L 13 VK 20/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 161 V 341/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VK 20/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 62/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Beschwerde - Beschluss (-)
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2014 aufgehoben, soweit darin der Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin einen Berufsschadensausgleich entsprechend einem Vergleichseinkommen gemessen am gehobenen Dienst zu gewähren. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten für das Verfahren in erster Instanz zur Hälfte und für das Berufungsverfahren zu drei Vierteln zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Umfang der der Klägerin durch den Beklagten zu gewährenden Versorgungsleistungen aufgrund der von der Klägerin erlittenen Verfolgungs- und Überwachungsmaßnahmen in der ehemaligen DDR.

Die 1968 geborene Klägerin besuchte in der DDR die allgemeinbildende polytechnische Oberschule und schloss den Schulbesuch mit der 10. Klasse 1984 ab. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung bei einem volkseigenen Betrieb, die sie mit dem Abschluss "Wirtschaftskaufmann" abschloss. Nach Beendigung der Ausbildung im Oktober 1986 bis zum Februar 1987 arbeitete die Klägerin bei ihrem vormaligen Ausbildungsbetrieb.

Im März 1987 begann die Klägerin eine Tätigkeit beim Rat des Stadtbezirkes B-L. Im Arbeitsvertrag wurde ihre Tätigkeit als "Mitarbeiterin Ferien-Freizeitgestaltung" bezeichnet. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde die Klägerin durch die Stadtbezirksrätin aufgefordert, Mitglied der SED zu werden und Kinder auszuhorchen. Infolge ihrer Weigerung, dieser Aufforderung nachzukommen, setzten gegen die Klägerin zunächst an ihrer Arbeitsstelle, später auch im privaten Umfeld, Verfolgungs- und Überwachungsmaßnahmen ein, woraufhin die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann einen Ausreiseantrag stellte. Nach einer Besetzung der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in der DDR durfte die Familie in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen, wo es der Klägerin jedoch nicht gelang, beruflich Fuß zu fassen. 1997 befand sich die Klägerin drei Wochen lang in Untersuchungshaft wegen eines Tatvorwurfes, von dem sie letztlich freigesprochen wurde.

Auf Antrag der Klägerin vom 17. Dezember 2003 stellte das Landesamt für Gesundheit und Soziales mit Bescheid vom 4. Oktober 2005 fest, dass die gegen die Klägerin gerichteten Überwachungsmaßnahmen durch die deutsche Volkspolizei und das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar gewesen seien, und erklärte diese Maßnahmen für rechtsstaatswidrig. Gleichzeitig stellte es fest, dass Ausschließungsgründe gemäß § 2 Abs. 2 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG) nicht vorgelegen hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Rehabilitierungsbescheid Bezug genommen. Auf Antrag der Klägerin vom 23. März 2004 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2007 als Schädigungsfolgen an: 1. Inkomplette posttraumatische Belastungsstörung mit Wiedererinnerungen und Meidungsverhalten, 2. Persönlichkeitsstörung mit dissoziativ-ängstlich-depressiver Symptomatik und, zwar zu 1. hervorgerufen, zu 2. verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 3 VwRehaG. Weiter stellte er fest, die durch die vorstehend aufgeführten Gesundheitsstörungen bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 40 vom Hundert und sei nicht nach § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) höher zu bewerten. Weiter gewährte er der Klägerin eine Versorgungsrente nach einer MdE von 40 vom Hundert ab dem 1. März 2004 und lehnte zugleich die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches ab, weil ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht erkennbar sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch, half der Beklagte teilweise ab und gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 19. August 2008 ab dem 1. März 2004 einen Berufsschadensausgleich auf der Grundlage eines Vergleichseinkommens gemessen am mittleren Dienst. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2008 zurück. Zur Begründung führte er aus, die MdE sei nach den ihm vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen zutreffend mit 40 vom Hundert bewertet. Eine höhere Bewertung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit komme nicht in Betracht, da die Klägerin durch die Art der Schädigungsfolgen in jedem Beruf gleichermaßen betroffen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin die Gewährung einer Rente nach einer höheren MdE begehrt und insoweit auch eine besondere berufliche Betroffenheit geltend gemacht. Darüber hinaus ist sie der Ansicht, der Berufsschadensausgleich sei anhand eines Vergleichseinkommens nach dem gehobenen Dienst zu bestimmen. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. K., das dieser mit Datum vom 22. November 2010 erstellt hat. Darin ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit/der GdS sei mit 70 vom Hundert zu bemessen. Die Schädigungsfolge sei zutreffend als posttraumatische Belastungsstörung und psychogene Sehstörung im Sinne einer Konversionssymptomatik zu bezeichnen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.

Nachdem die Klägerin ihr Klagebegehren im Hinblick auf das Ergebnis der Begutachtung auf die Zuerkennung einer Versorgungsrente nach einer MdE/einem GdS von 80 und die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches entsprechend einem Vergleichseinkommen gemessen am gehobenen Dienst beschränkt hat, hat das Sozialgericht mit Urteil vom 27. März 2014 dem Klagebegehren umfassend entsprochen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Ergebnis der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. K. bezogen und weiter ausgeführt, die danach festzustellende MdE/GdS von 70 sei um einen Zehnergrad anzuheben im Hinblick auf die besondere berufliche Betroffenheit der Klägerin. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei die schädigungsbedingte Unfähigkeit zur Ausübung jeder beruflichen Tätigkeit als eine Schädigung im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVG anzusehen. Schließlich hat das Sozialgericht auch einen Anspruch auf Berufsschadenausgleich gemessen am gehobenen Dienst zuerkannt und hierzu ausgeführt, die Klägerin hätte ohne die Schädigung nach ihren Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher getätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich dem gehobenen Dienst angehört. Dies ergebe sich sowohl aus ihrer Arbeitsaufgabe wie auch aus ihrer Stellung im Rahmen der Hierarchie der bezirklichen Stadtverwaltung. So habe sie keinen Vorgesetzten außer der Stadträtin gehabt und diese in Sitzungen des Magistrats der Stadt B vertreten. Ferner habe sie auch einen ihr weisungsgebundenen Mitarbeiter gehabt. Diese Einstufung ergebe sich darüber hinaus auch aus einem Bestätigungsschreiben des Bezirksamtes L von B vom 13. Februar 2009. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.

Mit der hiergegen erhobenen Berufung hat der Beklagte vorgebracht, die Bemessung der MdE/des GdS sei unzutreffend. Insbesondere sei in dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K. nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Klägerin offenbar bereits vor Einsetzen der Verfolgungsmaßnahmen vorgeschädigt gewesen sei. Auch sei vom Vorliegen eines Nachschadens auszugehen, den die Klägerin durch die Untersuchungshaft in der Bundesrepublik erlitten habe, der indes nicht im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung kompensationsfähig sei. Schließlich komme die Berechnung des Berufsschadensausgleiches anhand eines Vergleichseinkommens im gehobenen Dienst nicht in Betracht, da die Klägerin insoweit die Laufbahnvoraussetzungen ersichtlich nicht erfüllt habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Er ist der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nur begründet, soweit er sich gegen die Zuerkennung eines Berufsschadensausgleiches nach einem Vergleichseinkommen im gehobenen Dienst wendet. Insoweit war das Urteil des Sozialgerichts Berlin aufzuheben und die Klage abzuweisen, denn die Zuerkennung eines Berufsschadensausgleiches ab dem 1. März 2004 auf der Grundlage der Berechnung der Vergleichseinkommens nach dem mittleren Dienst ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass maßgebliche Rechtsgrundlage für die Bemessung des Berufsschadensausgleiches im vorliegenden Fall § 2 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 der Berufsschadensausgleichsverordnung alter Fassung ist, nachdem hier davon auszugehen ist, dass die Klägerin – bei hinweggedachter Schädigung – noch immer im öffentlichen Dienst tätig wäre. § 4 Abs. 1 bestimmt dabei das Durchschnittseinkommen im öffentlichen Dienst nach der Zuordnung zu den Laufbahngruppen des einfachen, mittleren, gehobenen oder höheren Dienstes. Der Senat vermag dem Sozialgericht indes nicht in der Annahme zu folgen, dass die Klägerin – bei hinweggedachter Schädigung – auch im Rahmen dieser Berechnung dem gehobenen Dienst zuzurechnen wäre, weil sie bereits im Besitz einer unbefristeten Stelle gewesen sei, es mithin auf die formalen Voraussetzungen für eine Tätigkeit in der Laufbahn des gehobenen Dienstes nicht ankomme. Diese Betrachtungsweise lässt außer Acht, dass die Klägerin auch bei hinweggedachter Schädigung nicht länger im öffentlichen Dienst der ehemaligem DDR tätig wäre, sondern als Vergleichsmaßstab jene Situation herangezogen werden muss, in der sich die Klägerin im Falle einer Fortdauer ihrer Beschäftigung in der Bezirksverwaltung des Landes Berlin nach der Wiedervereinigung befunden hätte. Maßgeblich ist insofern § 9 Laufbahngesetz (LfbG) Berlin. Gemäß Abs. 1 der Vorschrift sind für die Laufbahnen des gehobenen Dienstes zu fordern: 1. die Fachhochschulreife oder eine andere zu einem Hochschulstudium berechtigende Schulbildung oder ein als gleichwertig anerkannter Bildungsstand, 2. ein Vorbereitungsdienst von drei Jahren, 3. die Ablegung der Laufbahnprüfung. Keine dieser formalen Voraussetzungen an eine Tätigkeit im gehobenen Dienst erfüllt die Klägerin. Soweit sich die Klägerin auf ein Schreiben des Bezirksamts L von B vom 13. Februar 2009 beruft, ergibt sich daraus nichts anderes. Vielmehr ist diesem Schreiben eindeutig zu entnehmen, dass annähernd vergleichbare Aufgabenfelder – wie seinerzeit von der Klägerin wahrgenommen – in der Berliner Verwaltung im gehobenen Dienst existierten, jedoch ein stärkerer Fokus auf einen sozialpädagogischen Ansatz gelegt werde. Dafür, dass die Klägerin in irgendeiner Weise sozialpädagogische Qualifikationen erworben hätte, ergibt sich aus dem gesamten Akteninhalt wie auch aus der von ihr selbst gegenüber dem Sachverständigen Dr. K. geschilderten Biographie nichts. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für ausgeschlossen, dass der Klägerin selbst bei einer Fortdauer ihrer Beschäftigung in der Bezirksverwaltung ungeachtet der fehlenden formellen Qualifikationen für eine Tätigkeit im gehobenen Dienst eine Aufgabe übertragen worden wäre, die auch nur einen annähernden Bezug zu ihrer in der ehemaligen DDR ausgeübten Tätigkeit im Stadtbezirk L besessen und zugleich im Rahmen der Verwaltungshierarchie Merkmale einer Tätigkeit im gehobenen Dienst aufgewiesen hätte.

Soweit sich der Beklagte mit der Berufung auch gegen die Zuerkennung von Versorgungsleistungen nach einer MdE/einem GdS von 80 wendet, bleibt die Berufung ohne Erfolg. Insoweit nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, denen er folgt, und sieht von der Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab. Soweit der Beklagte sich gegen die Feststellung des Sachverständigen wendet, der GdS sei mit 70 zu bemessen und er sich hierzu darauf beruft, dass die Klägerin offenbar bereits vor Einsetzen der gegen sie gerichteten Verfolgungsmaßnahmen vorgeschädigt gewesen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Sachverständige Dr. K. hat im Einzelnen herausgearbeitet, dass die bei der Klägerin zu verzeichnenden Erkrankungen keinerlei Bezug zu psychischen Störung aufgewiesen haben. Er hat sich hierbei auf die lückenlose Dokumentation der Erkrankungen der Klägerin in der ehemaligen DDR innerhalb des Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung stützen können. Auch soweit der Beklagte meint, einen sogenannten Nachschaden aufgrund der erlittenen Untersuchungshaft zu erkennen, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Auch insoweit hält der Senat das Gutachten des Sachverständigen Dr. K. für schlüssig und überzeugend. Hinzu tritt, dass der Sachverständige K. aufgrund seiner beruflichen Vita über eine außerordentliche Erfahrung in der Begutachtung von Haftfolgeschäden verfügt. Darüber hinaus hat der Beklagte selbst im Rehabilitierungsbescheid vom 4. Oktober 2005 ausgeführt, die Klägerin leide an erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des psychiatrischen Formenkreises und befinde sich seit ihrer Ausreise im Juli 1989 deshalb in fortdauernder fachärztlicher Behandlung. Entsprechend fern liegt die Annahme, der bei der Klägerin gutachterlich festgestellte Gesundheitsschaden beruhe auf der erst 1997 erlittenen dreiwöchigen Untersuchungshaft.

Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Erhöhung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit auf der Grundlage von § 30 Abs. 2 BVG auch in Fällen, in denen sich die Beeinträchtigung auf das Erwerbsleben generell und nicht nur auf den ausgeübten oder erstrebten konkreten Beruf bezieht, nimmt der Senat Bezug auf seine Entscheidung vom 4. September 2014 (L 13 VK 46/10).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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