S 27 KA 55/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
27
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 27 KA 55/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Berufung wurde eingelegt: Az.: es L 5 KA 45/14
Der Bescheid des Beklagten vom 16.03.2011 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 940,22 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Zielfeldprüfung für das Abrechnungsjahr 2005.

Die Klägerin, eine Berufsausübungsgemeinschaft von zwei Ärzten für Innere Medizin, ist im Bereich der hausärztliche Versorgung zur vertragsärztlichen Versorgung in H. zugelassen. Mit Schreiben vom 26.2.2009 teilte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H. der Klägerin mit, sie habe in einem oder in mehreren der für das Jahr 2005 vereinbarten Zielfeldern die Zielvorgabe nicht erreicht. Die Klägerin erhalte Gelegenheit zur Zielwertüberschreitung eine Stellungnahme abzugeben. Insbesondere werde gebeten mitzuteilen, ob Besonderheiten für einzelne Patienten oder Patientengruppen geltend gemacht würden, die bei entsprechender Indikation eine Verordnung höherpreisiger Arzneimittel rechtfertigen könnten. Die Zielfeldüberschreitung seien bei der Verordnung inhalativen Glucocorticoiden, Mono (623,19 EUR), bei Insulinen, kurz wirksam (216,25 EUR) und bei Sulfonylharnstoffen (249,44 EUR) aufgetreten. Mit Schreiben vom 23.3.2009 erklärte die Klägerin, die zur Verfügung gestellten Unterlagen seien sehr dürftig. Es sei nicht möglich, anhand dieser Unterlagen Besonderheiten zu einzelnen Patienten oder Patientengruppen geltend zu machen, die bei entsprechender Indikation einer Verordnung höherpreisige Arzneimittel rechtfertigen könnten. Mit Bescheid vom 8.9.2009 setzte die Gemeinsame Prüfungs¬stelle einen Regress in Höhe von 940,22 EUR netto (553,64 EUR bei inhalativen Glucocorticoiden, Mono, 196,03 EUR bei Insulinen, kurz wirksam und 190,55 EUR bei Sulfonylharnstoffen) wegen Zielfeldüberschreitung fest.

Am 7.10.2009 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Mit Beschluss vom 16.3.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, der Regress sei zu Recht festgesetzt. Die Beigeladene zu 7 habe in ihrem Journal und in Informationsveranstaltungen zur Zielfeldprüfung detaillierte Angaben zur Vermeidung von Zielfeldüberschreitungen sowie zur Rechtfertigung von Überschreitungen gemacht. Es sei insbesondere auf die Dokumentationspflicht des Vertragsarztes hingewiesen worden. Die Berufsausübungsgemeinschaft sei verpflichtet, die Gabe von Medikamenten in ihrer Kartei zu dokumentieren und das verordnete Medikament anzugeben, so dass es in der Patientenkartei recherchiert werden könne. Es sei daher zu erwarten, dass die Berufs-ausübungsgemeinschaft einen "patientenbezogenen Sachvortrag" der Medikation der hier in Rede stehenden Zielfelder erstelle, an dem ein Dritter das Verordnungsverhalten nachvollziehen könne. Ein solcher Sachvortrag liege nicht vor. Das gehe zu Lasten der Vertragsärzte. Der Beschwerdeausschuss bestätige daher die von der Prüfungsstelle getroffene Entscheidung.

Mit ihrer am 27.4.2011 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses des Beklagten vom 16.3.2011. Zur Begründung trägt sie vor, ihnen sei es nicht möglich allein aus den Namen der verordneten Medikamente auf die von der Regressforderung betroffenen Patienten zu schließen. Der angefochtene Bescheid sei unsubstantiiert und ermögliche keine Rechtsverteidigung. Der Bescheid der Prüfungs¬stelle sei daher rechtswidrig. Da bereits der Grundbescheid es der Klägerin ex tunc unmöglich mache, von ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör Gebrauch zu machen, sei der hier angefochtene Bescheid im Übrigen aufzuheben, ohne dass zugleich eine Verpflichtung zur Neubescheidung durch den Beklagten ausgesprochen werde.

Die Klägerin beantragt, den Beschluss des Beklagten vom 16.3.2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrags verweist der Beklagten auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Ergänzend führt er aus, die Prüfungsstelle habe der Klägerin nicht die versichertenbezogenen Daten zur Verfügung stellen können, weil diese nicht von den Krankenkassen geliefert würden. Die Klägerin verkenne in ihrer Klagebegründung die Situation. Unstreitig habe sie die bei den Zielfeldern festgelegten Tagesdosen überschritten. Es sei ihre Aufgabe, sich durch entsprechenden Vortrag und die Vorlage von geeigneten Dokumentationen bzw. sonstigen aussagekräftigen Belegen zu entlasten. Im Prüfantrag sei der Klägerin die Pharmazentralnummer (PZN) und das verordnete Medikament mitgeteilt worden. Der entsprechende Patient habe auf diese Weise durch manches Praxis-EDV-System ermittelt werden könne. Jedenfalls sei es nicht Aufgabe des Beklagten, der Klägerin die Patientennamen mitzuteilen. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, auch von Mitgliedern des Beschwerdeausschusses sei ihm erklärt worden, dass auch für das Jahr 2005 es bereits möglich gewesen sei, durch Abfragen im Praxis-EDV-System herauszufinden, welchen Patienten ein bestimmtes Medikament verordnet sei. Es sei gesagt worden, dass es möglich sei, eine hinreichende Dokumentation aus dem Jahre 2005 auch wieder aufzurufen.

Mit Beschluss vom 19.9.2011 hat die Kammer die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen ausgesprochen. Die Beigeladen zu 1 trägt vor, der Beklagte habe zu Recht einen Regress wegen Zielwertverfehlung für das Jahr 2006 festgestellt. Die Beigeladen zu 7 habe mit den Hamburger Krankenkassenverbänden indikationsbezogene Zielfelder vereinbart, die im Falle der Überschreitung des Ausgabenvolumens für Arznei- und Heil-mittel zu gesamtvertraglich verankerten Regressansprüchen gegen diejenigen Arztpraxen führten, die die Zielvereinbarungen verfehlten. Mit der Zielvereinbarung sollte erreicht werden, dass innerhalb eines bestimmten Indikationsgebiets möglichst kostengünstige Fertigarzneimittel gewählte würden. Mit der Feststellung der Regressansprüche seien die Prüfgremien beauftragt worden. Rechtsgrundlage für den Regress sei § 19 Prüf-vereinbarung über das Verfahren der Wirtschaftlichkeit durch die Gemeinsame Prüfungs-stelle- und den Beschwerdeausschuss vom 30.11.2010 in Verbindung mit § 84 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Verbindung mit den Gesamtverträgen (u.a. Anlage F zum Gesamtvertrag zwischen der KVHH und der AOK H. vom 18.4.1996 in der Fassung des 12. Nachtrags vom 21.4.2005) und §§ 84 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 84 Abs. 4 a Satz 1 SGB V in Verbindung mit der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2005.

Weiter trägt die Beigeladene zu 1 vor, es gehe nicht um die Frage, ob ein Arzneimittel dem Grunde nach verordnungsfähig ist, sondern allein um die Frage, ob nicht ein kosten-günstigeres Fertigarzneimittel dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspreche. Bei denjenigen Arztpraxen, die die Versorgungsziele der Arzneimittelvereinbarung nicht erreicht hätten, spreche der erste Anschein dafür, dass sie unwirtschaftlich verordneten. Ihnen werde aber insoweit rechtliches Gehör gewährt, als dass es ihnen möglich ist, zwingende medizinische Gründe darzulegen, weshalb eine kostengünstigere Versorgung nicht möglich gewesen sei. Die Beweislast hierfür liege beim Vertragsarzt, vgl. § 2 Sätze 2 und 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag. Die Beigeladene zu 7 habe deshalb in ihren Veröffentlichungen von Anfang an deutlich darauf hingewiesen, dass es für die Prüfungsart unbedingt erforderlich sei, zu dokumentieren, warum im Einzelfall ein Arzneimittel mit ungünstigen DDD-Kosten gewählte werde. Demgemäß sei es Sache des Klägers vorzutragen, bei welchen Patienten sich aus seiner Dokumentation Hinweise ergeben, weshalb im Einzelfall teure Alternativen aus einem Indikationsgebiet gewählte werden mussten. Die anderen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des Beklagten vom 16.3.2011 war aufzuheben, weil er die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Einer Verurteilung des Beklagten zur Neubescheidung bedurfte es nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss – ebenso wie das vor dem Berufungsausschuss – ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungs-instanz, bei dem der vom Beschwerde- bzw. Berufungsausschuss erlassene Verwaltungsakt selbständig ist, so dass auch nur dieser Verwaltungsakt den alleinige Gegenstand des anschließenden gerichtlichen Verfahren bildet (Clemens in Schlegel / Voelzke, Juris Praxiskommentar, SGB V, § 106 Rdnr. 281 m.w.N. zur Rechtsprechung). Damit weicht das BSG von der im Verwaltungsverfahrensrecht geltenden Linie ab, das Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens immer der Bescheid der Ausgangsbehörde, allerdings in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist (vgl. § 79 Abs.1 Nr. 1 Verwaltungs-gerichtsordnung, VwGO, und § 95 Sozialgerichtsgesetz, SGG). Diese Abweichung wird mit den besonderen Bestimmungen des § 97 Abs. 3 Satz 2 SGB V und § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V begründet, wonach das Verfahren vor dem Berufungsausschuss und vor dem Beschwerdeausschuss als Vorverfahren gilt und damit eine Sonderregelung im Sinne des § 78 Abs. 2 Nr. 1 SGG darstellt und ab dem Zeitpunkt der Anrufung des Berufungs- bzw. des Beschwerdeausschusses nur noch diese Ausschüsse zuständig sind.

Das BSG hat in Bezug auf Entscheidungen des Berufungsausschusses ausgeführt. "Zum anderen gibt es keinen Widerspruch mehr, über den der Berufungsausschuss zu entscheiden hätte. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist allein der Bescheid des Berufungsausschusses Streitgegenstand (vgl. BSG SozR 3-2500 § 96 Nr. 1 S 6; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 6 S 39; vgl. schon BSG SozR 1500 § 96 Nr. 32 S 42). Da der Berufungsausschuss nicht über einen Widerspruch entscheidet, sondern eine eigen-ständige Sachentscheidung trifft (so auch Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl. 2012, § 44 Ärzte-ZV Rdnr. 6), bedarf es nach einer gerichtlichen Aufhebung des Bescheides des Berufungsausschusses keiner erneuten Entscheidung unter dem Gesichtspunkt, dass andernfalls der Bescheid des Zulassungsausschusses "in der Luft hinge". Die Aufhebung des Bescheides des Berufungsausschusses führt nicht zu einer Wiederherstellung des Ausgangsbescheides; vielmehr ist die Entscheidung des Zulassungsausschusses in der Entscheidung des Berufungsausschusses aufgegangen (so ausdrücklich LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 2.2.2006 - L 5 KA 37/05 - NZS 2006, 609, 610; Schallen, a.a.O., § 44 Ärzte-ZV Rdnr. 8 sowie Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertrags¬zahnärzte, § 45 Ärzte-ZV Rdnr. 5, jeweils unter Hinweis auf BSG SozR 1500 § 96 Nr. 32; vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 96 Nr. 1 S 6), ist also rechtlich nicht mehr existent" (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 49/11 R –, BSGE 112, 90-108). Für die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses (des Beklagten) gilt nicht anderes. Die Entscheidung der Gemeinsamen Prüfungsstelle vom 8.9.2009 ist mit den Worten des BSG rechtlich nicht mehr existent und kann damit auch nicht in Rechtskraft erwachsen.

Die ausschließliche Zuständigkeit des Beschwerdeausschusses hat zur Folge, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdeausschusses die Ermächtigungsgrundlage für den von ihm festgesetzten Regress (noch) bestehen muss. Als zweite Verwaltungs¬instanz hat der Beschwerdeausschuss die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu berücksichtigen und sich nicht darauf zu beschränken, ob die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides der Gemeinsamen Prüfungsstelle den Erlass eines Regresses rechtfertigte.

Der von der Gemeinsamen Prüfungsstelle mit Bescheid vom 8.9.2009 festgesetzte Regress beruhte auf einer Verfehlung der Zielfelder in den Bereichen inhalative Glucocorti-coiden, Mono, Insuline, kurz wirksam und Sulfonylharnstoffen im Abrechnungsjahr 2005. Erst mit dem durch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) neu eingeführten § 87 Abs. 7 a SGB V sollte die Verantwortung der Ärzte für die Wirtschaftlichkeit ihrer Arznei¬mittelverordnungen gestärkt werden. Die Vertrags¬partner wurden verpflichtet für Gruppen mit starken Verordnungsvolumen sogenannte Zielgrößen zu vereinbaren, wobei es sich um Durchschnittskosten je definierter Dosis¬einheit handelte. Während § 84 Abs. 3 die Haftung der Ärzteschaft einer Kassenärztlichen Vereinigung insgesamt für die Überschreitung des vereinbarten Ausgabevolumens regelt, ordnete § 84 Abs. 7 a Satz 6 SGB V die Haftung des einzelnen Vertragsarztes für den Fall an, dass dieser die nach § 84 Abs. 7 a Satz 1 festgesetzten Zielgrößen überschritten hatte (vgl. Baierl in Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 84 SGB V, Rdnr. 23). Diese Vorschrift kam mithin nur dann zum Tragen, wenn auf regionaler Ebene keine vorrangige Vereinbarung nach § 84 Abs. 4 a SGB V getroffen worden ist, so dass auf die in einer solchen Vereinbarung getroffenen Zielgrößen § 87 Abs. 7 a Satz 6 SGB V keine Anwendung fand (vgl. Clemens, Juris Praxiskommentar, § 84 Rdnr. 75 SGB V).

Worauf auch die Beigeladene zu 1 zu Recht hinweist, ist eine solche Vereinbarung in H. zwischen den Partner des Gesamtvertrags schon für die zweite Hälfte des Abrechnungsjahres 2005 getroffen worden. Gleichwohl dürfte der Bezug zu § 19 der Prüfungsvereinbarung über das Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch die Gemeinsame Prüfungsstelle- und den Beschwerdeausschuss vom 21.4.2005 nicht ausreichen, eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung eines Regresses durch den Beklagten zu begründen. Selbst wenn man § 19 der Prüfungsvereinbarung in Verbindung mit der Anlage F zum Gesamtvertrag als Ermächtigungsgrundlage für den in § 2 der Anlage F genannten Regressanspruch der Krankenkasse gegen den Vertragsarzt ausreichen lässt, so ist die in § 2 Abs. 1 Satz 3 der Anlage F getroffene Beweislastregelung unverhältnismäßig.

Die Beweislastregelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag ist unverhältnismäßig, weil die Klägerin ihr hinsichtlich der Anspruchsbegrenzung nicht nachkommen konnte. Zunächst ist festzuhalten, dass die Zielfeldprüfung nicht als eine Einzelfallprüfung wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise vorgesehen ist, so dass durchaus allgemeiner Angaben zu Patienten bzw. Patientengruppen ausreichen konnten. Diese hat die Klägerin jedoch nicht machen können, da sie von der Prüfungsstelle bzw. dem Beklagten keine entsprechenden Daten zur Verfügung gestellt bekommen hat. Allein die Angabe des Namens des verordneten Medikaments und die PZN ermöglichen es nämlich der Klägerin nicht, patientenbezogene Daten zu ermitteln und damit einen patientenbezogenen Sachvortrag zu leisten.

Die Kammer ist unter Berücksichtigung ihrer fachkundigen Besetzung mit einer Vertreterin der Vertragsärzte und einer Vertreterin der gesetzlichen Krankenkasse übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass die Beweislastregelung in § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag von den Vertragsärzten Unmögliches verlangt. Der Behauptung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, auch von Mitgliedern des Beschwerde-ausschusses sei ihm erklärt worden, dass auch für das Jahr 2005 es bereits möglich gewesen sei, durch Abfragen im Praxis-EDV-System herauszufinden, welchen Patienten ein bestimmtes Medikament verordnet worden sei; es sei gesagt worden, dass es möglich sei, eine hinreichende Dokumentation aus dem Jahre 2005 auch wieder aufzurufen, kann die Kammer nicht folgen. Eine solche Suche ist jedenfalls nicht anhand der Angabe der PZN und des Medikamentennamens in der elektronischen Patientendatei möglich gewesen. Eine solche elektronische Suche setzte voraus, dass die Ärzte in der Lage sind, eine eigene, in ihrem Praxisprogramm nicht vorgesehene Suchabfrage zu programmieren. Dazu müssten sie in das interne Datenbankmanagement eingreifen, was jedoch nur den Herstellern der Praxisprogramme möglich ist. Allein den Krankenkassen dürfte es anhand der Abrechnungsdaten der Apotheken und ihrer Versichertendaten möglich sein, das Medikament und den Versicherten anzugeben, damit der Arzt die Krankengeschichte überprüfen kann. Angesichts dessen ist es unverhältnismäßig, den Ärzten die Beweislast aufzubürden. Vielmehr wäre es Aufgabe der Gesamtvertrags¬partner vor Schaffung der Beweislastregelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag gewesen zu prüfen, ob zur Anspruchsbegrenzung eine Suche der Patientendaten allein mit dem Medikamentennamen bzw. dem Wirkstoff und der PZN möglich ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bei einem belastenden Verwaltungsakt gebietet dies.

Auch für den Beklagten bestand Veranlassung zu prüfen, ob die Beweislastregelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag die Vertragsärzte unverhältnismäßig belastet. Für die Sitzung des Beschwerdeausschuss am 16.3.2011 hatten Ausschuss-mitglieder ihre Bedenken hinsichtlich der von den Vertragsärzten verlangten Darlegungen zum Ausdruck gebracht. So heißt es in diesem Schreiben auf Bl. 21 der Verwaltungsakte: "wir möchten noch einmal daraufhin weisen, dass Ihre Behauptung, dass es für jeden Arzt ein Leichtes sei, über die Pharmazentralnummer den entsprechenden Patienten zu finden, nicht richtig ist. Dies ist jedoch in den allermeisten Praxis-EDV-Systemen nicht möglich". Da sich diese Aussage mit den Erfahrungen der ehrenamtlicher Richterinnen deckt, hat die Kammer davon abgesehen, mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob im Jahr 2009 bzw. 2011 mit Hilfe der PZN für jeden Arzt es ein Leichtes gewesen ist, den entsprechenden Patienten aus dem zweiten Halbjahr 2005 zu finden.

Die Kammer ist auch der Überzeugung, dass es vom Vertragsarzt nicht verlangt werden kann, manuell seine Patientendatei z.B. aus dem Jahr 2005 im Jahr 2009 bzw. 2011 zu durchsuchen, um die vom Beklagten verlangten patientenbezogenen Angaben zu machen, damit Dritte das Verordnungsverhalten nachvollziehen können. Wenn der Beklagte auf eine Dokumentationspflicht abstellt, so kann dem nur entgegen gehalten werden, dass wohl keinem Arzt unterstellt wird, er habe keinerlei Dokumentation in der Patientendatei zu seinen Verordnungen vorgenommen. Dass für die Entlastung von Vorwürfen der Zielfeldüberschreitung eine eigenständige Dokumentation zu führen ist, geht jedenfalls nicht aus den Mitteilungen der Beigeladenen 7 bzw. der Anlage F zum Gesamtvertrag hervor.

Der Beschluss des Beklagten war nach alledem aufzuheben.

Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halb-satz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außer-gerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO für nicht erstattungsfähig erklärt worden, weil diese keine eigenen Anträge gestellt haben. Der Streitwert ist nach § 52 Gerichtskostengesetz festgesetzt worden.
Rechtskraft
Aus
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