07.2010 (BGBl. I S. 928) keinen GdB.
Die vom Kläger im Antragsverfahren noch geltend gemachte Hypertonie ist kein Dauerzustand, jedenfalls erreicht sie nicht das für einen GdB von 20 notwendige Ausmaß nach Teil B Nr. 9.3 VG. Vielmehr finden hypertensive Entgleisungen statt, die aber behandelbar sind. So war der Blutdruck bei der Entlassung aus der kardiologischen Klinik des Rems-Murr-Kreises am 10.07.2013 wieder auf 131/87 mmHg gesunken. Organbeteiligungen liegen nicht vor. Die fortlaufende Behandlung der Hypertonie mit Ramipril hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Der im Verfahren einmal erwähnte Tinnitus wurde nicht weiter aufgegriffen und auch vom Kläger nicht spezifiziert. Er ist womöglich kein Dauerzustand geworden. Eine HNO-ärztliche Behandlung findet nach den Angaben des Klägers über seine behandelnden Ärzte gegenüber dem SG in der Aufstellung vom 15.11.2010 nicht statt. Vor diesem Hintergrund kann ein GdB nach Teil B Nr. 5.3 VG nicht anerkannt werden, zumal sich die Auswirkungen eines Tinnitus auch auf psychisches Gebiet erstrecken und insoweit eine starke Überschneidung mit den Auswirkungen der psychischen Erkrankung bzw. der vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur beständen.
Weitergehende Beeinträchtigungen aus den bekannten Schädigungen oder gar neue Behinderungen hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht.
dd) Auch hinsichtlich der Bildung eines Gesamt-GdB von 30 aus den beiden relevanten GdB von 20 schließt sich der Senat den Ausführungen des SG an.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
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