Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 26 AS 26429/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Telefax handelt es sich nicht um eine elektronische Übermittlung im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X, sondern um eine schriftliche Bekanntgabe in sonstiger Weise. Die Bekanntgabefiktion aus § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X ist hierauf nicht anwendbar.
Sozialgericht Berlin Az.: S 26 AS 26429/14 Im Namen des Volkes Urteil In dem Rechtsstreit G S , - Kläger - Proz.-Bev.: Rechtsanwalt S , gegen Jobcenter , - Beklagter - hat die 26. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 28. Januar 2016 durch den Richter am Sozialgericht R sowie die ehrenamtlichen Richter Herr und Herr f ü r R e c h t e r k a n n t: Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostentragung dem Grunde nach für das bei dem Beklagten zu Az. geführte Widerspruchsverfahren des Klägers.
Der 1972 geborene Kläger wohnt in Berlin- und ist seit September 2013 als Nachhilfelehrer für Deutsch, Englisch und Mathematik tätig. Ergänzend bezieht er jedenfalls seit Oktober 2013 von dem Beklagten laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II).
Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 26.09.2013 hin bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.10.2013 für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 vorläufig Arbeitslosengeld II nach dem SGB II in Höhe von 578,01 Euro monatlich, davon 348,96 Euro für Unterkunft und Heizung (Verwaltungsakte Bl. 1025). Durch Änderungsbescheid vom 05.03.2014 (Verwaltungsakte Bl. 1045) änderte der Beklagte diese Entscheidung ab und be-willigte dem Kläger für April 2014 nunmehr – weiterhin vorläufig – Arbeitslosengeld II in Höhe von 616,73 Euro (davon 376,87 Euro für Unterkunft und Heizung).
Nachdem der Kläger abschließende Angaben zu seinen Einkünften aus der Nachhilfelehrer-tätigkeit im Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 mitgeteilt hatte (Verwaltungsakte Bl. 1074), setzte der Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2014 (Verwaltungsakte Bl. 1092) die Leis-tungsansprüche des Klägers für diesen Zeitraum endgültig fest auf 531,29 Euro monatlich für November und Dezember 2013, auf 542,09 Euro monatlich für Januar, Februar und März 2014 und auf 570,01 Euro für April 2014. Durch einen weiteren Bescheid vom gleichen Tage (Verwaltungsakte Bl. 1097) forderte der Beklagte den Kläger ferner zur Erstattung des über-zahlten Betrages in Höhe von 509,66 Euro auf.
Gegen den Bewilligungsbescheid vom 24.06.2014 für den Leistungszeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 07.07.2014 Wider-spruch (Verwaltungsakte Bl. 1107a) und rügte, der Beklagte habe das ihm vor dem Hintergrund des Vorlagebeschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 25.04.2012 (Az. S 55 AS 9238/12) gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III in Verbindung mit § 40 SGB II eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt.
Den klägerischen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 (Az.: W-96202-03523/14; Bl. a der Gerichtsakte) als unbegründet zurück und verfügte, dass im Widerspruchsverfahren ggf. entstandene notwendige Aufwendungen nicht erstattet werden könnten. Die Vorschrift des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III räume dem Beklagten Ermessen ein. Zwar sei ein solches in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu erkennen, da die Widerspruchsstelle jedoch identisch mit der Ausgangsbehörde sei, habe der Beklagte Ermessen noch im Rahmen der Widerspruchsentscheidung ausüben können. Es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Höhe der Regelleistungen evident verfassungswidrig sei. Mit Entscheidung vom 09.09.2014 habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Leistungen nach dem SGB II derzeit noch verfassungsgemäß seien. Es bedürfe keiner vorläu-figen Regelung, da der Kläger hierdurch nicht besser gestellt sei. Der Bescheid vom 24.06.2014 sei rechtlich und rechnerisch fehlerfrei.
Der Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 wurde dem Klägerbevollmächtigten am gleichen Tage, einem Montag, mit dem Zusatz "zur Bekanntgabe" per Telefax übersandt (Verwaltungs-akte Bl. 1130).
Mit seiner am Montag, 10.11.2014, per Telefax bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage wendet sich der Kläger isoliert gegen die Kostengrundentscheidung aus dem Wider-spruchsbescheid vom 06.10.2014. Er ist der Ansicht, er habe Anspruch auf Erstattung der Kosten der Hinzuziehung seines Bevollmächtigten im Vorverfahren. Soweit die Ermes-sensausübung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden sei und sich der Verwaltungsakt nunmehr als formell rechtmäßig erweise, habe er einen Kostenerstattungs-anspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Hinsichtlich der Klagefrist trägt er vor, die Faxübermittlung zähle zu den elektronischen Übermittlungen und gelte daher ebenfalls am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Werde vom Gesetzgeber schon bei einer besonders schnellen Übertragungsform eine Bekanntgabefiktion für sinnvoll erachtet, müsse dies erst recht bei der langsameren Übertragungsvariante zur Anwendung kommen.
Der Kläger beantragt,
die Kostengrundentscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 (W ) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die dem Kläger entstandenen Kosten der Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unzulässig und trägt vor, der Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 sei am 06.10.2014 per Fax bekannt gegeben worden. Dem vorgelegten Sendebericht sei zu ent-nehmen, dass die fünf Seiten des Widerspruchsbescheides übermittelt und empfangen worden seien. Die Bekanntgabe sei mittels Fax in Schriftform als Kopie des Originals erfolgt, welches durch den deutlich gemachten Bekanntgabewillen als Original zu verstehen sei. Die Fiktion aus § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X greife nicht. Diese Regelung sei eingeführt worden im Hinblick auf die elektronische Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung auf Basis qualifizierter elektronischer Signaturen per E-Mail und Internet. In der Gesetzesbegründung in Bun-destagsdrucksache 14/9000 sei kein Verweis auf die Übermittlung von Schriftstücken per Fax enthalten, die zu diesem Zeitpunkt als Standard bereits seit Jahren etabliert und durch die Rechtsprechung anerkannt waren. Bei der Übermittlung mittels Fax handele es sich zwar um eine technische Einrichtung, es erfolge jedoch keine Übermittlung eines elektronischen Do-kuments. Die Klage sei erst am 10.11.2014 und damit außerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei weder gestellt worden, noch seien Wiedereinsetzungsgründe erkennbar.
Die Beteiligten sind mit richterlichem Schreiben vom 09.07.2015 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil angehört worden und haben dieser Entscheidungsform mit Schriftsätzen vom 16.07.2015 (Beklagter) bzw. vom 14.10.2015 (Kläger) zugestimmt.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung auszugsweise (Bl. 1005 – 1188) vorlagen.
Entscheidungsgründe:
1. Das Gericht konnte hier gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
2. Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG erhobene, isoliert gegen die Kostengrundentscheidung aus dem Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 06.10.2014 gerichtete Klage ist bereits unzulässig. Die Klage wurde au-ßerhalb der Klagefrist gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben. Gründe für eine Wiederein-setzung in die Klagefrist sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
a. Der Kläger hat die Klagefrist versäumt.
Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage – die sich hier isoliert gegen die Kostengrundent-scheidung aus dem Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 und damit gegen eine behördliche Erstentscheidung richtet – binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus § 66 Abs. 2 SGG, denn der angegriffene Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 ist mit einer ordnungsgemäßen, der Regelung in § 92 SGG entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne von § 66 Abs. 1 SGG versehen.
Entgegen der klägerischen Rechtsansicht begann die Klagefrist hier nach § 64 Abs. 1 SGG bereits am 07.10.2014 als dem Tag nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2014 zu laufen, da die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides am 06.10.2014 mittels Telefax erfolgte.
Unstreitig übersandte der Beklagte am 06.10.2014 ein vollständiges Exemplar des Wider-spruchsbescheides vom 06.10.2014 (W- ) per Telefax an die Klägerbevollmächtigten. Diese Übermittlung erfolgte ausdrücklich – ausweislich eines Zusatzes im Adressfeld des Wider-spruchsbescheides – zum Zwecke der Bekanntgabe.
Dabei zweifelt die Kammer nicht daran, dass die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes und damit auch eines Widerspruchsbescheides mittels Telefax rechtlich zulässig ist (ebenso: OVG Lüneburg, Beschl. vom 14.01.2002 – 12 LA 17/02, Rn. 4 mit weiteren Nachweisen; juris).
Entgegen der klägerischen Rechtsansicht erfolgte die Bekanntgabe des Widerspruchsbe-scheides bereits am 06.10.2014, es wird nicht wegen § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X eine spätere Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2014 fingiert. Hiernach gilt ein Verwal-tungsakt, der im Inland oder Ausland elektronisch übermittelt wird, am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Bekanntgabe mittels Telefax stellt keine elektronische Übermittlung im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X dar, vielmehr handelt es sich um eine Bekanntgabe auf andere Weise. Die Vorschrift aus § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X ist nach ihrem Sinn und Zweck, nach der Regelungssystematik und nach der Regelungshistorie auf Fälle einer Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes per Telefax nicht anwendbar.
Ebenso wie die inhaltsgleiche Vorschrift in § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG wurde auch die Regelung in § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X durch das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfah-rensrechtlicher Vorschriften vom 21.08.2002 (Bundesgesetzblatt I 2002, S. 3322) eingefügt. Ziel und Gegenstand dieses Gesetzes war es, das gesamte Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes des Bundes für die Entwicklungen des modernen Rechtsverkehrs zu öffnen; Bürger und Verwaltung sollten hiernach grundsätzlich in allen Fachgebieten und in jeder Verfahrensart elektronische Kommunikationsformen gleichberechtigt neben der Schriftform und der mündlichen Form rechtswirksam verwenden können (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Än-derung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9000, S. 26). Dabei sollte der Gesetzentwurf berücksichtigen, dass elektronische Daten auf ihrem Weg durch offene Netze für den Empfänger unerkennbar verändert werden können und es daher eines sicheren Rahmens zur elektronischen Authentifizierung des Kommunikations-partners und Überprüfung der Integrität der übermittelten Daten bedarf (Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9000, S. 26).
Ausweislich der Gesetzesbegründung des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfah-rensrechtlicher Vorschriften hatte der Gesetzgeber die Kommunikation per Telefax bei diesem Gesetzgebungsvorhaben nicht im Blick, diese findet auch keine Erwähnung. Vielmehr ging es hierbei – ausschließlich – um die Ermöglichung moderner, internetbasierter Kommunikations-formen zwischen Bürger und Verwaltung. So weist auch die Gesetzesbegründung zu § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG explizit auf die nicht vorhersagbaren Übertragungswege im Internet hin (Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9000, S. 34).
Auch stehen beide Regelungen in § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG und in § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X in engem Zusammenhang mit den – ebenfalls durch das Dritte Gesetz zur Änderung verwal-tungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21.08.2002 eingefügten – Bestimmungen aus § 3a VwVfG bzw. aus § 36a SGB I, den verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundregelungen zur elektronischen Kommunikation. In den letztgenannten Vorschriften angelegt ist allein eine Unterscheidung zwischen Schriftform und elektronischer Form, wobei der Schriftform nur die Übermittlung elektronischer Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur nach dem Signaturgesetz – bzw. nunmehr auch über bestimmte andere sichere Verfahren übermittelte Dokumente – gleichgestellt sind. Mischformen zwischen Schriftform und elektronischer Form sehen diese beiden Regelungen nicht vor. Dieser Dualismus der Formvorschriften setzt sich in § 41 Abs. 2 VwVfG und in § 37 Abs. 2 SGB X erkennbar fort, indem sich hierin Bekannt-gabefiktionen für per Post übermittelte schriftliche Verwaltungsakte und für elektronisch über-mittelte Verwaltungsakte finden. Die Regelungen in § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG und in § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X können nur dahingehend verstanden werden, dass sie die Vorschriften zur elektronischen Form näher ausgestalten sollen; elektronisch übermittelte Verwaltungsakte meint insofern Verwaltungsakte in elektronischer Form.
Würde nunmehr – der klägerischen Ansicht folgend – eine Übermittlung eines Verwaltungsaktes per Telefax ebenfalls als elektronische Übermittlung im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X angesehen, hätte dies zweierlei Folgen:
Zum einen könnte hierdurch weder die Schriftform im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB I, die für den Widerspruchsbescheid durch § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG zwingend vorgeschrieben ist, noch die elektronische Form im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB I gewahrt werden. Die elektronische Übermittlung ist auf Wahrung elektronischer Form gerichtet, die Übermittlung per Telefax erfolgt aber weder mit qualifizierter elektronischer Signatur, § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB I, noch auf einem gleichgestellten sicheren Übertragungsweg gemäß § 36 Abs. 2 Satz 4 SGB I.
Damit zöge die so verstandene Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X eine erhebliche Ein-schränkung der – bis dahin über viele Jahre hinweg allgemein für zulässig gehaltenen – Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern mittels Telefax nach sich. Die Kammer geht davon aus, dass – sollte der Gesetzgeber eine solche Einschränkung beabsichtigt haben – dies im Gesetzeswortlaut oder jedenfalls in der Gesetzesbegründung des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21.08.2001 Erwähnung gefunden hätte, was jedoch nicht der Fall war.
Zum anderen führt die klägerische Ansicht zu einer faktischen Verkürzung der Bescheidungs-frist aus § 88 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 SGG, da der Behörde in den drei Tagen vor Ablauf der Frist aus § 88 Abs. 2 SGG allein die – personell und zeitlich aufwändige und nicht zwingend kurzfristig realisierbare – Möglichkeit der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis durch Behördenmitarbeiter gemäß § 5 Abs. 1 VwZG verbleibt, die Bekanntgabe eines Wider-spruchsbescheides gesichert und formgerecht noch innerhalb der Frist aus § 88 Abs. 2 SGG zu bewirken. Auch die übrigen Zustellmöglichkeiten nach §§ 3 – 5 VwZG führen regelmäßig erst mit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Tagen zu einer Zustellung.
Die Kammer geht davon aus, dass – hätte der Gesetzgeber eine solche faktische Verkürzung der Bescheidungsfrist beabsichtigt – dies im Gesetzeswortlaut oder jedenfalls in der Geset-zesbegründung des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vor-schriften vom 21.08.2002 Anklang gefunden hätte, was ebenfalls nicht der Fall ist.
Auch sieht sich die Kammer in ihrer Rechtsmeinung bestätigt durch den Umstand, dass in der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannt ist, dass Dokumente, die mittels eines Telegramms, Fernschreibens oder Telefaxes übermittelt werden, zu den schriftlichen und nicht zu den elekt-ronischen Dokumenten zählen (BGH, Beschluss vom 18.03.2015 – XII ZB 424/14, Rn. 9 mit weiteren Nachweisen; juris). Der wesentliche Unterschied zwischen einem Telefax in all seinen Erscheinungsformen einerseits und einer elektronischen Übermittlung über das Internet besteht nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung darin, dass bei einem Telefax bereits vom Absender ein Ausdruck an Empfängerstelle veranlasst und damit ohne Zutun des Empfängers ein Substrat geschaffen wird (Skrobotz, jurisPR-ITR 20/2013 Anm. 6; zitiert nach juris, mit weiteren Nachweisen).
Die einmonatige Klagefrist aus § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG begann vor diesem Hintergrund – ausgehend von einer Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides am 06.10.2014 – bereits am 07.10.2014 zu laufen, § 64 Abs. 1 SGG, und endete mit Ablauf des 06.11.2014, eines Freitags, § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klageschrift des Klägers ging jedoch erst am 10.11.2014 und damit mehrere Tage nach Ablauf der Klagefrist bei dem Sozialgericht Berlin ein.
b. Auch ist dem Kläger hier keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist dann, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewäh-ren. Nach § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen, die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft gemacht werden. Diese Vorausset-zungen liegen hier nicht vor. Weder hat der Kläger eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragt, noch sind Gründe für das Versäumen der Klagefrist vorgetragen worden oder sonst erkennbar. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, das Versäumen der Klagefrist sei ohne Verschulden des Klägers erfolgt.
Sollte – was hier denkbar erscheint – das Versäumen der Klagefrist darauf beruhen, dass die Klägerseite auf Grundlage der dort vertretenen Rechtsmeinung von einem späteren Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2014 ausging, ist die Säumnis nicht unverschuldet. Ohne Verschulden ist eine gesetzliche Frist nur dann versäumt, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist; das Versäumen der Frist muss bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 67 SGG Rn. 3 mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt war die Säumnis vermeidbar. Die klägerische Rechtsmeinung zum Zeitpunkt der Bekanntgabe von Verwaltungsakten bei einer Bekanntgabe mittels Telefax wird zwar auch anderweitig vertreten, der Kläger kann seine Rechtsauffassung indes weder auf einen eindeutigen Gesetzeswortlaut noch auf eine gefestigte Rechtsprechung stützen. Bereits aus anwaltlicher Vorsicht wäre vor diesem Hintergrund eine frühere Klageerhebung geboten gewesen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Unterliegen des Klägers in der Hauptsache.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostentragung dem Grunde nach für das bei dem Beklagten zu Az. geführte Widerspruchsverfahren des Klägers.
Der 1972 geborene Kläger wohnt in Berlin- und ist seit September 2013 als Nachhilfelehrer für Deutsch, Englisch und Mathematik tätig. Ergänzend bezieht er jedenfalls seit Oktober 2013 von dem Beklagten laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II).
Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 26.09.2013 hin bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.10.2013 für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 vorläufig Arbeitslosengeld II nach dem SGB II in Höhe von 578,01 Euro monatlich, davon 348,96 Euro für Unterkunft und Heizung (Verwaltungsakte Bl. 1025). Durch Änderungsbescheid vom 05.03.2014 (Verwaltungsakte Bl. 1045) änderte der Beklagte diese Entscheidung ab und be-willigte dem Kläger für April 2014 nunmehr – weiterhin vorläufig – Arbeitslosengeld II in Höhe von 616,73 Euro (davon 376,87 Euro für Unterkunft und Heizung).
Nachdem der Kläger abschließende Angaben zu seinen Einkünften aus der Nachhilfelehrer-tätigkeit im Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 mitgeteilt hatte (Verwaltungsakte Bl. 1074), setzte der Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2014 (Verwaltungsakte Bl. 1092) die Leis-tungsansprüche des Klägers für diesen Zeitraum endgültig fest auf 531,29 Euro monatlich für November und Dezember 2013, auf 542,09 Euro monatlich für Januar, Februar und März 2014 und auf 570,01 Euro für April 2014. Durch einen weiteren Bescheid vom gleichen Tage (Verwaltungsakte Bl. 1097) forderte der Beklagte den Kläger ferner zur Erstattung des über-zahlten Betrages in Höhe von 509,66 Euro auf.
Gegen den Bewilligungsbescheid vom 24.06.2014 für den Leistungszeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 07.07.2014 Wider-spruch (Verwaltungsakte Bl. 1107a) und rügte, der Beklagte habe das ihm vor dem Hintergrund des Vorlagebeschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 25.04.2012 (Az. S 55 AS 9238/12) gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III in Verbindung mit § 40 SGB II eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt.
Den klägerischen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 (Az.: W-96202-03523/14; Bl. a der Gerichtsakte) als unbegründet zurück und verfügte, dass im Widerspruchsverfahren ggf. entstandene notwendige Aufwendungen nicht erstattet werden könnten. Die Vorschrift des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III räume dem Beklagten Ermessen ein. Zwar sei ein solches in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu erkennen, da die Widerspruchsstelle jedoch identisch mit der Ausgangsbehörde sei, habe der Beklagte Ermessen noch im Rahmen der Widerspruchsentscheidung ausüben können. Es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Höhe der Regelleistungen evident verfassungswidrig sei. Mit Entscheidung vom 09.09.2014 habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Leistungen nach dem SGB II derzeit noch verfassungsgemäß seien. Es bedürfe keiner vorläu-figen Regelung, da der Kläger hierdurch nicht besser gestellt sei. Der Bescheid vom 24.06.2014 sei rechtlich und rechnerisch fehlerfrei.
Der Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 wurde dem Klägerbevollmächtigten am gleichen Tage, einem Montag, mit dem Zusatz "zur Bekanntgabe" per Telefax übersandt (Verwaltungs-akte Bl. 1130).
Mit seiner am Montag, 10.11.2014, per Telefax bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage wendet sich der Kläger isoliert gegen die Kostengrundentscheidung aus dem Wider-spruchsbescheid vom 06.10.2014. Er ist der Ansicht, er habe Anspruch auf Erstattung der Kosten der Hinzuziehung seines Bevollmächtigten im Vorverfahren. Soweit die Ermes-sensausübung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden sei und sich der Verwaltungsakt nunmehr als formell rechtmäßig erweise, habe er einen Kostenerstattungs-anspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Hinsichtlich der Klagefrist trägt er vor, die Faxübermittlung zähle zu den elektronischen Übermittlungen und gelte daher ebenfalls am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Werde vom Gesetzgeber schon bei einer besonders schnellen Übertragungsform eine Bekanntgabefiktion für sinnvoll erachtet, müsse dies erst recht bei der langsameren Übertragungsvariante zur Anwendung kommen.
Der Kläger beantragt,
die Kostengrundentscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 (W ) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die dem Kläger entstandenen Kosten der Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unzulässig und trägt vor, der Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 sei am 06.10.2014 per Fax bekannt gegeben worden. Dem vorgelegten Sendebericht sei zu ent-nehmen, dass die fünf Seiten des Widerspruchsbescheides übermittelt und empfangen worden seien. Die Bekanntgabe sei mittels Fax in Schriftform als Kopie des Originals erfolgt, welches durch den deutlich gemachten Bekanntgabewillen als Original zu verstehen sei. Die Fiktion aus § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X greife nicht. Diese Regelung sei eingeführt worden im Hinblick auf die elektronische Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung auf Basis qualifizierter elektronischer Signaturen per E-Mail und Internet. In der Gesetzesbegründung in Bun-destagsdrucksache 14/9000 sei kein Verweis auf die Übermittlung von Schriftstücken per Fax enthalten, die zu diesem Zeitpunkt als Standard bereits seit Jahren etabliert und durch die Rechtsprechung anerkannt waren. Bei der Übermittlung mittels Fax handele es sich zwar um eine technische Einrichtung, es erfolge jedoch keine Übermittlung eines elektronischen Do-kuments. Die Klage sei erst am 10.11.2014 und damit außerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei weder gestellt worden, noch seien Wiedereinsetzungsgründe erkennbar.
Die Beteiligten sind mit richterlichem Schreiben vom 09.07.2015 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil angehört worden und haben dieser Entscheidungsform mit Schriftsätzen vom 16.07.2015 (Beklagter) bzw. vom 14.10.2015 (Kläger) zugestimmt.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung auszugsweise (Bl. 1005 – 1188) vorlagen.
Entscheidungsgründe:
1. Das Gericht konnte hier gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
2. Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG erhobene, isoliert gegen die Kostengrundentscheidung aus dem Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 06.10.2014 gerichtete Klage ist bereits unzulässig. Die Klage wurde au-ßerhalb der Klagefrist gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben. Gründe für eine Wiederein-setzung in die Klagefrist sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
a. Der Kläger hat die Klagefrist versäumt.
Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage – die sich hier isoliert gegen die Kostengrundent-scheidung aus dem Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 und damit gegen eine behördliche Erstentscheidung richtet – binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus § 66 Abs. 2 SGG, denn der angegriffene Widerspruchsbescheid vom 06.10.2014 ist mit einer ordnungsgemäßen, der Regelung in § 92 SGG entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne von § 66 Abs. 1 SGG versehen.
Entgegen der klägerischen Rechtsansicht begann die Klagefrist hier nach § 64 Abs. 1 SGG bereits am 07.10.2014 als dem Tag nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2014 zu laufen, da die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides am 06.10.2014 mittels Telefax erfolgte.
Unstreitig übersandte der Beklagte am 06.10.2014 ein vollständiges Exemplar des Wider-spruchsbescheides vom 06.10.2014 (W- ) per Telefax an die Klägerbevollmächtigten. Diese Übermittlung erfolgte ausdrücklich – ausweislich eines Zusatzes im Adressfeld des Wider-spruchsbescheides – zum Zwecke der Bekanntgabe.
Dabei zweifelt die Kammer nicht daran, dass die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes und damit auch eines Widerspruchsbescheides mittels Telefax rechtlich zulässig ist (ebenso: OVG Lüneburg, Beschl. vom 14.01.2002 – 12 LA 17/02, Rn. 4 mit weiteren Nachweisen; juris).
Entgegen der klägerischen Rechtsansicht erfolgte die Bekanntgabe des Widerspruchsbe-scheides bereits am 06.10.2014, es wird nicht wegen § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X eine spätere Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2014 fingiert. Hiernach gilt ein Verwal-tungsakt, der im Inland oder Ausland elektronisch übermittelt wird, am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Bekanntgabe mittels Telefax stellt keine elektronische Übermittlung im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X dar, vielmehr handelt es sich um eine Bekanntgabe auf andere Weise. Die Vorschrift aus § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X ist nach ihrem Sinn und Zweck, nach der Regelungssystematik und nach der Regelungshistorie auf Fälle einer Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes per Telefax nicht anwendbar.
Ebenso wie die inhaltsgleiche Vorschrift in § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG wurde auch die Regelung in § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X durch das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfah-rensrechtlicher Vorschriften vom 21.08.2002 (Bundesgesetzblatt I 2002, S. 3322) eingefügt. Ziel und Gegenstand dieses Gesetzes war es, das gesamte Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes des Bundes für die Entwicklungen des modernen Rechtsverkehrs zu öffnen; Bürger und Verwaltung sollten hiernach grundsätzlich in allen Fachgebieten und in jeder Verfahrensart elektronische Kommunikationsformen gleichberechtigt neben der Schriftform und der mündlichen Form rechtswirksam verwenden können (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Än-derung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9000, S. 26). Dabei sollte der Gesetzentwurf berücksichtigen, dass elektronische Daten auf ihrem Weg durch offene Netze für den Empfänger unerkennbar verändert werden können und es daher eines sicheren Rahmens zur elektronischen Authentifizierung des Kommunikations-partners und Überprüfung der Integrität der übermittelten Daten bedarf (Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9000, S. 26).
Ausweislich der Gesetzesbegründung des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfah-rensrechtlicher Vorschriften hatte der Gesetzgeber die Kommunikation per Telefax bei diesem Gesetzgebungsvorhaben nicht im Blick, diese findet auch keine Erwähnung. Vielmehr ging es hierbei – ausschließlich – um die Ermöglichung moderner, internetbasierter Kommunikations-formen zwischen Bürger und Verwaltung. So weist auch die Gesetzesbegründung zu § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG explizit auf die nicht vorhersagbaren Übertragungswege im Internet hin (Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9000, S. 34).
Auch stehen beide Regelungen in § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG und in § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X in engem Zusammenhang mit den – ebenfalls durch das Dritte Gesetz zur Änderung verwal-tungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21.08.2002 eingefügten – Bestimmungen aus § 3a VwVfG bzw. aus § 36a SGB I, den verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundregelungen zur elektronischen Kommunikation. In den letztgenannten Vorschriften angelegt ist allein eine Unterscheidung zwischen Schriftform und elektronischer Form, wobei der Schriftform nur die Übermittlung elektronischer Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur nach dem Signaturgesetz – bzw. nunmehr auch über bestimmte andere sichere Verfahren übermittelte Dokumente – gleichgestellt sind. Mischformen zwischen Schriftform und elektronischer Form sehen diese beiden Regelungen nicht vor. Dieser Dualismus der Formvorschriften setzt sich in § 41 Abs. 2 VwVfG und in § 37 Abs. 2 SGB X erkennbar fort, indem sich hierin Bekannt-gabefiktionen für per Post übermittelte schriftliche Verwaltungsakte und für elektronisch über-mittelte Verwaltungsakte finden. Die Regelungen in § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG und in § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X können nur dahingehend verstanden werden, dass sie die Vorschriften zur elektronischen Form näher ausgestalten sollen; elektronisch übermittelte Verwaltungsakte meint insofern Verwaltungsakte in elektronischer Form.
Würde nunmehr – der klägerischen Ansicht folgend – eine Übermittlung eines Verwaltungsaktes per Telefax ebenfalls als elektronische Übermittlung im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X angesehen, hätte dies zweierlei Folgen:
Zum einen könnte hierdurch weder die Schriftform im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB I, die für den Widerspruchsbescheid durch § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG zwingend vorgeschrieben ist, noch die elektronische Form im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB I gewahrt werden. Die elektronische Übermittlung ist auf Wahrung elektronischer Form gerichtet, die Übermittlung per Telefax erfolgt aber weder mit qualifizierter elektronischer Signatur, § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB I, noch auf einem gleichgestellten sicheren Übertragungsweg gemäß § 36 Abs. 2 Satz 4 SGB I.
Damit zöge die so verstandene Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X eine erhebliche Ein-schränkung der – bis dahin über viele Jahre hinweg allgemein für zulässig gehaltenen – Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern mittels Telefax nach sich. Die Kammer geht davon aus, dass – sollte der Gesetzgeber eine solche Einschränkung beabsichtigt haben – dies im Gesetzeswortlaut oder jedenfalls in der Gesetzesbegründung des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21.08.2001 Erwähnung gefunden hätte, was jedoch nicht der Fall war.
Zum anderen führt die klägerische Ansicht zu einer faktischen Verkürzung der Bescheidungs-frist aus § 88 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 SGG, da der Behörde in den drei Tagen vor Ablauf der Frist aus § 88 Abs. 2 SGG allein die – personell und zeitlich aufwändige und nicht zwingend kurzfristig realisierbare – Möglichkeit der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis durch Behördenmitarbeiter gemäß § 5 Abs. 1 VwZG verbleibt, die Bekanntgabe eines Wider-spruchsbescheides gesichert und formgerecht noch innerhalb der Frist aus § 88 Abs. 2 SGG zu bewirken. Auch die übrigen Zustellmöglichkeiten nach §§ 3 – 5 VwZG führen regelmäßig erst mit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Tagen zu einer Zustellung.
Die Kammer geht davon aus, dass – hätte der Gesetzgeber eine solche faktische Verkürzung der Bescheidungsfrist beabsichtigt – dies im Gesetzeswortlaut oder jedenfalls in der Geset-zesbegründung des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vor-schriften vom 21.08.2002 Anklang gefunden hätte, was ebenfalls nicht der Fall ist.
Auch sieht sich die Kammer in ihrer Rechtsmeinung bestätigt durch den Umstand, dass in der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannt ist, dass Dokumente, die mittels eines Telegramms, Fernschreibens oder Telefaxes übermittelt werden, zu den schriftlichen und nicht zu den elekt-ronischen Dokumenten zählen (BGH, Beschluss vom 18.03.2015 – XII ZB 424/14, Rn. 9 mit weiteren Nachweisen; juris). Der wesentliche Unterschied zwischen einem Telefax in all seinen Erscheinungsformen einerseits und einer elektronischen Übermittlung über das Internet besteht nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung darin, dass bei einem Telefax bereits vom Absender ein Ausdruck an Empfängerstelle veranlasst und damit ohne Zutun des Empfängers ein Substrat geschaffen wird (Skrobotz, jurisPR-ITR 20/2013 Anm. 6; zitiert nach juris, mit weiteren Nachweisen).
Die einmonatige Klagefrist aus § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG begann vor diesem Hintergrund – ausgehend von einer Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides am 06.10.2014 – bereits am 07.10.2014 zu laufen, § 64 Abs. 1 SGG, und endete mit Ablauf des 06.11.2014, eines Freitags, § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klageschrift des Klägers ging jedoch erst am 10.11.2014 und damit mehrere Tage nach Ablauf der Klagefrist bei dem Sozialgericht Berlin ein.
b. Auch ist dem Kläger hier keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist dann, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewäh-ren. Nach § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen, die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft gemacht werden. Diese Vorausset-zungen liegen hier nicht vor. Weder hat der Kläger eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragt, noch sind Gründe für das Versäumen der Klagefrist vorgetragen worden oder sonst erkennbar. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, das Versäumen der Klagefrist sei ohne Verschulden des Klägers erfolgt.
Sollte – was hier denkbar erscheint – das Versäumen der Klagefrist darauf beruhen, dass die Klägerseite auf Grundlage der dort vertretenen Rechtsmeinung von einem späteren Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2014 ausging, ist die Säumnis nicht unverschuldet. Ohne Verschulden ist eine gesetzliche Frist nur dann versäumt, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist; das Versäumen der Frist muss bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 67 SGG Rn. 3 mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt war die Säumnis vermeidbar. Die klägerische Rechtsmeinung zum Zeitpunkt der Bekanntgabe von Verwaltungsakten bei einer Bekanntgabe mittels Telefax wird zwar auch anderweitig vertreten, der Kläger kann seine Rechtsauffassung indes weder auf einen eindeutigen Gesetzeswortlaut noch auf eine gefestigte Rechtsprechung stützen. Bereits aus anwaltlicher Vorsicht wäre vor diesem Hintergrund eine frühere Klageerhebung geboten gewesen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Unterliegen des Klägers in der Hauptsache.
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