S 4 SO 2162/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 2162/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Mit dem Erreichen der Volljährigkeit und der Umstellung von SGB VIII-Leistungen auf SGB XII-Leistungen tritt ein neuer Leistungsfall ein, auf den § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII nicht anwendbar ist.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Erstattungsanspruch für Leistungen an den am 1994 geborenen Herrn W. im Streit. W. leidet u. a. an frühkindlichem Autismus, Lernbehinderung, Störung der Impulskontrolle und Adipositas permagna. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von mit den Merkzeichen anerkannt.

Dem Streit zwischen den Beteiligten liegt die Rechtsfrage zugrunde, ob bei der Umstellung einer Leistungsgewährung vom SGB VIII auf das SGB XII nach Eintritt der Volljährigkeit die frühere Zuständigkeit des beklagten Landkreises für Leistungen an W. fortbestand oder ein neuer Leistungsfall mit Zuständigkeit des für den neuen Wohnsitz des W. zuständigen klagenden Landkreises eingetreten ist.

W. erhielt vor Eintritt seiner Volljährigkeit vom Jugendamt des Beklagten während seiner Aufenthalte in verschiedenen Einrichtungen unterschiedliche Leistungen der Jugendhilfe. Nach Beendigung dieser Aufenthalte wohnte W. ab dem 25.03.2011 im Haushalt seiner Mutter in E. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Dort wurden ihm weiterhin Leistungen der Jugendhilfe durch den Beklagten in Form eines intensiv sozialpädagogisch betreuten Einzelwohnens nach § 35 a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII bewilligt, welche auch nach dem Umzug ab dem 25.11.2011 in eine eigene Wohnung in M. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers von dem Beklagten weiterhin nach dem SGB VIII gewährt wurden. Leistungserbringer war das mit 20 Fachleistungsstunden pro Woche. Der Umzug nach M. war erfolgt, weil der Bezugsbetreuer des W. im Landkreis des Klägers wohnt. Die fortbestehende Zuständigkeit des Beklagten nach dem SGB VIII nach dem Umzug nach M. in den eigentlich örtlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers ergab sich aus § 86 Abs. 2 SGB VIII.

Nach Erreichen der Volljährigkeit bestand der Unterstützungsbedarf zur Teilhabe von W. fort, weswegen die Weiterbewilligung im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII erfolgte. Zwischen den Beteiligten ist hierbei unstreitig, dass die Gewährung einer Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII (bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres) für W. nicht in Betracht kam, da aufgrund des Krankheitsbildes die notwendige Verselbständigung nicht erreicht werden konnte.

Das Jugendamt des Beklagten veranlasste W. dazu, am 23.03.2012 beim Sozialamt des beklagten Landkreises Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII zu beantragen.

Der beklagte Landkreis leitete das Schreiben mit Schreiben vom 29.03.2012 nach § 14 Abs. 1 SGB IX an den klagenden Landkreis mit der Begründung weiter, dass der Kläger für die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII örtlich zuständig sei. Der Kläger er-brachte die weiteren Leistungen nahtlos mit Bescheid vom 15.05.2012 sowie mit Bescheiden vom 25.05.2012 und 14.11.2012 sowie Folgebescheid vom 23.10.2013 für den Bewilligungsabschnitt 01.09.2013 bis 31.08.2014.

Zwischenzeitlich war in einem Eilverfahren mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 2012 die gesetzliche Betreuung des W. durch das Amtsgericht R. geregelt und Herr F. als gesetzlicher Betreuer bestellt worden.

Mit weiteren Bescheiden vom 31.05.2012 und Änderungsbescheid vom 22.06.2012 wurde über die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 2012 bis 31.10.2012 entschieden. Mit Bescheid vom 13.09.2012 wurden die Leistungen ab 2012 (Datum des Eintritts der Volljährigkeit) nach dem Vierten Kapitel des SB XII gewährt, da der Rententräger mit Gutachten vom 31.08.2012 die dauerhafte volle Erwerbsminderung des Herrn W. ab Geburt im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI festgestellt hatte. Diese Leistungen wurden fortlaufend weiterbewilligt.

Mit Schreiben vom 31.05.2012 meldete der Kläger seinen Erstattungsanspruch gemäß § 14 Abs. 4 SGB IX beim Beklagten für die Zeit ab dem (Datum des Eintritts der Volljährig-keit) an.

Der Beklagte trat diesem Ansinnen mit Schreiben vom 24.08.2012 mit der Begründung ent-gegen, dass bei Eintreten eines Wechsels von der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe ein Neufall eintrete und somit die Zuständigkeit neu zu prüfen sei. Der Beklagte verwies auf die Vereinbarung zum Herkunftsprinzip in den Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg, A 655, Nr. 9. Durch die Anmietung der Wohnung und den Umzug in diese Wohnung habe W. in M. einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, welcher vorerst nicht zur Geltung gekommen sei, sondern erst dann auflebte, als die Jugendhilfemaßnahme mit Vollendung des 18. Lebensjahres am 2012 beendet wurde und der örtliche Träger der Sozialhilfe für die Maßnahme zuständig wurde. In diesem Zusammenhang wurde auf eine Entscheidung der Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten vom 01.09.2008, Stuttgart St 06/05, Bezug genommen. Danach komme die Regelung des § 98 Abs. 5 SGB XII nicht zum Tragen, da bereits ab Ende November 2011 der Kläger örtlich zuständig gewesen sei. Mit weiterem Schreiben vom 17.10.2012 versuchte der Kläger, eine Einigung über die Kostenerstattung zu erzielen, welche mit Schreiben des Beklagten vom 16.11.2012 erneut abgelehnt wurde.

Für die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII meldete der Kläger mit Schreiben vom 26.11.2012 ebenfalls einen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X an.

Auch diesen Erstattungsanspruch lehnte der Beklagte ab, was er mit Schreiben vom 18.12.2012 dahingehend begründete, dass es keiner separaten Entscheidung bedürfe, da der Leistungsanspruch lediglich in Kombination mit den Leistungen in der ambulant betreuten Wohnform erfolge.

Der Kläger hat deswegen erst am 25.06.2014 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Der Kläger ist der Auffassung, als zweitangegangener Träger nach § 14 Abs. 1 SGB IX über den Antrag auf Übernahme der Kosten in der ambulant betreuten Wohnform nach § 54 Abs. 1 SGB XII entschieden zu haben. Nach Auffassung des Klägers liege die örtliche Zuständigkeit jedoch nach wie vor bei dem Beklagten, weswegen dieser dem Kläger die angefallenen und noch anfallenden Kosten nach §§ 14 Abs. 4 SGB IX, 98 Abs. 5 SGB XII und 102 SGB X zu erstatten habe. Nach § 98 Abs. 5 SGB XII sei für die Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt örtlich zuständig war oder gewesen wäre. Mit der gesetzlichen Neuregelung des Abs. 5 sei der Schutz der Einrichtungsorte, welcher sich bis zum 31.12.2004 auf stationäre Leistungen beschränkt habe auf Leistungen in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten erweitert worden. Ursprünglich sei der Beklagte für den Kläger nach dem SGB VIII zuständig gewesen. Die Leistungen seien Herrn W. auch nach seinem Umzug in die eigene Wohnung in Muggensturm vom 25.11.2011 bis zum 2012 (Tag vor Eintritt der Volljährigkeit) weitergewährt worden. Ab dem 2012 habe dann der Kläger die Leistungsgewährung nach dem SGB XII nahtlos im Sinne des § 14 SGB IX als zweitangegangener Rehabilitationsträger übernommen. Es werde in Übereinstimmung mit dem Beklagten davon ausgegangen, dass W. mit seinem Umzug in die Wohnung in M. seinen tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des Klägers begründet habe. Einigkeit bestehe auch dahingehend, dass dieser tatsächlich der gewöhnliche Aufenthalt für die Dauer des Bezugs der Leistungen nach § 35 a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII aufgrund der Vorschrift des § 89 e SGB VIII erstattungsrechtlich geschützt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Beklagten finde die Schutzvorschrift des § 98 Abs. 5 SGB XII jedoch auch vorliegend weiter Anwendung, wenn eine nahtlose Weiterbewilligung von bestimmten Leistungen des SGB VIII nach Eintritt der Volljährigkeit in Form von Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB XII erfolge. Da in solchen Fällen ein bisher örtlich zuständiger Träger der Sozialhilfe nicht existiere, müsse ein solcher hypothetisch bestimmt werden. Wäre die Maßnahme des Herrn W. ab dem Zuzug nach M. nicht vom Jugendamt des Beklagten finanziert worden, sondern hätte diese aus Mitteln der Sozialhilfe finanziert werden müssen, wäre die Maßnahme eindeutig als ambulant betreutes Wohnen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII eingeordnet worden, mit der Folge, dass der Beklagt für die Sozialhilfegewährung nach § 98 Abs. 5 SGB XII örtlich zuständig gewesen wäre. Die örtliche Zuständigkeit nach dieser Vorschrift bleibe bestehen, solange Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII erbracht werden. Deswegen sei der Beklagte nach Einstellung der Jugendhilfeleistungen als zuvor hypothetisch örtlich zuständiger Sozialhilfeträger auch für die sich nahtlos an die Jugendhilfe anschließenden tatsächlichen Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII weiterhin örtlich zuständig.

Gemäß Bundestagsdrucksache 16/2711 Seite 13 zu Nr. 19 verdeutlichten das Wort "ist" sowie die Ergänzung der Wörter "oder gewesen wäre" die Anknüpfung der Zuständigkeit an die vorhergehenden Aufenthaltsverhältnisse der nachfragenden Person vor Beginn der Leistungen in ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten. Diese Auslegung erscheine auch insofern schlüssig, da anderenfalls die Träger der Jugendhilfemaßnahmen durch einen Umzug des Leistungsempfängers kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres Einfluss auf die örtliche Zuständigkeit nehmen könnten und somit der vom Gesetzgeber angestrebte Schutz der Einrichtungsorte in diesen Fällen nicht mehr gewährleistet wäre (mit weiterem Hinweis auf BSG vom 25.08.2011 - B 8 SO 7/10 R -). Das BSG habe entschieden, dass die Grundsätze des § 98 Abs. 2 SGB XII auf die Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII zu übertragen seien. Dies bedeute in der Folge aber auch, dass der Träger des tatsächlich gewöhnlichen Aufenthaltes als Einrichtungsort bei einem nahtlosen Wechsel von ambulant betreuten Wohnformen im Sinne der Jugendhilfe in ambulant betreute Wohnmöglichkeiten nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII über die Vorschrift des § 98 Abs. 5 SGB XII in demselben Umfang geschützt werden müsse, wie er dies über § 109 i. V. m. § 98 Abs. 2 SGB XII bei einem Wechsel von stationären Wohnformen der Jugendhilfe in die der Sozialhilfe wäre. Eine andere Betrachtungsweise würde Sinn und Zweck des § 98 Abs. 5 SGB XII zuwiderlaufen, zumal hierdurch der Schutz der Einrichtungsorte auf Leistungen in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten habe erweitert werden sollen. Die Schutzvorschrift des § 89 e SGB VIII würde ebenfalls ins Leere greifen, weil hierdurch nur der Träger der Jugendhilfe, nicht aber der Träger der Sozialhilfe geschützt würde. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX als Anspruch des zweitangegangenen Trägers gegen den eigentlich zuständigen Reha-Träger. Das BSG habe festgestellt, dass die Bestimmungen des § 14 Abs. 4 SGB IX die Erstattungsregelungen der § 102 ff SGB X grundsätzlich unberührt lasse (mit Hinweis auf BSG vom 26.06.2007 - B 1 KR 34/06 R - und vom 28.11.2007 - B 11a AL 29/06 R -).

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm die für den am 1994 geborenen Herrn W. ab dem 2012 nach dem SGB XII entstandenen Kosten zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist darauf, dass W. bis zum 2012 und damit bis zu seiner Volljährigkeit, die gemäß § 10 Abs. 4 SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vorgehenden Leistungen gemäß § 35 a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII vom Kreisjugendamt des Beklagten erhalten habe. Werte man den Einzug in die Wohnung in M. als "Eintritt in diese Wohnform", so sei W. zu diesem Zeitpunkt (November 2011) noch minderjährig gewesen. Für minderjährige Leistungsempfänger sei aber aufgrund der gesetzlichen Regelung nicht der Sozialhilfe-, sondern der Jugendhilfeträger zuständig. Die Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers wie im vorliegenden Falle könne sich aufgrund der gesetzlichen Regelung frühestens mit Eintritt der Volljährigkeit ergeben. Zu diesem Zeitpunkt ( 2012) sei W. jedoch bereits seit November 2011 in M. wohnhaft und habe auch nach Ansicht des Klägers dort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Der Landkreis E. sei aus diesem Grund weder der zuletzt zuständige noch der hypothetisch zuständige Sozialhilfeträger ("gewesen wäre"). Ein Kostenerstattungsanspruch scheide daher aus. Unabhängig davon werde darauf hingewiesen, dass der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch bezüglich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ebenfalls nicht, zumindest nicht in der geltend gemachten Höhe bestehen dürfte, da aufgrund des § 46 a SGB XII eine Erstattung durch den Bund erfolge.

Ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 SGB IX i. V. m. § 102 SGB X scheide zudem bereits deswegen aus, da der Kläger gegenüber dem Leistungsempfänger in seinem Leistungs-bescheid nicht nach außen deutlich gemacht habe, dass er die Leistungen nur vorläufig er-bringe (mit Hinweis auf BSG vom 22.05.1985 - 1 RA 33/84 - und LSG Hamburg vom 30.10.2012 - L 4 SO 65/11 -). Dieses Erfordernis werde durch die Leistungsbescheide des Klägers gerade nicht erfüllt.

Im Übrigen stelle sich auch die Frage, ob es sich bei der bewilligten Leistung überhaupt um betreutes Wohnen im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX handele und mit der G. eine gültige Leistungs- und Vergütungsvereinbarung, gegebenenfalls auch eine Einzelvereinbarung über ambulant betreutes Wohnen bestehe, da sich dies aus den Verwaltungsakten des Klägers nicht entnehmen lasse. Die Leistungen der Eingliederungshilfe seien auch nicht im Rahmen eines persönlichen Budgets bewilligt worden. Eine Rückfrage beim Schwarzwald-Bahr-Kreis habe ergeben, dass die G. dort nur Kinder und Jugendliche mit ihren Familien betreue (Leistungsträger der bestehenden Vergütungsvereinbarung, die als Grundlage für die Bezahlung der Fachleistungsstunden herangezogen wurde). Die Zuständigkeit würde sich in diesem Fall dann nicht nach § 98 Abs. 5 SGB XII, sondern nach § 98 Abs. 1 SGB XII richten.

Der Kläger hält dem entgegen, dass es sich entgegen der Auffassung des Beklagten um betreutes Wohnen im Sinne von § 54 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX handele. Der Begriff des betreuten Wohnens werde im Gesetz nicht definiert, habe sich allerdings über den Verweis in § 54 Abs. 1 SGB XII an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX zu orientieren (mit Hinweis auf BSG vom 25.08.2011 - B 8 SO 7/10 R - und Bundestagsdrucksache 15/1514, Seite 67 zu § 93 SGB XII). Danach müsse Hauptzielrichtung der Leistungen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein und es dürfe sich nicht um eine vorwiegend medizinisch oder pflegerische Betreuung handeln. Es müsse keine institutionelle Verknüpfung zwischen der ambulanten Betreuung und der angemieteten Wohnung bestehen. Dass es sich um betreutes Wohnen in diesem Sinne handele, ergebe sich aus den dem Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 53 ff SGB XII gewährten Leistungen und aus den Kostenzusagen vom 15.05.2012 und 25.05.2012. Entsprechendes gelte für die W. in der eigenen Wohnung geleistete Hilfe. Eine Vergütungsverpflichtung des Klägers gegenüber dem Betreuer des W. als Leistungserbringer ergebe sich aus § 75 Abs. 4 SGB XII. Wegen der zeitlichen Dringlichkeit sei der zuvor im Rahmen der Jugendhilfe tätige Betreuer F. gebeten worden, die Leistungen ab Volljährigkeit im Rahmen des ambulanten Wohnens fortzusetzen. Daraufhin habe der Kläger mit F. am 2012 eine schriftliche Vereinbarung über die Gewährung sozialpädagogischer Betreuung getroffen. Die Vergütungsverpflichtung des Klägers gegenüber der G. als Leistungserbringer ergebe sich aus § 75 Abs. 2 und 3 SGB XII und zwar für die Zeit vom 26.05.2012 bis zum 31.12.2012 aus der Vergütungsvereinbarung vom 16.05.2007 und ab dem 01.01.2013 aus den zwischen der G. und dem Kläger geschlossenen Vereinbarungen.

Außerdem vertritt der Kläger die Auffassung, dass dem Einwand des Beklagten, die vorläufige Leistungsgewährung habe nach außen deutlich gemacht werden müssen, nur teilweise zuzustimmen sei. Denn hinsichtlich der Gewährung von Eingliederungshilfe bestehe nach § 14 SGB IX eine endgültige Leistungspflicht des zweitangegangenen Trägers, weil eine Weiterleitung an den vermeintlich zuständigen Träger der Sozialhilfe nicht mehr möglich sei, womit ein endgültiger Rechtsgrund im Verhältnis zu dem Leistungsberechtigten bestehe (mit Hinweis auf BSG vom 26.06.2007 - B 1 KR 36/06 R -, LSG Rheinland-Pfalz vom 18.02.2011 - L 1 SO 15/09 - und LSG Baden-Württemberg vom 11.07.2012 - L 2 SO 2400/10 -). Darüber hinaus wird die Auffassung vertreten, dass die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mit der Haupthilfe, den Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form des ambulant betreuten Wohnens nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 1, 6 SGB IX verbunden und somit auch im Rahmen von § 14 Abs. 4 SGB IX zu erstatten seien. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger nur durch die Weiterleitung des Antrages nach § 14 Abs. 1 SGB IX in die Position des endgültig und umfassen leistungspflichtigen Sozialhilfeträgers gelenkt worden sei. Hilfsweise ergebe sich ein Erstattungsanspruch für die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aus § 102 SGB X i. V. m. § 43 SGB I. Sofern dieser hilfsweisen Argumentation nicht gefolgt werde, ergebe sich weiterhin hilfsweise jedenfalls ein Erstattungsanspruch aus § 105 SGB X (mit Hinweis auf LSG Hamburg vom 30.10.2012 - L 4 SO 65/11 -).

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Ein Erstattungsanspruch kann sich nur dann ergeben, wenn ein anderer Träger als der Kläger für die W. nach dem SGB XII ab dem 2012 gewährten Leistungen zuständig war.

Hat ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen er-bracht, ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig, § 102 Abs. 1 SGB X. Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser nach der spezielleren Regelung in § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.

Eine vorrangige Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus dem Gesetz jedoch nicht. Unzweifelhaft ist der Kläger für die Leistungsgewährung nach dem SGB XII in seinem räumlichen Einzugsbereich zuständig, in welchem W. sich im streitgegenständlichen Zeitraum aufgehalten hat. Demnach wäre der Kläger auch unstreitig für die Leistungserbringung nach dem SGB XII zuständig gewesen, wenn es sich bei der Leistungsgewährung an W. ab dem 11.05.2012 um eine erstmalige Gewährung gehandelt hätte. Für eine Abweichung vom Grundsatz der Zuständigkeit für den eigenen örtlichen Zuständigkeitsbereich gemäß den §§ 3, 97 und 98 Abs. 1 SGB XII ist weder eine rechtliche Grundlage noch ein rechtliches Bedürfnis ersichtlich.

Die abweichende Vorschrift des § 98 Abs. 2 SGB XII ist nicht einschlägig, da es sich bei den Leistungen an W. nicht um stationäre Leistungen handelt. In Betracht kommt daher nur die Sonderregelung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift ist für Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, derjenige Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre.

Dieses Abstellen auf die Aufenthaltsverhältnisse des Leistungsempfängers vor Beginn der ambulant betreuten Wohnmöglichkeit erweitert den Schutz der Orte, die entsprechende Möglichkeiten anbieten, und entsprechende Leistungen finanzieren. Ausdrückliche Hinweise auf dieses Regelungsziel, das auch der Zuständigkeitsbestimmung bei stationären Leistungen in § 98 Abs. 2 SGB XII zugrunde liegt, enthalten die Gesetzesmaterialien indes nicht (vgl. Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 98 SGB XII, Rn. 51; von einem Schutz der Einrichtungsorte und einer Missbrauchsvorbeugung ausgehend auch Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII K § 98, Rn. 94). Dies gilt auch für die Änderung gemäß Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 02.12.20066 mit Wirkung ab 07.12.2006 (BGBl I 2006, 2670). Die hierzu in den Materialien verfügbare Erläuterung ("Das Wort "ist" sowie die Ergänzung der Wörter "oder gewesen wäre" verdeutlicht die Anknüpfung der Zuständigkeit an die vorhergehenden Aufenthaltsverhältnisse der nachfragenden Person vor Beginn der Leistungen in ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten") gibt keine klare Auskunft zu der Frage, ob die Fiktion "wäre" auf Fälle wie den vorliegenden auszudehnen ist (vgl. BT-Drs. 16/2711, S. 13).

Die Kammer lässt die zwischen den Beteiligten streitige Frage offen, ob es sich vorliegend um ein ambulantes Wohnen des W. im Sinne von § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII handelt. Eben-falls nicht entschieden werden muss die streitige Frage, ob der Kläger bei seinen Leistungen an W. einen genügenden Vorbehalt dergestalt zum Ausdruck gebracht hat, dass er sich nicht als letztlich zuständigen Kostenträger ansieht.

Denn jedenfalls fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung, dass der Beklagte der Träger der Sozialhilfe war, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Unstreitig war der Beklagte nie für die Leistungsgewährung an W. nach dem SGB XII vor dem streitgegenständlichen Zeitraum zuständig.

Es kommt daher darauf an, ob die Formulierung "zuständig ( ) gewesen wäre" auch Fälle erfasst, in denen eine Leistungsgewährung nicht stattfand. Dies ist für die Fälle zu bejahen, in denen eine Leistungsgewährung theoretisch möglich gewesen wäre, da es nicht von den Zufälligkeiten einer tatsächlichen Antragstellung bzw. einer Kenntnis der Behörde abhängen kann, welche Behörde zuständig ist. Deswegen ist bei fehlendem vorhergehendem Sozialhilfebezug zu klären, welcher Träger örtlich zuständig gewesen wäre in dem hypothetischen Fall, dass der Leistungsberechtigte die naheliegenden Leistungsansprüche geltend gemacht hätte (Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 98 SGB XII, Rn. 56). Es ist daher zur Prüfung des Merkmals "zuständig ( ) gewesen wäre" zu fragen, welcher Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig für eine konkrete Lebenssituation gewesen wäre, in der sich ein Betroffener befunden hat, wenn dieser seinen Bedarf nicht selbst oder durch andere hätte decken können (so ausdrücklich Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII K § 98, Rn. 96 mit Hinweisen auf SG Berlin vom 11.08.2005 - S 38 SO 4223/05 ER -, ZfF 2006, 109; SG Speyer vom 02.02.2005 - S 16 ER 10/05 SO -, ZfF 2006, 64 und auf LSG Berlin-Brandenburg vom 26.07.2006 - L 15 B 125/06 SO; vgl. auch BSG, Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 7/10 R -, BSGE 109, 56). Die Fiktion aufgrund des Merkmals "wäre" kann auch noch auf Fälle ausgedehnt werden, wenn ein Wechsel zwischen verschiedenen Wohnformen stattfindet (vgl. Söhngen a.a.O.).

Dem Kläger ist einzuräumen, dass die Vorschrift des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII auch die Bestimmung eines hypothetisch zuständigen SGB XII-Leistungsträgers erfordert. Dies setzt nach Auffassung der Kammer jedoch voraus, dass dieser Träger theoretisch - bei der geforderten Betrachtung, welcher andere SGB XII-Träger vorhanden gewesen wäre - als nach dem SGB XII zuständiger Leistungsträger in Betracht gekommen wäre. Dafür spricht insbesondere, dass die Vorschrift des § 98 Abs. 5 SGB XII sich im SGB XII befindet und insoweit nur Veranlassung besteht, in der Norm die Zuständigkeiten nach dem SGB XII zu regeln.

Außerdem würde es auch den ungenauen Wortlaut des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII strapazieren, wollte man einen Träger als hypothetisch zuständig bezeichnen, der aufgrund unverrückbarer Tatsachen - hier: der Minderjährigkeit des W. - nie auch nur hypothetisch für den W. zuständig gewesen wäre.

Anders formuliert lässt sich über § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII zwar ein Sozialhilfebezug fingieren, doch gilt dies mit der Einschränkung, dass dieser jedenfalls fiktiv auch möglich gewesen wäre; die für den Sozialhilfebezug erforderliche Volljährigkeit eines Leistungsbeziehers lässt sich über die Vorschrift nicht fingieren (in diesem Sinne Thüringer LSG, Urteil vom 17.10.2012 - L 8 SO 741/10 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.02.2013 - 12 A 1906/12 -, juris Leitsatz 2 und Rn. 36).

Eine Zuständigkeit des Beklagten für W. nach dem SGB XII war aber ausgeschlossen, da die Zuständigkeit des Beklagten für die Dauer der Minderjährigkeit des W. sich allein aus dem SGB VIII ergab. Eine Leistungsgewährung an den W. nach dem SGB XII war zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht möglich, da das SGB VIII vorrangig einschlägig war. Die Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers wie im vorliegenden Falle konnte sich aufgrund der gesetzlichen Regelung frühestens mit Eintritt der Volljährigkeit ergeben. Zu diesem Zeitpunkt ( 2012) war W. jedoch bereits seit November 2011 in M. wohnhaft und hatte auch nach Ansicht des Klägers dort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Da vor dem Eintritt in die Wohnform kein anderer "Sozialhilfeträger" für den W. zuständig war - der Beklagte war als Träger der Jugendhilfe zuständig - ist der Anwendungsbereich des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII nicht eröffnet (diese Tendenz andeutend Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, Rn. 36). Die Weitergewährung von SGB VIII-Leistungen für einen gewissen Zeitraum nach dem Erreichen der Volljährigkeit beruhte auf der Schutznorm des § 86 Abs. 2 SGB VIII und zeigt, dass der Kläger nicht gänzlich schutzlos gewesen ist.

Den Schutz des § 86 Abs. 2 SGB VIII mit dem Schutz des § 98 Abs. 5 SGB XII zu verbinden und eine umfassende Zuständigkeit des erstmalig zuständigen Trägers für Leistungen nach dem SGB VIII und dem SGB XII bei Inanspruchnahme der genannten Wohnform anzunehmen erscheint nicht veranlasst. Zunächst fehlt es an einer entsprechenden Regelung, die dies eindeutig anordnet. Da es sich bereits bei § 98 Abs. 5 SGB XII um eine Ausnahmeregelung von der grundsätzlichen Zuständigkeit handelt, sind einer entsprechenden Anwendung und weiteren Ausdehnung des Anwendungsbereichs Grenzen gesetzt. Im Gegenteil liegen bereichsspezifische Regelungen für das SGB VIII und das SGB XII vor, woran sich zeigt, dass der Gesetzgeber in beiden Bereichen das Problem der Schutzbedürftigkeit von Einrichtungsträgern, die besondere Angebote vorhalten und finanzieren, gesehen hat. Eine die Bücher des Sozialgesetzbuches umspannende Zuständigkeitsregelung hat der Gesetzgeber jedoch gerade nicht geschaffen.

Gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht auch, dass kein Bedarf für eine weitere entsprechende Anwendung erkennbar ist. Anhaltspunkte für einen Missbrauch, dem vorgebeugt werden müsste, sind vorliegend weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht worden. Es erscheint auch als natürlicher Vorgang, dass beim Erreichen der Volljährigkeit die Wahrscheinlichkeit eines Ortswechsels einer Person größer ist, weil es sich um den Beginn eines besonderen neuen Lebensabschnitts handelt. Insoweit würde es im Gegenteil zu der Ansicht des Klägers gerade fragwürdig erscheinen, beim Ortswechsel nach Eintritt der Volljährigkeit und dem Übergang von SGB VIII-Leistungen auf SGB XII-Leistungen immer an alte Zuständigkeiten anzuknüpfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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