L 2 SO 5328/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 4131/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 5328/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Anforderungen an einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs. 3,
Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I).
Der Sozialhilfeträger muss sich die Kenntnis seines Rechtsvorgängers
über die Leistungspflicht gem. § 105 Abs. 3 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch (SGB X) zurechnen lassen.
Zur Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X.
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung von Sozialhilfeleistungen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 für den Hilfeempfänger G. (im Folgenden G.) in Höhe von 53.590,79 EUR.

Der 1967 geborene G. wurde am 20. Oktober 1999 in einer stationären Einrichtung, dem Rudolf-Sophien-Stift (RSS) in Stuttgart aufgenommen. G. hatte vor seiner Aufnahme in das RRS seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt bei seinen Eltern in A. (Landkreis B.). G. erhielt ab der Aufnahme in das RRS vom damals zuständigen Sozialhilfeträger, dem Landeswohlfahrtsverband (LWV) Württemberg-Hohenzollern, Leistungen der Eingliederungshilfe (Bescheid vom 13. Dezember 1999). Am 17. Dezember 2002 hatte G. die Einrichtung verlassen und war in eine von ihm angemietete Wohnung in C. (Landkreis D.) verzogen. Kurze Zeit darauf, am 18. Dezember 2002 bzw. 20. Dezember 2002 wurde er wieder in die Einrichtung aufgenommen (Auskunft des RRS vom 27. März 2009 - Bl. 13 Verwaltungsakte Beklagte).

Seit dem 1. Januar 2005 ist aufgrund der Verwaltungsreform anstelle des LWV der jeweilige örtliche Sozialhilfeträger zuständig. Seit dem 1. Januar 2005 erhält G. die Leistungen der Eingliederungshilfe vom Kläger. Mit Bescheid vom 10. Mai 2005 hatte der Kläger entschieden: Die Kosten der Sozialhilfe für die Sozialhilfe nach den §§ 53 und 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) sowie die Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen nach § 35 SGB XII würden für G. ab dem 1. Januar 2005 für das RSS vorbehaltlich der Vermögensprüfung übernommen. Die bewilligten Leistungen würden den Vergütungssatz für das Wohnen, den Barbetrag in Höhe von 90,00 EUR, den Tagessatz für die Werkstatt für behinderte Menschen sowie die Sozialversicherung Behinderter umfassen. Weiter ist darin ausgeführt, dass ein Unterhaltsanspruch des G. in Höhe von 26,00 EUR auf den Kläger übergehe. Ebenso werde der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente ab dem 1. Januar 2005 in Anspruch genommen.

Im März 2009 forderte der Kläger den Beklagten zur Übernahme des Falles auf, da G. in C. (Landkreis D.) am 17. Dezember 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Gleichzeitig beantragte der Kläger die Kostenerstattung für die ab dem 1. Januar 2005 erbrachten Sozialhilfeleistungen für G.

Der Beklagte lehnte eine Übernahme der Kosten ab, da seiner Auffassung nach G. am 17. Dezember 2002 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in C. begründet habe.

Am 28. Dezember 2010 hat daraufhin der Kläger die Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und zur Begründung geltend gemacht, G. habe im Dezember 2002 einen gewöhnlichen Aufenthalt in seiner gemieteten Wohnung begründet. Daher sei der Beklagte zur Leistungserbringung zuständig und erstattungspflichtig. Auf mangelnde Kenntnis vom seiner Eintrittspflicht könne sich der Beklagte nicht berufen, nachdem er als Rechtsnachfolger des LWV das Sozialhilferechtsverhältnis übernommen habe.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat vorgetragen, G. sei gar nicht in der Lage gewesen, einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Dieser sei überraschenderweise am 17. Dezember 2002 auf eigenen Wunsch in eine, von Freunden vermittelte Wohnung in C. gezogen. Zuvor habe er mit Schreiben vom 25. August 2002 um finanzielle Unterstützung gebeten, nachdem er der Meinung gewesen sei, nicht genügend finanzielle Reserven für die Beauftragung eines Maklers zu haben. Aufgrund der gesundheitlichen Verfassung sei von der damaligen Einrichtung der Auszug nicht gutgeheißen worden. Er habe jedoch nicht verhindert werden können. Aufgrund sofortiger Panikattacken sei er am 18. Dezember 2002 unverzüglich wieder in die Einrichtung zurückgekehrt. Ein Angebot des RRS, in die Wohnung zurückzukehren und dort betreut zu werden, habe G. abgelehnt.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2013 hat das SG der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger für G. in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 erbrachte Sozialhilfeleistungen in Höhe von 53.590,79 EUR zu erstatten. Das SG hat hierbei die Auffassung vertreten, dass zunächst der Beklagte nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (örtliche Zuständigkeit bei der Aufnahme in stationäre Einrichtungen) zuständiger Sozialhilfeträger sei. Denn der G. habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt unter Beachtung der hierzu nach § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch -Allgemeiner Teil - (SGB I) bestehenden Kriterien seinen gewöhnlichen Aufenthalt am 17. Dezember 2002 in C. begründet. So habe er seinen Willen bekundet, fortan selbstständig in einer eigenen Wohnung zu leben. Hierfür spreche zum einen, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg entsprechende Planungen getätigt habe, so u.a. sein Antrag vom 25. August 2002 an den LWV auf Übernahme von Maklerkosten etc. Zum anderen beschreibe auch die Einrichtung, in der G. bislang untergebracht gewesen sei, dessen Wunsch nach eigenständigem Wohnen als sehr ausgeprägt. Damit sei zukunftsoffen der Wille von G., in der von ihm beschafften Wohnung zu verbleiben, belegt. Hieran ändere auch die Tatsache nichts, dass er gesundheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, diesen Willen dauerhaft umzusetzen. Es genüge insoweit die tatsächliche Willensbekundung, an der vorliegend kein Zweifel bestehe. Damit aber ergebe sich die örtliche Zuständigkeit des Beklagten, weshalb der Kläger einen Erstattungsanspruch gegen diesen nach § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren – (SGB X) habe. Dies sei auch in diesem Fall nicht durch § 105 Abs. 3 SGB X auf die Zeit ab Kenntnis von der eigenen Leistungspflicht begrenzt. Im vorliegenden Fall sei vielmehr nämlich eine Rechtsnachfolge in der Form eingetreten, dass der nunmehr örtlich zuständige Sozialleistungsträger in Form des Landkreises in die bislang bestehende Zuständigkeit des LWV eingetreten sei. Mit dem Eintritt in das Sozialrechtsverhältnis sei damit ein Zuständigkeitswechsel ohne Hinzutreten weitergehender Anforderungen wie beispielsweise der Kenntnis vom Leistungsfall eingetreten. Damit entstehe die Leistungspflicht nicht neu, sondern bestehe bereits, weshalb die Erstattungspflicht in der vorliegenden Konstellation keine Fälle erfassen könne, in denen der erstattungspflichtige Leistungsträger für Zeiten Leistungen erbringen müsste, in denen er grundsätzlich aufgrund mangelnder Kenntnis vom Leistungsfall keine Leistungen erbringen müsste. Darüber hinaus sei der Anspruch nach Auffassung des SG auch nicht durch § 111 Satz 1 SGB X wegen Verstreichens der Ausschlussfrist ausgeschlossen. Denn bei wiederkehrenden Leistungen komme es für die Entstehung darauf an, wann die einzelne Leistung tatsächlich gezahlt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt könne der Erstattungsberechtigte seinen Erstattungsanspruch beziffern und sei daher gehalten, den so errechneten Anspruch zeitnah geltend zu machen. Etwas anderes gelte jedoch für den Fall, dass eine einheitliche Leistung im Sinne einer Dauerleistung erbracht werde. Insoweit sei gerade noch nicht ermittelbar, wie hoch die Erstattungsforderung insgesamt ausfalle. Die Ausschlussfrist werde daher nicht in Gang gesetzt. Dies sei vorliegend der Fall, da der Bescheid vom 10. Mai 2005 lediglich eine Bewilligung dem Grunde nach ohne zeitliche Beschränkung gewesen sei. Erst zum 31. Juli 2008 sei eine weitere Verfügung insoweit getroffen worden. Damit habe der letzte Tag, für den Leistungen der Eingliederungshilfe aus der Verfügung vom 10. Mai 2005 für G. erbracht worden seien, am 14. Juli 2008 gelegen. Die Geltendmachung am 5. März 2009 habe innerhalb der Jahresfrist des § 111 SGB X gelegen. Schließlich sei der Anspruch auch nicht nach § 113 SGB X verjährt.

Der Beklagte hat gegen den ihm mit Empfangsbekenntnis am 11. Dezember 2013 zugestellten Gerichtsbescheid am 12. Dezember 2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, dass das SG die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X falsch berechnet habe. In allen bekannten Urteilen sowie nach ständiger Auffassung der Spruchstelle Stuttgart sei die Ausschlussfrist von zwölf Monaten seit der Geltendmachung des Erstattungsanspruches zu beachten. Dabei sei in allen bekannten Urteilen auch in der Eingliederungshilfe von monatlichen Leistungs- und Bewilligungszeiträumen ausgegangen worden, folglich sei von der monatlichen Anwendung der Ausschlussfrist auszugehen (mit Hinweis u.a. auf ein Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 30. März 2011 - L 2 SO 1196/10 -). Da der Kläger erst am 5. März 2009 die Kostenerstattung beantragt habe, seien die vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 eingeklagten Sozialhilfeleistungen nicht zu erstatten. Im Übrigen sei man auch der Auffassung, dass G. durch das Verweilen von wenigen Stunden im Landkreis D. keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, da er psychisch gar nicht in der Lage gewesen sei, dort selbstständig zu leben. Es werde insoweit auf die Ausführungen erster Instanz Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der hilfebedürftige G. habe durch die Anmietung der Wohnung in C. und den Umzug dorthin seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes sei nicht die Zeitspanne entscheidend, während der der Eingliederungshilfeempfänger tatsächlich in der Wohnung gewohnt habe. Vielmehr sei die vorausschauende Perspektive einzunehmen, welche im vorliegenden Fall zu dem vom SG gefundenen Ergebnis führe. Es sei nicht auf die rechtlichen, sondern auf die tatsächlichen Umstände abzustellen und nicht eine rückblickende, sondern eine vorausschauende Betrachtung maßgebend (mit Hinweis auf Entscheidungen des OVG Rheinland-Pfalz und des Bundesverwaltungsgerichts). Des Weiteren seien auch die Ausführungen des SG hinsichtlich der Anwendung des § 111 SGB X zutreffend. Dem Leistungscharakter nach handele es sich bei den Leistungen der Eingliederungshilfe um solche mit Dauercharakter. Die Fristenrechnung im Urteil sei auch korrekt, sodass davon auszugehen sei, dass die Jahresfrist des § 111 SGB X gewahrt worden sei.

Im Erörterungstermin vom 21. Oktober 2014 hat die damalige Berichterstatterin u.a. darauf verwiesen, dass nach vorläufiger Einschätzung wohl von der Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes in C. auszugehen sein dürfte und auch die Entscheidung des SG hinsichtlich der Ausschlussfrist des § 111 Abs. 1 Satz 1 SGB X als Einzelentscheidung zu betrachten sei und wohl hier eher nicht bestätigt werden dürfte.

Hierzu hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass man auch von Seiten des Klägers nach wie vor der Auffassung sei, dass G. seinen gewöhnlichen Aufenthalt seinerzeit 2002 in C. begründet habe. Hinsichtlich der Ausschlussfrist in § 111 SGB X werde nach wie vor der Entscheidung des SG gefolgt. Da eine einheitliche Sozialhilfeleistung erbracht worden sei, könne der Fristenlauf der Ausschlussfrist nach § 111 SGB X erst mit dem Ende des jeweiligen Bewilligungszeitraums beginnen. Eingliederungshilfe lasse sich nicht in Teilzeiträume aufgliedern und könne daher nicht als wiederkehrend, sondern nur als ein Leistungsanspruch in Form einer Dauerleistung für den gesamten Bewilligungszeitraum angesehen werden. Indem die sozialhilferechtliche Leistungserbringung einem im Bewilligungsbescheid bestimmten Zeitraum zuzuordnen sei, sei der Ablauf des letzten Tages dieses Zeitraums für den Fristbeginn maßgebend. Ferner werde noch auf die Regelung in § 111 Satz 2 SGB X hingewiesen, welche ein Hinausschieben des Fristbeginns der Ausschlussfrist im vorliegenden Fall bestimme. Hier sei insbesondere eine Kenntniserlangung über die Leistungspflicht aus tatsächlichen Gründen noch gar nicht möglich gewesen, da die dazu notwendige Vorfrage der Zuständigkeit des jeweiligen möglichen Leistungsträgers noch gar nicht geklärt sei. Auch nicht geklärt sei die weitere Vorfrage des gewöhnlichen Aufenthalts des leistungsberechtigten G. Ein Fristenlauf könne daher frühestens mit der Klärung dieser Tatsachen beginnen.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass bei der Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes nicht unbedingt ein zielgerichteter Wille des Leistungsberechtigten zum Ausdruck komme. Gerade die lange Zeit, die bis zum tatsächlichen Auszug vergangen sei, könne auch die Unentschlossenheit des G. beweisen. Hinsichtlich der von der Klägerseite benannten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts bzw. im Hinblick auf den Bereich der Jugendhilfe würden diese sich von den zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen auch des BSG unterscheiden und die zitierte Rechtsprechung des BSG habe den Sachverhalt einer Verletztenrente und den Sachverhalt Krankengeld behandelt und sei ebenfalls nicht einschlägig. Auch der Gedanke der Sachleistung finde hier keine Anwendung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Klägers und des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig. Insbesondere ist auch der gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG maßgebliche Beschwerdewert bei Erstattungsstreitigkeiten in Höhe von 10.000,00 EUR überschritten. Im Streit steht eine im Wege einer Leistungsklage geltend gemachte Forderung in Höhe von 53.590,79 EUR.

Der G. war in diesem Verfahren nicht gemäß § 75 SGG notwendig beizuladen. In einem Erstattungsstreit zwischen verschiedenen Leistungsträgern, wie hier zwischen zwei Sozialhilfeträgern, ist der Leistungsempfänger nur dann notwendig beizuladen, wenn sich die Erfüllungsfunktion nach § 107 SGB X auf weitere Rechte des Leistungsempfängers auswirkt (siehe Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 11.Aufl., § 75 Rdnr. 10a m.w.N.). Eine Beiladung ist nicht notwendig bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen zwei Leistungsträgern, wenn der Berechtigte die Leistung bereits erhalten hat, diese nicht nochmals beanspruchen kann und die Entscheidung über die Erstattungsforderung keine Auswirkungen auf seine Rechtsposition hat (Leitherer a.a.O. m.w.N.).

II.

Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. In Übereinstimmung mit dem SG hat auch nach Überzeugung des Senates G. am 17. Dezember 2002 in C. seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet mit der Folge, dass gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII ab diesem Zeitpunkt zuständiger Leistungsträger dem Grunde nach der Beklagte ist (dazu unter Ziff. 1). Daraus ergibt sich auch in Übereinstimmung mit dem SG nach Auffassung des Senates dem Grunde nach ein Erstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten hinsichtlich der von diesem erbrachten Leistungen der Sozialhilfe und Eingliederungshilfe (dazu unter Ziff. 2). Entgegen der Auffassung des SG allerdings ist hinsichtlich des hier streitigen Zeitraumes, der Jahre 2005 und 2006 der geltend gemachte Erstattungsanspruch wegen verspäteter Geltendmachung nach Ablauf der Ausschlussfrist nach § 111 SGB X ausgeschlossen (dazu unter Ziff. 3).

1. Zunächst ist festzustellen, dass G. einen Anspruch auf die Gewährung der hier zwischen den Klägern streitigen Leistungen der Sozialhilfe bzw. Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 SGB XII im Zusammenhang mit der Unterbringung im RSS auf Übernahme der Kosten in der stationären Einrichtung, auf Übernahme der Kosten für die Tätigkeit in der Werkstatt für Behinderte, auf Gewährung des Barbetrages (§ 35 SGB XII) wie auch Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge für Behinderte unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Eigenmittel hat.

Mit dem SG ist zur Überzeugung des Senates festzustellen, dass G. am 17. Dezember 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in C., Landkreis D., und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten genommen hatte. Das SG hat hierzu zutreffend auf der Grundlage der hier maßgeblichen Definition in § 30 SGB I darauf abgehoben, dass es bei der Frage, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt genommen worden ist, einerseits auf den Willen des Betroffenen ankommt, wobei es nicht auf den rechtlichen, sondern den tatsächlich zum Ausdruck kommenden Willen ankommt, und andererseits sich dieser Wille in den tatsächlichen Verhältnissen objektiv niederschlagen muss. In diesem Zusammenhang bedarf es nicht einer melderechtlichen Begründung des Wohnsitzes, sondern reicht der tatsächliche Besitz einer Wohnung aus (vgl. LSG München, Urteil vom 21. Juni 2012 - L 8 SO 132/10 - in Juris Rn. 85, 108). Nochmals mit anderen Worten: Es kommt nicht auf die rechtlichen, sondern auf die tatsächlichen Umstände an und es ist nicht eine rückblickende, sondern eine vorausschauende Betrachtung maßgebend (BSG Urteil vom 29. April 2010 – B 9 SB 2/09 R – in juris Rn. 32). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das SG zu Recht festgestellt, dass G. in C. seinen gewöhnlichen Aufenthalt am 17. Dezember 2002 begründet hatte. Er hatte unmissverständlich seinen Willen bekundet, fortan selbstständig in einer eigenen Wohnung zu leben, was sich zum einen in seinen Planungen gezeigt hat, die sich u.a. auch in dem Antrag vom 25. August 2002 an den LWV widerspiegeln, und zum anderen auch mit dem Abschluss des Mietvertrages über die von ihm am 17. Dezember 2002 auch tatsächlich bezogene Wohnung festzustellen ist. Auch die Einrichtung (RSS) hat bestätigt, dass bei G. ein sehr ausgeprägter Wunsch nach einem eigenständigen Wohnen bestanden hatte. Zu Recht hat das SG in dem Zusammenhang auch darauf verwiesen, dass der Umstand, dass der G. gesundheitsbedingt letztlich nicht in der Lage war, seinen Willen dauerhaft umzusetzen, nichts daran ändert, dass er am 17. Dezember 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in C. genommen hatte. Denn anders als in der bereits zitierten Entscheidung des LSG München (Urteil vom 21. Juni 2012 – L 8 SO 132/10) hat im Falle des G. die bei ihm bestehende psychische Erkrankung den geäußerten Willen nicht derartig überlagert, dass nicht mehr von einer insoweit freien Willensentscheidung gesprochen werden kann. Zwar ist G. nach nicht einmal 24 Stunden aufgrund der bei ihm aufgetretenen Panikattacken bereits am Tag nach dem Auszug, am 18. Dezember 2002, wieder ins RSS zurückgekehrt. Zwar hatte das RSS den damaligen Auszug im Hinblick auf die seinerzeit aktuelle psychische Situation des G. als zweifelhaft angesehen. Dennoch versuchte man daraufhin von Seiten des RSS im Hinblick auf den sehr ausgeprägten Wunsch von G. in einer eigenen Wohnung zu leben, diesen sogar zu motivieren, es mit einer zu etablierenden ambulanten Hilfe in der Wohnung nochmals zu versuchen. Von Seiten des RSS ist man folglich nicht davon ausgegangen, dass dieser Wille von G. komplett von seiner psychischen Erkrankung überlagert war, andernfalls wäre G. diese Hilfe vom RSS gar nicht angeboten worden.

Damit war ab diesem Zeitpunkt gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII nicht mehr der Kläger, sondern der Beklagte örtlich zuständiger Sozialhilfeträger. Da zum damaligen Zeitpunkt für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in stationären Einrichtungen allerdings nicht der örtliche Sozialhilfeträger zuständig war, sondern der überörtliche Sozialhilfeträger LWV, hatte dies zum damaligen Zeitpunkt letztlich keine Auswirkungen und vielmehr mit der Zusage des LWV, auch für die Zeit ab dem 17. Dezember 2002 weiterhin die Kosten für die Unterbringung im RSS zu übernehmen, sein Bewenden.

2. Da ab diesem Zeitpunkt, Dezember 2002, dem Grunde nach örtlich zuständiger Sozialhilfeträger nunmehr der Beklagte war, stand dem Kläger jedenfalls ab dem 1. Januar 2005, also dem Zeitpunkt, zu dem die bisher vom LWV als überörtlichen Leistungsträger erbrachten Leistungen in den Zuständigkeitsbereich der jeweils im Folgenden örtlich zuständigen Sozialhilfeträger wechselte, ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X gegen den Beklagten zu. Das SG hat weiter zutreffend in dem Zusammenhang festgestellt, dass ein entsprechender Erstattungsanspruch nicht durch § 105 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift gelten zwar die Erstattungsmöglichkeiten des § 105 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X gegenüber Trägern der Sozialhilfe erst ab dem Zeitpunkt, von dem den Sozialhilfeträgern bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen. Zu Recht hat das SG in dem Zusammenhang aber darauf verwiesen, dass in Fällen wie hier, in der sowohl der Kläger als auch der Beklagte jeweils die Rechtsnachfolge des LWV bezüglich ihres örtlichen Zuständigkeitsbereiches angetreten haben, diese sich mit dem Eintritt in das Sozialrechtsverhältnis die Kenntnis des LWV hinsichtlich der Umstände aus dem Dezember 2002, die zum Wechsel der Zuständigkeit des örtlichen Sozialleistungsträgers geführt haben, zurechnen lassen müssen. Denn die Leistungspflicht bestand für den jeweiligen örtlich zuständigen Sozialhilfeträger dem Grunde nach schon während des Bestehens des LWV. Eine Leistungspflicht hatte sich jedoch während der Zeit des LWV nicht aktualisiert, da insoweit der LWV als überörtlicher Sozialleistungsträger (finanziert u.a. durch die örtlichen Sozialhilfeträger) die Lasten getragen und die Leistungen erbracht hat. Das heißt im Ergebnis, dass zur Überzeugung des Senates der Beklagte sich ab dem 1.Januar 2005, also dem Zeitpunkt, ab dem die Leistungspflicht auf die jeweiligen örtlichen Sozialhilfeträger im Wege der Rechtsnachfolge vom LWV übergegangen war, sich auch die Kenntnis des LWV hinsichtlich des Zuständigkeitswechsels im Dezember 2002 und damit der Zuständigkeit des Beklagten zurechnen lassen muss. Das heißt weiter, dass damit dem Grunde nach der Kläger ab dem 1. Januar 2005 einen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten hatte.

3. Entgegen der Auffassung des SG steht allerdings dem vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch für die hier streitigen Jahre 2005 und 2006 die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X entgegen. Zunächst verweist das SG zu Recht darauf, dass Zweck dieser Regelung ist, dass Ansprüche zwecks schneller Klarstellung der Verhältnisse möglichst bald geltend gemacht werden sollen (siehe Begründung zu § 117 E-SGB X, BT-Drucks. 9/95, S. 26). Diese Ausschlussfrist von einem Jahr beginnt nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde (§ 111 Satz 1 SGB X). Bei wiederkehrenden Leistungen kommt es für die Entstehung darauf an, wann die einzelne Leistung tatsächlich gezahlt wurde, das ist z.B. bei einer Verletztenrente der jeweilige Monat, zu dessen Beginn die Leistungen in Monatsbeträgen im Voraus gezahlt werden (§ 96 Abs. 1 SGB VII), oder etwa beim Arbeitslosengeld II wie auch bei der Sozialhilfe auch der jeweilige Monat, für den die Leistung zu Beginn des Monats gewährt wird. Zu diesem Zeitpunkt kann der Erstattungsberechtigte seinen Erstattungsanspruch beziffern und ist daher gehalten, den so errechneten Anspruch zeitnah geltend zu machen. Soweit das SG in dem Zusammenhang allerdings der Auffassung ist, dass etwas anderes in dem Fall gilt, dass eine einheitliche Leistung im Sinne einer Dauerleistung erbracht werde und insoweit gerade noch nicht ermittelbar sei, wie hoch die Erstattungsforderung insgesamt ausfalle und deshalb die Ausschlussfrist nicht in Gang gesetzt werde, kann der Senat dem nicht folgen. Der Kläger hat mit Bescheid vom 10. Mai 2005 rückwirkend ab 1. Januar 2005 ohne eine Begrenzung auf einen Bewilligungszeitraum oder eine sonstige zeitliche Begrenzung (§ 44 SGB XII) und damit im Wege eines Dauerverwaltungsaktes dem G. die folgenden Leistungen bewilligt: Vergütungssatz für das Wohnen, Barbetrag in Höhe von 90,00 EUR, Tagessatz für die Werkstatt für behinderte Menschen und die Sozialversicherung Behinderter. Der Kläger hat zwar in diesem Bewilligungsbescheid mit Ausnahme des Barbetrages keine konkreten Beträge festgestellt. Aber entgegen den Ausführungen des SG ist der Kläger keineswegs gehindert, für jeden Monat individuell auf der Grundlage der maßgeblichen Vergütungssätze mit der Einrichtung, ausgehend vom jeweils maßgeblichen Tagessatz für die Werkstatt für behinderte Menschen auf der Grundlage der jeweils geltenden Vereinbarungen, ausgehend vom jeweils maßgeblichen Barbetrag und auch auf der Grundlage der jeweils geltenden Sozialversicherungssätze die Beiträge zur Sozialversicherung für Behinderte individuell und damit den Erstattungsanspruch für jeden einzelnen Monat konkret jederzeit zum Abschluss des jeweiligen Monats zu berechnen und geltend zu machen. Zur Überzeugung des Senates beginnt daher die Ausschlussfrist nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGB X jeweils mit dem Ende des Monats für den die jeweiligen monatlichen Leistungen erbracht worden sind. Dies heißt konkret hier, dass die Leistungen ab dem 1. Januar 2005 jeweils für die Monate Januar 2005 und folgende nach Ablauf eines Jahres gerechnet jeweils ab dem Leistungsmonat nach § 111 Satz 1 SGB X von der Geltendmachung ausgeschlossen sind. Dem steht auch nicht etwa § 111 Satz 2 SGB X entgegen, wonach der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger (hier der Kläger) von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers (hier des Beklagten) über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Eine Entscheidung des Beklagten selbst über seine Leistungspflicht liegt für die Zeit seit dem 1. Januar 2005 überhaupt nicht vor. Allerdings hat der LWV als Rechtsvorgänger und überörtlicher Sozialhilfeträger im Dezember 2002 gegenüber der Einrichtung, dem RSS erklärt, weiterhin - auch rückwirkend ab dem 17. Dezember 2002 - die Kosten für den G. in der dortigen Einrichtung zu übernehmen. Damit aber hat der LWV mit Wirkung für den Beklagten und gleichzeitig in Kenntnis des Klägers, da der LWV sowohl den Beklagten als auch den Kläger insoweit vertrat, die neue Leistungspflicht des jetzt örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers, des Beklagten, begründet und gleichzeitig auch Kenntnis von dieser Entscheidung über die nunmehr bestehende Leistungspflicht des Beklagten erlangt.

Damit sind im Ergebnis die hier streitigen Erstattungsansprüche für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 von der Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X zuletzt für Dezember 2006 am 31. Dezember 2007 erfasst worden. Zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung im März 2009 stand dem geltend gemachten Erstattungsanspruch der Eintritt der Ausschlussfrist und damit der Wegfall des Anspruches entgegen.

Auf die Frage der Verjährung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X kommt es insoweit nicht mehr an.

Aus diesen Gründen ist daher das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG.
Rechtskraft
Aus
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