Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 15 KR 212/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 97/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 132/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Beschluss (-)
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2014 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Vergütung von stationär erbrachten Krankenhausleistungen.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Krankenhaus. Der 1986 geborene Versicherte der Beklagten wurde in diesem Krankenhaus in der Zeit vom 11. Februar 2008 bis zum 20. Dezember 2009 jeweils aufgrund von Verordnungen von Krankenhausbehandlungen seiner behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin zwölfmal im Rahmen eines kurzzeitigen stationären Aufenthaltes von drei bis fünf Tagen vollstationär behandelt.
Der Versicherte leidet unter einer Variante der chronisch-inflamatorischen demylinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP), der multifokal erworbenen, sensomotorischen, demyelinisierenden chronischen Polyneuritis (MADSAM). Dabei wird die Myelinschicht, die sich schützend um die Nerven legt, angegriffen. Die Impulse zur Steuerung der Muskeln gelangen nicht oder nur stark abgeschwächt zum Ziel. Der Verlauf der Erkrankung ist progredient und führt zu schweren Funktionsstörungen, insbesondere der Motorik mit Muskelatrophien und Lähmungen. Als zugelassene Behandlung stand zum Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten die Glukokortikoidbehandlung zur Verfügung, die ambulant durchgeführt wird.
Im Rahmen der stationären Aufenthalte wurde der Versicherte intravenös mit Sandoglobulin, einem Immunglobulin, behandelt (IVIG). IVIG war im Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten nicht für die Behandlung der CIDP, zu der MADSAM gehört, zugelassen. Das einzige für diese Indikation in Deutschland zugelassene Immunglobulin-Präparat ist Gamunex. Die Zulassung erfolgte aber erst im Sommer 2009, also nach der Behandlung des Versicherten.
Im Einzelnen stellte die Klägerin der Beklagten für die jeweiligen Behandlungen die folgenden Beträge in Rechnung:
Zeitraum Rechnungsdatum Betrag 11.02. bis 16.02.2008 29.02.2008 9.197,04 Euro 17.03. bis 21.03.2008 27.03.2008 7.815,40 Euro 21.04. bis 25.04.2008 28.04.2008 9.364,32 Euro 26.05. bis 30.05.2008 06.06.2008 7.718,24 Euro 29.06. bis 03.07.2008 11.07.2008 8.499,52 Euro 29.08. bis 31.08.2008 02.09.2008 6.199,83 Euro 03.10. bis 05.10.2008 07.10.2008 6.562,35 Euro 21.11. bis 23.11.2008 04.12.2008 6.562,35 Euro 23.01. bis 25.01.2009 17.02.2009 8.152,17 Euro 27.03. bis 29.03.2009 09.04.2009 8.193,56 Euro 19.06. bis 21.06.2009 29.06.2009 8.318,37 Euro 18.12. bis 20.12.2009 23.12.2009 8.318,37 Euro
Die Beklagte hat die stationären Aufenthalte nach Rechnungslegung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) prüfen lassen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Erstgabe von Immunglobulinen (IVIG) unter stationären Bedingungen zur Prüfung der Verträglichkeit und engmaschigen Überwachung medizinisch begründet sei. Ein medizinischer Grund für die IVIG-Folgebehandlungen könne jedoch nicht bestätigt werden. Diese könnten auch ambulant durchgeführt werden. Es lägen aber nicht die Voraussetzungen eines zulässigen Off-label-Use vor. Dies gelte aber auch für die Erstgabe, also die Behandlung des Versicherten im Februar 2008. Das Immunglobulin Sandoglobulin sei außerhalb seiner Zulassung angewendet worden.
Die Beklagte hat, nachdem sie die Rechnungen der Klägerin zunächst vollständig beglichen hatte, die geltend gemachte Überzahlung zurückgefordert und sie dann mit anderen unstreitigen fälligen Forderungen der Klägerin verrechnet.
Mit ihrer am 09. September 2010 bei dem Sozialgericht Potsdam eingegangen Klage hat die Klägerin die Zahlung von 86.180,97 Euro nebst Zinsen für die stationären Behandlungen des Versicherten geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, dass sie einen Anspruch auf Vergütung der erbrachten stationären Krankenhausleistungen habe. Der Versicherte habe unstreitig an MADSAM gelitten. Die intravenöse Verabreichung von Sandoglobulin sei medizinisch notwendig gewesen. Die IVIG-Behandlung sei die einzige mögliche Therapie gewesen. Einer Behandlung mit Kortikosteroiden habe das jugendliche Alter des Versicherten entgegengestanden. Die Verwendung von Kortison in einer Langzeitbehandlung hätte zu schweren Nebenwirkungen geführt. Um die Nebenwirkung von Kortison abzumildern, hätte daher Azathioprin verabreicht werden müssen. Azathioprin schädige jedoch das Erbgut.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Voraussetzungen eines Off-label-Use nicht vorgelegen hätten. Es habe alternativ die Behandlungsmöglichkeit mit Kortison bestanden. Im Übrigen hätte die Behandlung auch ambulant erfolgen können.
Das Sozialgericht hat zu der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung ein Gutachten von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. med. PM eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 25. Januar 2013 verwiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Vergütung der stationären Krankenhausbehandlungen habe. Weder lägen die Voraussetzungen des § 137c SGB V noch die eines zulässigen Off-label-Use vor.
Gegen das ihr am 25. Februar 2014 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 24. März 2014. Sie trägt vor, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 137c SGB V vorgelegen hätten. Die Behandlung mit einem Immunglobulin sei durch ausreichende Studienergebnisse gestützt. Sie sei dann auch im Juni 2009 zugelassen worden. Zudem sei eine Unterscheidung zwischen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 137c SGB V und einem Off-label-Use nicht vorzunehmen. Das Sozialgericht habe zudem übersehen, dass der Sachverständige in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Kriterien für einen Off-label-Use erfüllt seien. Zum Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten der Beklagten hätten Studien vorgelegen, in denen die Wirksamkeit von Immunglobulinen für die Erkrankung CIDP/MADSAM nachgewiesen worden seien. Im Übrigen seien aber auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Off-label-Use im stationären Bereich nicht anwendbar. Im stationären Bereich ergäbe sich aus § 137c SGB V, als lex specialis zu § 135 SGB V, das Anliegen des Gesetzgebers, für den Bereich der stationären Krankenhausbehandlung einen Ausschluss von neuen Verfahren nur zu normieren, wenn eine negative Stellungnahme durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vorliege. Eine derartige negative Stellungnahme liege aber gerade nicht vor. Zur Frage der stationären Behandlungsbedürftigkeit sei auszuführen, dass bei Immunglobulin-Präparaten immer die Möglichkeit einer schweren allergischen Unverträglichkeitsreaktion bestehe, auch wenn ein Patient diese bei den vorangegangenen Behandlungszyklen gut vertragen habe. Darauf werde in den Fachinformationen aller Präparate ausdrücklich hingewiesen.
Die Klägerin beantragt wörtlich,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 86.180,79 Euro nebst zwei Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21. Mai 2010 aus 69.668,86 Euro sowie seit dem 21. Juli 2010 aus 16.511,93 Euro zu zahlen sowie an die Klägerin weitere 8.318,37 Euro nebst zwei Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. März 2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagen verwiesen, die dem Senat vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung der von ihr erbrachten Krankenhausleistungen für den Versicherten der Beklagten.
Dem von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch steht die Aufrechnung der Beklagten mit einem unstreitigen Vergütungsanspruch entgegen. Der Beklagten stand in Höhe der Klageforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. In dieser Höhe hat sie die stationäre Behandlung des Versicherten ohne Rechtsgrund vergütet. Die Klägerin hatte insoweit keinen Entgeltanspruch.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17 b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und dem Vertrag über allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) vom 08. Oktober 1996/06. November 1996 in der Fassung vom 22. September 1997 für das Land Brandenburg (ABK-Vertrag). Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V objektiv erforderlich war.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder einer ambulanten Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich ausschließlich nach medizinischen Erfordernissen (Urteil des BSG vom 25. September 2007 – GS 1/06 – und Urteil des BSG vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R – zitiert jeweils nach juris). Die vollstationäre Behandlung als intensivste – und institutionell konstitutive Form der Krankenhausbehandlung wird in § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V als Ultima Ratio normiert. Demgemäß muss die notwendige medizinische Behandlung in jeder Hinsicht und ausschließlich nur mit dem besonderen Mittel des Krankenhauses durchgeführt werden können (Noftz, Hauck/Noftz SGB V [Std.: Ergänzungslieferung 9/2015] § 39 RdNr. 72 m.w.Nachw.).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die gesamte Behandlung des Versicherten bedurfte nicht der besonderen Mittel des Krankenhauses. Der Versicherte hätte auch ambulant behandelt werden können. Diese Überzeugung des Senats stützt sich auf das Gutachten des Gutachtens von Prof. Dr. med. PM vom 25. Januar 2013. Der Versicherte der Beklagten leidet danach an einer Erkrankung des peripheren Nervensystems. Er ist an MADSAM erkrankt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Der Gutachter hat weiter ausgeführt, dass unabhängig von der durchgeführten Immunglobulin-Therapie keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit bestanden hat. Andere medizinische Gründe für eine Krankenhausbehandlung lagen nicht vor. Die Applikation ist ohne Einschränkung ambulant durchführbar. Der behandelnde Arzt muss jedoch mit dem Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum der Behandlung vertraut sein, eine Überwachung des Patienten garantieren und ggf. geeignete Notfallmaßnahmen durchführen könne. Dass der behandelnde Arzt die von ihm angewandte Therapie beherrscht und auch in der Lage ist, bei auftretenden Problemen geeignete Maßnahmen einzuleiten, ist eine Selbstverständlichkeit.
Nach Auffassung des Gutachters standen einer ambulanten Durchführung einer IVIG-Behandlung lediglich zwei "gravierende Probleme" entgegen, so dass eine ambulante IVIG-Behandlung "praktisch nicht möglich" gewesen sei. Das erste Problem habe darin bestanden, einen mit einer derartigen Behandlung vertrauten Arzt zu finden, der bereit gewesen sei, diese Behandlung durchzuführen. Gerade im Bundesland Brandenburg habe ein erheblicher Mangel an Fachärzten geherrscht. Der Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Bundesvereinigung habe für den Bezirk Potsdam-Mittelmark 2,9 Neurologen bzw. Nervenärzte pro 100.000 Einwohner, für den Havellandkreis, 3,5/100.000 und für die Stadt Brandenburg 4,1/100.000 Einwohner (Stand Dezember 2011) ausgewiesen. Diese Arztdichte sei niedriger als in anderen Bundesländern. Eine Arztsuche bei der Landesärztekammer Brandenburg habe für K-L und G (Wohnort des Versicherten) keinen Arzt für Neurologie/Nervenheilkunde ergeben.
Die Richtigkeit dieser Feststellung kann dahingestellt bleiben. Dahingestellt kann auch bleiben, ob der Versicherte sich überhaupt bemüht hat, einen entsprechenden Facharzt zu konsultieren. Jedenfalls bedurfte die medizinische Behandlungsnotwendigkeit des Versicherten nach dem Ergebnis des vorliegenden Gutachtens nicht der besonderen apparativen und personellen Mittel des Krankenhauses. Die Behandlung hätte aus medizinischen Gründen auch ambulant durchgeführt werden können. Ein mögliches Versorgungsdefizit im ambulanten Bereich begründet keine medizinische Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit.
Als zweites Problem einer ambulanten IVIG-Behandlung hat der Gutachter die Gefahr ausgemacht, die einem niedergelassenen Arzt bei ambulanter Durchführung der Therapie "gedroht" hätte. Nach Auffassung des Gutachters sei es praktisch unmöglich, eine so kostenintensive Off-label-Use Behandlung bei der Krankenkasse durchzusetzen bzw. Regressforderungen durch die Kassenärztliche Vereinigung zu entgehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese grundsätzlichen Ausführungen des Gutachters zur Situation eines Vertragsarztes im Falle der Behandlung eines Versicherten mit vorliegendem Krankheitsbild zutreffend sind. Eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ausschließlich aus medizinischen Gründen ist hiermit jedenfalls nicht zu begründen. Das Normenregime innerhalb dessen die Vertragsärzte tätig werden können und mögliche, damit verbundene administrative Schwierigkeiten, begründen keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit.
Liegt damit eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht vor, kann der Senat offen lassen, ob im vorliegenden Fall der Versicherte der Beklagen einen Anspruch auf Versorgung mit Sandoglobulin im Rahmen eines Off-label-Use hatte oder lediglich einen Anspruch auf Versorgung mit den für seine Erkrankung zugelassenen Glukokortikosteroiden hatte.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Vergütung von stationär erbrachten Krankenhausleistungen.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Krankenhaus. Der 1986 geborene Versicherte der Beklagten wurde in diesem Krankenhaus in der Zeit vom 11. Februar 2008 bis zum 20. Dezember 2009 jeweils aufgrund von Verordnungen von Krankenhausbehandlungen seiner behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin zwölfmal im Rahmen eines kurzzeitigen stationären Aufenthaltes von drei bis fünf Tagen vollstationär behandelt.
Der Versicherte leidet unter einer Variante der chronisch-inflamatorischen demylinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP), der multifokal erworbenen, sensomotorischen, demyelinisierenden chronischen Polyneuritis (MADSAM). Dabei wird die Myelinschicht, die sich schützend um die Nerven legt, angegriffen. Die Impulse zur Steuerung der Muskeln gelangen nicht oder nur stark abgeschwächt zum Ziel. Der Verlauf der Erkrankung ist progredient und führt zu schweren Funktionsstörungen, insbesondere der Motorik mit Muskelatrophien und Lähmungen. Als zugelassene Behandlung stand zum Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten die Glukokortikoidbehandlung zur Verfügung, die ambulant durchgeführt wird.
Im Rahmen der stationären Aufenthalte wurde der Versicherte intravenös mit Sandoglobulin, einem Immunglobulin, behandelt (IVIG). IVIG war im Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten nicht für die Behandlung der CIDP, zu der MADSAM gehört, zugelassen. Das einzige für diese Indikation in Deutschland zugelassene Immunglobulin-Präparat ist Gamunex. Die Zulassung erfolgte aber erst im Sommer 2009, also nach der Behandlung des Versicherten.
Im Einzelnen stellte die Klägerin der Beklagten für die jeweiligen Behandlungen die folgenden Beträge in Rechnung:
Zeitraum Rechnungsdatum Betrag 11.02. bis 16.02.2008 29.02.2008 9.197,04 Euro 17.03. bis 21.03.2008 27.03.2008 7.815,40 Euro 21.04. bis 25.04.2008 28.04.2008 9.364,32 Euro 26.05. bis 30.05.2008 06.06.2008 7.718,24 Euro 29.06. bis 03.07.2008 11.07.2008 8.499,52 Euro 29.08. bis 31.08.2008 02.09.2008 6.199,83 Euro 03.10. bis 05.10.2008 07.10.2008 6.562,35 Euro 21.11. bis 23.11.2008 04.12.2008 6.562,35 Euro 23.01. bis 25.01.2009 17.02.2009 8.152,17 Euro 27.03. bis 29.03.2009 09.04.2009 8.193,56 Euro 19.06. bis 21.06.2009 29.06.2009 8.318,37 Euro 18.12. bis 20.12.2009 23.12.2009 8.318,37 Euro
Die Beklagte hat die stationären Aufenthalte nach Rechnungslegung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) prüfen lassen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Erstgabe von Immunglobulinen (IVIG) unter stationären Bedingungen zur Prüfung der Verträglichkeit und engmaschigen Überwachung medizinisch begründet sei. Ein medizinischer Grund für die IVIG-Folgebehandlungen könne jedoch nicht bestätigt werden. Diese könnten auch ambulant durchgeführt werden. Es lägen aber nicht die Voraussetzungen eines zulässigen Off-label-Use vor. Dies gelte aber auch für die Erstgabe, also die Behandlung des Versicherten im Februar 2008. Das Immunglobulin Sandoglobulin sei außerhalb seiner Zulassung angewendet worden.
Die Beklagte hat, nachdem sie die Rechnungen der Klägerin zunächst vollständig beglichen hatte, die geltend gemachte Überzahlung zurückgefordert und sie dann mit anderen unstreitigen fälligen Forderungen der Klägerin verrechnet.
Mit ihrer am 09. September 2010 bei dem Sozialgericht Potsdam eingegangen Klage hat die Klägerin die Zahlung von 86.180,97 Euro nebst Zinsen für die stationären Behandlungen des Versicherten geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, dass sie einen Anspruch auf Vergütung der erbrachten stationären Krankenhausleistungen habe. Der Versicherte habe unstreitig an MADSAM gelitten. Die intravenöse Verabreichung von Sandoglobulin sei medizinisch notwendig gewesen. Die IVIG-Behandlung sei die einzige mögliche Therapie gewesen. Einer Behandlung mit Kortikosteroiden habe das jugendliche Alter des Versicherten entgegengestanden. Die Verwendung von Kortison in einer Langzeitbehandlung hätte zu schweren Nebenwirkungen geführt. Um die Nebenwirkung von Kortison abzumildern, hätte daher Azathioprin verabreicht werden müssen. Azathioprin schädige jedoch das Erbgut.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Voraussetzungen eines Off-label-Use nicht vorgelegen hätten. Es habe alternativ die Behandlungsmöglichkeit mit Kortison bestanden. Im Übrigen hätte die Behandlung auch ambulant erfolgen können.
Das Sozialgericht hat zu der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung ein Gutachten von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. med. PM eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 25. Januar 2013 verwiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Vergütung der stationären Krankenhausbehandlungen habe. Weder lägen die Voraussetzungen des § 137c SGB V noch die eines zulässigen Off-label-Use vor.
Gegen das ihr am 25. Februar 2014 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 24. März 2014. Sie trägt vor, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 137c SGB V vorgelegen hätten. Die Behandlung mit einem Immunglobulin sei durch ausreichende Studienergebnisse gestützt. Sie sei dann auch im Juni 2009 zugelassen worden. Zudem sei eine Unterscheidung zwischen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 137c SGB V und einem Off-label-Use nicht vorzunehmen. Das Sozialgericht habe zudem übersehen, dass der Sachverständige in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Kriterien für einen Off-label-Use erfüllt seien. Zum Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten der Beklagten hätten Studien vorgelegen, in denen die Wirksamkeit von Immunglobulinen für die Erkrankung CIDP/MADSAM nachgewiesen worden seien. Im Übrigen seien aber auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Off-label-Use im stationären Bereich nicht anwendbar. Im stationären Bereich ergäbe sich aus § 137c SGB V, als lex specialis zu § 135 SGB V, das Anliegen des Gesetzgebers, für den Bereich der stationären Krankenhausbehandlung einen Ausschluss von neuen Verfahren nur zu normieren, wenn eine negative Stellungnahme durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vorliege. Eine derartige negative Stellungnahme liege aber gerade nicht vor. Zur Frage der stationären Behandlungsbedürftigkeit sei auszuführen, dass bei Immunglobulin-Präparaten immer die Möglichkeit einer schweren allergischen Unverträglichkeitsreaktion bestehe, auch wenn ein Patient diese bei den vorangegangenen Behandlungszyklen gut vertragen habe. Darauf werde in den Fachinformationen aller Präparate ausdrücklich hingewiesen.
Die Klägerin beantragt wörtlich,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 86.180,79 Euro nebst zwei Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21. Mai 2010 aus 69.668,86 Euro sowie seit dem 21. Juli 2010 aus 16.511,93 Euro zu zahlen sowie an die Klägerin weitere 8.318,37 Euro nebst zwei Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. März 2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagen verwiesen, die dem Senat vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung der von ihr erbrachten Krankenhausleistungen für den Versicherten der Beklagten.
Dem von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch steht die Aufrechnung der Beklagten mit einem unstreitigen Vergütungsanspruch entgegen. Der Beklagten stand in Höhe der Klageforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. In dieser Höhe hat sie die stationäre Behandlung des Versicherten ohne Rechtsgrund vergütet. Die Klägerin hatte insoweit keinen Entgeltanspruch.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17 b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und dem Vertrag über allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) vom 08. Oktober 1996/06. November 1996 in der Fassung vom 22. September 1997 für das Land Brandenburg (ABK-Vertrag). Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V objektiv erforderlich war.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder einer ambulanten Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich ausschließlich nach medizinischen Erfordernissen (Urteil des BSG vom 25. September 2007 – GS 1/06 – und Urteil des BSG vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R – zitiert jeweils nach juris). Die vollstationäre Behandlung als intensivste – und institutionell konstitutive Form der Krankenhausbehandlung wird in § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V als Ultima Ratio normiert. Demgemäß muss die notwendige medizinische Behandlung in jeder Hinsicht und ausschließlich nur mit dem besonderen Mittel des Krankenhauses durchgeführt werden können (Noftz, Hauck/Noftz SGB V [Std.: Ergänzungslieferung 9/2015] § 39 RdNr. 72 m.w.Nachw.).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die gesamte Behandlung des Versicherten bedurfte nicht der besonderen Mittel des Krankenhauses. Der Versicherte hätte auch ambulant behandelt werden können. Diese Überzeugung des Senats stützt sich auf das Gutachten des Gutachtens von Prof. Dr. med. PM vom 25. Januar 2013. Der Versicherte der Beklagten leidet danach an einer Erkrankung des peripheren Nervensystems. Er ist an MADSAM erkrankt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Der Gutachter hat weiter ausgeführt, dass unabhängig von der durchgeführten Immunglobulin-Therapie keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit bestanden hat. Andere medizinische Gründe für eine Krankenhausbehandlung lagen nicht vor. Die Applikation ist ohne Einschränkung ambulant durchführbar. Der behandelnde Arzt muss jedoch mit dem Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum der Behandlung vertraut sein, eine Überwachung des Patienten garantieren und ggf. geeignete Notfallmaßnahmen durchführen könne. Dass der behandelnde Arzt die von ihm angewandte Therapie beherrscht und auch in der Lage ist, bei auftretenden Problemen geeignete Maßnahmen einzuleiten, ist eine Selbstverständlichkeit.
Nach Auffassung des Gutachters standen einer ambulanten Durchführung einer IVIG-Behandlung lediglich zwei "gravierende Probleme" entgegen, so dass eine ambulante IVIG-Behandlung "praktisch nicht möglich" gewesen sei. Das erste Problem habe darin bestanden, einen mit einer derartigen Behandlung vertrauten Arzt zu finden, der bereit gewesen sei, diese Behandlung durchzuführen. Gerade im Bundesland Brandenburg habe ein erheblicher Mangel an Fachärzten geherrscht. Der Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Bundesvereinigung habe für den Bezirk Potsdam-Mittelmark 2,9 Neurologen bzw. Nervenärzte pro 100.000 Einwohner, für den Havellandkreis, 3,5/100.000 und für die Stadt Brandenburg 4,1/100.000 Einwohner (Stand Dezember 2011) ausgewiesen. Diese Arztdichte sei niedriger als in anderen Bundesländern. Eine Arztsuche bei der Landesärztekammer Brandenburg habe für K-L und G (Wohnort des Versicherten) keinen Arzt für Neurologie/Nervenheilkunde ergeben.
Die Richtigkeit dieser Feststellung kann dahingestellt bleiben. Dahingestellt kann auch bleiben, ob der Versicherte sich überhaupt bemüht hat, einen entsprechenden Facharzt zu konsultieren. Jedenfalls bedurfte die medizinische Behandlungsnotwendigkeit des Versicherten nach dem Ergebnis des vorliegenden Gutachtens nicht der besonderen apparativen und personellen Mittel des Krankenhauses. Die Behandlung hätte aus medizinischen Gründen auch ambulant durchgeführt werden können. Ein mögliches Versorgungsdefizit im ambulanten Bereich begründet keine medizinische Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit.
Als zweites Problem einer ambulanten IVIG-Behandlung hat der Gutachter die Gefahr ausgemacht, die einem niedergelassenen Arzt bei ambulanter Durchführung der Therapie "gedroht" hätte. Nach Auffassung des Gutachters sei es praktisch unmöglich, eine so kostenintensive Off-label-Use Behandlung bei der Krankenkasse durchzusetzen bzw. Regressforderungen durch die Kassenärztliche Vereinigung zu entgehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese grundsätzlichen Ausführungen des Gutachters zur Situation eines Vertragsarztes im Falle der Behandlung eines Versicherten mit vorliegendem Krankheitsbild zutreffend sind. Eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ausschließlich aus medizinischen Gründen ist hiermit jedenfalls nicht zu begründen. Das Normenregime innerhalb dessen die Vertragsärzte tätig werden können und mögliche, damit verbundene administrative Schwierigkeiten, begründen keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit.
Liegt damit eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht vor, kann der Senat offen lassen, ob im vorliegenden Fall der Versicherte der Beklagen einen Anspruch auf Versorgung mit Sandoglobulin im Rahmen eines Off-label-Use hatte oder lediglich einen Anspruch auf Versorgung mit den für seine Erkrankung zugelassenen Glukokortikosteroiden hatte.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
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