Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 665/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1741/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 8. April 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den 30. Juni 2010 hinaus.
Die am 1960 in Rumänien geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige erlernte keinen Ausbildungsberuf. Nach Ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im März 1981 war sie als Hilfsarbeiterin, Küchenhilfe und Reinigungskraft tätig. Eine von 1982 bis 1984 begonnene Ausbildung im gehobenen Verwaltungsdienst brach sie wegen einer Schwangerschaft ab. Von 1994 bis 2005 arbeitete sie als Hilfsarbeiterin in einer Elektronikfirma. Zuletzt wurde der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 zuerkannt.
Auf ihren Antrag vom 21. September 2005 gewährte die Beklagte der Klägerin nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens mit Bescheid vom 15. August 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. April 2006 bis 30. Juni 2007. Aufgrund ihres anschließenden Antrags auf Weitergewährung bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 14. Mai 2007 eine bis zum 30. Juni 2010 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Neben dem Rentenbezug übte die Klägerin seit 1. März 2008 eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung als Kassiererin im Umfang von zwei bis drei Stunden zwei Mal wöchentlich in einem Supermarkt aus.
Zuletzt beantragte die Klägerin am 3. März 2010 die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente über den 30. Juni 2010 hinaus. Die Beklagte zog daraufhin zunächst einen ärztlichen Befundbericht des die Klägerin behandelnden Nervenarztes Dr. B. vom 23. Februar 2010 bei, der bei der Klägerin eine mittelgradig ausgeprägte Depression im Rahmen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabil zwanghaften und abhängigen Anteilen, eine Skoliose, einen Diabetes mellitus sowie ein Schlaf-Apnoe-Syndrom diagnostizierte. Er hielt die Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei schwerwiegenden Störungen des Anpassungs- und Umstellungsvermögens für nicht belastbar.
Anschließend veranlasste die Beklagte die Untersuchung und Begutachtung der Klägerin durch Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H ... In seinem Gutachten vom 14. Mai 2010 legte er dar, die Klägerin leide an einer Dysthymia, Essattacken bei sonstigen psychischen Störungen, einem Restless-legs-Syndrom, einer angeborenen Skoliose sowie einem Schlaf-Apnoe-Syndrom. Schwere körperliche Arbeiten sowie Tätigkeiten verbunden mit schwerem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel und ständige Zwangshaltung seien der Klägerin nicht mehr zumutbar. Die Klägerin solle Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit vermeiden. Im Ergebnis seien der Klägerin jedoch leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich zumutbar. Auffallend sei die krasse Diskrepanz zwischen den mitgeteilten Diagnosen und der tatsächlichen Behandlung. Behandelt werde nur ein Restless-legs-Syndrom mit Nacom 0-0-1, ansonsten erfolge keine Therapie der Depression, keine Antidepressiva, keine Psychotherapie. Zu Dr. B. gehe die Klägerin nur alle sechs Wochen. Die Verteilung zwischen den einzelnen Episoden leichter Depression und dazwischenliegenden Perioden vergleichsweiser Normalität sei sehr unterschiedlich. Die Klägerin sei in der Regel fähig, mit den wesentlichen Anforderungen des täglichen Lebens fertig zu werden. Eine zeitliche Leistungsminderung lasse sich daher aus der Dysthymia nicht ableiten. Die Skoliose sei nicht behandlungsbedürftig, ebenso wenig die Essstörung. Das Schlaf-Apnoe-Syndrom werde mittels Maskenatmung behandelt. Die einzige Therapie medikamentöser Art erfolge wegen des Restless-legs-Syndroms. Dr. H. führte einen SFSS-Test (strukturierter Fragebogen simulierter Symptome) durch. Hierbei handele es sich um einen Selbsteinschätzungsfragebogen, der eine leicht handhabbare Screening-Methode zur Erfassung von Simulation und einer Vielzahl simulierter Symptome darstelle. Der Gesamt-SFSS-Score, der besonders aussagekräftig im Hinblick auf eine negative Antwortverzerrung sei, sei mit 37 sehr deutlich erhöht gewesen. Dies sei Hinweis auf ein nicht-authentisches Verhalten.
Mit Bescheid vom 17. Juni 2010 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag der Klägerin ab. Unter Berücksichtigung der von Dr. H. festgestellten Erkrankungen lägen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Juli 2010 nicht mehr vor. Die Klägerin sei in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie als Fabrikarbeiterin mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 25. Juni 2010 Widerspruch. Die Beklagte habe die bei ihr vorhandenen Leistungsbeeinträchtigungen nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt. Die von Dr. B. festgestellten Beeinträchtigungen im psychiatrischen Bereich seien gravierender als die von Dr. H. diagnostizierten. Die von ihm angenommene Besserung der Leistungsfähigkeit sei nicht nachvollziehbar. Außerdem schließe das Schlaf-Apnoe-Syndrom unter nachgehender Tagesmüdigkeit sowie die Depressionen ein kontinuierliches Arbeiten aus. Unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Dr. Ro. vom ärztlichen Dienst der Beklagten vom 23. Dezember 2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2011 zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 11. März 2011 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Eine weitere Limitierung des zeitlichen Restleistungsvermögen ergebe sich neben dem nervenärztlichen Bereich auch aus dem orthopädischen Befund. Die hieraus resultierenden erheblichen Schmerzzustände machten es ihr ebenfalls unmöglich, einer vollschichtigen Tätigkeit nachzugehen. Sie legte unter anderem einen Arztbericht des Arztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Kr. über die stationäre Krankenhausbehandlung vom 3. August bis 14. September 2011 in der Fachklinik für Psychosomatik, psychotherapeutische Medizin und Naturheilverfahren P.-kliniken S. vom 9. November 2011 (Diagnosen: Schwer ausgeprägte depressive Episode, sexuelle Grenzverletzung, obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, allergisches Asthma, Restless-legs-Syndrom, dorsumbale Skoliose, Cervicalsyndrom; Entlassung mit nicht gebesserter depressiver Symptomatik als arbeitsunfähig) sowie einen Entlassung-Kurzbericht derselben Klinik über die stationäre Krankenhausbehandlung vom 15. Januar bis 26. Februar 2013 (Diagnosen: Generalisierte Angststörung, Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, vorwiegend Zwangshandlungen [Zwangsrituale]; Therapieverlauf: Im Laufe des stationären Aufenthaltes zeigte sich eine Verbesserung und Stabilisierung der psychischen Verfassung und damit einhergehend insgesamt eine psychovegetative Entspannung. Die Klägerin konnte durch funktionale Verhaltensmuster reflektieren und neue Perspektiven entwickeln.) vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Unter Berücksichtigung des Gutachtensergebnisses des Sachverständigen Dr. W. (siehe unten) und der Stellungnahmen der Dr. E. vom medizinischen Dienst der Beklagten vom 16. Januar 2012 und 15. Oktober 2012 hielt sie zunächst die Durchführung einer dreiwöchigen Rehabilitationsmaßnahme für sinnvoll; als die Klägerin dies ablehnte, hielt sie an der bisherigen Leistungsbeurteilung fest.
Das Gericht befragte zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. B. gab an (Auskunft vom 24. Juni 2011), die Klägerin seit 2004 zu behandeln. Im Vergleich zu 2006 sei es insgesamt zu einer Verschlechterung mit rascher Erschöpfbarkeit und schleichend zunehmenden Leistungseinschränkung gekommen. Er halte die Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes allenfalls noch für unter sechs Stunden täglich belastbar. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Bo. legte dar (Auskunft vom 4. Juli 2011), die Klägerin seit 2011 zu behandeln. Unter Bezugnahme auf vorgelegte "Altbefunde" vertrat er die Auffassung, die Klägerin sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Unter dem 20. Juli 2011 führte Facharzt für Orthopädie Dr. A. aus, die Klägerin leide an einem Supraspinatussyndrom links, einer Bursitis calcarea, an schwerer thorakolumbaler Skoliose, einer Blockierung der Lendenwirbelsäule sowie einer neurovegetativen Dystonie. Anamnestisch seien schwere Depressionen bekannt sowie ein Schlaf-Apnoe-Syndrom. Die Beschwerden und Einschränkungen der Funktionen der Wirbelsäule hätten zugenommen. Die Klägerin sei nur noch in der Lage, sehr leichte Tätigkeiten, ohne Zeitdruck und ohne zu große Verantwortung unter drei Stunden täglich auszuüben.
Anschließend beauftragte das SG Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. mit der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens. In seinem Gutachten vom 6. Dezember 2011 führte er aus, die Klägerin leide an einer mittelgradigen depressiven Episode, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einem Restless-legs-Syndrom sowie einer histrionischen Persönlichkeit. Bei der Klägerin stehe im Vordergrund zum einen eine depressive Episode, zum anderen eine chronische Schmerzerkrankung mit somatischen und psychischen Faktoren, in organischer Hinsicht insbesondere eine Wirbelsäulenskoliose. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen sei ihr eine Tätigkeit unter Zeitdruck wie Akkord- oder Fließbandarbeit sowie eine Tätigkeit im Schichtbetrieb nicht mehr möglich; gleiches gelte für dauerhaft mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten. Aufgrund einer möglichen Schmerzverstärkung sollten Tätigkeiten in Kälte, Nässe und Zugluft vermieden werden. Dies gelte auch für Tätigkeiten mit gleichförmiger Körperhaltung, insbesondere solche Tätigkeiten, die mit häufigem Bücken verbunden seien. Bei der Untersuchung sei auffällig gewesen, dass die Klägerin in ganz erheblichem Ausmaße zur Verdeutlichung geneigt habe. Im Untersuchungsgespräch habe eine deutliche Diskrepanz zwischen geschilderter Schmerzstärke und Verhalten während der Untersuchung imponiert; auffällig seien auch die Ergebnisse insbesondere im SFSS gewesen. Im Ergebnis sei es zwar möglich, dass die Klägerin Tätigkeiten nur noch unter drei Stunden werktäglich verrichten könne. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne er jedoch nicht ausschließen, dass das Ausmaß der geklagten Beeinträchtigungen deutlicher geringer sei als von der Klägerin bei der Untersuchung geschildert. Deshalb halte er eine gegebenenfalls mehrwöchige stationäre Heilbehandlung mit zusätzlicher Belastungserprobung für sinnvoll.
Ferner beauftragte das SG Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. St. mit der Erstattung eines nervenfachärztlichen Sachverständigengutachtens. In seinem Gutachten vom 5. April 2013 führte er aus, die Klägerin leide an einer gegenwärtig remittierten depressiven Störung sowie anamnestisch an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen Persönlichkeitszügen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung habe keine depressive Episode bestanden. Die angenommene Persönlichkeitsstörung sei nie wirklich nachvollziehbar begründet worden. Aufgrund der vorhandenen Beeinträchtigungen sollten Akkord- und Fließbandarbeiten, Arbeiten mit besonderer Anforderung an die psychische Belastbarkeit sowie Tätigkeiten mit regem Publikumsverkehr vermieden werden. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Übereinstimmung bestehe mit Dr. W. darin, dass eine sichere quantitative Leistungseinstufung nicht abgegeben werden könne, sowie mit Dr. H. das mit Sicherheit vorhandene schwere psychische Funktionsstörungen jetzt nicht erfasst werden könnten. Neben den persönlichkeitsbedingten Darstellungen sei bei der jetzigen Begutachtung davon abgrenzbar eine deutliche aggravatorische Beschwerdeherausstellung und eine Simulationstendenz zu erkennen gewesen. Bei der körperlichen Untersuchung habe die Klägerin Auffälligkeiten, beispielsweise der feinmotorischen Geschicklichkeit der Hände oder bei den Zeigeversuchen, die letztlich jedoch als unauffällig einzustufen gewesen seien, demonstriert. Auf alle Fragen sei ein fortgesetzter Bericht von neuen Klagen, jeweils vorgetragen in Superlativen und mit Generalisierungen, erfolgt. Die gesamte Beschwerdedarstellung und -beschreibung sei vage und ungenau geblieben und habe auf Nachfragen dann korrigiert werden oder auf Nachfragen nicht beantwortet werden können, sondern es sei mit weiteren Beschwerden geantwortet worden. Auch habe die Klägerin deutlich den Versuch gestartet, Denk- und Gedächtnisstörungen vorzutäuschen. Es sei ein ständiger Gegensatz zwischen den verbalen Angaben (von Schmerzen, Konzentrationsstörungen, stark depressiver Stimmung, völliger Antriebslosigkeit) und der Beobachtung und Beurteilung während der gesamten Begutachtung erkennbar gewesen. Es bestünden, wie die Aktenanalyse zeige, unterschiedliche und schwankende Darstellungen von Beschwerden und Sachverhalten in unterschiedlichen Situationen (Kliniken, Gutachten). Bei der körperlichen Untersuchung habe die Klägerin plötzlich angeführt, sich schon häufig geschnitten und selbst verletzt zu haben, um etwas zu spüren. Als zunächst nichts zu sehen gewesen sei, habe sie auf die einzige, offensichtlich tiefgehende Schnittverletzungen über dem Ellenknochen eines Unterarms hingewiesen. Diese sei allerdings von Tiefe und Lokalisation an einer völlig untypischen Stelle gewesen, anders als es von Menschen mit Persönlichkeitsstörung mit Zügen oder Instabilität bekannt sei, die immer wieder zu selbst Verletzungen neigen. Es sei weiter nicht klar, weshalb trotz der von der Klägerin herausgestellten starken Auffälligkeiten nie eine stationäre psychiatrische Krankenhausbehandlung in einer Klinik erfolgt sei, obwohl seit Jahren von Dr. B. von einem unverändert schwerkranken Bild ausgegangen werde.
Auf Anregung des Sachverständigen Dr. St. veranlasste das SG eine Untersuchung und Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Bos ... Dieser führte in seinem Gutachten vom 13. Juli 2013 aus, die Klägerin leide an einem chronischen degenerativen cervicalen Wirbelsäulensyndrom mit (teils ausgestalteter) Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der oberen Extremitäten, einem chronischen pseudoradikulären thoracolumbalen Wirbelsäulensyndrom mit mäßiger Funktionsbehinderung der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der unteren Extremitäten (bei Missbildungsskoliose und Rundrückenhaltung sowie muskulärer Dysbalance der Wirbelsäule und des Rumpfes), einer schmerzhaften Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes bei Omarthrose und ACG-Arthrose, einer Handgelenksarthralgie beidseits ohne Funktionsbehinderung bei initialer Handwurzelarthrose beidseits, einer funktionellen Coxalgie links ohne Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke, einer funktionellen Gonalgie beidseits ohne Bewegungseinschränkung und ohne chronisch synoviale Reizerscheinungen der Kniegelenke sowie einer Senkspreizfuß-Deformität beidseits ohne Funktionsbehinderung der Füße. Fachfremd stellte er eine Adipositas, eine arterielle Hypertonie, einen Diabetes mellitus, ein Asthma bronchiale, eine rezidivierende depressive Störung, ein Restless-legs-Syndrom, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, ein Lipom am Rücken (ohne funktionelle Bedeutung) sowie einen Zustand nach Sectio caesarea und Tonsillektomie fest. Nach Auffassung des Sachverständigen sind danach Arbeiten nicht mehr leidensgerecht, die mit Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 7-8 kg ohne mechanische Hilfsmittel, in gebückter, vornüber gebeugter oder sonstiger Zwangshaltung des Achsorgans sowie mit Überkopftätigkeiten verbunden sind. Vermeiden sollte die Klägerin ebenfalls Arbeiten über horizontalem Schulterniveau, solche unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, Arbeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in kniender oder hockender Stellung. Überwiegend oder ausschließlich stehende und/oder gehende Tätigkeiten sowie Arbeiten auf unebenem Untergrund und Arbeiten mit häufiger oder ständiger Exposition von Kälte, Nässe und/oder Zugluft sowie Arbeiten an gefährdenden Maschinen, Arbeiten unter hoher Stressbelastung und hohem Zeitdruck sowie solche mit besonderer Verantwortung und besonderer geistiger Beanspruchung seien ebenfalls nicht mehr leidensgerecht. Sämtliche darüber hinausgehenden leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, überwiegend im Wechselrhythmus von Sitzen, Stehen und Gehen, vorzugsweise in geschlossenen temperierten Räumen, vorzugsweise in Tagschicht, seien hingegen noch mit dem vorhandenen Restleistungsvermögen vereinbar. Die Klägerin könne eine Tätigkeit als Arbeiterin wie auch eine solche als Kassiererin auch künftig ausüben, sofern die dargelegten qualitativen Leistungseinschränkungen adäquat umgesetzt würden. Der Klägerin sei es unter Beachtung dieser Einschränkungen möglich, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr pro Tag bei fünf Tagen in der Woche auszuüben.
Mit Gerichtsbescheid vom 8. April 2014 wies das SG die Klage ab. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente über den 30. Juni 2010 hinaus nicht zu. Sie sei zumindest seit 1. Juli 2010 in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den unter Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Das SG stützte sich hierbei insbesondere auf die von Dr. W., Dr. St. und Dr. Bos. erstatteten Gutachten im Gerichtsverfahren sowie das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten des Dr. H ... Ebenso habe es (das SG) sich nicht davon überzeugen können, dass die Auswirkung der Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet zu einer quantitativen Leistungsbeeinträchtigung führen. Weder aus dem Gutachten des Dr. Bos. noch aus den Gutachten des Dr. W. und des Dr. St. hätten sich insoweit schwerwiegende Bewegungseinschränkungen ergeben, die zu einer Minderung des quantitativen Leistungsvermögens führen könnten. Den gegenteiligen Ausführungen der die Klägerin behandelnden Ärzte vermochte sich das SG nicht anzuschließen. Diese hätten keine nachvollziehbare Begründung für die von ihnen abgegebene Leistungseinschränkung dargestellt. Der Klägerin stehe auch kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu. Nach den überzeugenden Ausführungen aller gehörten Gutachter sei sie noch in der Lage, den genannten den Beruf als Fabrikarbeiterin mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben.
Gegen den am 10. April 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16. April 2014 Berufung beim Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Auffassung des Sachverständigen Dr. St. stehe in diametralem Gegensatz zu den Erkenntnissen, die aus dem Entlassungsbericht des Arztes für Innere Medizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. M., P.-Klinik S., vom 2. Mai 2013 über die stationäre Behandlung vom 15. Januar bis 19. Februar 2013 zu entnehmen seien. Während Dr. St. im Zeitpunkt der Begutachtung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass bei ihr keine depressive Episode bestanden habe, gehe Dr. M. noch im Entlassungsbericht von einer schwer ausgeprägten rezidivierenden depressiven Störung sowie einer Zwangsstörung, vorwiegend in Form von Zwangshandlungen und einer generalisierten Angststörung aus. Dieses Ergebnis werde durch das (vorgelegte) nervenfachärztliche Gutachten von Prof. Dr. Wi. vom 17. Januar 2014 bestätigt, das im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) eingeholt wurde.
Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 8. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 30. Juni 2010 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest. Sie beruft sich auf die Ausführungen der Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. D. vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten vom 27. August 2014, wonach auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren neu vorgelegten medizinischen Informationen weiterhin von einem mindestens sechsstündigen quantitativen Leistungsvermögen der Klägerin für leidensgerechte Tätigkeiten auszugehen sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. Bi. (siehe unten), der auch in seinem Fachgutachten keine ausreichenden medizinischen Belege dafür liefere, dass eine höhergradige psychische Funktionsstörung der Klägerin als so gesichert festgestellt werden könne, dass eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zu beschreiben wäre (Stellungnahme der Dr. D. vom 24. April 2015).
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-schmerzpsychologischen Sachverständigengutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag der Klägerin bei Prof. Dr. Bi ... Dieser führt in seinem Gutachten vom 17. März 2015 aus, die Klägerin leide auf psychiatrischem Fachgebiet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit histrionischen, ängstlich-abhängigen Zügen, phasenweise dekompensiert sowie einer komplexen Traumafolgestörung im Sinne einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung. Hieraus resultiere eine rezidivierende depressive Störung (mittelschwer bis schwergradig) ohne psychotische Symptome. Auf orthopädischem Gebiet liege ein Supraspinatussyndrom links sowie eine angeborene Skoliose und hieraus folgend ein chronifiziertes Schmerzsyndrom nach Gebershagen Stadium 2 in Verbindung mit Cervicobrachialgien und Kombinationskopfschmerz vor. Neurologischerseits leide die Klägerin an einem Restless-legs-Syndrom (mittelschwer bis schwer). Auf internistischem Fachgebiet bestehe ein Schlaf-Apnoe-Syndrom (versorgt mit Sauerstoffmaske nachts), ein Asthma bronchiale, eine Schilddrüsenfunktionsstörungen, eine Hyperurikämie, eine Varicosis sowie eine Adipositas bei Diabetes mellitus Typ 2 ergänzend mit Nierenkomplikation. Die Klägerin solle Tätigkeiten, die mit häufigem Bücken, langem Stehen, Heben und Tragen von Lasten ohne Hilfsmittel, Überkopfarbeit und anhaltender einseitiger Körperhaltung verbunden sind, vermeiden. Aus psychiatrischer Sicht seien Publikumsverkehr, Arbeiten mit hoher konzentrativer Anforderung sowie schwere und mittelschwere Arbeiten ausgeschlossen. Genüge man diesen qualitativen Leistungseinschränkungen, seien der Klägerin noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt maximal halbschichtig zumutbar.
In der Zeit vom 13. Juli bis 9. August 2015 hat sich die Klägerin anlässlich einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Dr. F. D. in B. aufgehalten. Chefarzt der Psychosomatik und Facharzt für psychosomatische Medizin Fr. hat in seinem Arztbrief vom 12. August 2015 ausgeführt, die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode), einer nicht näher bezeichneten Angststörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, einer sozialen Phobie, einer Zwangsstörung (vorwiegend Zwangshandlungen) vor dem Hintergrund aktueller ehelicher und familiärer Belastungen sowie kindlicher Traumatisierung, einem Restless-legs-Syndrom, einem Übergewicht, dem schädlichen Gebrauch von Nikotin, einem Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung sowie einem Verdacht auf ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Bei konservativer Therapie der ausgeprägten Skoliose zeige sich eine rückläufige Symptomatik. Ferner bestehe ein Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit Ausstrahlung in die rechte Schulter sowie in die Hüfte rechts und links, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, ein Asthma bronchiale sowie ein Diabetes mellitus Typ 2. Des Weiteren bestehe ein Verdacht auf Fibromyalgie, eine beginnende Omarthrose rechts sowie eine beginnende Coxarthrose rechts. Im Ergebnis werde nicht damit gerechnet, dass die Klägerin innerhalb der nächsten sechs Monate ihre volle Belastbarkeit wiedergewinnen könne. Aus psychischer Sicht bestehe für den allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund der genannten Einschränkungen eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden, selbst für einfache Tätigkeiten mit hohem Routineanteil. Aus somatischer Sicht sei die Klägerin in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen auszuüben.
Anschließend hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens beim Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie Prof. Dr. Sch ... In seinem Gutachten vom 30. November 2015 führt er aus, die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden und emotional-instabilen Anteilen. Ferner bestehe der Verdacht auf Zwangsstörung mit im Vordergrund stehenden Zwangshandlungen, ein obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms sowie eines Restless-legs-Syndrom. Berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhten psychovegetativen Belastungen einhergingen, seien nicht mehr leidensgerecht. Somit schieden für die Klägerin Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck oder mit unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) aus. Auch Tätigkeiten mit anhaltend hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen, etwa Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, Tätigkeiten mit Kontrollfunktionen und der Notwendigkeit des sofortigen Eingreifens, Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Personen oder Sachwerte seien vor diesem Hintergrund auszuschließen. Eine entsprechende Überforderung würde mit dem erheblichen Risiko einer Verstärkung der depressiven Symptomatik einhergehen. Aufgrund der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bestehe eine erhöhte Disposition und Entwicklung von Schmerzzuständen. Dies reduziere die Möglichkeit, körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Arbeiten abzuleisten. Möglich seien hingegen anhaltend leichte und vorübergehend mittelschwere Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten bis maximal etwa 10 kg. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung der Klägerin seien ihre sozialen Kompetenzen reduziert. Berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhtem Risiko konfliktbehafteter sozialer Interaktionen einhergingen - etwa unmittelbarer Publikumskontakt - seien vor diesem Hintergrund auszuschließen. Insgesamt sei das Ausdauerleistungsvermögen jedoch nicht relevant beeinträchtigt. Die Klägerin sei in der Lage, berufliche Tätigkeiten, die den genannten qualitativen Leistungsdefiziten Rechnung tragen, im vollschichtigen Umfang, d.h. bis zu acht Stunden an fünf Tagen pro Woche, abzuleisten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Die Klägerin hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, denn die Klägerin begehrt Leistungen für mehr als ein Jahr (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit über den 30. Juni 2010 hinaus.
a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
b) Nach diesen Maßstäben vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Klägerin über den 30. Juni 2010 hinaus voll oder teilweise erwerbsgemindert, weil sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nicht mehr verrichten kann (dazu unter aa). Dies gilt auch mit Blick auf § 240 SGB VI (dazu unter bb).
aa) Aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vor dem SG sowie im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zwar zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vorliegen, die ihre berufliche Leistungsfähigkeit in qualitativer Hinsicht mindern. Der Senat vermochte sich aber nicht davon zu überzeugen, dass diese auch ihre berufliche Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht insoweit mindern, dass die Klägerin über den 30. Juni 2010 hinaus zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich nicht verrichten kann ...
(1) Bei der Klägerin liegen im Wesentlichen gesundheitliche Beeinträchtigungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Die Klägerin leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden und emotional-instabilen Anteilen. Ferner besteht der "Verdacht auf Zwangsstörung mit im Vordergrund stehenden Zwangshandlungen". Dies stellte zuletzt der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Sch. fest. Eine noch von Arzt Fr. während der stationär-psychosomatischen Rehabilitation im Sommer 2015 diagnostizierte mittelgradige depressive Episode konnte Prof. Dr. Sch. demgegenüber nicht mehr feststellen. Gleiches gilt für die noch von Arzt Fr. diagnostizierte Zwangsstörung (vorwiegend Zwangshandlung). Insoweit gab die Klägerin bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Sch. an, dass sie sich pro Tag mindestens sechs Stunden dem Zwangsverhalten widme (Körperreinigung, Duschen, Zähneputzen). Die Angabe eines seit dem jungen Erwachsenenalter bestehenden und in den zurückliegenden Jahren extrem hoch ausgeprägten Zwangsverhaltens steht jedoch nicht im Einklang mit den aktenkundigen Befunden, wie Prof. Dr. Sch. in seinem Gutachten darlegte. In den nach 2006 folgenden stationären und ambulanten Behandlungsberichten bzw. Begutachtungen wurde eine Zwangssymptomatik als Beschwerdeangabe teilweise dokumentiert, auf Verhaltensebene jedoch nicht als Beobachtungstatsache festgestellt. So finden sich im Bericht des Dr. Kr. vom 9. November 2011 über die stationär-psychosomatische Behandlung vom Sommer 2011 (Bl. 76 ff. SG-Akte) weder in Bezug auf Beschwerden noch hinsichtlich der Befunde, Diagnosen und Behandlungen irgendein Bezug auf eine Zwangssymptomatik. Auch bei Begutachtung durch Dr. W. im Dezember 2011 findet sich die Bemerkung der Klägerin, vom Zwang her sei eine Besserung zu verzeichnen, da sie nicht mehr jeden Tag dusche, und es einfach vergesse. Auch im Rahmen der stationär-psychosomatischen Behandlung in der Klinik S. vom Winter 2013 (Bericht des Dr. M. vom 2. Mai 2013) beschrieb die Klägerin einen Zähl- und Reinigungszwang, der jedoch wiederum auf Befundebene nicht gespiegelt wird. Auch wurden spezifische Therapiemaßnahmen zur Minderung eines entsprechenden Zwangsverhaltens nicht eingeleitet. Im Rahmen der Begutachtung des Dr. St. im April 2013 führt dieser aus, die Klägerin habe lediglich am Rande eine Zwangssymptomatik erwähnt, ohne dass ein sonderlicher Leidensdruck spürbar gewesen sei. Konsequenterweise konnte in diesem Gutachten eine Zwangsstörung nicht diagnostiziert werden. Die von Prof. Dr. Wi. vorgenommene diagnostische Einschätzung einer Zwangsstörung, vorwiegend Zwangshandlung, beruhte ausschließlich auf eigenanamnestischen Angaben der Klägerin. Auch Prof. Dr. Bi. ging nicht vom Vorliegen einer Zwangsstörung aus. Zudem führte Prof. Dr. Sch. nachvollziehbar aus, dass das von der Klägerin geschilderte Reinigungsverfahren in der Begutachtungssituation nicht habe beobachtet werden können. Als ganz zwangsuntypische Verhaltensweise sei ein völlig unbefangener Umfang mit einer auf den Boden gefallenen Haarspange zu beobachten gewesen, die die Klägerin am Ende der körperlich-neurologischen Untersuchung ohne spezifisches Reinigungsverfahren umstandslos wieder in ihr Haar gesteckt habe. Auch kann die von Prof. Dr. Bi. diagnostizierte und mit ICD 10 F 62.0 kodierte anhaltende Persönlichkeitsstörung nach extremen Belastungen nicht bestätigt werden, da es an den im ICD 10 definierten erforderlichen Eingangskriterien hierfür fehlt. Zudem waren Belastungen in der Entwicklung der Primärpersönlichkeit bei der Exploration durch Prof. Dr. Sch. nicht zu erarbeiten. Auch die noch von Prof. Dr. Wi. diagnostizierte rezidivierende depressive Stimmung, aktuell mittelgradige depressive Episode, ist nicht nachvollziehbar, da im Rahmen der Befundung vermerkt wird, dass die Befunde zur Affektivität, formalem Gedankengang, kognitiven Funktionen und Antrieb nicht die Feststellung einer wesentlich ausgeprägten depressiven Störung stützen.
Orthopädischerseits leidet die Klägerin an einem chronischen degenerativen cervicalen Wirbelsäulensyndrom mit (teils ausgestalteter) Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der oberen Extremitäten, einem chronischen pseudoradikulären thoracolumbalen Wirbelsäulensyndrom mit mäßiger Funktionsbehinderung der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der unteren Extremitäten (bei Missbildungsskoliose und Rundrückenhaltung sowie muskulärer Dysbalance der Wirbelsäule und des Rumpfes), einer schmerzhaften Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes bei Omarthrose und ACG-Arthrose, einer Handgelenksarthralgie beidseits ohne Funktionsbehinderung bei initialer Handwurzelarthrose beidseits, einer funktionellen Coxalgie links ohne Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke, einer funktionellen Gonalgie beidseits ohne Bewegungseinschränkung und ohne chronisch synoviale Reizerscheinungen der Kniegelenke sowie einer Senkspreizfuß-Deformität beidseits ohne Funktionsbehinderung der Füße. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Bos. und der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. A ...
Jenseits des orthopädischen Fachgebiets leidet die Klägerin auf neurologischem Fachgebiet an einem Restless-legs-Syndrom. Insofern stützt der Senat seine Überzeugung auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. H., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B –juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R –juris, Rn. 51) sowie die Gutachten des Dr. W., des Dr. St., des Dr. Bos., der Prof. Dr. Wi. und des Prof. Dr. Sch ...
Auf internistischem Gebiet besteht bei der Klägerin ein Schlaf-Apnoe-Syndrom (versorgt mit Sauerstoffmaske nachts), ein Asthma bronchiale, eine serielle Hypertonie, eine Adipositas bei Diabetes mellitus Typ 2 sowie ein Zustand nach Tonsillektomie. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. Bos ...
(2) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht mindern.
Die Gesundheitsstörungen bewirken, dass berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhten psychovegetativen Belastungen einhergehen, nicht mehr leidensgerecht sind. Somit scheiden für die Klägerin Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck oder mit unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) aus. Auch Tätigkeiten mit anhaltend hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen, etwa Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, Tätigkeiten mit Kontrollfunktionen und der Notwendigkeit des sofortigen Eingreifens, Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Personen oder Sachwerte sind vor diesem Hintergrund auszuschließen. Eine entsprechende Überforderung würde mit dem erheblichen Risiko einer Verstärkung der depressiven Symptomatik einhergehen. Aufgrund der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung besteht eine erhöhte Disposition und Entwicklung von Schmerzzuständen. Dies reduziert die Möglichkeit, körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Arbeiten abzuleisten. Berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhtem Risiko konfliktbehafteter sozialer Interaktionen einhergehen - etwa unmittelbarer Publikumskontakt - sind auszuschließen. Möglich sind hingegen anhaltend leichte und vorübergehend mittelschwere Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten bis maximal etwa 10 kg. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung der Klägerin sind ihre sozialen Kompetenzen reduziert. Dies folgt für den Senat aus dem zuletzt eingeholten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sch., dem des Dr. H., des Dr. W. und des Dr. St ...
(3) Im Hinblick auf die überzeugende Leistungsbeurteilung des bei der Klägerin vorhandenen Restleistungsvermögens des im Berufungsverfahren tätigen Sachverständigen Prof. Dr. Sch., die mit derjenigen der im Verwaltungs- und SG-Verfahren tätigen Sachverständigen Dr. H., Dr. St. und Dr. Bos. übereinstimmt, vermag der Senat eine Leistungsminderung in quantitativer Hinsicht nicht festzustellen, weil er sich nicht davon überzeugen kann, dass die Klägerin über den 30. Juni 2010 hinaus nicht in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der folgenden Leistungseinschränkungen sechs und mehr Stunden täglich auszuüben. Die schriftlichen Zeugenaussagen des Dr. B., des Dr. Bu. und des Dr. A. sowie die Beurteilung des Prof. Dr. Bi. können nicht überzeugen. Letztere hatten der Klägerin ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen attestiert, ohne hierfür eine nachvollziehbare Begründung zu liefern.
Zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin bei den Begutachtungen durch Dr. H., Dr. W., Dr. St., Dr. Bos. und Prof. Dr. Sch. durch demonstriertes Verhalten aufgefallen ist. So führte Dr. H. einen SFSS-Test durch. Hierbei handelt es sich um einen Selbsteinschätzungsfragebogen, der eine leicht handhabbare Screening-Methode zur Erfassung von Simulation und einer Vielzahl simulierter Symptome darstellt. Der Gesamt-SFSS-Score, der besonders aussagekräftig im Hinblick auf eine negative Antwort Verzerrung ist, war mit 37 sehr deutlich erhöht und liefert damit einen Hinweis auf nicht-authentisches Verhalten. Ähnliche Verhaltensweisen schildert auch der Sachverständige Dr. W ... Im Untersuchungsgespräch imponierte eine deutliche Diskrepanz zwischen geschilderter Schmerzstärke und Verhalten während der Untersuchung; auffällig waren insoweit auch bei ihm die Ergebnisse insbesondere im SFSS-Test. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konnte er nicht ausschließen, dass das Ausmaß der geklagten Beeinträchtigungen deutlicher geringer war als von der Klägerin bei der Untersuchung geschildert. Deshalb hielt er eine gegebenenfalls mehrwöchige stationäre Heilbehandlung mit zusätzlicher Belastungserprobung für sinnvoll, die die Klägerin jedoch ablehnte. Die Klägerin zeigte auch bei der Begutachtung durch Dr. St. deutlich abgrenzbar von den persönlichkeitsbedingten Darstellungen eine deutliche aggravatorische Beschwerdeherausstellung und eine Simulationstendenz. Bei der körperlichen Untersuchung hat die Klägerin Auffälligkeiten bei der feinmotorischen Geschicklichkeit der Hände oder bei den Zeigeversuchen demonstriert. Auch hat die Klägerin deutlich den Versuch der Vortäuschung von Denk- und Gedächtnisstörungen gestartet. Bei der körperlichen Untersuchung hat die Klägerin plötzlich angeführt, sich schon häufig geschnitten und selbst verletzt zu haben, um etwas zu spüren und dann, als zunächst nichts zu sehen gewesen sei, auf die einzige, offensichtlich tiefgehende Schnittverletzung über dem Ellenknochen eines Unterarms, von Tiefe und Lokalisation an einer völlig untypischen Stelle gezeigt. Schließlich hat Prof. Dr. Sch. ein weiteres Beschwerdevalidierungsverfahren, den WMT (Word Memory Test), eingesetzt. Es handelt sich hierbei um eines der weltweit am besten untersuchten Verfahren zur Messung von Anstrengungsleistung in Untersuchungssituationen mit hohen Sensitivitäts- und Spezifitätswerten. Weiterhin gestattet der WMT - unter Voraussetzung einer uneingeschränkten Leistungsmotivation - eine gleichzeitige Diagnostik von Gedächtnisfunktionen. In einer PC-gestützten Testversion wurde der Klägerin eine nur vordergründig schwierige Lernaufgabe (Wortpaare) gestellt. Die Lernleistung wurde anschließend in unterschiedlichen Aufgabenstellungen abgerufen. Die Werte in den Untertests zur Messung der Anstrengungsbereitschaft waren massiv auffällig. Die hier gezeigten Leistungen lagen weit unter denen kooperationswilliger Probanden oder von mittelgradig bis schwer hirnverletzten Probanden. Das von der Klägerin erzielte Ergebnis lag auf dem Niveau, welches sie auch bei rein zufälligem Antwortverhalten - also ohne mentale Anstrengungsleistung überhaupt - hätte erzielen können.
(3) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R –juris, Rn. 31). Wie zuvor dargelegt, vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Klägerin eine solche Tätigkeit seit 1. Juli 2010 nicht verrichten kann.
(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe, auch zum Folgenden: Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Dies ist hier nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar – wie dargelegt – einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R –, in juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
(5) Auch ist die Wegefähigkeit der Klägerin gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R –juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R –juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Keiner der medizinischen Sachverständigen hat Befunde erhoben, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen. Auch hat die Klägerin dies nicht behauptet.
bb) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben nach § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 61 RV-Altergrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderer Anforderung ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Bisheriger Beruf im Sinne des § 240 SGB VI ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (z. B. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 –juris, Rn. 16; Urteil vom 18. Februar 1998 – B 5 RJ 34/97 R –juris, Rn. 13; Urteil vom 20. Juli 2005 – B 13 RJ 19/04 R –juris, Rn. 16). Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 –juris, Rn. 17 ff.; Urteil vom 25. Juli 2001 – B 8 KN 14/00 R –juris, Rn. 15) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Entsprechend diesem so genannten Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe durch Gruppen mit den Leitberufen des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert. Innerhalb der Gruppe der angelernten Arbeiter differenziert das BSG nochmals hinsichtlich der Versicherten, die der oberen und unteren Gruppe der Angelernten angehören. Dem unteren Bereich sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen, auch betrieblichen Ausbildungs- und Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten zuzuordnen (BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 –juris, Rn. 20). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d. h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an. Eine Verweisung kann nur auf einen Beruf derselben qualitativen Stufe oder der nächst niedrigeren erfolgen (BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 5/04 R –juris, Rn. 33 f.).
Die von der Klägerin zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Hilfsarbeiterin war keine Tätigkeit, die eine Anlern- oder Ausbildungszeit von mehr als zwölf Monaten voraussetzte. Gegenteiliges hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt behauptet und die vorliegenden Akten geben hierfür keine Anhaltspunkte.
Da die Klägerin allenfalls zum unteren Bereich der angelernten Arbeiter gehört, kann sie grundsätzlich auf alle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommenden Tätigkeiten verwiesen werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in diesen Fällen regelmäßig nicht erforderlich, weil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung steht, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (z.B. BSG, Urteil vom 14. September 1995 – 5 RJ 50/94 –juris, Rn. 18; vgl. auch Beschluss des Senats vom 10. Oktober 2014 – L 4 R 3169/12 – nicht veröffentlicht).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den 30. Juni 2010 hinaus.
Die am 1960 in Rumänien geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige erlernte keinen Ausbildungsberuf. Nach Ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im März 1981 war sie als Hilfsarbeiterin, Küchenhilfe und Reinigungskraft tätig. Eine von 1982 bis 1984 begonnene Ausbildung im gehobenen Verwaltungsdienst brach sie wegen einer Schwangerschaft ab. Von 1994 bis 2005 arbeitete sie als Hilfsarbeiterin in einer Elektronikfirma. Zuletzt wurde der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 zuerkannt.
Auf ihren Antrag vom 21. September 2005 gewährte die Beklagte der Klägerin nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens mit Bescheid vom 15. August 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. April 2006 bis 30. Juni 2007. Aufgrund ihres anschließenden Antrags auf Weitergewährung bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 14. Mai 2007 eine bis zum 30. Juni 2010 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Neben dem Rentenbezug übte die Klägerin seit 1. März 2008 eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung als Kassiererin im Umfang von zwei bis drei Stunden zwei Mal wöchentlich in einem Supermarkt aus.
Zuletzt beantragte die Klägerin am 3. März 2010 die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente über den 30. Juni 2010 hinaus. Die Beklagte zog daraufhin zunächst einen ärztlichen Befundbericht des die Klägerin behandelnden Nervenarztes Dr. B. vom 23. Februar 2010 bei, der bei der Klägerin eine mittelgradig ausgeprägte Depression im Rahmen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabil zwanghaften und abhängigen Anteilen, eine Skoliose, einen Diabetes mellitus sowie ein Schlaf-Apnoe-Syndrom diagnostizierte. Er hielt die Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei schwerwiegenden Störungen des Anpassungs- und Umstellungsvermögens für nicht belastbar.
Anschließend veranlasste die Beklagte die Untersuchung und Begutachtung der Klägerin durch Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H ... In seinem Gutachten vom 14. Mai 2010 legte er dar, die Klägerin leide an einer Dysthymia, Essattacken bei sonstigen psychischen Störungen, einem Restless-legs-Syndrom, einer angeborenen Skoliose sowie einem Schlaf-Apnoe-Syndrom. Schwere körperliche Arbeiten sowie Tätigkeiten verbunden mit schwerem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel und ständige Zwangshaltung seien der Klägerin nicht mehr zumutbar. Die Klägerin solle Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit vermeiden. Im Ergebnis seien der Klägerin jedoch leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich zumutbar. Auffallend sei die krasse Diskrepanz zwischen den mitgeteilten Diagnosen und der tatsächlichen Behandlung. Behandelt werde nur ein Restless-legs-Syndrom mit Nacom 0-0-1, ansonsten erfolge keine Therapie der Depression, keine Antidepressiva, keine Psychotherapie. Zu Dr. B. gehe die Klägerin nur alle sechs Wochen. Die Verteilung zwischen den einzelnen Episoden leichter Depression und dazwischenliegenden Perioden vergleichsweiser Normalität sei sehr unterschiedlich. Die Klägerin sei in der Regel fähig, mit den wesentlichen Anforderungen des täglichen Lebens fertig zu werden. Eine zeitliche Leistungsminderung lasse sich daher aus der Dysthymia nicht ableiten. Die Skoliose sei nicht behandlungsbedürftig, ebenso wenig die Essstörung. Das Schlaf-Apnoe-Syndrom werde mittels Maskenatmung behandelt. Die einzige Therapie medikamentöser Art erfolge wegen des Restless-legs-Syndroms. Dr. H. führte einen SFSS-Test (strukturierter Fragebogen simulierter Symptome) durch. Hierbei handele es sich um einen Selbsteinschätzungsfragebogen, der eine leicht handhabbare Screening-Methode zur Erfassung von Simulation und einer Vielzahl simulierter Symptome darstelle. Der Gesamt-SFSS-Score, der besonders aussagekräftig im Hinblick auf eine negative Antwortverzerrung sei, sei mit 37 sehr deutlich erhöht gewesen. Dies sei Hinweis auf ein nicht-authentisches Verhalten.
Mit Bescheid vom 17. Juni 2010 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag der Klägerin ab. Unter Berücksichtigung der von Dr. H. festgestellten Erkrankungen lägen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Juli 2010 nicht mehr vor. Die Klägerin sei in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie als Fabrikarbeiterin mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 25. Juni 2010 Widerspruch. Die Beklagte habe die bei ihr vorhandenen Leistungsbeeinträchtigungen nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt. Die von Dr. B. festgestellten Beeinträchtigungen im psychiatrischen Bereich seien gravierender als die von Dr. H. diagnostizierten. Die von ihm angenommene Besserung der Leistungsfähigkeit sei nicht nachvollziehbar. Außerdem schließe das Schlaf-Apnoe-Syndrom unter nachgehender Tagesmüdigkeit sowie die Depressionen ein kontinuierliches Arbeiten aus. Unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Dr. Ro. vom ärztlichen Dienst der Beklagten vom 23. Dezember 2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2011 zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 11. März 2011 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Eine weitere Limitierung des zeitlichen Restleistungsvermögen ergebe sich neben dem nervenärztlichen Bereich auch aus dem orthopädischen Befund. Die hieraus resultierenden erheblichen Schmerzzustände machten es ihr ebenfalls unmöglich, einer vollschichtigen Tätigkeit nachzugehen. Sie legte unter anderem einen Arztbericht des Arztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Kr. über die stationäre Krankenhausbehandlung vom 3. August bis 14. September 2011 in der Fachklinik für Psychosomatik, psychotherapeutische Medizin und Naturheilverfahren P.-kliniken S. vom 9. November 2011 (Diagnosen: Schwer ausgeprägte depressive Episode, sexuelle Grenzverletzung, obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, allergisches Asthma, Restless-legs-Syndrom, dorsumbale Skoliose, Cervicalsyndrom; Entlassung mit nicht gebesserter depressiver Symptomatik als arbeitsunfähig) sowie einen Entlassung-Kurzbericht derselben Klinik über die stationäre Krankenhausbehandlung vom 15. Januar bis 26. Februar 2013 (Diagnosen: Generalisierte Angststörung, Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, vorwiegend Zwangshandlungen [Zwangsrituale]; Therapieverlauf: Im Laufe des stationären Aufenthaltes zeigte sich eine Verbesserung und Stabilisierung der psychischen Verfassung und damit einhergehend insgesamt eine psychovegetative Entspannung. Die Klägerin konnte durch funktionale Verhaltensmuster reflektieren und neue Perspektiven entwickeln.) vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Unter Berücksichtigung des Gutachtensergebnisses des Sachverständigen Dr. W. (siehe unten) und der Stellungnahmen der Dr. E. vom medizinischen Dienst der Beklagten vom 16. Januar 2012 und 15. Oktober 2012 hielt sie zunächst die Durchführung einer dreiwöchigen Rehabilitationsmaßnahme für sinnvoll; als die Klägerin dies ablehnte, hielt sie an der bisherigen Leistungsbeurteilung fest.
Das Gericht befragte zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. B. gab an (Auskunft vom 24. Juni 2011), die Klägerin seit 2004 zu behandeln. Im Vergleich zu 2006 sei es insgesamt zu einer Verschlechterung mit rascher Erschöpfbarkeit und schleichend zunehmenden Leistungseinschränkung gekommen. Er halte die Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes allenfalls noch für unter sechs Stunden täglich belastbar. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Bo. legte dar (Auskunft vom 4. Juli 2011), die Klägerin seit 2011 zu behandeln. Unter Bezugnahme auf vorgelegte "Altbefunde" vertrat er die Auffassung, die Klägerin sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Unter dem 20. Juli 2011 führte Facharzt für Orthopädie Dr. A. aus, die Klägerin leide an einem Supraspinatussyndrom links, einer Bursitis calcarea, an schwerer thorakolumbaler Skoliose, einer Blockierung der Lendenwirbelsäule sowie einer neurovegetativen Dystonie. Anamnestisch seien schwere Depressionen bekannt sowie ein Schlaf-Apnoe-Syndrom. Die Beschwerden und Einschränkungen der Funktionen der Wirbelsäule hätten zugenommen. Die Klägerin sei nur noch in der Lage, sehr leichte Tätigkeiten, ohne Zeitdruck und ohne zu große Verantwortung unter drei Stunden täglich auszuüben.
Anschließend beauftragte das SG Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. mit der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens. In seinem Gutachten vom 6. Dezember 2011 führte er aus, die Klägerin leide an einer mittelgradigen depressiven Episode, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einem Restless-legs-Syndrom sowie einer histrionischen Persönlichkeit. Bei der Klägerin stehe im Vordergrund zum einen eine depressive Episode, zum anderen eine chronische Schmerzerkrankung mit somatischen und psychischen Faktoren, in organischer Hinsicht insbesondere eine Wirbelsäulenskoliose. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen sei ihr eine Tätigkeit unter Zeitdruck wie Akkord- oder Fließbandarbeit sowie eine Tätigkeit im Schichtbetrieb nicht mehr möglich; gleiches gelte für dauerhaft mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten. Aufgrund einer möglichen Schmerzverstärkung sollten Tätigkeiten in Kälte, Nässe und Zugluft vermieden werden. Dies gelte auch für Tätigkeiten mit gleichförmiger Körperhaltung, insbesondere solche Tätigkeiten, die mit häufigem Bücken verbunden seien. Bei der Untersuchung sei auffällig gewesen, dass die Klägerin in ganz erheblichem Ausmaße zur Verdeutlichung geneigt habe. Im Untersuchungsgespräch habe eine deutliche Diskrepanz zwischen geschilderter Schmerzstärke und Verhalten während der Untersuchung imponiert; auffällig seien auch die Ergebnisse insbesondere im SFSS gewesen. Im Ergebnis sei es zwar möglich, dass die Klägerin Tätigkeiten nur noch unter drei Stunden werktäglich verrichten könne. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne er jedoch nicht ausschließen, dass das Ausmaß der geklagten Beeinträchtigungen deutlicher geringer sei als von der Klägerin bei der Untersuchung geschildert. Deshalb halte er eine gegebenenfalls mehrwöchige stationäre Heilbehandlung mit zusätzlicher Belastungserprobung für sinnvoll.
Ferner beauftragte das SG Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. St. mit der Erstattung eines nervenfachärztlichen Sachverständigengutachtens. In seinem Gutachten vom 5. April 2013 führte er aus, die Klägerin leide an einer gegenwärtig remittierten depressiven Störung sowie anamnestisch an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen Persönlichkeitszügen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung habe keine depressive Episode bestanden. Die angenommene Persönlichkeitsstörung sei nie wirklich nachvollziehbar begründet worden. Aufgrund der vorhandenen Beeinträchtigungen sollten Akkord- und Fließbandarbeiten, Arbeiten mit besonderer Anforderung an die psychische Belastbarkeit sowie Tätigkeiten mit regem Publikumsverkehr vermieden werden. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Übereinstimmung bestehe mit Dr. W. darin, dass eine sichere quantitative Leistungseinstufung nicht abgegeben werden könne, sowie mit Dr. H. das mit Sicherheit vorhandene schwere psychische Funktionsstörungen jetzt nicht erfasst werden könnten. Neben den persönlichkeitsbedingten Darstellungen sei bei der jetzigen Begutachtung davon abgrenzbar eine deutliche aggravatorische Beschwerdeherausstellung und eine Simulationstendenz zu erkennen gewesen. Bei der körperlichen Untersuchung habe die Klägerin Auffälligkeiten, beispielsweise der feinmotorischen Geschicklichkeit der Hände oder bei den Zeigeversuchen, die letztlich jedoch als unauffällig einzustufen gewesen seien, demonstriert. Auf alle Fragen sei ein fortgesetzter Bericht von neuen Klagen, jeweils vorgetragen in Superlativen und mit Generalisierungen, erfolgt. Die gesamte Beschwerdedarstellung und -beschreibung sei vage und ungenau geblieben und habe auf Nachfragen dann korrigiert werden oder auf Nachfragen nicht beantwortet werden können, sondern es sei mit weiteren Beschwerden geantwortet worden. Auch habe die Klägerin deutlich den Versuch gestartet, Denk- und Gedächtnisstörungen vorzutäuschen. Es sei ein ständiger Gegensatz zwischen den verbalen Angaben (von Schmerzen, Konzentrationsstörungen, stark depressiver Stimmung, völliger Antriebslosigkeit) und der Beobachtung und Beurteilung während der gesamten Begutachtung erkennbar gewesen. Es bestünden, wie die Aktenanalyse zeige, unterschiedliche und schwankende Darstellungen von Beschwerden und Sachverhalten in unterschiedlichen Situationen (Kliniken, Gutachten). Bei der körperlichen Untersuchung habe die Klägerin plötzlich angeführt, sich schon häufig geschnitten und selbst verletzt zu haben, um etwas zu spüren. Als zunächst nichts zu sehen gewesen sei, habe sie auf die einzige, offensichtlich tiefgehende Schnittverletzungen über dem Ellenknochen eines Unterarms hingewiesen. Diese sei allerdings von Tiefe und Lokalisation an einer völlig untypischen Stelle gewesen, anders als es von Menschen mit Persönlichkeitsstörung mit Zügen oder Instabilität bekannt sei, die immer wieder zu selbst Verletzungen neigen. Es sei weiter nicht klar, weshalb trotz der von der Klägerin herausgestellten starken Auffälligkeiten nie eine stationäre psychiatrische Krankenhausbehandlung in einer Klinik erfolgt sei, obwohl seit Jahren von Dr. B. von einem unverändert schwerkranken Bild ausgegangen werde.
Auf Anregung des Sachverständigen Dr. St. veranlasste das SG eine Untersuchung und Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Bos ... Dieser führte in seinem Gutachten vom 13. Juli 2013 aus, die Klägerin leide an einem chronischen degenerativen cervicalen Wirbelsäulensyndrom mit (teils ausgestalteter) Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der oberen Extremitäten, einem chronischen pseudoradikulären thoracolumbalen Wirbelsäulensyndrom mit mäßiger Funktionsbehinderung der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der unteren Extremitäten (bei Missbildungsskoliose und Rundrückenhaltung sowie muskulärer Dysbalance der Wirbelsäule und des Rumpfes), einer schmerzhaften Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes bei Omarthrose und ACG-Arthrose, einer Handgelenksarthralgie beidseits ohne Funktionsbehinderung bei initialer Handwurzelarthrose beidseits, einer funktionellen Coxalgie links ohne Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke, einer funktionellen Gonalgie beidseits ohne Bewegungseinschränkung und ohne chronisch synoviale Reizerscheinungen der Kniegelenke sowie einer Senkspreizfuß-Deformität beidseits ohne Funktionsbehinderung der Füße. Fachfremd stellte er eine Adipositas, eine arterielle Hypertonie, einen Diabetes mellitus, ein Asthma bronchiale, eine rezidivierende depressive Störung, ein Restless-legs-Syndrom, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, ein Lipom am Rücken (ohne funktionelle Bedeutung) sowie einen Zustand nach Sectio caesarea und Tonsillektomie fest. Nach Auffassung des Sachverständigen sind danach Arbeiten nicht mehr leidensgerecht, die mit Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 7-8 kg ohne mechanische Hilfsmittel, in gebückter, vornüber gebeugter oder sonstiger Zwangshaltung des Achsorgans sowie mit Überkopftätigkeiten verbunden sind. Vermeiden sollte die Klägerin ebenfalls Arbeiten über horizontalem Schulterniveau, solche unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, Arbeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in kniender oder hockender Stellung. Überwiegend oder ausschließlich stehende und/oder gehende Tätigkeiten sowie Arbeiten auf unebenem Untergrund und Arbeiten mit häufiger oder ständiger Exposition von Kälte, Nässe und/oder Zugluft sowie Arbeiten an gefährdenden Maschinen, Arbeiten unter hoher Stressbelastung und hohem Zeitdruck sowie solche mit besonderer Verantwortung und besonderer geistiger Beanspruchung seien ebenfalls nicht mehr leidensgerecht. Sämtliche darüber hinausgehenden leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, überwiegend im Wechselrhythmus von Sitzen, Stehen und Gehen, vorzugsweise in geschlossenen temperierten Räumen, vorzugsweise in Tagschicht, seien hingegen noch mit dem vorhandenen Restleistungsvermögen vereinbar. Die Klägerin könne eine Tätigkeit als Arbeiterin wie auch eine solche als Kassiererin auch künftig ausüben, sofern die dargelegten qualitativen Leistungseinschränkungen adäquat umgesetzt würden. Der Klägerin sei es unter Beachtung dieser Einschränkungen möglich, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr pro Tag bei fünf Tagen in der Woche auszuüben.
Mit Gerichtsbescheid vom 8. April 2014 wies das SG die Klage ab. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente über den 30. Juni 2010 hinaus nicht zu. Sie sei zumindest seit 1. Juli 2010 in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den unter Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Das SG stützte sich hierbei insbesondere auf die von Dr. W., Dr. St. und Dr. Bos. erstatteten Gutachten im Gerichtsverfahren sowie das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten des Dr. H ... Ebenso habe es (das SG) sich nicht davon überzeugen können, dass die Auswirkung der Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet zu einer quantitativen Leistungsbeeinträchtigung führen. Weder aus dem Gutachten des Dr. Bos. noch aus den Gutachten des Dr. W. und des Dr. St. hätten sich insoweit schwerwiegende Bewegungseinschränkungen ergeben, die zu einer Minderung des quantitativen Leistungsvermögens führen könnten. Den gegenteiligen Ausführungen der die Klägerin behandelnden Ärzte vermochte sich das SG nicht anzuschließen. Diese hätten keine nachvollziehbare Begründung für die von ihnen abgegebene Leistungseinschränkung dargestellt. Der Klägerin stehe auch kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu. Nach den überzeugenden Ausführungen aller gehörten Gutachter sei sie noch in der Lage, den genannten den Beruf als Fabrikarbeiterin mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben.
Gegen den am 10. April 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16. April 2014 Berufung beim Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Auffassung des Sachverständigen Dr. St. stehe in diametralem Gegensatz zu den Erkenntnissen, die aus dem Entlassungsbericht des Arztes für Innere Medizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. M., P.-Klinik S., vom 2. Mai 2013 über die stationäre Behandlung vom 15. Januar bis 19. Februar 2013 zu entnehmen seien. Während Dr. St. im Zeitpunkt der Begutachtung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass bei ihr keine depressive Episode bestanden habe, gehe Dr. M. noch im Entlassungsbericht von einer schwer ausgeprägten rezidivierenden depressiven Störung sowie einer Zwangsstörung, vorwiegend in Form von Zwangshandlungen und einer generalisierten Angststörung aus. Dieses Ergebnis werde durch das (vorgelegte) nervenfachärztliche Gutachten von Prof. Dr. Wi. vom 17. Januar 2014 bestätigt, das im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) eingeholt wurde.
Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 8. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 30. Juni 2010 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest. Sie beruft sich auf die Ausführungen der Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. D. vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten vom 27. August 2014, wonach auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren neu vorgelegten medizinischen Informationen weiterhin von einem mindestens sechsstündigen quantitativen Leistungsvermögen der Klägerin für leidensgerechte Tätigkeiten auszugehen sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. Bi. (siehe unten), der auch in seinem Fachgutachten keine ausreichenden medizinischen Belege dafür liefere, dass eine höhergradige psychische Funktionsstörung der Klägerin als so gesichert festgestellt werden könne, dass eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zu beschreiben wäre (Stellungnahme der Dr. D. vom 24. April 2015).
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-schmerzpsychologischen Sachverständigengutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag der Klägerin bei Prof. Dr. Bi ... Dieser führt in seinem Gutachten vom 17. März 2015 aus, die Klägerin leide auf psychiatrischem Fachgebiet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit histrionischen, ängstlich-abhängigen Zügen, phasenweise dekompensiert sowie einer komplexen Traumafolgestörung im Sinne einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung. Hieraus resultiere eine rezidivierende depressive Störung (mittelschwer bis schwergradig) ohne psychotische Symptome. Auf orthopädischem Gebiet liege ein Supraspinatussyndrom links sowie eine angeborene Skoliose und hieraus folgend ein chronifiziertes Schmerzsyndrom nach Gebershagen Stadium 2 in Verbindung mit Cervicobrachialgien und Kombinationskopfschmerz vor. Neurologischerseits leide die Klägerin an einem Restless-legs-Syndrom (mittelschwer bis schwer). Auf internistischem Fachgebiet bestehe ein Schlaf-Apnoe-Syndrom (versorgt mit Sauerstoffmaske nachts), ein Asthma bronchiale, eine Schilddrüsenfunktionsstörungen, eine Hyperurikämie, eine Varicosis sowie eine Adipositas bei Diabetes mellitus Typ 2 ergänzend mit Nierenkomplikation. Die Klägerin solle Tätigkeiten, die mit häufigem Bücken, langem Stehen, Heben und Tragen von Lasten ohne Hilfsmittel, Überkopfarbeit und anhaltender einseitiger Körperhaltung verbunden sind, vermeiden. Aus psychiatrischer Sicht seien Publikumsverkehr, Arbeiten mit hoher konzentrativer Anforderung sowie schwere und mittelschwere Arbeiten ausgeschlossen. Genüge man diesen qualitativen Leistungseinschränkungen, seien der Klägerin noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt maximal halbschichtig zumutbar.
In der Zeit vom 13. Juli bis 9. August 2015 hat sich die Klägerin anlässlich einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Dr. F. D. in B. aufgehalten. Chefarzt der Psychosomatik und Facharzt für psychosomatische Medizin Fr. hat in seinem Arztbrief vom 12. August 2015 ausgeführt, die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode), einer nicht näher bezeichneten Angststörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, einer sozialen Phobie, einer Zwangsstörung (vorwiegend Zwangshandlungen) vor dem Hintergrund aktueller ehelicher und familiärer Belastungen sowie kindlicher Traumatisierung, einem Restless-legs-Syndrom, einem Übergewicht, dem schädlichen Gebrauch von Nikotin, einem Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung sowie einem Verdacht auf ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Bei konservativer Therapie der ausgeprägten Skoliose zeige sich eine rückläufige Symptomatik. Ferner bestehe ein Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit Ausstrahlung in die rechte Schulter sowie in die Hüfte rechts und links, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, ein Asthma bronchiale sowie ein Diabetes mellitus Typ 2. Des Weiteren bestehe ein Verdacht auf Fibromyalgie, eine beginnende Omarthrose rechts sowie eine beginnende Coxarthrose rechts. Im Ergebnis werde nicht damit gerechnet, dass die Klägerin innerhalb der nächsten sechs Monate ihre volle Belastbarkeit wiedergewinnen könne. Aus psychischer Sicht bestehe für den allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund der genannten Einschränkungen eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden, selbst für einfache Tätigkeiten mit hohem Routineanteil. Aus somatischer Sicht sei die Klägerin in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen auszuüben.
Anschließend hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens beim Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie Prof. Dr. Sch ... In seinem Gutachten vom 30. November 2015 führt er aus, die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden und emotional-instabilen Anteilen. Ferner bestehe der Verdacht auf Zwangsstörung mit im Vordergrund stehenden Zwangshandlungen, ein obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms sowie eines Restless-legs-Syndrom. Berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhten psychovegetativen Belastungen einhergingen, seien nicht mehr leidensgerecht. Somit schieden für die Klägerin Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck oder mit unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) aus. Auch Tätigkeiten mit anhaltend hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen, etwa Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, Tätigkeiten mit Kontrollfunktionen und der Notwendigkeit des sofortigen Eingreifens, Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Personen oder Sachwerte seien vor diesem Hintergrund auszuschließen. Eine entsprechende Überforderung würde mit dem erheblichen Risiko einer Verstärkung der depressiven Symptomatik einhergehen. Aufgrund der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bestehe eine erhöhte Disposition und Entwicklung von Schmerzzuständen. Dies reduziere die Möglichkeit, körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Arbeiten abzuleisten. Möglich seien hingegen anhaltend leichte und vorübergehend mittelschwere Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten bis maximal etwa 10 kg. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung der Klägerin seien ihre sozialen Kompetenzen reduziert. Berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhtem Risiko konfliktbehafteter sozialer Interaktionen einhergingen - etwa unmittelbarer Publikumskontakt - seien vor diesem Hintergrund auszuschließen. Insgesamt sei das Ausdauerleistungsvermögen jedoch nicht relevant beeinträchtigt. Die Klägerin sei in der Lage, berufliche Tätigkeiten, die den genannten qualitativen Leistungsdefiziten Rechnung tragen, im vollschichtigen Umfang, d.h. bis zu acht Stunden an fünf Tagen pro Woche, abzuleisten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Die Klägerin hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, denn die Klägerin begehrt Leistungen für mehr als ein Jahr (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit über den 30. Juni 2010 hinaus.
a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
b) Nach diesen Maßstäben vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Klägerin über den 30. Juni 2010 hinaus voll oder teilweise erwerbsgemindert, weil sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nicht mehr verrichten kann (dazu unter aa). Dies gilt auch mit Blick auf § 240 SGB VI (dazu unter bb).
aa) Aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vor dem SG sowie im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zwar zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vorliegen, die ihre berufliche Leistungsfähigkeit in qualitativer Hinsicht mindern. Der Senat vermochte sich aber nicht davon zu überzeugen, dass diese auch ihre berufliche Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht insoweit mindern, dass die Klägerin über den 30. Juni 2010 hinaus zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich nicht verrichten kann ...
(1) Bei der Klägerin liegen im Wesentlichen gesundheitliche Beeinträchtigungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Die Klägerin leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden und emotional-instabilen Anteilen. Ferner besteht der "Verdacht auf Zwangsstörung mit im Vordergrund stehenden Zwangshandlungen". Dies stellte zuletzt der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Sch. fest. Eine noch von Arzt Fr. während der stationär-psychosomatischen Rehabilitation im Sommer 2015 diagnostizierte mittelgradige depressive Episode konnte Prof. Dr. Sch. demgegenüber nicht mehr feststellen. Gleiches gilt für die noch von Arzt Fr. diagnostizierte Zwangsstörung (vorwiegend Zwangshandlung). Insoweit gab die Klägerin bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Sch. an, dass sie sich pro Tag mindestens sechs Stunden dem Zwangsverhalten widme (Körperreinigung, Duschen, Zähneputzen). Die Angabe eines seit dem jungen Erwachsenenalter bestehenden und in den zurückliegenden Jahren extrem hoch ausgeprägten Zwangsverhaltens steht jedoch nicht im Einklang mit den aktenkundigen Befunden, wie Prof. Dr. Sch. in seinem Gutachten darlegte. In den nach 2006 folgenden stationären und ambulanten Behandlungsberichten bzw. Begutachtungen wurde eine Zwangssymptomatik als Beschwerdeangabe teilweise dokumentiert, auf Verhaltensebene jedoch nicht als Beobachtungstatsache festgestellt. So finden sich im Bericht des Dr. Kr. vom 9. November 2011 über die stationär-psychosomatische Behandlung vom Sommer 2011 (Bl. 76 ff. SG-Akte) weder in Bezug auf Beschwerden noch hinsichtlich der Befunde, Diagnosen und Behandlungen irgendein Bezug auf eine Zwangssymptomatik. Auch bei Begutachtung durch Dr. W. im Dezember 2011 findet sich die Bemerkung der Klägerin, vom Zwang her sei eine Besserung zu verzeichnen, da sie nicht mehr jeden Tag dusche, und es einfach vergesse. Auch im Rahmen der stationär-psychosomatischen Behandlung in der Klinik S. vom Winter 2013 (Bericht des Dr. M. vom 2. Mai 2013) beschrieb die Klägerin einen Zähl- und Reinigungszwang, der jedoch wiederum auf Befundebene nicht gespiegelt wird. Auch wurden spezifische Therapiemaßnahmen zur Minderung eines entsprechenden Zwangsverhaltens nicht eingeleitet. Im Rahmen der Begutachtung des Dr. St. im April 2013 führt dieser aus, die Klägerin habe lediglich am Rande eine Zwangssymptomatik erwähnt, ohne dass ein sonderlicher Leidensdruck spürbar gewesen sei. Konsequenterweise konnte in diesem Gutachten eine Zwangsstörung nicht diagnostiziert werden. Die von Prof. Dr. Wi. vorgenommene diagnostische Einschätzung einer Zwangsstörung, vorwiegend Zwangshandlung, beruhte ausschließlich auf eigenanamnestischen Angaben der Klägerin. Auch Prof. Dr. Bi. ging nicht vom Vorliegen einer Zwangsstörung aus. Zudem führte Prof. Dr. Sch. nachvollziehbar aus, dass das von der Klägerin geschilderte Reinigungsverfahren in der Begutachtungssituation nicht habe beobachtet werden können. Als ganz zwangsuntypische Verhaltensweise sei ein völlig unbefangener Umfang mit einer auf den Boden gefallenen Haarspange zu beobachten gewesen, die die Klägerin am Ende der körperlich-neurologischen Untersuchung ohne spezifisches Reinigungsverfahren umstandslos wieder in ihr Haar gesteckt habe. Auch kann die von Prof. Dr. Bi. diagnostizierte und mit ICD 10 F 62.0 kodierte anhaltende Persönlichkeitsstörung nach extremen Belastungen nicht bestätigt werden, da es an den im ICD 10 definierten erforderlichen Eingangskriterien hierfür fehlt. Zudem waren Belastungen in der Entwicklung der Primärpersönlichkeit bei der Exploration durch Prof. Dr. Sch. nicht zu erarbeiten. Auch die noch von Prof. Dr. Wi. diagnostizierte rezidivierende depressive Stimmung, aktuell mittelgradige depressive Episode, ist nicht nachvollziehbar, da im Rahmen der Befundung vermerkt wird, dass die Befunde zur Affektivität, formalem Gedankengang, kognitiven Funktionen und Antrieb nicht die Feststellung einer wesentlich ausgeprägten depressiven Störung stützen.
Orthopädischerseits leidet die Klägerin an einem chronischen degenerativen cervicalen Wirbelsäulensyndrom mit (teils ausgestalteter) Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der oberen Extremitäten, einem chronischen pseudoradikulären thoracolumbalen Wirbelsäulensyndrom mit mäßiger Funktionsbehinderung der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der unteren Extremitäten (bei Missbildungsskoliose und Rundrückenhaltung sowie muskulärer Dysbalance der Wirbelsäule und des Rumpfes), einer schmerzhaften Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes bei Omarthrose und ACG-Arthrose, einer Handgelenksarthralgie beidseits ohne Funktionsbehinderung bei initialer Handwurzelarthrose beidseits, einer funktionellen Coxalgie links ohne Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke, einer funktionellen Gonalgie beidseits ohne Bewegungseinschränkung und ohne chronisch synoviale Reizerscheinungen der Kniegelenke sowie einer Senkspreizfuß-Deformität beidseits ohne Funktionsbehinderung der Füße. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Bos. und der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. A ...
Jenseits des orthopädischen Fachgebiets leidet die Klägerin auf neurologischem Fachgebiet an einem Restless-legs-Syndrom. Insofern stützt der Senat seine Überzeugung auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. H., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B –juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R –juris, Rn. 51) sowie die Gutachten des Dr. W., des Dr. St., des Dr. Bos., der Prof. Dr. Wi. und des Prof. Dr. Sch ...
Auf internistischem Gebiet besteht bei der Klägerin ein Schlaf-Apnoe-Syndrom (versorgt mit Sauerstoffmaske nachts), ein Asthma bronchiale, eine serielle Hypertonie, eine Adipositas bei Diabetes mellitus Typ 2 sowie ein Zustand nach Tonsillektomie. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. Bos ...
(2) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht mindern.
Die Gesundheitsstörungen bewirken, dass berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhten psychovegetativen Belastungen einhergehen, nicht mehr leidensgerecht sind. Somit scheiden für die Klägerin Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck oder mit unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) aus. Auch Tätigkeiten mit anhaltend hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen, etwa Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, Tätigkeiten mit Kontrollfunktionen und der Notwendigkeit des sofortigen Eingreifens, Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Personen oder Sachwerte sind vor diesem Hintergrund auszuschließen. Eine entsprechende Überforderung würde mit dem erheblichen Risiko einer Verstärkung der depressiven Symptomatik einhergehen. Aufgrund der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung besteht eine erhöhte Disposition und Entwicklung von Schmerzzuständen. Dies reduziert die Möglichkeit, körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Arbeiten abzuleisten. Berufliche Tätigkeiten, die mit erhöhtem Risiko konfliktbehafteter sozialer Interaktionen einhergehen - etwa unmittelbarer Publikumskontakt - sind auszuschließen. Möglich sind hingegen anhaltend leichte und vorübergehend mittelschwere Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten bis maximal etwa 10 kg. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung der Klägerin sind ihre sozialen Kompetenzen reduziert. Dies folgt für den Senat aus dem zuletzt eingeholten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sch., dem des Dr. H., des Dr. W. und des Dr. St ...
(3) Im Hinblick auf die überzeugende Leistungsbeurteilung des bei der Klägerin vorhandenen Restleistungsvermögens des im Berufungsverfahren tätigen Sachverständigen Prof. Dr. Sch., die mit derjenigen der im Verwaltungs- und SG-Verfahren tätigen Sachverständigen Dr. H., Dr. St. und Dr. Bos. übereinstimmt, vermag der Senat eine Leistungsminderung in quantitativer Hinsicht nicht festzustellen, weil er sich nicht davon überzeugen kann, dass die Klägerin über den 30. Juni 2010 hinaus nicht in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der folgenden Leistungseinschränkungen sechs und mehr Stunden täglich auszuüben. Die schriftlichen Zeugenaussagen des Dr. B., des Dr. Bu. und des Dr. A. sowie die Beurteilung des Prof. Dr. Bi. können nicht überzeugen. Letztere hatten der Klägerin ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen attestiert, ohne hierfür eine nachvollziehbare Begründung zu liefern.
Zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin bei den Begutachtungen durch Dr. H., Dr. W., Dr. St., Dr. Bos. und Prof. Dr. Sch. durch demonstriertes Verhalten aufgefallen ist. So führte Dr. H. einen SFSS-Test durch. Hierbei handelt es sich um einen Selbsteinschätzungsfragebogen, der eine leicht handhabbare Screening-Methode zur Erfassung von Simulation und einer Vielzahl simulierter Symptome darstellt. Der Gesamt-SFSS-Score, der besonders aussagekräftig im Hinblick auf eine negative Antwort Verzerrung ist, war mit 37 sehr deutlich erhöht und liefert damit einen Hinweis auf nicht-authentisches Verhalten. Ähnliche Verhaltensweisen schildert auch der Sachverständige Dr. W ... Im Untersuchungsgespräch imponierte eine deutliche Diskrepanz zwischen geschilderter Schmerzstärke und Verhalten während der Untersuchung; auffällig waren insoweit auch bei ihm die Ergebnisse insbesondere im SFSS-Test. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konnte er nicht ausschließen, dass das Ausmaß der geklagten Beeinträchtigungen deutlicher geringer war als von der Klägerin bei der Untersuchung geschildert. Deshalb hielt er eine gegebenenfalls mehrwöchige stationäre Heilbehandlung mit zusätzlicher Belastungserprobung für sinnvoll, die die Klägerin jedoch ablehnte. Die Klägerin zeigte auch bei der Begutachtung durch Dr. St. deutlich abgrenzbar von den persönlichkeitsbedingten Darstellungen eine deutliche aggravatorische Beschwerdeherausstellung und eine Simulationstendenz. Bei der körperlichen Untersuchung hat die Klägerin Auffälligkeiten bei der feinmotorischen Geschicklichkeit der Hände oder bei den Zeigeversuchen demonstriert. Auch hat die Klägerin deutlich den Versuch der Vortäuschung von Denk- und Gedächtnisstörungen gestartet. Bei der körperlichen Untersuchung hat die Klägerin plötzlich angeführt, sich schon häufig geschnitten und selbst verletzt zu haben, um etwas zu spüren und dann, als zunächst nichts zu sehen gewesen sei, auf die einzige, offensichtlich tiefgehende Schnittverletzung über dem Ellenknochen eines Unterarms, von Tiefe und Lokalisation an einer völlig untypischen Stelle gezeigt. Schließlich hat Prof. Dr. Sch. ein weiteres Beschwerdevalidierungsverfahren, den WMT (Word Memory Test), eingesetzt. Es handelt sich hierbei um eines der weltweit am besten untersuchten Verfahren zur Messung von Anstrengungsleistung in Untersuchungssituationen mit hohen Sensitivitäts- und Spezifitätswerten. Weiterhin gestattet der WMT - unter Voraussetzung einer uneingeschränkten Leistungsmotivation - eine gleichzeitige Diagnostik von Gedächtnisfunktionen. In einer PC-gestützten Testversion wurde der Klägerin eine nur vordergründig schwierige Lernaufgabe (Wortpaare) gestellt. Die Lernleistung wurde anschließend in unterschiedlichen Aufgabenstellungen abgerufen. Die Werte in den Untertests zur Messung der Anstrengungsbereitschaft waren massiv auffällig. Die hier gezeigten Leistungen lagen weit unter denen kooperationswilliger Probanden oder von mittelgradig bis schwer hirnverletzten Probanden. Das von der Klägerin erzielte Ergebnis lag auf dem Niveau, welches sie auch bei rein zufälligem Antwortverhalten - also ohne mentale Anstrengungsleistung überhaupt - hätte erzielen können.
(3) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R –juris, Rn. 31). Wie zuvor dargelegt, vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Klägerin eine solche Tätigkeit seit 1. Juli 2010 nicht verrichten kann.
(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe, auch zum Folgenden: Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Dies ist hier nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar – wie dargelegt – einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R –, in juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
(5) Auch ist die Wegefähigkeit der Klägerin gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R –juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R –juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Keiner der medizinischen Sachverständigen hat Befunde erhoben, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen. Auch hat die Klägerin dies nicht behauptet.
bb) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben nach § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 61 RV-Altergrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderer Anforderung ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Bisheriger Beruf im Sinne des § 240 SGB VI ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (z. B. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 –juris, Rn. 16; Urteil vom 18. Februar 1998 – B 5 RJ 34/97 R –juris, Rn. 13; Urteil vom 20. Juli 2005 – B 13 RJ 19/04 R –juris, Rn. 16). Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 –juris, Rn. 17 ff.; Urteil vom 25. Juli 2001 – B 8 KN 14/00 R –juris, Rn. 15) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Entsprechend diesem so genannten Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe durch Gruppen mit den Leitberufen des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert. Innerhalb der Gruppe der angelernten Arbeiter differenziert das BSG nochmals hinsichtlich der Versicherten, die der oberen und unteren Gruppe der Angelernten angehören. Dem unteren Bereich sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen, auch betrieblichen Ausbildungs- und Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten zuzuordnen (BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 –juris, Rn. 20). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d. h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an. Eine Verweisung kann nur auf einen Beruf derselben qualitativen Stufe oder der nächst niedrigeren erfolgen (BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 5/04 R –juris, Rn. 33 f.).
Die von der Klägerin zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Hilfsarbeiterin war keine Tätigkeit, die eine Anlern- oder Ausbildungszeit von mehr als zwölf Monaten voraussetzte. Gegenteiliges hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt behauptet und die vorliegenden Akten geben hierfür keine Anhaltspunkte.
Da die Klägerin allenfalls zum unteren Bereich der angelernten Arbeiter gehört, kann sie grundsätzlich auf alle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommenden Tätigkeiten verwiesen werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in diesen Fällen regelmäßig nicht erforderlich, weil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung steht, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (z.B. BSG, Urteil vom 14. September 1995 – 5 RJ 50/94 –juris, Rn. 18; vgl. auch Beschluss des Senats vom 10. Oktober 2014 – L 4 R 3169/12 – nicht veröffentlicht).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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