L 8 KA 15/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 11 KA 123/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KA 15/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Arzneikostenregress bei Verstoß gegen Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses

1. Therapiehinweise in den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses enthalten keine Verordnungsausschlüsse im Sinne des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V. Dies gilt auch für Therapiehinweise, die so gefasst sind, dass sie wie Verordnungsausschlüsse wirken.
2. Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses sind für Vertragsärzte und Prüfgremien verbindliche Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebots.
3. Soweit eine Arzneimittelverordnung gegen die Vorgaben eines Therapiehinweises des Gemeinsamen Bundesausschusses verstößt, haben die Prüfgremien nicht eigenständig und im Einzelnen zu prüfen, ob dem Grunde nach ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vorliegt; vielmehr genügt es, wenn sie den Verstoß gegen die Vorgaben des Therapiehinweises feststellen.
3. § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V ist auf Therapiehinweise entsprechend anzuwenden. D.h. von den Vorgaben eines Therapiehinweise kann der Vertragsarzt bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation mit Begründung abweichen.
4. Die Begründungspflicht nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V ist eine Dokumentationsobliegenheit. In den Krankenunterlagen des verordnenden Arztes müssen sich zeitnah angefertigte Informationen über Behandlungsverlauf und -alternativen in einem solchen Umfang befinden, dass auf ihrer Grundlage die Prüfung möglich ist, ob eine Ausnahmeindikation vorliegt.
5. Probleme mit der Compliance des Patienten vermögen für sich allein keine Ausnahmeindikation im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V zu begründen
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. April 2013 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.198,31 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses.

Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den Quartalen II/2007 bis I/2008 verordnete er einem 1932 geborenen Versicherten der zu 1 beigeladenen Krankenkasse zu deren Lasten das Arzneimittel Exubera (inhalierbares, kurzwirksames Humaninsulin). Durch die Verordnungen entstanden der Beigeladenen zu 1 unter Abzug von Apothekenrabatt und Zuzahlungen Kosten von 7.198,31 EUR. Zu diesem Arzneimittel hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) am 17.10.2006 einen Therapiehinweis zur Unwirtschaftlichkeit beschlossen (BAnz. Nr. 9 vom 13.01.2007).

Wegen Verstoßes gegen diesen Therapiehinweis beantragte die Beigeladene zu 1 am 05.05.2009 die Festsetzung eines Regresses nach Anlage 7 zur Prüfungsvereinbarung. Dazu nahm der Kläger dahingehend Stellung, dass bei dem Versicherten eine leitliniengerechte Therapie des seit Jahren bestehenden insulinpflichtigen Diabetes mellitus wegen Angst vor Insulininjektionen nicht möglich gewesen sei. Die Bevölkerungsgruppe des aus Afghanistan stammenden Versicherten habe ein sehr ausgeprägtes Schmerzempfinden. Insulininjektionen entsprächen auch nicht seinen religiös bedingten Ernährungsgewohnheiten. Weil der Versicherten der deutschen Sprache nicht mächtig sei, habe er auch nicht die Hinweise zur Injektionstherapie verstehen können. Inhalierbares Insulin könne bedarfsabhängig appliziert werden, verletze nicht die vom Koran vorgeschriebene Integrität des menschlichen Körpers, wirke auch, wenn der Patient erst nach Sonnenuntergang essen dürfe, und sei, wenn einmal die Inhalationstechnik richtig erlernt sei, leicht einzusetzen. Nach Bekanntgabe der Produktionseinstellung habe er – der Kläger – noch verfügbare Restbestände ausgemacht und die Verordnungen weiter getätigt.

Mit Bescheid vom 13.10.2009 setzte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen einen Regress in Höhe von 4.375,69 EUR fest, der der Beigeladenen zu 1 zu erstatten sei. Nach der Stellungnahme des Klägers habe es sich um eine indikationsgerechte Verordnung in einem medizinisch-notwendigen und ethischen Einzelfall gehandelt. Dem Versicherten sei aus Glaubensgründen die Selbstverletzung des eigenen Körpers untersagt gewesen; als solche habe er die intravenöse Gabe von Insulin empfunden. Nach der Bekanntgabe der Produktionseinstellung von Exubera am 20.10.2007 hätte der Kläger aber innerhalb von drei Monaten mit der Umstellung der Therapie beginnen müssen. Daher sei eine Unwirtschaftlichkeit der Verordnungen ab dem 04.12.2007 festzustellen.

Hiergegen legten die zu 1 beigeladene Krankenkasse und der Kläger Widerspruch ein. Die Beigeladene zu 1 rügte, der Versicherte habe bekanntermaßen jahrelang Insulin bekommen, sodass die Glaubensgründe nicht akzeptiert werden könnten. Zudem begründe die grundrechtlich gewährleistete Glaubensfreiheit keine krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche. Der Kläger machte geltend, der Versicherte habe bei Behandlungsbeginn aufgrund sehr schlechter Compliance für andere Insulintherapien deutlich erhöhte Blutzucker- und Nierenwerte gezeigt. Ohne die Behandlung mit Exubera wäre binnen eines Jahres Dialysepflicht zu erwarten gewesen. Allein deshalb sei der Ausnahmetatbestand von § 31 Abs. 1 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erfüllt gewesen. Ebenfalls zu berücksichtigten sei, dass der Versicherte aus religiösen Gründen und persönlichem Schmerzempfinden zu keiner anderen Therapie zu bewegen gewesen sei. Daran habe sich nach der Produktionseinstellung von Exubera nichts geändert. Um den Gesundheitszustand des Versicherten überhaupt stabil zu halten, sei es erforderlich gewesen, die Behandlung so lange wie möglich mit Exubera fortzuführen. Um eine Bevorratung beim Versicherten zu vermeiden, seien ihm die verordneten Medikamente nicht ausgehändigt, sondern in der Praxis gelagert worden, wo er sie bei regelmäßigen Besuchen erhalten habe. Der beklagte Beschwerdeausschuss setzte mit Bescheid vom 30.04.2010 auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 den Regress auf 7.198,31 EUR fest und wies den Widerspruch des Klägers zurück. Nach dem Therapiehinweis des GBA sei Exubera von der Wirksamkeit her mit subkutan injiziertem Normalinsulin vergleichbar, verteuere aber die Behandlung um das Fünffache und sei somit unwirtschaftlich. Eine Ausnahmeindikation sei allein aus ethischen und Glaubensgründen nicht zu begründen. Die Verordnungen könnten auch nicht teilweise anerkannt werden, da bei dem schon jahrelang insulinpflichtigen Versicherten weder ein Versuch unternommen worden sei, die schlechten Werte durch eine veränderte leitliniengerechte Therapie mit subkutan injiziertem Normalinsulin zu verbessern, noch die Fachkompetenz eines Diabetologen in Anspruch genommen worden sei.

Der Kläger hat am 04.06.2010 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben. Es habe sehr wohl ein medizinisch begründeter Einzelfall im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V vorgelegen. Andere Insulintherapien seien wegen fehlender Compliance und der persönlichen Umstände des Versicherten nicht in Betracht gekommen. Die Bevorratung des Medikaments habe dazu gedient, falsche Dosierungen, Hygieneprobleme sowie Missbrauch zu verhindern und das erforderliche Vertrauen für eine spätere Therapieumstellung aufzubauen. Andernfalls wäre in absehbarer Zeit Dialysepflicht mit deutlich höheren Kosten für die Versichertengemeinschaft zu befürchten gewesen.

Mit Urteil vom 10.04.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Unwirtschaftlichkeit der Verordnung liege in dem Therapiehinweis des GBA vom 17.10.2006 (BAnz. Nr. 9 vom 13.01.2007) begründet. Bei den Therapiehinweisen handele es sich um untergesetzliche Rechtsnormen, da sie Teil der Arzneimittelrichtlinien (AMR) seien. Die Verpflichtung eines Vertragsarztes, bei zwei zur Behandlung einer bestimmten Gesundheitsstörung zur Verfügung stehenden, medizinisch gleichwertigen Therapieansätzen den kostengünstigeren zu wählen, sei Kernbestandteil des Wirtschaftlichkeitsgebots. Zu dessen Konkretisierung sei der GBA grundsätzlich berechtigt. Ein medizinisch begründeter Einzelfall, in dem das Arzneimittel ausnahmsweise verordnungsfähig gewesen wäre, liege nicht vor. Die bei dem Versicherten zu behandelnde Krankheit (Diabetes mellitus) hätte nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit subkutan injiziertem Insulin behandelt werden können. Einer inhalativen Verabreichung des Insulins habe es nicht aus medizinischen Gründen bedurft. Die Ablehnung von subkutan injiziertem Insulin sei religiös motiviert gewesen, was jedoch keine krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche begründe. Zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führten auch nicht die angeblich fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache beim Versicherten; insoweit wäre zur Herstellung der Compliance unter Mithilfe sprachkundiger Familienangehörigen die Fachkompetenz einer Diabetes-Schwerpunktpraxis in Anspruch zu nehmen gewesen. Eine Umstellung auf subkutan injiziertes Insulin sei erst im Quartal IV/2008 versucht worden. Solche Bemühungen wären indessen schon mit der Bekanntgabe der Produktionseinstellung von Exubera durch den Hersteller am 18.10.2007 geboten gewesen. Die gleichwohl erfolgte Beschaffung von Restbeständen sei auch arzneimittelrechtlich unzulässig gewesen, da nach § 43 Arzneimittelgesetz (AMG) dem Arzt die Abgabe von Arzneimitteln nicht gestattet sei. Bei Verordnungsregressen komme es auf ein Verschulden nicht an. Ungeachtet dessen wäre es dem Kläger zur Vermeidung eines Regresses möglich und zumutbar gewesen, dem Versicherten ein Privatrezept auszustellen und es diesem zu überlassen, sich bei der Krankenkasse um Erstattung der Kosten zu bemühen.

Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner am 24.06.2013 eingelegten Berufung. Die Verordnung von zu injizierendem Insulin sei nicht aus religiösen Gründen unterblieben. Beim Versicherten handele es sich zwar um einen afghanischen Staatsbürger, der einen muslimischen Glauben pflege. Dies sei aber nicht der Grund für die Verordnung von Exubera gewesen. Der Versicherte sei schwer zuckerkrank gewesen und habe über Jahre keine geeignete Insulintherapie durchgeführt. Er sei der deutschen Sprache nicht mächtig; bei den Konsultationen in der Praxis sei stets ein Angehöriger anwesend gewesen, der übersetzt habe. Aufgrund der Sprachbarriere sei dem Versicherten allein inhalierbares Insulin erklärbar gewesen. Ferner habe sein unregelmäßiges Essverhalten eine konventionelle Insulintherapie ausgeschlossen. In Kombination mit der strikten Ablehnung solcher Präparate wäre es innerhalb kurzer Zeit (weniger als ein Jahr) zu einer dauerhaften Dialysepflicht mit deutlich höheren Therapiekosten als bei Exubera gekommen. Zudem habe er – der Kläger – große Erfahrung im Umgang mit Diabetikern und den Versicherten gleichwohl nicht zu einer Alternativtherapie bewegen können. Als Therapiealternative wäre der Einsatz einer Insulinpumpe in Betracht gekommen, die vom Versicherten wohl akzeptiert worden wäre. Voraussetzung dafür wäre aber eine mindestens sechsmonatige intensivierte kontrollierte Insulintherapie gewesen. Dazu habe die Therapie mit Exubera gedient, die im Übrigen preiswerter als eine Insulinpumpe gewesen wäre.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. April 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 30. April 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die geänderte Wortwahl im Berufungsverfahren könne an der religiösen Motivation der Verordnung nichts ändern. Soweit die Berufungsbegründung neuen Vortrag enthalte, sei der Kläger damit ausgeschlossen. Da maßgeblicher Zeitpunkt derjenige seiner – des Beklagten – Entscheidung sei, hätte es dem Kläger oblegen, bereits im Verwaltungsverfahren den entscheidungserheblichen Sachverhalt darzustellen.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Die Beigeladene zu 1 weist darauf hin, dass der Kläger keine diabetologische Schwerpunktpraxis führe; er habe lediglich als koordinierender Vertragsarzt am DMP-Vertrag (Diabetes mellitus Typ 2) teilgenommen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf und auf die in den Gerichtsakten enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der mit der Klage angefochtene Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses ist weder deshalb rechtswidrig, weil ein Vorverfahren nicht durchzuführen war (dazu 1.), noch verletzt er sonst den Kläger in seinen Rechten (dazu 2.).

1. Vor der Klageerhebung bedurfte es der vorherigen Anrufung des Beschwerdeausschusses.

a) Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dies gilt – ungeachtet gewisser Besonderheiten und ggf. nur entsprechend – auch für das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Vertragsarztrecht. Für diese bestimmt § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V, dass die dort aufgeführten Personen und Institutionen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen können; gemäß § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V gilt das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss als Vorverfahren. Dieses weist gewisse Besonderheiten auf: Gegenstand der sozialgerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen der Prüfungsgremien nach § 106 SGB V ist grundsätzlich nur der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid des Beschwerdeausschusses (BSG, Urteil vom 11.05.2011 - B 6 KA 13/10 R - juris RdNr. 16 = BSGE 108, 175; Urteil vom 20.10.2004 - B 6 KA 65/03 R - juris RdNr. 26 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 7; Urteil vom 09.03.1994 - 6 RKa 5/92 - juris RdNr. 16 ff. = BSGE 74, 59). Denn der Beschwerdeausschuss wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig; sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt der Prüfungsstelle (BSG, Urteil vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R - juris RdNr. 10 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 31; Urteil vom 19.06.1996 - 6 RKa 40/95 - juris RdNr. 12 = BSGE 78, 278; kritisch dazu Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 106 RdNr. 368 ff.). Daher ist eine Klage gegen den Bescheid der Prüfungsstelle in der Regel unzulässig (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.1997 - 6 RKa 63/95 - juris RdNr. 18 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 39 S. 216; Urteil vom 19.06.1996 - 6 RKa 40/95 - juris RdNr. 12 f. = BSGE 78, 278). Etwas anderes gilt dann, wenn eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht zu erfolgen hat und es folglich auch nicht zu einer Ersetzung des Bescheides der Prüfungsstelle kommen kann. Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG bedarf es eines Vorverfahrens dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt. Ein derartiger Ausnahmefall ist in § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) geregelt. Danach findet – abweichend von § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V – in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Diese Ausnahmeregelung ist auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus spezifischen gesetzlichen Regelungen des SGB V oder aus den Richtlinien des GBA ergibt (BSG, Urteil vom 11.05.2011 - B 6 KA 13/10 R - juris RdNr. 19 ff. = BSGE 108, 175; Urteil vom 12.12.2012 - B 6 KA 50/11 R - juris RdNr. 10 = BSGE 112, 251). Ein für die Anwendung des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V erforderlicher Verordnungsausschluss durch Gesetz oder die Richtlinien liegt auch dann vor, wenn ein solcher dort für den Regelfall normiert wird, die Norm jedoch Ausnahmen in Sonderfällen zulässt, wie dies etwa bei § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V der Fall ist (BSG, Urteil vom 02.07.2014 - B 6 KA 25/13 R - juris RdNr. 19), auf den sich der Kläger beruft.

b) Enthielte der Therapiehinweis des GBA zu Exubera, der Teil der AMR ist (ursprünglich in Anlage 4, jetzt in Anlage IV der AMR), einen Verordnungsausschluss, griffe die Ausnahmeregelung in § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V. Folglich wäre der mit der Klage angefochtene Bescheid des Beklagten rechtswidrig und allein aus diesem Grunde aufzuheben.

Denn in den Fällen des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V ist ein Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss nicht nur entbehrlich, sondern unstatthaft. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit klar und unmissverständlich. Nach § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V "findet" in den dort genannten Fällen ein Vorverfahren "nicht statt". In den Fällen des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V ist somit der Rechtsbehelf des Widerspruchs schlechthin nicht gegeben; es besteht "Vorverfahrensfreiheit" in dem Sinn, dass ein Vorverfahren weder durchgeführt werden muss noch stattfinden darf, sondern ausgeschlossen ist (so zu vergleichbaren Regelungen: BSG, Urteil vom 23.06.1994 - 4 RK 3/93 - juris RdNr. 25 = SozR 3-1500 § 87 Nr. 1; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 17. Aufl., § 68 RdNr. 16). Nichts anderes folgt daraus, dass die Widerspruchsbehörde als "Herrin des Vorverfahrens" auch bei einem unzulässigen Widerspruch in der Sache entscheiden kann (siehe nur Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl., § 85 RdNr. 4). Denn dies gilt nur wenn der Widerspruch als gesetzlicher Rechtsbehelf statthaft ist; andernfalls besteht keine Kompetenz der Widerspruchsbehörde, den angefochtenen Bescheid in der Sache zu überprüfen und dadurch den Rechtsbehelf entgegen dem Gesetz zu geben (BSG, Urteil vom 23.06.1994 - 4 RK 3/93 - juris RdNr. 26 = SozR 3-1500 § 87 Nr. 1).

Durch die Durchführung eines unstatthaften Vorverfahrens wäre der Kläger auch in seinen Rechten verletzt. Der vorliegende Fall macht deutlich, dass die Durchführung eines Vorverfahrens für den geprüften Arzt nicht immer rechtliche Vorteile bietet, sondern nur dann, wenn allein er Widerspruch eingelegt hat. Dies war hier nicht der Fall, was zur Folge hatte, dass der von der Prüfungsstelle ausgesprochene Regress auf den Widerspruch der zu 1 beigeladenen Krankenkasse vom Beklagten erhöht wurde.

Wäre also im vorliegenden Fall ein Vorverfahren nicht statthaft gewesen, wäre der Bescheid des Beklagten vom 30.04.2010 allein aus diesem Grunde aufzuheben (vgl. zu Widerspruchsbescheiden ohne vorangegangenen Verwaltungsakten: BSG, Urteil vom 23.06.1994 - 4 RK 3/93 - juris RdNr. 25 = SozR 3-1500 § 87 Nr. 1; Urteil vom 30.03.2004 - B 4 RA 48/01 R - juris RdNr. 14 f.; Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 15/10 R - juris RdNr. 10 ff.).

Dies hätte zur Folge, dass der Bescheid der Prüfungsstelle vom 13.10.2009 insoweit bestandskräftig geworden wäre, als danach höchstens ein Regress von 4.375,69 EUR festzusetzen wäre. Denn der Widerspruch der zu 1 beigeladenen Krankenkasse gegen den Bescheid der Prüfungsstelle könnte nicht in eine Klage umgedeutet werden. Solches kommt bei schriftlichen Erklärungen nicht rechtskundig vertretener Empfänger eines Bescheides in Betracht (BSG, Urteil vom 31.01.1974 - 4 RJ 167/73 - juris RdNr. 6 = SozR 1500 § 92 Nr. 1), nicht aber bei einem Widerspruchsschreiben eines Versicherungsträgers (BSG, Urteil vom 20.10.1977 - 12 RK 18/76 - juris RdNr. 17 = SozR 1500 § 92 Nr. 3). Jedem Leistungsträger muss nämlich der grundlegende Unterschied zwischen einem an die Organe der rechtsprechenden Gewalt gerichteten Rechtsschutzgesuch und einem auf verwaltungsinterne Überprüfung zielenden Rechtsbehelf bekannt sein, so dass allenfalls bei auf der Hand liegenden groben Fehlgriffen ausnahmsweise eine Umdeutung in Betracht gezogen werden kann (BSG, Urteil vom 23.06.1994 - 4 RK 3/93 - juris RdNr. 22 = SozR 3-1500 § 87 Nr. 1). Dagegen wäre der Bescheid der Prüfungsstelle mit der Klage des Klägers angefochten. Zwar hat der Kläger erstinstanzlich zuletzt allein die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 30.04.2010 beantragt. Die Fassung seines Klagantrags stünde jedoch einer Auslegung der Klage nicht entgegen, nach der auch der Bescheid der Prüfungsstelle vom 13.10.2009 angefochten ist. Denn der Grundsatz, dass im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren des Klägers auszugehen ist, gilt auch im Vertragsarztrecht (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.2005 - B 6 KA 77/03 R - juris RdNr. 15 ff. = SozR 4-1500 § 92 Nr. 2 zur Teilanfechtung von Honorarbescheiden). Da die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Prüfbescheid vom 13.10.2009 fehlerhaft gewesen wäre (Widerspruch statt Klage), hätte die Klageerhebung am 04.06.2010 auch die Klagefrist gewahrt (§ 87 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 2 SGG).

c) Die Ausnahmeregelung in § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V greift hier allerdings nicht. Denn Therapiehinweise in den AMR enthalten keine Verordnungsausschlüsse im Sinne des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V.

Allerdings sind Therapiehinweise bisweilen so strikt formuliert, dass sie im Ergebnis auf einen Verordnungsausschluss hinauslaufen. Dies trifft gerade auf den hier streitigen Therapiehinweis des GBA vom 17.10.2006 zu Exubera zu. Darin heißt es unter "Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise": "Die Wirksamkeit von Exubera® ist mit der von subcutan injiziertem (s. c.) Normalinsulin vergleichbar. Allerdings verteuert Exubera® die Behandlung um das Fünffache. Exubera® ist unwirtschaftlich. Außerdem kann wegen der fehlenden Langzeitdaten und des unklaren Risikos im Vergleich zu s. c. Insulin eine Empfehlung zur Verordnung von Exubera® nicht gegeben werden. Patienten oder Patientengruppen, die von der Gabe des inhalierbaren Insulins gegenüber der s. c. Applikation einen klinischen Nutzen haben könnten, konnten in Studien nicht identifiziert werden. Auch das Argument, dass an sich insulinpflichtige Patienten, die wegen Vorbehalten gegenüber Spritzen diese Therapieoption umgehen bzw. hinauszögern und deswegen eher auf ein inhalierbares Insulin einzustellen sein werden, greift wegen der höheren Hypoglykämierate und den deswegen häufigeren Blutzuckerselbstkontrollen nicht. Die Stiche durch die modernen Insulinpens sind kaum spürbar, wohingegen die Blutentnahme aus der Fingerbeere schmerzhafter sein kann." Der Therapiehinweis beginnt also mit Feststellungen zur therapeutischen Vergleichbarkeit (Satz 1) und zu den Mehrkosten (Satz 2) und folgert daraus: "Exubera® ist unwirtschaftlich" (Satz 3). In den folgenden Sätzen werden weitere Gründe dafür gegeben, warum Exubera in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnet werden soll (fehlende Langzeitdaten, unklares Risiko, nicht nachgewiesener Zusatznutzen, gleiche Schmerzhaftigkeit). Der Satz "Exubera® ist unwirtschaftlich" läuft von seinem Aussagegehalt her auf einen Verordnungsausschluss hinaus (vgl. Gassner, A&R 2008, 3). Dem steht nicht entgegen, dass im nächsten Satz nur davon die Rede ist, dass "eine Empfehlung zur Verordnung von Exubera® nicht gegeben werden" kann; denn § 135 Abs. 1 SGB V zeigt, dass nach dem Sprachgebrauch des Krankenversicherungsrechts eine negative Empfehlung des GBA auch einen Ausschluss aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung bedeuten kann. Da die Therapiehinweise Bestandteil der AMR sind (vgl. § 92 Abs. 2 Sätze 6 ff. SGB V), könnte für Exubera gefolgert werden, dass sich im Sinne des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V die Unzulässigkeit der Verordnung dieses Arzneimittels aus einer Richtlinie des GBA ergibt.

Dies ist indessen nicht der Fall. Denn entscheidend ist nicht, welcher sachliche Gehalt der einzelne Therapiehinweis hat, sondern dass sich Therapiehinweise von ihrem Ansatz her kategorial von Verordnungsausschlüssen unterscheiden. Dies hat der Gesetzgeber des am 01.01.2011 in Kraft getretenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2262) dadurch unterstrichen, dass er in § 92 Abs. 2 Satz 10 SGB V eine klare Trennung zwischen Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen einerseits und Therapiehinweisen andererseits verlangt hat. In den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 17/2413, S. 28 zu Nr. 13 Buchst. d) heißt es dazu: "Damit wird klargestellt, dass die Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht mit Verordnungsausschlüssen gleichzusetzen sind. Sie geben Hinweise in Form von Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von Arzneimitteln, sind jedoch keine Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüsse. Im Unterschied zu Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen, die eine unmittelbar bindende Wirkung für den verordnenden Arzt in jedem Einzelfall haben, ist der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Erstellung von Therapiehinweisen lediglich befugt, das Nähere zu den Modalitäten einer wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln durch den Vertragsarzt zu regeln, d.h. er regelt mithin lediglich das ‚Wie‘, nicht aber das ‚Ob‘ der Arzneimittelversorgung." Soweit dabei der Empfehlungscharakter von Therapiehinweisen der unmittelbaren Bindungswirkung von Verordnungsausschlüssen gegenübergestellt wird, bedeutet dies nicht, dass Therapiehinweise keine verbindlichen Regelungen enthalten können. Vielmehr sollen – wie es ausdrücklich heißt – auch Therapiehinweise die Arzneimittelversorgung regeln. Dementsprechend hat das AMNOG dem GBA in dem neu gefassten § 92 Abs. 2 Satz 6 SGB V aufgegeben, in den Therapiehinweisen auch Anforderungen an die qualitätsgesicherte Anwendung von Arzneimitteln, insbesondere bezogen auf die Qualifikation des Arztes oder auf die zu behandelnden Patientengruppen, festzustellen; diese "Feststellungen" werden in den Materialien zu Recht als "Regelungen" bezeichnet (BT-Drucks. 17/2413, S. 28 zu Nr. 13 Buchst. c). Therapiehinweise sollen sich von Verordnungsausschlüssen nur darin unterscheiden, dass sie anders als jene nicht "in jedem Einzelfall" unmittelbar bindende Wirkung haben. Therapiehinweise sind also nicht strikt verbindlich, sondern sollen in Einzelfällen Abweichungen von ihren Vorgaben zulassen. Mehr noch als in ihrer geringeren Bindungswirkung unterscheiden sich Therapiehinweise von Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen in ihrem Regelungsansatz. In den Materialien zum AMNOG wird insoweit die Unterscheidung zwischen "Wie" und "Ob" bemüht: Therapiehinweise zielen nicht darauf ab, Arzneimittel aus der Versorgung ganz oder teilweise auszuschließen, sondern das Nähere zu den Modalitäten der Versorgung mit ihnen zu regeln. Der damit angesprochene Ansatz macht – wie es an anderer Stelle zur Begründung des neugefassten § 92 Abs. 2 Satz 6 SGB V heißt – aufgrund der Komplexität des medizinischen Sachverhaltes eine differenzierte Beschreibung der Anforderungen an eine wirtschaftliche Verordnungsweise sowie eine qualitätsgesicherte Anwendung erforderlich (BT-Drucks. 17/2413, S. 28 zu Nr. 13 Buchst. c).

Dass sich Therapiehinweise kategorial von Verordnungsausschlüssen unterscheiden, galt auch schon vor Inkrafttreten des AMNOG am 01.01.2011 und somit auch in der hier streitigen Zeit (Quartale II/2007 bis I/2008). Der Erlass von Therapiehinweisen hatte ursprünglich seine Rechtsgrundlage in § 92 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V in der Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2477), wonach der (damalige) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in seinen Richtlinien die Arzneimittel so zusammenzustellen hatte, dass dem Arzt der Preisvergleich und die Auswahl therapiegerechter Verordnungsmengen ermöglicht wird. Auch außerhalb der in § 92 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V angesprochenen Preisvergleichsliste war es dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und ihm folgend dem GBA erlaubt, durch präparate- oder wirkstoffbezogene Therapiehinweise auf den wirtschaftlichen Einsatz von Arzneimitteln hinzuwirken (BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 38 ff. = BSGE 96, 261). Dies ist mit dem durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) vom 26.04.2006 (BGBl. I S. 984) in § 92 Abs. 2 SGB V eingefügten Satz 7 ausdrücklich klargestellt worden (vgl. BT-Drucks. 16/691, S. 17). Durch das AMNOG wurde § 92 Abs. 2 SGB V dahingehend ergänzt, dass die Therapiehinweise sich auf die Qualifikation des Arztes, die zu behandelnden Patientengruppen sowie zu den Anteilen an Wirkstoffen im jeweiligen Indikationsgebiet erstrecken können (Sätze 6 und 7), die Grundsätze für die Therapiehinweise in der Verfahrensordnung zu regeln (Satz 9) und Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse getrennt von den Therapiehinweisen zu beschließen sind (Satz 10). Die Dichte der gesetzlichen Vorgaben für die Therapiehinweise des GBA hat zwar sukzessive zugenommen; an dem ihnen eigenen Regelungsansatz hat sich dadurch aber nichts geändert.

Die Therapiehinweise des GBA haben seit jeher weder bloß informalen noch rein informationellen Charakter, mit ihnen ist schon immer eine mehr als nur influenzierende Steuerung des Verordnungsverhaltens intendiert, sie verfolgen aber einen anderen Regelungsansatz als Verordnungsausschlüsse. Hinweise von Trägern öffentlicher Gewalt werden im öffentlichen Recht meist als Ausdruck informalen Verwaltungshandelns angesehen (siehe nur Bonk/Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG], 7. Aufl., § 1 RdNr. 274; Kopp/Ramsauser, VwVfG, 15. Aufl., § 35 RdNr. 91; Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 8 RdNr. 7). Dies trifft auf die Therapiehinweise des GBA indessen nicht zu. Denn sie sind Bestandteil der AMR (vgl. § 92 Abs. 2 Satz 7 SGB V) und damit einer bestimmten Handlungsform der Verwaltung zuzuordnen, nämlich den untergesetzlichen Rechtsnormen (BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 28 = BSGE 96, 261). Die Therapiehinweise des GBA sind aber auch keine reinen Informationsakte. Wohl informieren sie über den Umfang der Zulassung und über Wirkung, Wirksamkeit sowie Risiken eines Präparats bzw. Wirkstoffs und insoweit über den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Medizin und Pharmakologie. Darin erschöpft sich ihr Gehalt jedoch nicht. Vielmehr enthalten Therapiehinweise auch Bewertungen im Hinblick auf mögliche Therapiealternativen. Denn Therapiehinweise dienen der Konkretisierung der sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) ergebenden Verpflichtung des Vertragsarztes, von zwei zur Behandlung einer bestimmten Gesundheitsstörung zur Verfügung stehenden, medizinisch gleichwertigen Therapieansätzen den kostengünstigeren zu wählen (BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 44 = BSGE 96, 261; Engelhard, jurisPR-SozR 6/2007 Anm. 1). Insoweit stellen Therapiehinweise nicht bloß eine Orientierungshilfe für eine sachgerechte Arzneimittelauswahl dar (vgl. Koch/Tschammler, PharmR 2014, 445, 446) und sind mehr als bloß unverbindliche Vorschläge für den wirtschaftlichen Einsatz von Präparaten bzw. Wirkstoffen (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 32 = BSGE 96, 261). Den immer detaillierteren Vorgaben des Gesetzgebers zum Erlass der AMR liegt die Erfahrung zugrunde, dass es angesichts der Unübersichtlichkeit des Arzneimittelmarktes und der besonderen Bedeutung, die einem sparsamen Einsatz der für die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln aufgewandten Finanzmittel zukommt, nicht ausreicht, an die Verantwortung des einzelnen Vertragsarztes für die von ihm getätigten Verordnungen zu appellieren (BSG, Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 7/06 R - juris RdNr. 21 = SozR 4-2500 § 125 Nr. 3). Eine Steuerung des Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte ist auch mit den Therapiehinweisen intendiert. Und diese Steuerungswirkung ist nicht nur influenzierender Art (so aber Becker, MedR 2010, 218, 221; Wolff/Christopeit, PharmR 2009, 596, 599; Francke, MedR 2006, 683, 687 f.). Vielmehr sollen die in den Therapiehinweisen an den Vertragsarzt gerichteten Vorgaben zum wirtschaftlichen Einsatz von Arzneimittel für diesen auch verbindlich sein. Allerdings werden die Vertragsärzte durch die Therapiehinweise nicht strikt gebunden, sondern in Form eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses: Während im Normalfall die Vorgaben der Therapiehinweise vom Vertragsarzt zu beachten sind, darf er in begründeten Ausnahmefällen von ihnen abweichen (BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 32 = BSGE 96, 261). Diese weniger strikte Bindung hängt damit zusammen, dass Therapiehinweise nicht die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln regeln, sondern den Umfang des Einsatzes bestimmter Arzneimittel steuern sollen (BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris 52 = BSGE 96, 261). Angesichts Komplexität der tatsächlichen Umstände medizinischer und pharmakologischer Art sowie der ökonomischen Rahmenbedingungen macht dieser Ansatz eine differenziertere Regelung der Anforderungen an eine wirtschaftliche Arzneimitteltherapie erforderlich.

Obwohl sich Therapiehinweise von Verordnungsausschlüssen durch ihren Regelungsansatz kategorial unterscheiden, lässt sich zwischen beiden von ihrer sachlichen Wirkung her keine scharfe Grenzlinie ziehen. Denn Therapiehinweise können je nachdem, wie sie konkret ausgestaltet sind, im Einzelfall auf das Verordnungsverhalten von Vertragsärzten wie Verordnungsausschlüsse wirken (vgl. Beier in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 92 RdNr. 81; Roters in: Kasseler Kommentar, § 92 SGB V, Stand September 2013, RdNr. 35). Ist eine Abgrenzung allein anhand der sachlichen Wirkung nicht möglich, können beide Steuerungsinstrumente nur formal voneinander abgegrenzt werden (vgl. Hauck, GesR 2011, 69, 71). Sind Therapiehinweise aber etwas kategorial anderes als Verordnungsausschlüsse (dahingehend bereits BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 52 = BSGE 96, 261 bezüglich der Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage) und von diesen allein der Form nach zu unterscheiden, kann für Therapiehinweise auch nicht § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V greifen.

Für diese Lösung spricht, dass bei ihr nicht die (striktere oder weichere) Fassung der einschlägigen Vorgaben in dem jeweiligen Therapiehinweis darüber entscheidet, ob im konkreten Einzelfall ein Vorverfahren durchgeführt werden muss oder nicht. Könnte ein Therapiehinweis aufgrund seiner strikten Fassung einen Verordnungsausschluss im Sinne des § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V enthalten, wäre das Vorverfahren auch dann unstatthaft, wenn – wie hier – allein streitig wäre, ob ein medizinisch begründeter Einzelfall vorliegt, in dem gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V ein durch die AMR von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel ausnahmsweise verordnet werden darf (dazu jüngst BSG, Urteil vom 02.07.2014 - B 6 KA 25/13 R - juris RdNr. 19 ff.).

2. Der Kläger ist durch den Bescheid des Beklagten vom 30.04.2010 nicht rechtswidrig beschwert.

Rechtsgrundlage des Arzneikostenregresses ist § 106 Abs. 2 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des GKV-WSG. Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen entweder bei Überschreiten von Richtgrößenvolumen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V) oder nach Stichproben (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V) geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen mit den KÄVen gemäß § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Dies ist im Bezirk der zu 2 beigeladenen KÄV der Fall. Anlage 7 zu der dort geltenden Prüfungsvereinbarung in der Fassung vom 12.12.2007 ermächtigt zur Prüfung in besonderen Fällen. Nach Abs. 1 Buchst. a dieser Vorschrift prüfen die Prüfgremien auf Antrag der zu 2 beigeladenen KÄV oder der jeweiligen Krankenkasse im einzelnen Behandlungs- oder Verordnungsfall, ob der Leistungserbringer durch die Verordnung von Leistungen einschließlich zulässiger Sprechstundenbedarfsartikel oder durch selbst erbrachte Leistungen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Derartige Einzelfallprüfungen stehen in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V und sind daher in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (vgl. nur BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 44/06 R - juris RdNr. 12 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 17).

Die Unwirtschaftlichkeit der streitigen Verordnungen ergibt sich aus dem Therapiehinweis des GBA zu Exubera vom 17.10.2006. Dieser konkretisiert für den Vertragsarzt verbindlich das Wirtschaftlichkeitsgebot (dazu a). Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalles, in dem von dem Therapiehinweis abgewichen werden darf, sind hier nicht erfüllt (dazu b). Auch wenn ein zusätzlicher Verstoß gegen das Arzneimittelrecht fraglich erscheint (dazu c), liegen doch die übrigen Voraussetzungen für einen Arzneikostenregress vor (dazu d).

a) Die hier streitigen Verordnungen des Klägers in den Quartalen II/2007 bis I/2008 waren mit dem Therapiehinweis des GBA zu Exubera nicht vereinbar und verstießen damit grundsätzlich gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Die Therapiehinweise des GBA enthalten verbindliche Vorgaben für die Vertragsärzte. Wie oben (unter 1c) ausgeführt wurde, ist mit den Therapiehinweisen eine Steuerung des Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte gesetzlich intendiert. Diese Steuerungswirkung ist nicht nur influenzierender Art. Therapiehinweise sollen das Verhalten der Vertragsärzte nicht allein durch die Überzeugungskraft der in ihnen enthaltenen Informationen und Bewertungen beeinflussen. Therapiehinweise enthalten nicht bloß rechtlich unverbindliche Vorschläge für den wirtschaftlichen Einsatz von Arzneimitteln. Vielmehr sind die in den Therapiehinweisen enthaltenen Vorgaben zum wirtschaftlichen Einsatz von Arzneimittel für die Vertragsärzte verbindlich. Allerdings werden diese durch die Vorgaben der Therapiehinweise nicht strikt gebunden, sondern nur in Form eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 32 = BSGE 96, 261).

Die Therapiehinweise des GBA entfalten ihre Bindungswirkung nicht lediglich darüber, dass sie mit Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgesetzt werden können, indem sie über Parameter informieren, die von den Prüfgremien zugrunde gelegt werden können, und so für die Vertragsärzte einen Rechtfertigungsdruck erzeugen (so aber Becker, MedR 2010, 218, 221 f.; Wolff/Christopeit, PharmR 2009, 596, 598 f.; Francke, MedR 2006, 683, 688). Therapiehinweise mögen zwar den tragenden Grundsatz einer entsprechenden Regressentscheidung in Form einer generellen Regelung fassen (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 47 = BSGE 96, 261); eine solche Regelung wirkt aber normativ und nicht rein faktisch. Der GBA stellt den Prüfgremien in den Therapiehinweisen nicht nur sachverständige Äußerungen zur Verfügung, auf die sie sich im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung stützen können oder auch nicht. Die Prüfgremien steht es nicht frei, den Therapiehinweisen zu folgen. Sie müssen sich nicht erst die darin enthaltenen Informationen und Bewertungen zu eigen machen und haben auch nicht in eigener Kompetenz zu entscheiden, ob die Nichtbeachtung von Vorgaben der Therapiehinweise einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot zu begründen vermag (so aber Becker, MedR 2010, 218, 221 f.). Therapiehinweise sind für die Prüfgremien verbindliche Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebots und haben nicht nur den Charakter widerleglicher Vermutungen für die wirtschaftliche Verordnungsweise eines Arzneimittels (so aber Wolff/Christopeit, PharmR 2009, 596, 598 f.).

Soweit eine Arzneimittelverordnung gegen die Vorgaben eines Therapiehinweises verstößt, haben die Prüfgremien nicht eigenständig und im Einzelnen zu prüfen, ob dem Grunde nach ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vorliegt. Vielmehr genügt es, wenn sie den Verstoß gegen die Vorgaben des Therapiehinweises feststellen. Denn auch die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung kann nicht ohne klare untergesetzliche Maßgaben allein über die auf den einzelnen Vertragsarzt ausgerichtete Wirtschaftlichkeitsprüfung realisiert werden (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 7/06 R - juris RdNr. 22 = SozR 4-2500 § 125 Nr. 3). Das bedeutet nicht, dass der Vertragsarzt gegen Therapiehinweise keinen Rechtsschutz erlangen kann. Denn auch für diese gilt wie für andere Bestimmungen in den Richtlinien des GBA, dass neben der Auslegung der gesetzlichen Vorgaben gerichtlich voll überprüfbar ist, ob der GBA die maßgebliche medizinische und pharmakologische Studienlage vollständig berücksichtigt hat (BSG, Urteil vom 06.03.2012 - B 1 KR 24/10 R - juris RdNr. 24 = BSGE 110, 183) und wie sich der Stand der medizinisch-pharmakologisch Wissenschaft insoweit zusammenfassen lässt (BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 73 = BSGE 96, 261). Bei der weitergehenden Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben und der Bewertung des korrekt ermittelten Standes der medizinisch-pharmakologischen Wissenschaft steht dem GBA allerdings der für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsspielraum zu; insoweit beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob die Bewertung nachvollziehbar ist und den gesetzlich vorgegebenen Maßstäben entspricht (BSG, Urteil vom 06.03.2012 - B 1 KR 24/10 R - juris RdNr. 25 = BSGE 110, 183; Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 75 = BSGE 96, 261). Im vorliegenden Fall sind weder Einwände gegen den Therapiehinweis des GBA zu Exubera erhoben worden noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der GBA von einer unzutreffend ermittelten Sachlage ausgegangen ist oder sonst seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat.

b) Ein Ausnahmefall, in dem Exubera gleichwohl hätte verordnet werden dürfen, lag nicht vor.

Wie bereits oben (unter 1c) ausgeführt wurde, werden die Vertragsärzte durch die Therapiehinweise nicht strikt gebunden, sondern in Form eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses: Während im Normalfall die Vorgaben der Therapiehinweise vom Vertragsarzt zu beachten sind, darf er in begründeten Ausnahmefällen von ihnen abweichen (BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 32 = BSGE 96, 261). Denn der mit den Therapiehinweisen verfolgte Steuerungsansatz macht angesichts der Komplexität der tatsächlichen Umstände medizinischer und pharmakologischer Art sowie der ökonomischen Rahmenbedingungen eine differenziertere Regelung der Anforderungen an eine wirtschaftliche Arzneimitteltherapie erforderlich. Bereits der Wortlaut der Therapiehinweise gestattet oftmals dem Vertragsarzt ein Abgehen von den dort formulierten Vorgaben. Soweit dies nicht der Fall ist, kann auf die Ausnahmeregelung des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V zurückgegriffen werden. Dort ist bestimmt, dass der Vertragsarzt Arzneimittel, die aufgrund der AMR von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen kann. Zwar unterscheiden sich – wie oben (unter 1c) dargelegt wurde – Therapiehinweise kategorial von Verordnungsausschlüssen in den AMR. Der Rechtsgedanke des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V muss aber bei ihnen anwendbar sein. Denn es ist gerade Kennzeichen der Therapiehinweise, den tragenden Grundsatz einer entsprechenden Regressentscheidung, nämlich aus wirtschaftlichen Gründen im Normalfall eher eine andere Arzneimitteltherapie zu wählen, in Form einer generellen Regelung zu fassen und gleichzeitig hinreichende Ausnahmemöglichkeiten für den einzelnen Vertragsarzt zuzulassen (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 13/05 R - juris RdNr. 47 = BSGE 96, 261).

Die Voraussetzungen für einen medizinisch begründeten Einzelfall, in dem der Kläger das Arzneimittel Exubera entsprechend § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V ausnahmsweise mit Begründung hätte verordnen dürfen, sind hier nicht erfüllt.

Dabei ist der Kläger – entgegen der Auffassung des Beklagten – mit seinem diesbezüglichen Vorbringen im Berufungsverfahren nicht schon aus prozessualen Gründen ausgeschlossen. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 106a SGG greift schon deshalb nicht, weil dem Kläger vom Senat keine Frist zu Tatsachenvortrag gesetzt worden war. Ebenso wenig greift die Rechtsprechung, wonach der Vertragsarzt im gerichtlichen Verfahren mit einem Sachvortrag nicht mehr gehört werden kann, der bereits im Verwaltungsverfahren hätte angebracht werden können (zu den Darlegungsobliegenheiten des geprüften Arztes ausführlich: BSG, Urteil vom 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 R - juris RdNr. 40 ff. = SozR 4-2500 § 106 Nr. 35). Danach ist es grundsätzlich Angelegenheit des geprüften Arztes, die für ihn günstigen Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen, vor allem, wenn sie allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können; der Arzt ist gehalten, solche Umstände im Prüfungsverfahren, also spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss, geltend zu machen (siehe nur BSG, Urteil vom 05.06.2013 - B 6 KA 40/12 R - juris RdNr. 18 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 41). Hier hat der Kläger im Verwaltungsverfahren durchaus Tatsachen zum Vorliegen einer Ausnahmeindikation nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V vorgetragen (beim Versicherten Angst vor Injektionen, kulturell bedingt sehr ausgeprägtes Schmerzempfinden, religiös bedingte Ernährungsgewohnheiten, sprachlich bedingte Compliance-Probleme). Diesen Vortrag hat der Kläger im Klageverfahren lediglich weiter vertieft und im Berufungsverfahren einen etwas anderen Akzent gesetzt. Neu ist lediglich das Vorbringen im Berufungsverfahren, die Therapie mit Exubera habe dazu gedient, die Voraussetzungen für den Einsatz einer Insulinpumpe zu schaffen – wofür es allerdings in der vom Kläger vorgelegten Patientenakte keinen Anhaltspunkt gibt, stattdessen ergibt sich aus dieser, dass er dem Versicherten am 29.10.2008 nach knapp anderthalb Jahren Exubera-Therapie (seit 09.05.2007) Insulinpens verordnet hat.

Die vom Kläger nachträglich gegebenen Begründungen vermögen den Anforderungen des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V schon deshalb nicht zu genügen, weil die dort geforderte Begründung zeitnah angefertigt werden muss und nicht nachgeholt werden kann (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2012 - L 9 KR 292/10 - juris RdNr. 41; SG Dresden, Urteil vom 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris RdNr. 45, 48 und 51, das es a.a.O. RdNr. 49 zu Recht für entbehrlich hält, dass die Begründung nach außen, insbesondere auf dem Verordnungsvordruck, kundgetan wird). Diese Begründungspflicht ist eine Dokumentationsobliegenheit. In den Krankenunterlagen des Versicherten müssen sich die für die medizinische Begründung der Verordnung im Einzelfall ausreichenden Angaben zum bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlauf sowie den Behandlungsalternativen finden (SG Dresden, Urteil vom 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris RdNr. 53). Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Aufzeichnungen des Klägers über die Behandlung des Versicherten enthalten nicht Informationen in einem solchen Umfang, dass auf ihrer Grundlage die Prüfung möglich ist, ob ein medizinisch begründeter Einzelfall vorlag (allgemein zum Umfang der Dokumentationspflicht: BSG, Urteil vom 07.02.2007 - B 6 KA 11/06 R - juris RdNr. 23). In der vorgelegten Patientenakte des Versicherten findet sich lediglich folgender Eintrag unter dem 09.05.2007: "AA Diabetes bekannt seit ca. 15 Jahren, seit 7 bis 8 Jahren INsulin, Bluthochdruck AA Patn. hat Angst vom Insulinspritzen wegen der Schmerzen." Damit ist allein eine Angst vor Schmerzen dokumentiert. Diese reicht aber nicht aus. Denn bereits in dem Therapiehinweis des GBA wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Angst vor Schmerzen eine Therapie mit Exubera nicht rechtfertigen kann, weil sich die für – sogar häufiger notwendige – Blutzuckerkontrollen erforderlichen Blutentnahmen nicht vermeiden lassen.

Für das weitere Vorbringen des Klägers zu den kulturellen, religiösen und sprachlichen Compliance-Problemen beim Versicherten findet sich in seinen Patientenunterlagen keinerlei Anhalt. Insoweit fehlt also die von § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V geforderte Dokumentation vollständig. Wären diese Compliance-Probleme zeitnah hinreichend dokumentiert worden, ließe sich ihnen aber auch nicht ein medizinisch begründeter Einzelfall entnehmen. Denn zum einen können aus der grundrechtlich gewährleisteten Glaubensfreiheit keine krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 02.11.2007 - B 1 KR 11/07 - juris RdNr. 18 = SozR 4-2500 § 60 Nr. 3). Zum anderen sind – auch nach dem Vortrag des Klägers – hinreichende Bemühungen zur Behebung von Compliance-Problemen nicht nachgewiesen. Probleme mit der Compliance des Patienten stellen für sich allein keine Ausnahmeindikation dar, bei der entsprechend § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V von den Vorgaben der Therapiehinweise abgewichen werden darf. Hinzukommen muss, dass die Compliance-Probleme nicht behebbar sind. Im vorliegenden Fall gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherte gesundheitsbedingt außerstande war, bei zumutbarer Willensanspannung die Vorbehalte gegen eine Injektionstherapie zu überwinden. Die Hilfe einer Diabetes-Schwerpunktpraxis wurde nicht in Anspruch genommen. Eine solche Praxis hat der Kläger – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat – auch nicht geführt. Stattdessen hat der Kläger erhebliche Energie darauf verwandt, Restbestände des bereits vom Markt genommenen Arzneimittels auszumachen, und diese dann auch noch in arzneimittelrechtlich bedenklicher Weise dem Versicherten zur Verfügung gestellt.

Der Einwand des Klägers, bei Nichtverordnung von Exubera wäre es innerhalb kurzer Zeit (weniger als ein Jahr) zu einer dauerhaften Dialysepflicht mit deutlich höheren Therapiekosten gekommen, greift nicht durch. Denn es bestehen – worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2014 hingewiesen hat – aufgrund der vom Kläger dokumentierten Laborbefunde (allein ein Befund vom 16.05.2007) keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass beim Versicherten während der Behandlung durch den Kläger (laut Patientenakte: erste Vorstellung am 09.05.2007, letzte Vorstellung am 29.10.2008) eine Dialysepflicht drohte. Bei Behandlungsbeginn war der Kreatinin-Wert des Versicherten mit 146 µmol/l nur leicht erhöht (Normbereich: 50 bis 120 µmol/l); erst ab 600 µmol/l kann davon gesprochen werden, dass innerhalb eines Jahres Dialysepflicht zu erwarten ist. Zudem wies der Langzeit-Blutzucker-(HBA1c)Wert von 7,7 % auf eine gute Diabetes-Einstellung in den letzten 6 Wochen vor dem Behandlungsbeginn hin; denn Ziel der Insulin-Therapie musste beim Versicherten sein, dass der HBA1c-Wert unter 7 bis 8 % bleibt (vgl. Nationale VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes, 1. Aufl., Version 4, August 2013, S. 80 ff.: Zielkorridor zur Primärprävention von Folgekomplikationen von 6,5 bis 7,5 % - a.a.O. S. 63, 184: im Alter generell Zielbereich zwischen 7 und 8 % sinnvoll). Soweit der Kläger auf höhere Kosten für alternative Therapien (Insulinpumpe, Dialyse) hingewiesen hat, ist dem entgegenzuhalten: Im Rahmen von Regressen in der gesetzlichen Krankenversicherung ist kein Raum für die Berücksichtigung des Gesichtspunktes, dass bei Nicht-Durchführung einer unzulässigen Arzneimitteltherapie dieselben oder gar höhere Kosten für andere Behandlungsarten angefallen wären (BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R - juris RdNr. 36 f. = SozR 4-5540 § 48 Nr. 2; Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R - juris RdNr. 44 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 30; Urteil vom 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - juris RdNr. 51 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 29; Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 37/08 R - juris RdNr. 47 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 26).

c) Ob der Kläger – wie das SG angenommen hat – zusätzlich gegen das Arzneimittelrecht verstoßen hat, kann offen bleiben. Zwar dürfen nach § 43 Abs. 1 AMG apothekenpflichtige Arzneimittel außer in den Fällen des § 47 AMG berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch nur in Apotheken in den Verkehr gebracht werden. Eine Abgabe durch Ärzte scheidet folglich aus; denn zum Inverkehrbringen gehört auch die Abgabe an andere (§ 4 Abs. 17 AMG). Weil aber die Abgabe die Besitzeinräumung im Sinne einer Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt voraussetzt (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 13.03.2008 - 3 C 27/07 - juris RdNr. 16 = BVerwGE 131, 1; vgl. auch Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.09.2013 - 2 StR 535/12 - juris RdNr. 14 = BGHSt 59, 16), stellt die unmittelbare Anwendung am Patienten keine Abgabe im Sinne des Arzneimittelrechts dar (BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - juris RdNr. 18 = BSGE 89, 184; BVerwG, Urteil vom 02.12.1993 - 3 C 42/91 - juris RdNr. 36 = BVerwGE 94, 341; kritisch dazu Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.02.1997 - 13 A 568/95 - juris RdNr. 13). Folglich werden Arzneimittel, die Ärzte in ihrer Praxis unmittelbar am Patienten anwenden (sog. Applikationsarzneimittel), auch dann nicht an diesen im arzneimittelrechtlichen Sinne abgegeben, wenn es sich bei ihnen nicht um Sprechstundenbedarf handelt, sondern sie patientenindividuell verschrieben werden. Dennoch ist ihre unmittelbare Anwendung am Patienten nicht unproblematisch (vgl. SG Marburg, Urteil vom 10.09.2014 - S 6 KR 84/14 - juris RdNr. 124 ff.). Ob die Bevorratung der vom Kläger aufgetanen Restbestände von Exubera in seiner Praxis mit Arzt- und Apothekenrecht vereinbar ist, bedarf hier indessen keiner weiteren Vertiefung, da die Anwendung dieses Arzneimittels beim Versicherten aus anderen Gründen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstieß.

d) Der mit der Klage angefochtene Bescheid ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden.

Honorarkürzungen oder Verordnungsregresse gemäß § 106 SGB V setzen kein Verschulden des Vertragsarztes voraus (BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 37/08 R - juris RdNr. 42 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 26; Urteil vom 06.05.2009 - B 6 KA 3/08 R - juris RdNr. 28; Urteil vom 05.11.2008 - B 6 KA 63/07 R - juris RdNr. 28 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 21; Urteil vom 21.05.2003 - B 6 KA 32/02 R - juris RdNr. 27 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 1).

Bei Verordnungsregressen der hier vorliegenden Art ist auch kein Raum für eine Ermessensausübung (BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 37/08 R - juris RdNr. 43 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 26; Urteil vom 30.10.2013 - B 6 KA 2/13 R - juris RdNr. 11). Denn bei Regressen, denen unzulässige Verordnungen zugrunde liegen, kann eine Unwirtschaftlichkeit nur bejaht oder verneint werden. Mit dem Regress lediglich einen Teil der Unwirtschaftlichkeit abzuschöpfen, kann nur in anders gelagerten Fällen in Betracht kommen, etwa im Rahmen eines Regresses aufgrund einer Durchschnittsprüfung. Die für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen unzulässiger Verordnungen maßgeblichen Grundsätze lassen in vieler Hinsicht Raum für Erwägungen zur besonderen Behandlungssituation des Patienten (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 6 KA 2/13 R - juris RdNr. 12) – etwa, wie hier, über § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V, dessen Voraussetzungen indessen nicht gegeben sind.

Schließlich durfte der Beklagte die Entscheidung der Prüfungsstelle "verbösern". Das Verbot der reformatio in peius, das grundsätzlich auch im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt (BSG, Urteil vom 15.08.2012 - B 6 KA 27/11 R - juris RdNr. 34 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 37), stand dem nicht entgegen, weil der Beschwerdeausschuss im selben Verwaltungsverfahren als weitere Instanz entschied, nachdem die zu 1 beigeladene Krankenkasse den ihr zustehenden Rechtsbehelf des Widerspruchs eingelegt hatte (vgl. BSG, Urteil vom 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - juris RdNr. 42 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 29).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, da sie keinen Antrag gestellt haben (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 62/04 R - juris RdNr. 19 = BSGE 96, 257).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.

Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz und entspricht derjenigen im erstinstanzlichen Verfahren.

Kirchberg Stinshoff Dr. Wahl
Rechtskraft
Aus
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