L 1 KR 831/01

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 4 RA 1357/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 831/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 2/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Mai 2001 aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Versicherungspflicht der Kläger zu 1. bis 4. nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).

Die Kläger sind Musiker und bilden das "G. Quartett". Bis 31. Dezember 1997 waren sie aufgrund eines Engagementvertrages für das Hessische Staatsbad A-Stadt als Arbeitnehmer tätig. Mit Gesellschaftsvertrag vom 29. Dezember 1997 gründeten sie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Am 5. Januar 1998 beantragten sie bei der Beklagten die Aufnahme in die Künstlersozialkasse, da sie ab dem 1. Januar 1998 ihren Beruf als Musiker selbständig ausübten. Weiter legten sie verschiedene Engagementverträge sowie Honorarverträge mit dem Hessischen Staatsbad A-Stadt (Beigeladener zu 1.) vor. Mit Bescheid vom 30. Juni 1998 stellte die Beklagte fest, dass die Kläger nicht nach den Vorschriften des KSVG versicherungspflichtig seien, da sie keine selbständige Tätigkeit ausübten. Sie seien vielmehr weiterhin als Arbeitnehmer des Beigeladenen zu 1. zu betrachten. Der Widerspruch der Kläger wurde mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 1999 (Kläger zu 3.) bzw. 23. Juni 1999 (Kläger zu 1., 2. und 4.) zurückgewiesen.

Hiergegen haben die Kläger am 8. Juli 1999 bei dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Mit Beschluss vom 20. März 2000 hat das Sozialgericht die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit weiterem Beschluss vom 4. Mai 2000 das Hessische Staatsbad A-Stadt sowie die Barmer Ersatzkasse zum Verfahren beigeladen. Bei der Beigeladenen zu 2. waren die Kläger zu 1. bis 3. bis 31. Dezember 1997 pflichtversichert und ab 1. Januar 1998 freiwillig versichert. Der Kläger zu 4. ist seit 1. Januar 1998 bei der Beigeladenen zu 2. ebenfalls freiwillig versichert. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2001 hat das Sozialgericht den Vertreter der Beigeladenen zu 1. angehört und mit Urteil vom gleichen Tage die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Kläger ab dem 1. Januar 1998 der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung unterliegen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Die Kläger seien selbständig tätig. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien sie nicht in den Betrieb des Beigeladenen zu 1. eingegliedert und unterlägen auch nicht deren Weisungsgebundenheit. Die Bindungen ergäben sich aus den vertraglichen Vereinbarungen und seien nicht Ausfluss eines einseitigen Direktionsrechtes. Es bestehe zwar eine erhebliche Bindung der Kläger an einen Auftraggeber, nämlich die Beigeladene zu 1. Diese Tatsache sei jedoch nur ein Abgrenzungsmerkmal unter mehreren zwischen einer abhängigen Beschäftigung und einer selbständigen Tätigkeit. Die Kläger unterlägen auch einem Unternehmerrisiko, da die abgeschlossenen Honorarverträge keine Fortzahlung des Entgelts im Krankheitsfalle vorsähen. Die Kläger seien vielmehr verpflichtet, im Falle eines Vertragsbruches dem Vertragspartner sämtliche Kosten zu erstatten. Da die Honorarverträge Monat für Monat abgeschlossen würden, hätten die Kläger auch das Risiko, kurzfristig nicht mehr beauftragt zu werden. Außerdem könnten die Kläger gegenüber der bis 31. Dezember 1997 geltenden Rechtslage nunmehr auch außerhalb ihrer Verpflichtung für das Staatsbad uneingeschränkt für andere Auftraggeber tätig sein. Auch die von den Klägern herausgegebene CD zeige, wie die Kläger ihre unternehmerischen Chancen wahrnehmen würden. Überdies müssten sie eigenes Kapital einsetzen. Die Instrumente müssten sie selbst stellen und auch anfallende Reparaturen selbst bezahlen.

Gegen dieses der Beklagten am 10. Juli 2001 zugestellte Urteil hat sie am 16. Juli 2001 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass zum Beigeladenen zu 1. eine persönliche Abhängigkeit bestehe. Die Kläger hätten täglich wiederkehrende Kurkonzerte zu absolvieren, sie seien in den Kurbetrieb eingegliedert und es bestehe eine soziale Abhängigkeit. Des Weiteren bestehe ein Direktionsrecht des Beigeladenen zu 1. und die Kläger seien von dieser auch wirtschaftlich abhängig. Demgegenüber könne entgegen der Auffassung des Sozialgerichts das bestehende Unternehmerrisiko nicht derart stark bewertet werden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Mai 2001 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und sind der Auffassung, dass bei ihnen eine selbständige Tätigkeit vorliege. Hierzu haben sie die Honorarverträge mit der Beigeladenen zu 1. sowie ab 2001 die Rahmenverträge und weitere Engagementverträge mit anderen Auftraggebern vorgelegt, einschließlich weiterer Unterlagen des Finanzamtes Friedberg sowie der GEMA, München.

Die Beigeladenen zu 1. und 2. haben im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt. Die Beigeladene zu 2. schließt sich in der Sache den Ausführungen der Kläger an.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der Akten der Beklagten, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Gießen ist daher aufzuheben; die Klagen sind abzuweisen.

Die Klage des Klägers zu 3. ist bereits unzulässig, da sie nicht binnen der Monatsfrist des § 87 SGG erhoben worden ist. Ausweislich des Einlieferungsvermerkes auf dem Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 1999 (Verwaltungsakte Blatt 30) ist dieser am 4. Juni 1999 abgesandt worden. Er gilt damit am 3. Tag nach tatsächlicher Aufgabe zur Post als zugestellt, also am 7. Juni 1999 (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 63 Rn 5 c). Die Klage ist jedoch erst am 8. Juli 1999 - und damit verspätet - bei dem Sozialgericht Gießen eingegangen.

Die zulässigen Klagen sind unbegründet. Die Bescheide der Beklagten vom 30. Juni 1998 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Juni 1999 sind nicht zu beanstanden. Die Kläger haben mangels einer selbständigen Tätigkeit keinen Anspruch auf Aufnahme in die Künstlersozialkasse.

Nach § 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie

1. die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und
2. im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch.

Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt.

Dass die Kläger als Künstler im Sinne von § 2 KSVG anzusehen sind, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Entgegen der Auffassung der Kläger und des Sozialgerichts ist der Senat jedoch der Auffassung, dass die Kläger nicht als selbständige Künstler tätig sind, sondern dass die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwiegen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist wesentliches Merkmal für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses die persönliche Abhängigkeit. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers kann vornehmlich bei Diensten höherer Art eingeschränkt und "zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein, wenn der Versicherte nur in den Betrieb eingegliedert ist. Das Gegenstück besteht darin, dass der Beschäftigte seine Tätigkeit wesentlich frei gestalten kann. Eine solche selbständige Tätigkeit ist in der Regel zusätzlich durch das Unternehmerrisiko gekennzeichnet (vgl. etwa BSG; Urteil vom 12. Februar 2004 – B 12 KR 26/02 R m. w. N. in: Die Beiträge, Beilage 2004, 154 ff.).

Diese Grundsätze gelten auch hier. Grundsätzlich können Künstler abhängig beschäftigt oder selbständig tätig sein (vgl. auch Abgrenzungskatalog für die im Bereich Theater, Orchester, Rundfunk- und Fernsehanbieter, Film- und Fernsehproduktionen künstlerisch und publizistisch tätigen Personen vom 13. Mai 1992 in: Die Beiträge 1992, 295 ff.). Ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung der Selbständigkeit von Musikern ist dabei, ob sie vertraglich verpflichtet sind, an festgelegten Proben teilzunehmen, ob sie eine im Voraus festgesetzte Gage bekommen, ob sie auf die Vertragsverhandlungen mit dem Veranstalter bzw. die Programmgestaltung und die Programmdurchführung einen Einfluss haben und inwieweit sie an der musikalisch-künstlerischen Gestaltung mitbeteiligt werden (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 1979 - 12 RK 37/77 - in: USK 7961; Urteil vom 28. Januar 1999 - B 3 KR 2/98 R - in: SozR 3-5425 § 1 Nr. 5; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 31. Januar 2002 - L 14 KR 429/99).

Bei Anwendung dieser Grundsätze üben die Kläger zu 1. bis 4. eine abhängige Beschäftigung aus. Sowohl aus den Honorarverträgen als auch (ab dem Jahre 2001) aus den Rahmenverträgen ergibt sich eine Abhängigkeit der Kläger von dem Beigeladenen zu 1. Die Kläger haben nahezu täglich Konzerte und andere Darbietungen zu absolvieren, wobei sowohl die Zeit als auch der Ort und die Art der Darbietung (Kurkonzert, Tanzabend, Wunschkonzert usw.) vorgegeben ist. Für ein Tätigwerden für andere Auftraggeber bleibt daher nur eingeschränkt Raum. Dies zeigen auch die vorgelegten Engagementverträge der A.-Kapelle bzw. die Engagementverträge des Klägers zu 1. als Pianist. Bezogen auf den Zeitraum von 1998 bis 2005 lag der Anteil der Kläger zu 2. bis 4. für eine Tätigkeit für andere Auftraggeber bei unter 10%, und bei dem Kläger zu 1. bei unter 20%. Auch hieraus wird deutlich, dass eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit der Kläger zu dem Beigeladenen zu 1. bestand und noch besteht. Eine Änderung in den vertraglichen Bedingungen ist auch nicht durch die seit 2001 abgeschlossenen Rahmenverträge eingetreten. Auch hieraus ergibt sich, dass die Kläger an 6 Tagen pro Woche musikalische Darbietungen zu erbringen hatten, wobei Ort und Zeit im Einzelnen monatlich vereinbart wurden. Diese konkreten Vorgaben sprechen überwiegend für eine abhängige Beschäftigung. Im Übrigen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die regelmäßig wiederkehrenden Auftrittszeiten nicht erst mit dem Auslaufen des letzten Arbeitsvertrages zum 31. Dezember 1997 ausgehandelt worden sind, sondern bereits in den davor liegenden Jahren, in denen die Kläger bei dem Beigeladenen zu 1. abhängig beschäftigt waren, in ähnlicher Weise vorgegeben waren. Eine Änderung ab dem 1. Januar 1998, wie vorgetragen, ist nicht erkennbar. Bei der Betrachtung der tatsächlichen Gegebenheiten in den Jahren 1998 bis 2005 ergibt sich letztlich keine Änderung gegenüber der Tätigkeit bis zum 31. Dezember 1997, wobei zusätzlich festzustellen ist, dass die Tätigkeit der Kläger zu 1. bis 4. für andere Auftraggeber ab dem Jahre 2001 merklich zurückgegangen ist.

Demgegenüber spielt das vom Sozialgericht besonders bewertete Unternehmerrisiko keine derart überragende Rolle, dass von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen werden könnte. Dies gilt sowohl für die Tatsache der Gewerbeanmeldung und Umsatzsteuerpflicht als auch für die Tatsache, dass die Kläger ihre eigenen Musikinstrumente zur Verfügung zu stellen und ggfs. Reparaturen selbst zu bezahlen hatten. Soweit die Kläger noch darauf hinweisen, dass sie als BGB-Gesellschaft GEMA-Gebühren zu zahlen hatten, steht dies im Widerspruch zu den Rahmenverträgen, wonach die Beigeladene zu 1. anfallende GEMA-Gebühren bezahlt (vgl. § 7 der Rahmenverträge ab dem Jahr 2003).

Insgesamt ist daher bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Klägern und dem Beigeladenen zu 1. von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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