Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 3224/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2957/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Mai 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten beider Instanzen sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Verurteilung zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Der 1948 geborene Kläger erlitt im Jahr 1969 auf dem Weg zur Arbeit einen Wegeunfall. Er wurde als Fußgänger von einem Pkw angefahren und war in der Folgezeit dreieinhalb Wochen bewusstlos. Er erlitt eine Fraktur des linken Oberschenkels, eine Sprunggelenksverletzung links, Splitterbrüche im rechten Unterschenkel, einen Bruch des Fußwurzelknochens links sowie eine Sehminderung des linken Auges infolge einer Fettembolie. Wegen der Folgen jenes Arbeitsunfalls gewährt die zuständige Berufsgenossenschaft seit 1969 eine Verletztenrente, zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H., seit 1986 nach einer MdE von 30 v. H.
Bei dem Kläger war zunächst ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt. Dem lagen Einzel-GdB-Werte von 30 entsprechend den anerkannten Unfallfolgen und von 20 wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule zu Grunde. Merkzeichen waren nicht festgestellt (Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2008). Ein damaliges Klageverfahren beim Sozialgericht Reutlingen war erfolglos (S 12 SB 4520/05).
Einen ersten Neufeststellungsantrag vom 15. Oktober 2011, dem der Kläger unter anderem den Bericht des Orthopäden Dr. St. vom 23. Oktober 2011 beilegte (Osteochondrose und Spondylose, Knick-Senk- Spreizfuß), lehnte der Beklagte gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme, wonach keine Änderung eingetreten sei - mit Bescheid vom 16. Januar 2012 ab. Mit seinem damaligen Widerspruch begehrte der Kläger erstmals auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Der Beklagte holte ärztliche Befundberichte ein. Auf orthopädischem Gebiet teilte Dr. O. unter dem 17. Februar 2012 einen Zustand nach (Z. n.) Kniegelenksprellung 02/08, eine Lumboischialgie 07/08, eine Schmerzsymptomatik im linken Schultergelenk im Sinne eines Rotatorenmanschettensyndroms 03/10 und Beschwerden auf Grund der komplexen Unterschenkelfraktur 11/11 mit, schloss aber eine Gehunsicherheit aus; das Gehvermögen sei unbeeinträchtigt, kein wesentliches Schonhinken. Der Gastroenterologe Dr. N. berichtete unter dem 23. Februar 2012 von einem seit Jahrzehnten andauernden milden Reiz¬darm¬syndrom mit drei bis vier Entleerungen morgendlich. Mit Abhilfebescheid vom 6. Juli 2012 stellte der Beklagte wegen der funktionellen Störung des Dickdarms wie des Schulter-Arm-Syndroms einen GdB von 50 seit dem 15. Oktober 2011 fest, wobei er die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nunmehr mit einem GdB von 30 bewertete und zusätzlich einen GdB von 20 für eine Störung des Dickdarms berücksichtigte. Einen gesonderten Antrag des Klägers, den GdB von 50 rückwirkend festzustellen, lehnte der Beklagte schließlich noch mit weiteren Bescheid vom 11. Oktober 2012 ab.
Das streitgegenständliche Verfahren beruht auf dem Antrag vom 7. November 2012, mit dem der Kläger erneut Neufeststellung des GdB sowie Zuerkennung des Merkzeichens "G" rückwirkend zum 1. Januar 2008 begehrte. Diesen Antrag beschränkte er mit Schriftsatz vom 31. Januar 2013 auf das Merkzeichen. Der Orthopäde Dr. M. und der Allgemeinmediziner Dr. B. teilten dem Beklagten mit, der Kläger leide an einem Z. n. Unterschenkelfraktur rechts, einem degenerativen LWS-Syndrom, einer generalisierten Osteochondrose und eine Foramenstenose (L4/5 bds. und L5/S1 gering). Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Mai 2013 eine rückwirkende Erhöhung des GdB und ausdrücklich auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab, da ortsübliche Strecken noch zurückgelegt werden könnten.
Im Widerspruchsverfahren gab der Kläger an, dass er eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde nicht zurücklegen könne. Er leide unter einer ausgeprägten Schmerzzunahme mit Ausstrahlungen in beide Hüften und die Oberschenkel, teilweise bereits nach einer Gehstrecke von 100 m. Der Beklagte erließ daraufhin den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2013, das Gehvermögen sei durch das innere Leiden nicht nennenswert beeinträchtigt.
Der Kläger hat am 25. November 2013 Klage beim SG erhoben. Zur Begründung hat er ergänzend vorgetragen, es liege bereits nach 100 m Wegstrecke eine ausgeprägte Schmerzzunahme mit Ausstrahlung in beide Hüften und die Oberschenkel vor.
Das SG hat zunächst Dr. B. als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat schriftlich bekundet, beim Kläger beständen anhaltende Beschwerden an der Wirbelsäule sowie in beiden Kniegelenken. Die anhaltende Beschwerdesymptomatik nach der Unterschenkelfraktur 1969 bestehe auch in chronischen Lymphstaus im Bereich der Haut. Die ortsübliche Gehstrecke sei eingeschränkt. Der Kläger leide bereits nach 50 bis 80 m unter starken Schmerzen. Die Frage, ob die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorlägen, könne er nicht beantworten.
Das SG hat daraufhin von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten bei der Fachärztin für Orthopädie Dr. K. eingeholt. Diese Sachverständige hat unter dem 5. November 2014 schriftlich ausgeführt, bei dem Kläger beständen eine Beinverkürzung links von 2 cm mit Wirbelsäulenverkrümmung nach einer Oberschenkelfraktur, eine Verschleißerkrankung der Wirbelsäule mit ausgeprägter Fehlstatik, eine ausgedehnte Narbenbildung an beiden Unterschenkeln, eine verheilte Unterschenkelfraktur rechts und eine Arthrose im linken oberen und unteren Sprunggelenk. Innerhalb der Praxis habe der Kläger ein deutlich erschwertes Gehen demonstriert. Er habe sich nach längerem Sitzen im Wartezimmer schwerfällig erhoben. Das Entkleiden sei schwerfällig, aber insgesamt selbstständig gelungen. Die Rumpfbeuge sei im Wesentlichen aus den Hüftgelenken erfolgt und sei gekennzeichnet durch eine weitgehend aufgehobene Entfaltung der Brust- und Lendenwirbelsäule. Neurologische Symptome wie Gefühlsstörungen oder Lähmungen, ausgehend von der Lendenwirbelsäule, hätten nicht objektiviert werden können. Nervenwurzelreizungen hätten zwar aktuell nicht gesichert werden können, seien aber in Anbetracht der deutlichen Verschleißerscheinungen glaubhaft. Das linke Sprunggelenk habe im Vergleich mit rechts sowohl das Fußheben wie -senken betreffend ein leichtes Bewegungsdefizit geboten. Zum Gehvermögen hat die Sachverständige mitgeteilt, der Kläger könne die geforderten Wegstrecken zu ebener Erde zurücklegen, er benötige aber mehr Zeit. Es könnten 1 km in 15 bis 20 min und 2 km in 40 min zurückgelegt werden. Danach seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht erfüllt.
Nach dem Tatbestand des hier angegriffenen Urteils vom 18. Mai 2015 hat das SG den Kläger in der mündlichen Verhandlung von jenem Tage persönlich angehört und sein Gehvermögen sowie die sichtbaren Veränderungen im Beinbereich in Augenschein genommen.
Mit dem genannten Urteil hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2013 verurteilt, bei dem Kläger ab dem 7. November 2012 das Merkzeichen "G" festzustellen. Nach den Feststellungen der Sachverständigen und nach dem persönlichen Eindruck von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung liege eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vor. Entsprechend den Feststellungen Dr. K.s könne der Kläger maximal 500 m bis 1 km zurücklegen. Allein die Einschränkungen an den unteren Extremitäten führten zu einem asymmetrischen und stark verlangsamten Gangbild. Darüber hinaus beeinträchtige die Fehlstatik der Wirbelsäule mit beinahe aufgehobener Beweglichkeit der BWS und LWS den Kläger erheblich. Ferner sei auf die Hüftbeschwerden auf Grund der glaubhaften Nervenwurzelreizungen und die erhebliche Wirbelsäulenfehlstatik hinzuweisen. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, ihm machten beim Gehen vor allem die Schmerzausstrahlungen in beide Beine zu schaffen. Immer wieder entzünde sich der rechte Unterschenkel, die Narben platzten auf. Das SG habe sich von dem erheblich angeschwollenen und rot verfärbten Unterschenkel ein Bild gemacht. Ferner, so das SG, lägen bei dem Kläger Behinderungen mit einem GdB von wenigstens 40 vor, die sich besonders auf die Gehfähigkeit auswirkten. Hierzu zählten neben den Folgen des Arbeitsunfalls, die mit einem GdB von 30 bewertet seien, auch die erheblichen Schmerzausstrahlungen von der LWS in die Beine und den Hüftbereich.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 2. Juli 2015 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 15. Juli 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er trägt unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 9. Juli 2015 vor, auch nach den Feststellungen Dr. K.s bestehe bei dem Kläger keine Funktionseinschränkung, die eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr plausibel erscheinen ließen. Die Sachverständige habe ortsübliche Gehstrecken von 1 bis 2 km zu ebener Erde für zumutbar gehalten und dafür - zwar - 15 bis 20 bzw. 40 min Gehzeit veranschlagt. Diese Einschätzung sei aber subjektiv. Die Unterschenkelfraktur liege lange zurück. Neurologische Symptome, ausgehend von der LWS, hätten nicht objektiviert werden können.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Mai 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er verweist darauf, dass Dr. K. die Achillessehnenreflexe beidseits nicht habe auslösen können und er bei der Sachverständigen ein komisches Gefühl im linken Bein angegeben habe. Unberücksichtigt seien bislang die Beeinträchtigungen der Sehfähigkeit des linken Auges geblieben. Auch sei auf die bildgebend festgestellten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und die chronisch-venöse Insuffizienz beider Beine hinzuweisen. Hierzu hat der Kläger Arztbriefe des Radiologen Dr. M. vom 14. August 2015, des Chefarztes der Klinik für Allgemein-, Viezeral- und Gefäßchirurgie des Klinikums Freudenstadt, Dr. M., vom 17. Mai 2015 und des Phlebologen Dr. R. vom 12. März 2015 vorgelegt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da der Kläger keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung begehrt, sondern - im Rahmen einer Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 SGG - die bescheidmäßige behördliche Feststellung der Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie der Beklagte form- und fristgerecht erhoben (§ 151 SGG).
Sie ist auch begründet. Die Klage kann keinen Erfolg haben, sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, beim Kläger das Merkzeichens "G" festzustellen.
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX, zuletzt geändert durch Art. 1a des am 15. Januar 2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 7. Januar 2015 (BGBl. II S. 15).
Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX) und stellen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die erhebliche Beeinträchtigung im Straßenverkehr. Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert (§ 145 Abs. 1 SGB IX). In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).
Der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10. Dezember 2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleichs entnehmen. Denn die VG sind hinsichtlich der getroffenen Regelungen für den nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleich G unwirksam, da es insoweit zum Erlasszeitpunkt an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung gefehlt hat. Eine solche Ermächtigung hat sich weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30. Juni 2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 1. Juli 2011, noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX gefunden (Urteil des Senats vom 09. Juni 2011 - L 6 SB 6. - juris; Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4).
Diesem Mangel hat der Gesetzgeber mit o. g. Gesetz vom 07. Januar 2015 abgeholfen und mit § 70 Abs. 2 SGB IX eine neue Verordnungsermächtigung unmittelbar im SGB IX eingefügt. Danach wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend und nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Da die VersMedV vom 10. Dezember 2008 einschließlich ihrer Anlage zu § 2 VersMedV nicht auf der Grundlage dieser erst seit 15. Januar 2015 gültigen Verordnungsermächtigung erlassen worden ist, ist nach wie vor deren Anwendung hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Merkzeichens G nicht möglich. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber durch den ebenfalls mit Gesetz vom 07.01.2015 neu eingefügten § 159 Abs. 7 SGB IX Rechnung getragen. Danach gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Hierdurch konnte zwar nicht die bezüglich der in den VG enthaltenen Regelungen zu den Merkzeichen G, B, aG und Gl teilunwirksame VersMedV neu erlassen bzw. als Verordnung für anwendbar erklärt werden, da es insoweit schon an der Zuständigkeit des Gesetzgebers hinsichtlich einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu erlassenden Verordnung fehlt. Mit noch hinreichend bestimmten Gesetzeswortlaut (vgl. zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. September 2014 - 1 BvR 3. - zit. n. juris) hat der Gesetzgeber jedoch mit der in § 159 Abs. 7 SGB IX getroffenen Regelung zum Ausdruck gebracht, dass er sich den insoweit maßgeblichen Verordnungstext in der Anlage zu § 2 VersMedV, mithin die unter VG, Teil D Nr. 1 bis 4 getroffenen Bestimmungen, zu eigen macht und bis zum Inkrafttreten der neuen Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX insoweit die VG Gesetzescharakter haben (vgl. BT-Drucks. 1. S. 5; vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 11. August 2015 - B 9 SB 1/14 R - Juris, Rz. 16).
Danach gilt, dass es bei der Prüfung der Frage, ob die in § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Voraussetzungen vorliegen, nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles ankommt, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d. h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (VG, Teil D Nr. 1b). Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Die übrigen Fallgruppen der VG zum Merkzeichen "G" (innere Leiden, Seh- und andere Sinnesbeeinträchtigungen, geistige Behinderungen) kommen für den Kläger ersichtlich nicht in Betracht.
Bei dem Kläger liegen zunächst keine Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule mit Auswirkungen auf die Gehfähigkeit vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Der GdB von 30 für die Folgen des Arbeitsunfalls des Jahres 1969 betrifft nicht ausschließlich die unteren Gliedmaßen, also vor allem die damaligen Frakturen an Ober- und Unterschenkel, Sprunggelenk und Fuß. Er umfasst auch eine leichte Beeinträchtigung des Sehvermögens auf Grund der damals erlittenen Fettembolie. Auch der weiter vom Beklagten zu Grunde gelegte Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule betrifft zwar ganz überwiegend, aber nicht vollständig die LWS. So hat Dr. K. in ihrem Gutachten zwar die merklichen Bewegungseinschränkungen und Schmerzreizungen im Bereich der LWS bestätigt, aber auch für die BWS Einschränkungen angegeben. Die Entfaltbarkeit dort war bei einem Ott’schen Zeichen von 30:30 cm erheblich beeinträchtigt (S. 9 Gutachten). Und selbst wenn die beiden insoweit relevanten GdB-Werte von je 30 für eine Bewertung der LWS und der unteren Gliedmaßen vollständig berücksichtigt würden, so ergäbe sich nach den Grundsätzen der VG, Teil A Nr. 3 d, kein GdB von 50.
Soweit die Beeinträchtigungen der LWS und der unteren Gliedmaßen zusammen einen GdB von 40 ergeben, so wirken sie sich ferner nicht "besonders" negativ auf das Gehvermögen aus. Für diese Fallgruppe nennen die VG, Teil D Nr. 1 d als Beispiele eine Versteifung des Hüftgelenks, Versteifungen des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arterielle Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Solche Gelenksversteifungen hat der Kläger nicht. Dr. K. hat die Hüftgelenke als altersgerecht seitengleich frei beweglich beschrieben und für die Kniegelenke - nur - ein tastbares Reiben hinter der Kniescheibe und im Übrigen ebenfalls eine freie Beweglichkeit mit einer vollen Streckung und einer Beugefähigkeit bis 130° angegeben (S. 11 Gutachten). Nennenswerte Beweglichkeitseinschränkungen hat sie lediglich für das unfallbetroffene linke Sprunggelenk bei einer Streck- und Beugefähigkeit von 0/0/30° gegenüber 10/0/40° rechts festgestellt (S. 11 f. Gutachten). Für beide Beine hat sie ein regelrechtes Gefühl, eine normale Motorik und seitengleich lebhafte Patellarsehnenreflexe beschrieben. Dass der Achillessehnenreflex nicht auslösbar war, korrespondiert womöglich mit den Nervenwurzelirritationen im Bereich der LWS, wirkt sich für sich genommen aber nicht auf das Gehvermögen aus (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Mai 2015 - L 8 SB 70/1 - Juris Rz. 46). Die arterielle Verschlusskrankheit letztlich, die als Folge des Unfalls aus dem Jahre 1969 eingestuft werden könnte und die womöglich die regelmäßigen Entzündungen und Wundveränderungen am Bein verursacht, die der Kläger auch in der Verhandlung vor dem SG vorgewiesen hat, bedingt für sich ebenfalls keinen GdB von 40. Auch sie wirkt sich nicht in dem Sinne aus, dass Lähmungen oder Mangeldurchblutungen höheren Ausmaßes auftreten, die das Gehvermögen ausschlössen.
Der Senat ist, wie der Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gehvermögen des Klägers nicht in dem Maße eingeschränkt ist, wie es die VG, Teil D Nr. 1 b, grundsätzlich voraussetzen. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass eine Strecke von "etwa" zwei Kilometern in "etwa" einer halben Stunde zurückgelegt werden können muss. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht auf den genauen Wortlaut der Einschätzung Dr. K.s an, die für zwei Kilometer 40 min, aber für einen Kilometer auch nur "15 bis 20 min" geschätzt hat. Ausschlaggebend ist vielmehr der objektive Befund, auf den sich jegliche Einschätzung des zumutbaren Restgehvermögens stützen muss. Hierzu hat Dr. K. berichtet, der Kläger sei ohne Gehstöcke gekommen, trage keinerlei orthopädische Hilfsmittel, habe eine seitengleiche normale Schrittgröße mit regelgerechter Abrollung beider Füße und habe sich am Ende insgesamt selbstständig ausgezogen (S. 8 f. Gutachten). Die starke Fehlhaltung der Wirbelsäule ist ein Befund, der für sich nichts über die daraus folgenden Funktionseinbußen aussagt. Insoweit hat die Sachverständige - nur - von einem schwerfälligen Erheben aus dem Sitzen und von Problemen im Einbeinstand gesprochen. Beide Funktionen sind für die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht relevant. Dass Dr. K. das Restgehvermögen etwas zurückhaltender geschätzt hat, beruht auf den vom Kläger angegebenen starken Schmerzen aus dem Bereich der LWS. Neurologische Ausfälle, vor allem Lähmungen, die sich unmittelbar auf das Gehvermögen auswirken, hat aber auch sie nicht festgestellt (S. 16 Gutachten). Die Schmerzen des Klägers von der LWS in die Beine hinein, die mit den bildgebenden Befunden korrespondieren, hat Dr. K. im vorgetragenen Ausmaß zwar für glaubhaft gehalten und gemeint, daraus könne eine Einschränkung bei "längerem Stehen und Gehen" folgen (S. 16 Gutachten). Dies gilt aber nicht für die Beschwerden, die der Kläger im Übrigen geschildert hat. Sie hat ausgeführt, dass die - vom Kläger durchaus in den Vordergrund gestellten - Beschwerden in den Hüftgelenken durch die klinischen und radiologischen Befunde nicht zu erklären seien und jedenfalls eine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit durch eine Hüftgelenksarthrose nicht bestehe. In ähnlicher Weise hat sie sich zu den Kniegelenken geäußert (S. 17 Gutachten). Und auch die Schmerzangaben im Bereich der Unfallverletzungen am linken Bein hat Dr. K. zwar grundsätzlich akzeptiert, jedoch auch insoweit keine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit angenommen (S. 18 f. Gutachten). Insgesamt hat es Dr. K. angesichts der Schmerzangaben des Klägers auch für auffällig gehalten, dass relativ wenig Schmerzmittel eingenommen würden, nämlich nur eine Voltaren Resinat am Tag (S. 22 Gutachten). Vor diesem Hintergrund ist der abschließenden Einschätzung Dr. K.s zu folgen, wonach die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nicht erfüllt seien. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Angaben der behandelnden Ärzte im Verwaltungsverfahren. So hatte Dr. O. unter dem 17. Februar 2012 ausgeführt, eine Gehunsicherheit könne ausgeschlossen werden und das Gehvermögen sei "eher" unbeeinträchtigt. Nach diesen Ausführungen kann nicht von einer objektiv gesicherten Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ausgegangen werden.
An dieser Einschätzung entsprechend den Feststellungen und Vorschlägen der Sachverständigen Dr. K. ändern die im Berufungsverfahren zur Akte gereichten Arztberichte nichts. Dr. M. hat zwar eine breitbasige Protrusion (fast) aller Bandscheiben der LWS angegeben, aber einen Prolaps (Bandscheibenvorfall) ausgeschlossen. Danach hat sich die Problematik an der LWS nicht verschlechtert. Zur Frage einer Venenerkrankung hat Dr. M. zwar Folgeschäden des Unfalls berichtet; seinem Bericht lässt sich aber entnehmen, dass er eine konsequente konservative Therapie, darunter das ständige Tragen von Kompressionsstrümpfen, für ausreichend hält.
Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des SG aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beider Instanzen beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten beider Instanzen sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Verurteilung zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Der 1948 geborene Kläger erlitt im Jahr 1969 auf dem Weg zur Arbeit einen Wegeunfall. Er wurde als Fußgänger von einem Pkw angefahren und war in der Folgezeit dreieinhalb Wochen bewusstlos. Er erlitt eine Fraktur des linken Oberschenkels, eine Sprunggelenksverletzung links, Splitterbrüche im rechten Unterschenkel, einen Bruch des Fußwurzelknochens links sowie eine Sehminderung des linken Auges infolge einer Fettembolie. Wegen der Folgen jenes Arbeitsunfalls gewährt die zuständige Berufsgenossenschaft seit 1969 eine Verletztenrente, zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H., seit 1986 nach einer MdE von 30 v. H.
Bei dem Kläger war zunächst ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt. Dem lagen Einzel-GdB-Werte von 30 entsprechend den anerkannten Unfallfolgen und von 20 wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule zu Grunde. Merkzeichen waren nicht festgestellt (Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2008). Ein damaliges Klageverfahren beim Sozialgericht Reutlingen war erfolglos (S 12 SB 4520/05).
Einen ersten Neufeststellungsantrag vom 15. Oktober 2011, dem der Kläger unter anderem den Bericht des Orthopäden Dr. St. vom 23. Oktober 2011 beilegte (Osteochondrose und Spondylose, Knick-Senk- Spreizfuß), lehnte der Beklagte gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme, wonach keine Änderung eingetreten sei - mit Bescheid vom 16. Januar 2012 ab. Mit seinem damaligen Widerspruch begehrte der Kläger erstmals auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Der Beklagte holte ärztliche Befundberichte ein. Auf orthopädischem Gebiet teilte Dr. O. unter dem 17. Februar 2012 einen Zustand nach (Z. n.) Kniegelenksprellung 02/08, eine Lumboischialgie 07/08, eine Schmerzsymptomatik im linken Schultergelenk im Sinne eines Rotatorenmanschettensyndroms 03/10 und Beschwerden auf Grund der komplexen Unterschenkelfraktur 11/11 mit, schloss aber eine Gehunsicherheit aus; das Gehvermögen sei unbeeinträchtigt, kein wesentliches Schonhinken. Der Gastroenterologe Dr. N. berichtete unter dem 23. Februar 2012 von einem seit Jahrzehnten andauernden milden Reiz¬darm¬syndrom mit drei bis vier Entleerungen morgendlich. Mit Abhilfebescheid vom 6. Juli 2012 stellte der Beklagte wegen der funktionellen Störung des Dickdarms wie des Schulter-Arm-Syndroms einen GdB von 50 seit dem 15. Oktober 2011 fest, wobei er die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nunmehr mit einem GdB von 30 bewertete und zusätzlich einen GdB von 20 für eine Störung des Dickdarms berücksichtigte. Einen gesonderten Antrag des Klägers, den GdB von 50 rückwirkend festzustellen, lehnte der Beklagte schließlich noch mit weiteren Bescheid vom 11. Oktober 2012 ab.
Das streitgegenständliche Verfahren beruht auf dem Antrag vom 7. November 2012, mit dem der Kläger erneut Neufeststellung des GdB sowie Zuerkennung des Merkzeichens "G" rückwirkend zum 1. Januar 2008 begehrte. Diesen Antrag beschränkte er mit Schriftsatz vom 31. Januar 2013 auf das Merkzeichen. Der Orthopäde Dr. M. und der Allgemeinmediziner Dr. B. teilten dem Beklagten mit, der Kläger leide an einem Z. n. Unterschenkelfraktur rechts, einem degenerativen LWS-Syndrom, einer generalisierten Osteochondrose und eine Foramenstenose (L4/5 bds. und L5/S1 gering). Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Mai 2013 eine rückwirkende Erhöhung des GdB und ausdrücklich auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab, da ortsübliche Strecken noch zurückgelegt werden könnten.
Im Widerspruchsverfahren gab der Kläger an, dass er eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde nicht zurücklegen könne. Er leide unter einer ausgeprägten Schmerzzunahme mit Ausstrahlungen in beide Hüften und die Oberschenkel, teilweise bereits nach einer Gehstrecke von 100 m. Der Beklagte erließ daraufhin den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2013, das Gehvermögen sei durch das innere Leiden nicht nennenswert beeinträchtigt.
Der Kläger hat am 25. November 2013 Klage beim SG erhoben. Zur Begründung hat er ergänzend vorgetragen, es liege bereits nach 100 m Wegstrecke eine ausgeprägte Schmerzzunahme mit Ausstrahlung in beide Hüften und die Oberschenkel vor.
Das SG hat zunächst Dr. B. als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat schriftlich bekundet, beim Kläger beständen anhaltende Beschwerden an der Wirbelsäule sowie in beiden Kniegelenken. Die anhaltende Beschwerdesymptomatik nach der Unterschenkelfraktur 1969 bestehe auch in chronischen Lymphstaus im Bereich der Haut. Die ortsübliche Gehstrecke sei eingeschränkt. Der Kläger leide bereits nach 50 bis 80 m unter starken Schmerzen. Die Frage, ob die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorlägen, könne er nicht beantworten.
Das SG hat daraufhin von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten bei der Fachärztin für Orthopädie Dr. K. eingeholt. Diese Sachverständige hat unter dem 5. November 2014 schriftlich ausgeführt, bei dem Kläger beständen eine Beinverkürzung links von 2 cm mit Wirbelsäulenverkrümmung nach einer Oberschenkelfraktur, eine Verschleißerkrankung der Wirbelsäule mit ausgeprägter Fehlstatik, eine ausgedehnte Narbenbildung an beiden Unterschenkeln, eine verheilte Unterschenkelfraktur rechts und eine Arthrose im linken oberen und unteren Sprunggelenk. Innerhalb der Praxis habe der Kläger ein deutlich erschwertes Gehen demonstriert. Er habe sich nach längerem Sitzen im Wartezimmer schwerfällig erhoben. Das Entkleiden sei schwerfällig, aber insgesamt selbstständig gelungen. Die Rumpfbeuge sei im Wesentlichen aus den Hüftgelenken erfolgt und sei gekennzeichnet durch eine weitgehend aufgehobene Entfaltung der Brust- und Lendenwirbelsäule. Neurologische Symptome wie Gefühlsstörungen oder Lähmungen, ausgehend von der Lendenwirbelsäule, hätten nicht objektiviert werden können. Nervenwurzelreizungen hätten zwar aktuell nicht gesichert werden können, seien aber in Anbetracht der deutlichen Verschleißerscheinungen glaubhaft. Das linke Sprunggelenk habe im Vergleich mit rechts sowohl das Fußheben wie -senken betreffend ein leichtes Bewegungsdefizit geboten. Zum Gehvermögen hat die Sachverständige mitgeteilt, der Kläger könne die geforderten Wegstrecken zu ebener Erde zurücklegen, er benötige aber mehr Zeit. Es könnten 1 km in 15 bis 20 min und 2 km in 40 min zurückgelegt werden. Danach seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht erfüllt.
Nach dem Tatbestand des hier angegriffenen Urteils vom 18. Mai 2015 hat das SG den Kläger in der mündlichen Verhandlung von jenem Tage persönlich angehört und sein Gehvermögen sowie die sichtbaren Veränderungen im Beinbereich in Augenschein genommen.
Mit dem genannten Urteil hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2013 verurteilt, bei dem Kläger ab dem 7. November 2012 das Merkzeichen "G" festzustellen. Nach den Feststellungen der Sachverständigen und nach dem persönlichen Eindruck von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung liege eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vor. Entsprechend den Feststellungen Dr. K.s könne der Kläger maximal 500 m bis 1 km zurücklegen. Allein die Einschränkungen an den unteren Extremitäten führten zu einem asymmetrischen und stark verlangsamten Gangbild. Darüber hinaus beeinträchtige die Fehlstatik der Wirbelsäule mit beinahe aufgehobener Beweglichkeit der BWS und LWS den Kläger erheblich. Ferner sei auf die Hüftbeschwerden auf Grund der glaubhaften Nervenwurzelreizungen und die erhebliche Wirbelsäulenfehlstatik hinzuweisen. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, ihm machten beim Gehen vor allem die Schmerzausstrahlungen in beide Beine zu schaffen. Immer wieder entzünde sich der rechte Unterschenkel, die Narben platzten auf. Das SG habe sich von dem erheblich angeschwollenen und rot verfärbten Unterschenkel ein Bild gemacht. Ferner, so das SG, lägen bei dem Kläger Behinderungen mit einem GdB von wenigstens 40 vor, die sich besonders auf die Gehfähigkeit auswirkten. Hierzu zählten neben den Folgen des Arbeitsunfalls, die mit einem GdB von 30 bewertet seien, auch die erheblichen Schmerzausstrahlungen von der LWS in die Beine und den Hüftbereich.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 2. Juli 2015 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 15. Juli 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er trägt unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 9. Juli 2015 vor, auch nach den Feststellungen Dr. K.s bestehe bei dem Kläger keine Funktionseinschränkung, die eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr plausibel erscheinen ließen. Die Sachverständige habe ortsübliche Gehstrecken von 1 bis 2 km zu ebener Erde für zumutbar gehalten und dafür - zwar - 15 bis 20 bzw. 40 min Gehzeit veranschlagt. Diese Einschätzung sei aber subjektiv. Die Unterschenkelfraktur liege lange zurück. Neurologische Symptome, ausgehend von der LWS, hätten nicht objektiviert werden können.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Mai 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er verweist darauf, dass Dr. K. die Achillessehnenreflexe beidseits nicht habe auslösen können und er bei der Sachverständigen ein komisches Gefühl im linken Bein angegeben habe. Unberücksichtigt seien bislang die Beeinträchtigungen der Sehfähigkeit des linken Auges geblieben. Auch sei auf die bildgebend festgestellten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und die chronisch-venöse Insuffizienz beider Beine hinzuweisen. Hierzu hat der Kläger Arztbriefe des Radiologen Dr. M. vom 14. August 2015, des Chefarztes der Klinik für Allgemein-, Viezeral- und Gefäßchirurgie des Klinikums Freudenstadt, Dr. M., vom 17. Mai 2015 und des Phlebologen Dr. R. vom 12. März 2015 vorgelegt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da der Kläger keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung begehrt, sondern - im Rahmen einer Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 SGG - die bescheidmäßige behördliche Feststellung der Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie der Beklagte form- und fristgerecht erhoben (§ 151 SGG).
Sie ist auch begründet. Die Klage kann keinen Erfolg haben, sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, beim Kläger das Merkzeichens "G" festzustellen.
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX, zuletzt geändert durch Art. 1a des am 15. Januar 2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 7. Januar 2015 (BGBl. II S. 15).
Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX) und stellen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die erhebliche Beeinträchtigung im Straßenverkehr. Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert (§ 145 Abs. 1 SGB IX). In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).
Der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10. Dezember 2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleichs entnehmen. Denn die VG sind hinsichtlich der getroffenen Regelungen für den nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleich G unwirksam, da es insoweit zum Erlasszeitpunkt an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung gefehlt hat. Eine solche Ermächtigung hat sich weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30. Juni 2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 1. Juli 2011, noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX gefunden (Urteil des Senats vom 09. Juni 2011 - L 6 SB 6. - juris; Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4).
Diesem Mangel hat der Gesetzgeber mit o. g. Gesetz vom 07. Januar 2015 abgeholfen und mit § 70 Abs. 2 SGB IX eine neue Verordnungsermächtigung unmittelbar im SGB IX eingefügt. Danach wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend und nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Da die VersMedV vom 10. Dezember 2008 einschließlich ihrer Anlage zu § 2 VersMedV nicht auf der Grundlage dieser erst seit 15. Januar 2015 gültigen Verordnungsermächtigung erlassen worden ist, ist nach wie vor deren Anwendung hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Merkzeichens G nicht möglich. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber durch den ebenfalls mit Gesetz vom 07.01.2015 neu eingefügten § 159 Abs. 7 SGB IX Rechnung getragen. Danach gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Hierdurch konnte zwar nicht die bezüglich der in den VG enthaltenen Regelungen zu den Merkzeichen G, B, aG und Gl teilunwirksame VersMedV neu erlassen bzw. als Verordnung für anwendbar erklärt werden, da es insoweit schon an der Zuständigkeit des Gesetzgebers hinsichtlich einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu erlassenden Verordnung fehlt. Mit noch hinreichend bestimmten Gesetzeswortlaut (vgl. zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. September 2014 - 1 BvR 3. - zit. n. juris) hat der Gesetzgeber jedoch mit der in § 159 Abs. 7 SGB IX getroffenen Regelung zum Ausdruck gebracht, dass er sich den insoweit maßgeblichen Verordnungstext in der Anlage zu § 2 VersMedV, mithin die unter VG, Teil D Nr. 1 bis 4 getroffenen Bestimmungen, zu eigen macht und bis zum Inkrafttreten der neuen Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX insoweit die VG Gesetzescharakter haben (vgl. BT-Drucks. 1. S. 5; vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 11. August 2015 - B 9 SB 1/14 R - Juris, Rz. 16).
Danach gilt, dass es bei der Prüfung der Frage, ob die in § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Voraussetzungen vorliegen, nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles ankommt, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d. h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (VG, Teil D Nr. 1b). Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Die übrigen Fallgruppen der VG zum Merkzeichen "G" (innere Leiden, Seh- und andere Sinnesbeeinträchtigungen, geistige Behinderungen) kommen für den Kläger ersichtlich nicht in Betracht.
Bei dem Kläger liegen zunächst keine Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule mit Auswirkungen auf die Gehfähigkeit vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Der GdB von 30 für die Folgen des Arbeitsunfalls des Jahres 1969 betrifft nicht ausschließlich die unteren Gliedmaßen, also vor allem die damaligen Frakturen an Ober- und Unterschenkel, Sprunggelenk und Fuß. Er umfasst auch eine leichte Beeinträchtigung des Sehvermögens auf Grund der damals erlittenen Fettembolie. Auch der weiter vom Beklagten zu Grunde gelegte Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule betrifft zwar ganz überwiegend, aber nicht vollständig die LWS. So hat Dr. K. in ihrem Gutachten zwar die merklichen Bewegungseinschränkungen und Schmerzreizungen im Bereich der LWS bestätigt, aber auch für die BWS Einschränkungen angegeben. Die Entfaltbarkeit dort war bei einem Ott’schen Zeichen von 30:30 cm erheblich beeinträchtigt (S. 9 Gutachten). Und selbst wenn die beiden insoweit relevanten GdB-Werte von je 30 für eine Bewertung der LWS und der unteren Gliedmaßen vollständig berücksichtigt würden, so ergäbe sich nach den Grundsätzen der VG, Teil A Nr. 3 d, kein GdB von 50.
Soweit die Beeinträchtigungen der LWS und der unteren Gliedmaßen zusammen einen GdB von 40 ergeben, so wirken sie sich ferner nicht "besonders" negativ auf das Gehvermögen aus. Für diese Fallgruppe nennen die VG, Teil D Nr. 1 d als Beispiele eine Versteifung des Hüftgelenks, Versteifungen des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arterielle Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Solche Gelenksversteifungen hat der Kläger nicht. Dr. K. hat die Hüftgelenke als altersgerecht seitengleich frei beweglich beschrieben und für die Kniegelenke - nur - ein tastbares Reiben hinter der Kniescheibe und im Übrigen ebenfalls eine freie Beweglichkeit mit einer vollen Streckung und einer Beugefähigkeit bis 130° angegeben (S. 11 Gutachten). Nennenswerte Beweglichkeitseinschränkungen hat sie lediglich für das unfallbetroffene linke Sprunggelenk bei einer Streck- und Beugefähigkeit von 0/0/30° gegenüber 10/0/40° rechts festgestellt (S. 11 f. Gutachten). Für beide Beine hat sie ein regelrechtes Gefühl, eine normale Motorik und seitengleich lebhafte Patellarsehnenreflexe beschrieben. Dass der Achillessehnenreflex nicht auslösbar war, korrespondiert womöglich mit den Nervenwurzelirritationen im Bereich der LWS, wirkt sich für sich genommen aber nicht auf das Gehvermögen aus (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Mai 2015 - L 8 SB 70/1 - Juris Rz. 46). Die arterielle Verschlusskrankheit letztlich, die als Folge des Unfalls aus dem Jahre 1969 eingestuft werden könnte und die womöglich die regelmäßigen Entzündungen und Wundveränderungen am Bein verursacht, die der Kläger auch in der Verhandlung vor dem SG vorgewiesen hat, bedingt für sich ebenfalls keinen GdB von 40. Auch sie wirkt sich nicht in dem Sinne aus, dass Lähmungen oder Mangeldurchblutungen höheren Ausmaßes auftreten, die das Gehvermögen ausschlössen.
Der Senat ist, wie der Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gehvermögen des Klägers nicht in dem Maße eingeschränkt ist, wie es die VG, Teil D Nr. 1 b, grundsätzlich voraussetzen. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass eine Strecke von "etwa" zwei Kilometern in "etwa" einer halben Stunde zurückgelegt werden können muss. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht auf den genauen Wortlaut der Einschätzung Dr. K.s an, die für zwei Kilometer 40 min, aber für einen Kilometer auch nur "15 bis 20 min" geschätzt hat. Ausschlaggebend ist vielmehr der objektive Befund, auf den sich jegliche Einschätzung des zumutbaren Restgehvermögens stützen muss. Hierzu hat Dr. K. berichtet, der Kläger sei ohne Gehstöcke gekommen, trage keinerlei orthopädische Hilfsmittel, habe eine seitengleiche normale Schrittgröße mit regelgerechter Abrollung beider Füße und habe sich am Ende insgesamt selbstständig ausgezogen (S. 8 f. Gutachten). Die starke Fehlhaltung der Wirbelsäule ist ein Befund, der für sich nichts über die daraus folgenden Funktionseinbußen aussagt. Insoweit hat die Sachverständige - nur - von einem schwerfälligen Erheben aus dem Sitzen und von Problemen im Einbeinstand gesprochen. Beide Funktionen sind für die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht relevant. Dass Dr. K. das Restgehvermögen etwas zurückhaltender geschätzt hat, beruht auf den vom Kläger angegebenen starken Schmerzen aus dem Bereich der LWS. Neurologische Ausfälle, vor allem Lähmungen, die sich unmittelbar auf das Gehvermögen auswirken, hat aber auch sie nicht festgestellt (S. 16 Gutachten). Die Schmerzen des Klägers von der LWS in die Beine hinein, die mit den bildgebenden Befunden korrespondieren, hat Dr. K. im vorgetragenen Ausmaß zwar für glaubhaft gehalten und gemeint, daraus könne eine Einschränkung bei "längerem Stehen und Gehen" folgen (S. 16 Gutachten). Dies gilt aber nicht für die Beschwerden, die der Kläger im Übrigen geschildert hat. Sie hat ausgeführt, dass die - vom Kläger durchaus in den Vordergrund gestellten - Beschwerden in den Hüftgelenken durch die klinischen und radiologischen Befunde nicht zu erklären seien und jedenfalls eine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit durch eine Hüftgelenksarthrose nicht bestehe. In ähnlicher Weise hat sie sich zu den Kniegelenken geäußert (S. 17 Gutachten). Und auch die Schmerzangaben im Bereich der Unfallverletzungen am linken Bein hat Dr. K. zwar grundsätzlich akzeptiert, jedoch auch insoweit keine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit angenommen (S. 18 f. Gutachten). Insgesamt hat es Dr. K. angesichts der Schmerzangaben des Klägers auch für auffällig gehalten, dass relativ wenig Schmerzmittel eingenommen würden, nämlich nur eine Voltaren Resinat am Tag (S. 22 Gutachten). Vor diesem Hintergrund ist der abschließenden Einschätzung Dr. K.s zu folgen, wonach die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nicht erfüllt seien. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Angaben der behandelnden Ärzte im Verwaltungsverfahren. So hatte Dr. O. unter dem 17. Februar 2012 ausgeführt, eine Gehunsicherheit könne ausgeschlossen werden und das Gehvermögen sei "eher" unbeeinträchtigt. Nach diesen Ausführungen kann nicht von einer objektiv gesicherten Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ausgegangen werden.
An dieser Einschätzung entsprechend den Feststellungen und Vorschlägen der Sachverständigen Dr. K. ändern die im Berufungsverfahren zur Akte gereichten Arztberichte nichts. Dr. M. hat zwar eine breitbasige Protrusion (fast) aller Bandscheiben der LWS angegeben, aber einen Prolaps (Bandscheibenvorfall) ausgeschlossen. Danach hat sich die Problematik an der LWS nicht verschlechtert. Zur Frage einer Venenerkrankung hat Dr. M. zwar Folgeschäden des Unfalls berichtet; seinem Bericht lässt sich aber entnehmen, dass er eine konsequente konservative Therapie, darunter das ständige Tragen von Kompressionsstrümpfen, für ausreichend hält.
Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des SG aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beider Instanzen beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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