L 32 AS 2223/15 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 33 AS 1415/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 2223/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. August 2015 insoweit geändert, als der Antragsgegner verpflichtet wird, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem Tag dieses Beschlusses bis 31. Dezember 2015, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, von weiteren 240,52 Euro monatlich, dabei für Oktober 2015 anteilig, zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu 80 v. H. zu erstatten. Der Antragstellerin wird unter entsprechender Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. August 2015 Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren und außerdem Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren jeweils unter Beiordnung von Rechtsanwalt J- Z bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner weitere Leistungen vorläufig in Höhe von 300 Euro monatlich vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015.

Die im Mai 1982 geborene Antragstellerin, die seit September 2012 in der Unternehmens- und Lebenshilfe/Altenbetreuung selbständig tätig ist, beantragte im Juni 2015 die Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). In der Erklärung zum Einkommen zur selbständigen Tätigkeit gab sie für die Zeit von Juli bis Dezember 2015 ausgehend von Einnahmen in Höhe von 3.420 Euro und von Ausgaben in Höhe von 3.544,68 Euro prognostisch einen Verlust von 124,68 Euro an.

Mit Bescheid vom 26. Juni 2015 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von 431,25 Euro monatlich. Dem Bedarf von 764 Euro stellte er Einkommen von 332,75 Euro gegenüber. Er ging hierbei von dem von der Antragstellerin prognostizierten Einkommen aus. Zu den geltend gemachten Betriebsausgaben führte er u. a. aus: Der betriebliche Anteil der Telefonkosten habe nicht bestimmt werden können, weil kein separater Telefonanschluss nachgewiesen sei. Somit würden 50 v. H. der Gesamtsumme der Telefonrechnungen (164,37 Euro) als Betriebsausgabe anerkannt. Reisekosten, Versicherungsbeiträge, Kfz-Kosten und –steuern seien nicht nachgewiesen, so dass diese Ausgaben nicht zu berücksichtigen seien. Ausgaben für größere Anschaffungen seien vorab mit dem Jobcenter abzusprechen. Da die Investition erst in Planung sei, die Prüfung der Notwendigkeit somit noch nicht erfolgen könne, werde diese Position als Ausgabe vorerst nicht berücksichtigt. Es ergebe sich (unter Berücksichtigung von einmaligen Beratungskosten von 160,00 Euro) somit ein monatliches prognostiziertes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (vor den Freibeträgen) von 515,94 Euro.

Am 12. Juli 2015 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren gestellt, weitere 300 Euro monatlich ab dem Monat Juli 2015 festzusetzen. Sie hat unter Vorlage der Einnahmen-Überschussrechnung für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 30. Juni 2015 vorgetragen, in diesem Zeitraum lediglich einen Gewinn von 487,14 Euro erzielt zu haben. Ihre finanziellen Mittel seien erschöpft.

Mit Beschluss vom 7. August 2015 hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt: Es entscheide aufgrund einer Folgenabwägung, da eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage ohne weitere Ermittlungen nicht möglich sei. Anhand der vorliegenden Unterlagen könne nicht abschließend geprüft werden, in welcher Höhe die Antragstellerin in dem streitigen Zeitraum über anrechenbares Einkommen aus selbständiger Tätigkeit verfüge. Aufgrund der gesetzgeberischen Wertung des § 31 a Abs. 1 und 3 SGB II erscheine eine Reduzierung des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs um 30 v. H. als angemessen. Eilbedürftigkeit sei hinsichtlich der Gewährung von Leistungen in Höhe eines 279,30 Euro (70 v. H. des Regelbedarfs in Höhe von monatlich 399 Euro) übersteigenden Betrages nicht glaubhaft gemacht, denn mit dem angegriffenen Bescheid würden Leistungen in Höhe von 431,25 Euro monatlich vorläufig bewilligt. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung liege ebenfalls keine Eilbedürftigkeit vor. Das Drohen konkreter Wohnungslosigkeit sei nicht glaubhaft gemacht.

Gegen den ihr am 11. August 2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 7. September 2015 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, mit der zugleich Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt worden ist.

Sie weist darauf hin, dass die Abweichung zwischen dem erzielten Erwerbseinkommen für das erste Halbjahr 2015 mit insgesamt 487,14 Euro so deutlich von dem vom Antragsgegner prognostizierten monatlichen Einkommen von 515,94 Euro abweiche, dass es zu einer Bedarfsunterdeckung komme, die den Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums berühre. Die Einkommensprognose werde seitens des Antragsgegners fehlinterpretiert und bereits anerkannte Kostenpositionen würden zu Unrecht nicht berücksichtigt. Die Antragstellerin habe mit Genehmigung des Antragsgegners Investitionen getätigt, die finanziert werden müssten und ihr Einkommen verminderten. So habe die Antragstellerin in die laut Finanzierungsrechnung vom 26. August 2015 sich ergebenden Fußpflegematerialien mit 2.145,33 Euro investiert, die vom Antragsgegner befürwortet worden sei. Neben der geleisteten Anzahlung von 150 Euro sei eine monatliche Rate von 89,38 Euro zu leisten. Gemäß Bescheinigung des Antragsgegners vom 18. August 2015 sollten der monatliche Ratenbetrag und der Anzahlungsbetrag vollständig als Kosten berücksichtigt werden. Darüber hinaus werde die Antragstellerin in den vom Fachverband vorgeschriebenen abschließbaren Schrank im Wert von 100 Euro und einen Sterilisator von 100 Euro investieren müssen. Es sei von betrieblich veranlassten Elektroenergiekosten, insbesondere für Computernutzung und Beleuchtung, von 11 Euro monatlich auszugehen. Die Nutzung des Betriebs-Pkws sei bis auf eine Privatfahrt im ersten Halbjahr 2015 ausschließlich betrieblich erfolgt, so dass 70 Euro monatlich nachvollziehbar seien. Für die Kfz-Haftpflichtversicherung und den Schutzbrief wende sie monatlich 34,13 Euro auf. Die Aufwendungen für den Schutzbrief seien aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Pkws bei Erstzulassung 1997 sinnvoll. Nach der Rechnung vom 14. Januar 2015 seien Wartungs- und Reparaturkosten für den Pkw von 665,34 Euro belegt. Für die betriebliche Haftpflichtversicherung habe sie monatlich 22,85 Euro aufzuwenden. Sie habe ein Diensttelefon mit monatlichen Kosten von 29,90 Euro und verfüge über eine Internetverbindung, für die monatlich von 24,89 Euro zu zahlen sei. Die auf Veranlassung des Antragsgegners vorgenommene Trennung ihrer beiden Telefone verursache zusätzliche Kosten.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. August 2015 abzuändern und den Antragsgegner zu verpflichten, an die Antragstellerin über die bewilligten 431,25 Euro hinaus weitere Leistungen in Höhe von monatlich 300 Euro ab dem 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 zu zahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er meint, es mangele an der Glaubhaftmachung sowohl eines Anordnungsanspruches als auch eines Anordnungsgrundes. Der vom Senat unterbreitete Vergleichsvorschlag würde eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Im Übrigen könnten die erstmals im Beschwerdeverfahren eingereichten Quittungen und Belege lediglich im Rahmen des noch anhängigen Widerspruchsverfahrens zum Bescheid vom 26. Juni 2015 berücksichtigt werden. Ungeachtet dessen hätten die eingereichten Unterlagen zu den Investitionskosten und die einmaligen Betriebsausgaben nichts mit der im Bescheid vom 26. Juni 2015 zugrunde gelegten Einkommensberechnung zu tun. Zudem seien Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit im Bereich der Fußpflege dem Antragsgegner noch nicht bekannt geworden. In Bezug auf die geltend gemachten Kfz-Kosten sei der Antragstellerin aus vorhergehenden Bewilligungen bekannt, dass zu deren Anerkennung ein Fahrtenbuch zu führen sei. Es fehle eine Erklärung der Antragstellerin dazu, wie sich die Kosten für Elektroenergie im Verhältnis der betrieblich genutzten Fläche der Wohnung zu deren Gesamtfläche verhielten. Bei den Telefonkosten handele es sich um Kosten eines Festanschlusses, welcher erst zum 1. Juli 2015 in Betrieb genommen worden sei. Zudem erkläre die Antragstellerin selbst, dass sie lediglich einen Handyanschluss betrieblich nutze. Insoweit verblieben als anzuerkennende Kosten nur die Kosten für die betriebliche Haftpflichtversicherung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners (Bl. 443 bis 780), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Das Sozialgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Abgesehen vom Zeitraum vor dem Tag der Entscheidung des Senats, für den es an einem Anordnungsgrund fehlt, liegen ein glaubhaft gemachter Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund vor.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens des Anordnungsgrundes (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und des Anordnungsanspruches (der materielle Leistungsanspruch). Der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller, Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Auflage, § 86 b Rdnr. 16 b).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe scheidet eine einstweilige Anordnung für einen Zeitraum vor der Entscheidung des Senats, also vom 01. Juli 2015 bis zum heutigen Tag, aus, denn insoweit besteht kein Anordnungsgrund.

In einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Dies ergibt sich daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich. Sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt. Das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtssuchenden insoweit zumutbar (so Landessozialgericht - LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. September 2006 - L 7 B 18/06 KA ER und vom 04. Januar 2008 - L 28 B 2130/07 AS ER).

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtssuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine stattgebende Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. September 2006 und vom 04. Januar 2008). Dasselbe kann gelten, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, wenn also die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit noch in die Zukunft fortwirkt und daher eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet. Dies kann gegeben sein, wenn der Antragsteller zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Tilgung unmittelbar bevorsteht. Es ist ferner denkbar, dass im vergangenen Zeitraum vorgenommene Einsparungen nachwirken (Sächsisches LSG, Beschluss vom 25. März 2008 - L 2 B 51/08 AS-ER m. w. N.).

Ein besonderer Nachholbedarf wird von der Antragstellerin nicht dargetan.

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung vor.

Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gilt: Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 SGB II sind erfüllt. Die Antragstellerin ist auch hilfebedürftig.

Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Die Antragstellerin erzielt Einkommen. Dieses reicht jedoch zur Deckung ihrer Bedarfe nicht aus.

Bei dem zu berücksichtigenden Einkommen ist von dem Einkommen auszugehen, das der Leistungsberechtigte im Bewilligungszeitraum erhält. Lässt sich dieses Einkommen, wie insbesondere bei Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit wegen schwankender Einnahmen und Ausgaben, nicht sicher feststellen, sondern besteht objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung, ist über den Anspruch nicht endgültig, sondern nur vorläufig zu entscheiden (Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 21/10 R, Rdnr. 16, abgedruckt in BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 39).

Maßgeblich für die Prognose sind die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten und erkennbaren Umstände und die Angaben des Antragstellers im Leistungsantrag (BSG, Urteil vom 06. April 2011 – B 4 AS 119/10 R, Rdnr. 41, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21, unter Hinweis auf: BSG, Urteil vom 30. August 2007 - B 10 EG 6/06 R = SozR 4-7833 § 6 Nr. 4; BSG Urteil vom 2. Oktober 1997 - 14 Reg 10/96 - SozR 3-7833 § 6 Nr. 15; BSG Urteil vom 16. Dezember 1999 - B 14 EG 1/99 R - SozR 3-7833 § 6 Nr. 22). Das Verwaltungsverfahren endet mit Erlass des Widerspruchsbescheides. Grundlage ist insoweit der verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Verwaltung, wobei die Behörde von den Angaben des Antragstellers im Leistungsantrag ausgehen muss. Der Antragsteller hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB I alle für die Leistung erheblichen Tatsachen anzugeben und Änderungen mitzuteilen. Die Behörde ist deshalb grundsätzlich nur dann verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen weiter zu ermitteln, wenn die Angaben unvollständig oder unklar sind (BSG, Urteil vom 30. August 2007 - B 10 EG 6/06 R Rdnr. 16; BSG Urteil vom 2. Oktober 1997 - 14 Reg 10/96, Rdnr. 16).

Ausgehend davon ist ein geringeres Einkommen als vom Antragsgegner angerechnet zu berücksichtigen.

Die Antragstellerin hat angegeben, im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 Einnahmen von insgesamt 3.420 Euro, also von 570 Euro monatlich, zu haben. Von solchen Einnahmen geht auch der Antragsgegner aus.

Die von der Antragstellerin angegebenen Ausgaben in diesem Zeitraum sind nachvollziehbar glaubhaft. Soweit der Antragsgegner meint, die im Beschwerdeverfahren eingereichten Quittungen und Belege könnten lediglich im Rahmen des noch anhängigen Widerspruchsverfahrens berücksichtigt werden, irrt er. Solange das Widerspruchsverfahren nicht durch Erlass des Widerspruchsbescheides abgeschlossen ist, sind alle bekannten und erkennbaren Umstände für die Prognose auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes heranzuziehen, denn dieses Verfahren dient dazu, den materiell-rechtlichen Anspruch vorläufig zu sichern.

Mit der Berücksichtigung der von der Antragstellerin geltend gemachten Ausgaben ist auch nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen, denn mit (und in) dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren wird nur eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache getroffen wird. Es kommt hinzu, dass sich die Regelung im Bescheid vom 26. Juni 2015 ohnehin auf eine vorläufige Bewilligung des Anspruches beschränkt.

Als Ausgaben sind monatlich zu berücksichtigen: 89,38 Euro Investitionen 11,00 Euro Elektroenergiekosten 70,00 Euro laufende Betriebskosten für den betrieblich genutzten Pkw 34,13 Euro Kfz-Versicherung nebst Schutzbrief 22,85 Euro betriebliche Haftpflichtversicherung 29,90 Euro betrieblich veranlasste Telefonkosten 12,45 Euro betrieblich veranlasste Internetkosten

= 269,71 Euro monatlich, also für den streitigen Zeitraum 1.618,26 Euro.

Als einmalig anfallende Ausgaben kommen hinzu: 150 Euro Anzahlung für Investitionen 100 Euro Kosten für einen vorgeschriebenen abschließbaren Schrank 100 Euro Kosten für einen Sterilisator 160 Euro Beratungskosten

= 510 Euro.

Daraus folgen Ausgaben im streitigen Zeitraum von insgesamt 2.128,26 Euro (1.618,26 Euro zuzüglich 510 Euro), also von 354,71 Euro monatlich.

Die genannten Ausgaben sind angemessen und nachvollziehbar.

Die Antragstellerin ist Fachfußpflegerin und Fachfrau für Arbeiten am diabetischen Fuß (Urkunden der Fußpflegeschule B jeweils vom 28. Oktober 2014). Für die zur Ausübung der Fußpflege erforderlichen Materialien bedarf es Investitionen, die nach der Auftragsbestätigung der H R GmbH vom 26. August 2015 2.145,33 Euro betragen. Nach dieser Auftragsbestätigung wurde von der Antragstellerin bereits eine Anzahlung in Höhe von 150 Euro geleistet. Bei vereinbarter Ratenzahlung fällt monatlich eine zu leistende Rate von 89,38 Euro an. Nach der von der Antragstellerin vorgelegten Vereinbarung mit dem Antragsgegner vom 18. August 2015 wurde der Investition Fußpflege als neuem Zweig der Selbständigkeit zugestimmt; es wurde zudem vereinbart, dass der monatliche Ratenbetrag sowie der Anzahlungsbetrag vollständig als Kosten berücksichtigt werden. Es trifft zwar zu, dass die von der Antragstellerin eingereichten Unterlagen zu den Investitionskosten bei Erlass des Bescheides vom 26. Juni 2015 nicht berücksichtigt wurden; sie konnten schon deswegen nicht berücksichtigt werden, weil die Investitionen erst danach erfolgt sind. Dies schließt ihre Berücksichtigung nicht aus, denn es handelt sich um Umstände, die während des anhängigen Widerspruchsverfahrens bekannt geworden sind. Ihrer Berücksichtigung steht gleichfalls nicht entgegen, dass aus der Tätigkeit im Bereich der Fußpflege noch keine Einnahmen erzielt wurden. Es liegt in der Natur der Sache, dass ohne eine vorherige Investition in die zur Ausübung der Fußpflege erforderlichen Materialien eine fußpflegerische Tätigkeit nicht erbracht werden kann. Dies trifft in gleicher Weise für den abschließbaren Schrank und den Sterilisator zu.

Nach der Abrechnung der L SE vom 3. Dezember 2014 betrug der monatliche Abschlag für Strom ab Januar 2015 27,15 Euro. Nach der Auftragsbestätigung der R Vertrieb AG vom 25. Mai 2015 mit Vertragsbeginn am 1. Juli 2015 beträgt der monatliche Abschlag für Strom 22 Euro. Betrieblich veranlasste Elektroenergiekosten von 11 Euro monatlich erscheinen nachvollziehbar. Es mag zutreffen, dass das Verhältnis der betrieblich genutzten Fläche der Wohnung zur ihrer Gesamtfläche eine Aussage darüber zulässt, wie hoch die betrieblich veranlassten Kosten für Elektroenergie zu bewerten sind. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und im Verfahren der Bewilligung von nur vorläufigen Leistungen ist die von der Antragstellerin vorgenommene Schätzung jedenfalls ausreichend.

Dasselbe gilt für die Kosten des betrieblich genutzten Pkws. Die vorgelegten Tankquittungen und anderen Belege für das erste Halbjahr 2015 mögen einen gewissen Anhalt für die künftig anfallenden laufenden Betriebskosten bieten. Genaue Auskunft darüber ist damit jedoch nicht zu gewinnen, denn der Umfang der künftigen Nutzung ist nicht voraussehbar. Ob die Führung eines Fahrtenbuches zum Nachweis betrieblich veranlasster Fahrten erforderlich ist, wenn der Pkw ausschließlich betrieblich genutzt wird, weil die Antragstellerin im privaten Bereich auf andere Verkehrsmittel zurückgreift, mag dahinstehen. Ein Fahrtenbuch hilft jedoch dann nicht weiter, wenn es um die Beurteilung erst anfallender künftiger Aufwendungen geht. Insoweit muss gegenwärtig die von der Klägerin vorgenommene Schätzung ausreichen. 70 Euro monatlich erscheinen dabei angemessen.

Die im Januar 2015 angefallenen und bereits bezahlten Pkw-Reparaturkosten (Rechnung der Autoservice B vom 14. Januar 2015) werden bei der Ermittlung der Ausgaben außer Betracht gelassen, da nicht ersichtlich ist, dass diese erneut im maßgebenden streitigen Zeitraum entstehen.

Nach dem Versicherungsschein der W Versicherung AG vom 16. Dezember 2014 hat die Antragstellerin für den betrieblich genutzten Pkw 34,13 Euro monatlich aufzuwenden. In diesem Betrag ist auch ein Betrag von 1,69 Euro (vor Versicherungssteuer) für einen Schutzbrief enthalten. Dies erscheint im Hinblick auf die Erstzulassung dieses Fahrzeuges im November 1997 und einem Kilometerstand von 190.533 (vgl. dazu die Rechnung der AHG Autohandelsgesellschaft S, K OHG vom 28. Juli 2015) ebenfalls nicht unangemessen.

Die betriebliche Haftpflichtversicherung mit 22,85 Euro monatlich ist durch den Versicherungsschein der R AG vom 30. November 2012 und die Beitragsrechnung vom 29. Oktober 2014 belegt.

Telefonkosten von 29,90 Euro monatlich für das betrieblich genutzte Handy mit der Rufnummer 0174/xxx, das nach der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin vom 24. September 2015 neben dem privaten Handy mit der Rufnummer 0176/xxx genutzt wird, ist durch die vorgelegte Rechnung der m-d GmbH von Februar 2015 belegt. Daneben erscheinen Kosten für eine Internet-Verbindung von 12,45 Euro angemessen. Nach den dazu vorgelegten Kontoauszügen und Rechnungsdetails mit einem Betrag von 24,89 Euro monatlich wurde diese entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht erst zum 1. Juli 2015 in Betrieb genommen wurde, sondern bestand bereits früher (vgl. die Rechnung vom 31. Dezember 2014). Da nicht vorgetragen ist, dass eine weitere Internet-Verbindung im privaten Bereich besteht, geht der Senat von einer privaten Mitnutzung aus, so dass es angemessen ist, lediglich die Hälfte der Kosten der Internet-Verbindung zu berücksichtigen.

Als weitere einmalige Ausgabe kommen die vom Antragsgegner bereits als angemessen anerkannten 160 Euro Beratungskosten hinzu. Der Senat hat deshalb keine Veranlassung, die Erforderlichkeit dieser Kosten anzuzweifeln.

Ausgehend von Einnahmen von 570 Euro monatlich und Ausgaben von 354,71 Euro monatlich resultiert daraus ein Einkommen von 215,29 Euro monatlich. Abzüglich des Grundfreibetrages von 100 Euro monatlich (§ 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II) und des Erwerbstätigenfreibetrages von 23,06 Euro monatlich (215,29 Euro - 100 Euro = 115,29 Euro x 20 v. H.; § 11 b Abs. 3 Sätze 1 und 2 Nr. 1 SGB II) ergibt sich ein anzurechnendes Einkommen von 92,23 Euro monatlich.

Dieses Einkommen deckt nach § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II den Regelbedarf von 399 Euro monatlich (Ziffer 1 der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab 1. Januar 2015 vom 15. Oktober 2014 – BGBl I 2014, 1620) nur teilweise, so dass ein Regelbedarf von 306,77 Euro verbleibt. Der Antragsgegner hat demgegenüber einen verbleibenden Regelbedarf von 66,25 Euro (399 Euro -332,75 Euro) ermittelt, so dass der Antragstellerin weitere 240,52 Euro monatlich zustehen.

Für einen Abschlag sieht der erkennende Senat keine Veranlassung. Wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II scheidet ein solcher vielmehr regelmäßig aus.

Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben. Wegen der ansonsten eintretenden Bedarfsunterdeckung kann die Hauptsacheentscheidung nicht abgewartet werden.

Eine Entscheidung zu den Kosten der Unterkunft und Heizung ist weder erforderlich noch geboten. Der Antrag der Antragstellerin ist hierauf nicht bezogen; ein solcher Antrag wäre mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Bedarf für Unterkunft und Heizung wurde vom Antragsgegner in vollem Umfang bewilligt, denn eine Einkommensanrechnung wurde insoweit nicht vorgenommen. Auf die vom Sozialgericht dazu gemachten Ausführungen kommt es daher nicht an.

Die Beschwerde hat daher im genannten Umfang Erfolg.

Nach allem ist auch die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe begründet. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist daher ebenfalls erfolgreich.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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