Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
16
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 16 KA 292/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Die Unkenntnis darüber, dass bei künftiger, erneuter Überschreitung einer Richtgröße keine (weitere) individuelle Beratung festgesetzt werden wird, sondern das Risiko eines finanziellen Regresses im Falle der Richtgrößenüberschreitung droht, stellt keinen Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB, sondern – weil lediglich mittelbare Rechtsfolge – einen unbeachtlichen Motivirrtum dar.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger seine Zustimmung zur gütlichen Einigung mit dem Beklagten zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens wirksam angefochten hat. Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin in A-Stadt niedergelassen.
Unter dem Datum des 29.09.2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der arztbezogenen Richtgrößenprüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der verordneten Leistungen von Heilmitteln für das Jahr 2008 mit. Beim Kläger liege eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens vor. Sie forderte den Kläger zur substantiierten Stellungnahme auf.
Mit Schreiben vom 14.10.2010 nahm der Kläger hierzu Stellung. Hinsichtlich dessen Inhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 11-13) verwiesen.
Mit Bescheid vom 21.12.2010 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgröße 2008 einen Regress in Höhe von 10.192,74 Euro fest. Hinsichtlich der Begründung des Bescheids wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 60-64) verwiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 29.12.2010 Widerspruch, den er mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei der Prüfungsstelle am 22.03.2011, begründete. Hinsichtlich des Inhalts der Begründung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 70-71) verwiesen.
Unter dem Datum des 09.09.2011 hatte die Prüfungsstelle dem Kläger mittlerweile die Eröffnung eines Verfahrens der arztbezogenen Richtgrößenprüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der verordneten Leistungen von Heilmitteln, nun für das Jahr 2009 mitgeteilt (Bl. 94 – 109 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 16.12.2011 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgröße 2009 einen Regress in Höhe von 7.748,59 Euro fest. Hinsichtlich der Begründung des Bescheids wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 126-129) verwiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 21.12.2011 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 09.02.2012 begründete. Hinsichtlich des Inhalts der Begründung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 133-135) verwiesen.
Mit Schreiben vom 28.03.2013 wies der Beklagte den Kläger auf die Neufassung des § 106 Abs. 5e SGB V hin und bot eine einvernehmliche Regelung betreffend beider Prüfungsjahre, also 2008 und 2009, an. Wörtlich lautet das Schreiben nach dem Briefkopf (Hervorhebungen, Einrückungen etc. aus Original übernommen):
"Betreff: Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009
Sehr geehrter Herr Dr. A.,
zum 01.01.2012 wurde dem Grundsatz "Beratung vor Regress" im Sozialgesetzbuch V (SGB V) ausdrücklich der Vorrang vor der Festsetzung eines Heilmittelregresses eingeräumt. Im Rahmen von Richtgrößenprüfungen ist seitdem grundsätzlich eine individuelle Beratung durchzuführen bevor ein Regress festgesetzt werden kann. In § 106 Abs. 5e SGB V heißt es dazu nunmehr:
"Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden."
Die ursprünglich offene Frage, ob der Grundsatz "Beratung vor Regress" auch rückwirkend anwendbar ist, hat der parlamentarische Gesetzgeber inzwischen geklärt. Mit Wirkung zum 26.10.2012 wurde § 106 Abs. 5e SGB V um einen Satz 7 ergänzt. Danach ist der Grundsatz "Beratung vor Regress" auch auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31. Dezember 2011 vor dem Beschwerdeausschuss noch nicht abgeschlossen waren.
Der Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Hessen prüft aufgrund der veränderten Rechtslage, bei welchen der anhängigen Widerspruchsverfahren die oben zitierte Regelung einschlägig ist. In Ihrem Fall sind die Verfahren der Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009 von der gesetzlichen Neuregelung betroffen.
Im Sinne einer zeitnahen und verwaltungsökonomischen Beendigung der anhängigen Verfahren unterbreitet Ihnen der Beschwerdeausschuss den in der Anlage beigefügten Vorschlag zu einer einvernehmlichen Regelung dieses Verfahrens. Diese vom Beschwerdeausschuss vorgeschlagene Regelung sieht eine ausdrückliche Aufhebung des in der ersten Verwaltungsinstanz festgesetzten Regresses gegen Durchführung einer individuellen Beratung i. S. v. § 106 Abs. 5e SGB V vor Konkret ergeben sich beim Zustandekommen dieser Regelung für Sie folgende Konsequenzen:
1. Es bedarf keiner weiteren Begründungen Ihrer Widersprüche mehr; auch eine persönliche Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss ist nicht mehr erforderlich.
2. Die anhängigen Verfahren werden durch den Vergleich ohne Verhandlung vor dem Beschwerdeausschuss beendet. Die festgesetzten Regresse werden in eine individuelle Beratung umgewandelt.
3. Die Prüfungsstelle vereinbart sodann zu einem späteren Zeitpunkt einen Termin mit Ihnen für eine solche individuelle Beratung.
4. Erst bei erneuter erheblicher Überschreitung (Überschreitung des Richtgrößenvolumen nach Anerkennung von Praxisbesonderheiten um + 25%) kann dann erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung wieder ein Regress ausgesprochen werden (vgl. § 106 Abs. 5e S. 7 SGB V). Da die Beratung voraussichtlich im Jahr 2013 durchgeführt wird und die Richtgrößenprüfung eine Jahresprüfung ist, wäre die Festsetzung eines Regresses erstmals für den Prüfzeitraum des Jahres 2014, welcher im Jahr 2016 von der Prüfungsstelle geprüft wird, möglich. Für die noch nicht von der Prüfungsstelle geprüften Prüfzeiträume der Jahre 2011 - 2013 scheidet die Festsetzung eines Regresses im Falle des Zustandekommens dieser einvernehmlichen Regelung aus.
Im Hinblick auf die große Anzahl an Widerspruchsverfahren, die im Interesse aller Beteiligten zeitnah abgearbeitet werden sollen, erbitten wir Ihre Antwort bis zum 24.04.2013.
Bei Fragen zum Angebot können Sie sich gerne an Herrn C. wenden.
Mit freundlichen Grüßen D.
Daraufhin unterzeichnete der Kläger am 02.04.2013 (Bl. 78 der Verwaltungsakte) die Vereinbarung, die im Wortlaut lautet:
"1. Die Bescheide der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen - Kammer Nord - vom 21.12.2010 (Az.: BA 139/2012 für 2008) und vom 16.12.2011 (Az ... BA 175/2012 für 2009) werden dahingehend abgeändert, dass anstelle der Regresse eine individuelle Beratung i. S. v. § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V festgesetzt wird.
2. Von einer Erstattung evtl. anfallender Kosten wird abgesehen.
3. Damit haben die vorliegenden Verfahren ihre Erledigung gefunden."
Mit Schreiben vom 14.04.2013, eingegangen bei dem Beklagten am 23.04.2013, teilte der Kläger zum Betreff "Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009" wörtlich mit: "aus gegebenem Anlass ziehe ich mein Einverständnis mit der vom Beschwerdeausschuss vorgeschlagenen Regelung, die meine o.g. Verfahren betreffen, zurück.". Das Schreiben trägt seine Unterschrift.
Mit Schreiben vom 10.12.2013 meldete sich der Bevollmächtigte des Klägers beim Beklagten und teilte mit, die unerwartete und plötzliche Möglichkeit, eine belastende, seit Jahren schwebende und wirtschaftlich bedrohliche rechtliche Auseinandersetzung zu beenden, habe in einer Sofortreaktion beim Kläger zu einer Einwilligung hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelung geführt. Bei dieser Regelung sei jedoch der Eindruck erweckt worden, als werde ein Angebot zum Abschluss einer gütlichen Einigung unterbreitet. Stattdessen handele es sich bei dem Vorschlag aber um eine maximale Maßnahme, die nach den geltenden Vorschriften, hier § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V, festgeschrieben sei. Insbesondere erhöhe sich hierdurch das künftige Risiko des Klägers, in einen Verordnungsregress zu geraten. Dies alles sei bei Abgabe der Erklärung durch den Kläger nicht bedacht worden. Insoweit komme vorliegend ein Irrtum über die Bedeutung und Tragweite der Erklärung in Betracht. Der Kläger meinte, seine Zustimmung sei auch ohne schuldhaftes Zögern angefochten worden. Er meint weiter, die Vergleichsregelung sei deshalb als von Anfang an nichtig zu betrachten.
Mit Bescheid vom 08.05.2014 auf den Beschluss vom 26.02.2014 hin stellte der Beklagte fest, dass die Verfahren um die Richtgrößenprüfungen-Heilmittel 2008 und 2009 durch die vom Kläger am 02.04.2013 abgegebene Einverständniserklärung zum Beschluss des Beklagten vom 20.03.2013 ihre Erledigung gefunden haben. Klarstellend hierzu stellte der Beklagte weiterhin fest, dass die Anfechtung der vom Kläger abgegebenen Einverständniserklärung unwirksam sei.
Zur Begründung führte er an, dass nach Erlass der Regressbescheide aufgrund geänderter Rechtslage Regresse bei einer erstmaligen Überschreitung des vorgegebenen Richtgrößenvolumens nicht mehr festgesetzt werden konnten, sondern anstelle eines Regresses nach § 106 Abs. 5e n.F. SGB V (nur noch) die Festsetzung einer individuellen Beratung in Betracht komme. Dies gelte auch für das vorliegende noch nicht abgeschlossene Verfahren, weswegen dem Kläger die einvernehmliche Regelung angeboten worden sei.
Mit dessen Annahme hätten die Verfahren um die Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009 ihre Beendigung gefunden. Die nachträgliche "Rücknahme" dieser Einverständniserklärung sei unwirksam. Es seien dieselben Kriterien anzuwenden, wie sie auch ansonsten für die Anfechtung öffentlich-rechtlicher Verträge gelten. Dabei sei davon auszugehen, dass die von Herrn Dr. A. abgegebene Erklärung eindeutig sei. Er habe ausdrücklich erklärt, mit der vom Beschwerdeausschuss vorgeschlagenen Regelung einverstanden zu sein. Diese Erklärung sei keiner weitergehenden Auslegung zugänglich.
Anfechtungsgründe im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB (Irrtum über wesentliche Eigenschaften), § 120 BGB (Übermittlungsirrtum) oder § 123 BGB (arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung) seien ersichtlich nicht gegeben, was näher erläutert wird. Hiergegen hat der Kläger am 06.06.2014 Klage erhoben.
Er meint, es liege ein sog. Inhaltsirrtum vor, weswegen die Anfechtung durchgreife. Zur Begründung wiederholt er sinngemäß seine Begründung aus dem Schreiben vom 10.12.2013 und ergänzt, erschwerend komme hinzu, dass das vorgesehene Beratungsverfahren für den Kläger keine exkulpierende Wirkung besitze, sondern mit einer Beschwer verbunden sei. Dieser gravierende Umstand sei dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht erkennbar gewesen.
Weiterhin führt näher dazu aus, dass die hier zugrunde liegenden Regresse rechtswidrig seien.
Der Beklagte setze den Rechtsschein, man könne "große Regresssummen" gegen kleine, ungefährliche Beratungssitzungen "eintauschen" [Anm.: Anführungszeichen vom Kläger übernommen].
Zum Zeitpunkt seiner Zustimmung zur individuellen Beratung sei der Kläger im Glauben gewesen, dass er auch im Beratungsverfahren eine plausible Darlegung der Überschreitung der Heilmittelverordnungen und der entsprechenden wirtschaftlichen Aspekte vorbringen könne, ohne das Risiko eines Regresses im Hintergrund fürchten zu müssen. Dass das Beratungsverfahren für den Kläger keine exkulpierende Wirkung habe, sei der Irrtum, dem er unterlegen sei. Die neue gesetzliche Regelung sei ihm nicht bewusst gewesen. Er habe also seiner Willenserklärung einen anderen Bedeutungsgehalt beigemessen. Er sei nämlich der Ansicht gewesen, dass auch in der individuellen Beratung eine Exkulpation seiner Person möglich sei, was aber nicht der Fall sei.
Auch weiterführende Informationen über negativ verlaufende Beratungsverfahren in anderen kassenärztlichen Vereinigungen seien dem Kläger erst später zur Kenntnis gelangt.
Bei Kenntnis der tatsächlichen Sachlage hätte er die Einverständniserklärung nicht abgegeben.
Im Übrigen habe auch niemand Kenntnis über den Ablauf und den Inhalt des Beratungsverfahrens gehabt, da es keinerlei Verfahrensbestimmungen oder Durchführungsanweisungen gegeben habe.
Der Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass im Rahmen der individuellen Beratung eine Prüfung seiner Praxisbesonderheiten nicht erfolgen werde. Mithin sei er der irrigen Ansicht gewesen, dass auch im Falle der Beratung seiner Praxisbesonderheiten im Hinblick auf die Überschreitung des rechtlosen Volumens überprüft würden. Da dies tatsächlich nicht der Fall sei, sei der Kläger einen Irrtum über die Rechtsfolgen erlegen. Die Erklärung des Klägers habe infolge der Verkennung der rechtlichen Bedeutung von der gewollten eine wesentlich verschiedene Rechtswirkung.
Ergänzend weist er darauf hin, dass nach seiner Auffassung der Wortlaut von § 106 Abs. 5 e SGB V unklar sei. Es werde nicht deutlich, ob der Satz 2 ausdrücklich auf Satz 1 Bezug nehme.
Der Kläger beantragt,
1. den Beschluss des Beklagten vom 26.02.2014 in Gestalt des Beschlusses/Bescheides des Beklagten vom 08.05.2014, zugestellt am 09.05.2014, aufzuheben und
2. festzustellen, dass die Einverständniserklärung des Klägers bezüglich der Regelung des Beklagten vom 20.03.2013 unwirksam ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf das Schreiben vom 28.03.2013, in dem der Gesetzeswortlaut von § 106 Abs. 5 e SGB V zitiert worden sei. Aus dessen Wortlaut habe der Kläger entnehmen können, dass bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung erfolge. Auch habe er aus dem Gesetzeswortlaut schlussfolgern können, dass seine Einverständniserklärung zu einer individuellen Beratung zur Konsequenz habe, dass ein Erstattungsbetrag bei künftiger Überschreitung für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden könne. Schließlich sei die Konsequenz unter Punkt 4 in dem betreffenden Schreiben erläutert worden. Diese Formulierung lasse keine Auslegung zu, dass eine einvernehmliche Beendigung der Verfahren eine exkulpierende Wirkung habe könnte. Vielmehr seien die Rechtsfolgen der Einverständniserklärung für den Kläger eindeutig erkennbar gewesen.
Der Beklagte meint, eine Aufklärungspflichtverletzung könne ihm ebenso wenig wie die Verursachung eines Rechtsscheins vorgeworfen werden. Der Kläger habe sein Einverständnis irrtumsfrei abgegeben. Der Beklagte meint darüber hinaus, dass selbst bei einem unterstellten tatsächlichen Irrtum über die Konsequenzen der Einverständniserklärung nur ein unbeachtlicher Irrtum vorliege.
Auch die Annahme des Klägers, dass zum Zeitpunkt der Einverständniserklärung niemand Kenntnis über den Ablauf und den Inhalt des Beratungsverfahrens gehabt habe, sei fehlerhaft. Die Vertragspartner hätten in Anlage 6 zur Prüfvereinbarung gem. § 106 Abs. 3 SG V vom 12.06.2008 "Beratung gemäß § 24 Prüfvereinbarung" u.a. in § 2 Inhalte der Beratung und in § 4 Regelungen zur Durchführung von Beratungen gemäß § 106 Abs. 5 e SGB V vereinbart. Diese Anlage sei mit Wirkung zum 01.01.2013 in Kraft getreten.
Es sei auch nicht zutreffen, dass in der Beratung per se ein eine Beschwerde des Klägers liege. Zweck der Vorschrift sei der Schutz des Vertragsarztes und die Verhinderung von (wiederholten) Überschreitungen des jeweiligen Richtgrößenvolumens.
Der Vortrag des Klägers hinsichtlich des unklaren Wortlaut des der Gesetzesvorschrift von § 106 SGB V treffen nicht zu. Das Bundessozialgericht habe hier eine Klärung herbeigeführt.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind gem. Satz 2 der vorgenannten Vorschrift vorher gehört worden und haben ihr Einverständnis zum Erlass des Gerichtsbescheids ohne weitere Gelegenheit zur Stellungnahme erteilt.
Der Klägerantrag zu 1) war gem. § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass er die Aufhebung des Bescheids vom 08.05.2014 begehrt.
Seinem Wortlaut nach richtet er sich zwar sowohl gegen den Bescheid des Beklagten vom 08.05.2014 als auch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen vom 26.02.2014. Allerdings beschränkt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei Entscheidungen in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich auf den das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheid des Beschwerdeausschusses. Der Beschwerdeausschuss wird mit seiner Anrufung gemäß § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V für das weitere Prüfverfahren, ggf. auch für dessen Wiederholung nach einer erfolgreichen gerichtlichen Anfechtung, ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses, der abweichend von § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Fall der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird. Eine dennoch gegen diesen Bescheid erhobene Klage ist unzulässig (statt vieler: BSG, Urteil vom 19.06.1996, 6 RKa 40/95).
Vorliegend lässt sich aus dem gesamten Vorbringen im Verfahren, entgegen dem Wortlaut des Klageantrags, aber zweifellos erkennen, dass der Kläger sich tatsächlich auch ausschließlich gegen die Entscheidung des Beklagten, nämlich, dass das Verfahren seine Erledigung gefunden hat, wendet. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Diese Klage ist bezogen auf den – ausgelegten – Klageantrag zu 1) nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG und bezogen auf den Klageantrag zu 2) nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, auch ist das Sozialgericht Marburg zuständig.
Die Klage ist aber unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten, dass die betreffenden Richtgrößenprüfungsverfahren ihre Erledigung gefunden haben, ist § 106 Abs. 4a Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 5 und 6 SGB V.
Nach § 106 Abs. 4 Satz 1 bilden die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner bei der Kassenärztlichen Vereinigung oder bei einem der in Satz 5 genannten Landesverbände eine gemeinsame Prüfungsstelle und einen gemeinsamen Beschwerdeausschuss.
Nach Abs. 4a der genannten Vorschrift nehmen die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss ihre Aufgaben jeweils eigenverantwortlich wahr. Nach Abs. 5 Satz 3 der benannten Vorschrift können die betroffenen Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Krankenkasse, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen. Nach Anhängigkeit des Verfahrens beim Beschwerdeausschuss ist dieser auch allein dafür zuständig (BSG, Urteil vom 09.06.1999, B 6 KA 76/97 R). Nach Satz 5 und 6 sind für dieses Verfahren § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes anzuwenden, das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren im Sinne von § 78 SGG.
Nach alledem kommt dem Beschwerdeausschuss neben der Entscheidungskompetenz in den jeweiligen materiell-rechtlichen Fragen als Annexkompetenz zum einen auch die Berechtigung zu, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung des Verfahrens zu treffen. Zum anderen hat er die Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden, so etwa über die Zulässigkeit des jeweiligen Widerspruchs oder – wie vorliegend – die Feststellung zu treffen, dass ein Verfahren seine Erledigung gefunden hat.
Die vorliegende Feststellung des Beschwerdeausschusses ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Denn die das Verwaltungsverfahren beendende Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Kläger ist rechtswirksam und nicht durch die vom Kläger erhobene Anfechtung seiner Willenserklärung rückwirkend unwirksam geworden.
Es ist in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass die Grundsätze der Anfechtung nach § 119 BGB jedenfalls auf Erklärungen des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger und jedenfalls dann Anwendung finden, wenn – wie vorliegend – eine entsprechende öffentlich-rechtliche Regelung konzeptwidrig fehlt, mit der wirksam abgegebene verwaltungsrechtliche Willenserklärungen nachträglich mit "Rückwirkung" für unwirksam erklärt werden dürfen (vgl. statt vieler: BSG, Urteil vom 23.10.2003, B 4 RA 27/03 R), weswegen dahinstehen kann, ob es sich hierbei um unmittelbare Anwendung, entsprechende Anwendung oder Anwendung über Normverweisung handelt (hierzu auch BSG, Urteil vom 22.05.1974, 12 RJ 8/74). Es ist auch kein Grund ersichtlich, die Konstellation des Vertragsarztes, der kein Versicherter im o.g. Sinne ist, gegenüber dem Beklagten anders zu beurteilen. Entscheidend bei dieser Wertung ist nämlich, dass ein Bürger gegenüber der Verwaltung eine Erklärung abgibt.
§ 119 BGB lautet:
(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
Die allgemeine Definition eines Irrtums lautet auf ein unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung (vgl. etwa LG ZM., NJW-RR 1997, 1273 m.w.N.). Die vorgenannte Vorschrift kennt drei unterschiedliche Fälle des Irrtums, den Inhaltsirrtum sowie den Erklärungsirrtum (Abs. 1) und den Eigenschaftsirrtum (Abs. 2).
Der letzte Fall liegt ersichtlich nicht vor. Der Kläger irrt nicht über Eigenschaften einer Person oder einer Sache.
Auch ein Erklärungsirrtum ist nicht gegeben. Hierbei gibt der Erklärende seine Willenserklärung in einer Gestalt ab, in der er sie nicht abgeben wollte. Er unterliegt einem Irrtum in der äußeren (technischen) Erklärungshandlung; es missglückt ihm die praktische Umsetzung seines Erklärungswillens in eine diesen Willen zutreffend kundgebende Äußerung, indem er sich etwa verspricht, verschreibt oder vergreift (ständige Rspr., so schon das Reichsgericht, RGZ 66, 427, 428). Der Kläger aber hatte ein Erklärungsbewusstsein und wollte auch die Erklärung, die er abgab, abgegeben. Lediglich trägt er vor, über dessen Konsequenzen im Irrtum gewesen zu sein.
Damit meint er, einem Inhaltsirrtum, also dem ersten Fall von § 119 Abs. 1 BGB, unterlegen zu sein. Ein Inhaltsirrtum kann nur dann vorliegen, wenn sich der Erklärende zwar nicht darüber irrt, was er inhaltlich erklärt, dem Inhalt seiner konkret gewollten Erklärung aber (subjektiv) eine andere Bedeutung beimisst, als ihr tatsächlich (objektiv) zukommt, das heißt wenn der Wille und die Vorstellung des Erklärenden über das Erklärte und die rechtlich maßgebliche Bedeutung des Erklärten auseinander fallen (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 119 Rn. 30 unter Verweis auf BGH NJW-RR 2009, 630, 632; NJW 2008, 2442, 2443; NJW 1999, 2664, 2665 sowie Palandt/Ellenberger Rn 11). Darunter zu fassen ist auch der sogenannte Rechtsfolgenirrtum, der vorliegt, wenn das Rechtsgeschäft nicht die gewollte, sondern eine von ihr wesentlich abweichende andere Rechtsfolge nach sich zieht (OLG München NJW 2010, 687).
Bereits in der zivilrechtlichen Rechtsprechung wird aber differenziert zwischen den unmittelbaren und den mittelbaren Rechtsfolgen, die eine Willenserklärung erzeugt. Eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtum kommt lediglich bei unmittelbaren Rechtsfolgen, nicht aber bei den mittelbaren in Betracht (BGH NJW 2008, 2442, 2443; NJW 1995, 1484, 1485). Entfaltet ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Geschäft außer der erstrebten Rechtsfolge auch noch eine andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkung, liegt ein unbeachtlicher sog. Motivirrtum vor (BGH NJW 1997, 653).
Diesen Wertungen, also der Differenzierung zwischen unmittelbarer Rechtsfolge (Inhaltsirrtum) und mittelbarer Rechtsfolge (Motivirrtum) hat sich die sozialgerichtliche Rechtsprechung angeschlossen (BSG, Urteile vom 16.09.1998, B 11 AL 17/98 R, vom 16.11.1984, 8 RK 2/84, vom 22.03.1984, 11 RA 9/83, vom 16.12.1980, 11 RA 128/79, vom 19.06.1979 – 5 RJ 128/78, vom 22.05. 1974, 12 RJ 8/74 und vom 26.09.1972, 11 RA 232/71).
Vorliegend unterlag der Kläger, der übrigens die objektive Beweislast trägt, keinem Inhalts-, sondern einem unbeachtlichen Motivirrtum.
Er hat vorgetragen, Grund für die Abgabe der betreffenden Willenserklärung sei die unerwartete und plötzliche Möglichkeit, eine belastende, seit Jahren schwebende und wirtschaftlich bedrohliche rechtliche Auseinandersetzung zu beenden. Bei dieser Regelung sei der Eindruck erweckt worden, als werde ein Angebot zum Abschluss einer gütlichen Einigung unterbreitet. Stattdessen handele es sich bei dem Vorschlag aber um eine maximale Maßnahme, die nach den geltenden Vorschriften festgeschrieben sei. Insbesondere erhöhe sich hierdurch das künftige Risiko des Klägers, in einen Verordnungsregress zu geraten. Dies alles sei bei Abgabe der Erklärung durch den Kläger nicht bedacht worden.
Er räumt damit selber und ausdrücklich ein, mit der Abgabe der Willenserklärung die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Beklagten habe beenden zu wollen. Dies stellt den irrtumsfreien Inhalt und die unmittelbare Rechtsfolge seiner Willenserklärung dar. Die Erkenntnis, dass er aus verfahrenstaktischen Gründen mit der Nichtabgabe der Willenserklärung möglicherweise besser beraten gewesen wäre, weil keine nachteiligere Rechtsfolge bei Fortführung des Verfahrens hätte entstehen können, gleichwohl eine günstigere Rechtsfolge hypothetisch denkbar gewesen wäre, stellt ein Motiv zur Fortführung des Verfahrens dar und berechtigt nach den oben stehenden Erläuterungen nicht zur wirksamen Anfechtung. Das vom Kläger beschriebene künftige Risiko, in einen Verordnungsregress zu geraten, stellt ebenfalls einen unbeachtlichen Irrtum dar, weil es sich um eine mittelbare und im Übrigen ungewisse Rechtsfolge handelt.
Das Bundessozialgericht hat, in Übereinstimmung mit den geschilderten Grundlagen, ausdrücklich ausgeführt, dass eine spätere und nur eventuell eintretende Rechtsfolge für eine wirksame Anfechtung nicht genüge. Es handele sich insoweit um einen Irrtum über die Rechtslage, der unbeachtlich sei (Urteil vom 16.09.1998, B 11 AL 17/98 R m.w.N.).
Hieran ändert auch der Vortrag im Klageverfahren nichts, die Einigung entfalte keine exkulpierende Wirkung für den Kläger und sei mit einer Beschwer verbunden.
Es ist zunächst schon wenig glaubhaft, dass der Kläger diesbezüglich tatsächlich einem Irrtum unterlegen haben soll, weil das Schreiben des Beklagten insoweit klar und verständlich formuliert ist.
Dies kann jedoch dahinstehen. Denn selbst wenn der Kläger sich tatsächlich geirrt haben sollte, ändert dies nichts am gefundenen Ergebnis. Sofern er nämlich die Verpflichtung, an einer individuellen Beratung tatsächlich teilnehmen zu müssen, als Beschwer ansieht, fehlt es zweifellos am Irrtum. Denn dass er diese Verpflichtung eingeht war ihm auch nach seinem eigenen Vortrag bei Abgabe der Willenserklärung bewusst. Sofern er – und dies ist zu vermuten – die Beschwer darin sieht, dass eine erneute Überschreitung des Richtgrößenvolumens mit dem Risiko einer finanziellen Belastung einhergehen kann, handelt es sich wiederum um eine mittelbare Rechtsfolge.
Es handelt sich nämlich auch dann um einen unbeachtlichen Motivirrtum, wenn sich der Betroffene über die konkret geltende Ausgestaltung eines Rechtsverhältnisses oder der Rechtslage irrt (BSG, Urteil vom 16.12.1980, 11 RA 128/79). Der Kläger kann seine Anfechtung also nicht auf seine mögliche Unkenntnis stützen, dass künftig keine weiteren individuellen Beratungen festgesetzt werden, sondern das Risiko eines finanziellen Regresses im Falle der Richtgrößenüberschreitung direkt droht. Das gleiche gilt für seinen Vortrag, er habe angenommen, er könne im Rahmen der Beratung zu den Besonderheiten seiner Praxis vortragen und er habe erst nach Abgabe der Willenserklärung von Verfahren anderer Betroffener erfahren
Es liegt aber auch keine arglistige Täuschung durch den Beklagten vor, was der Kläger mit seinem Vortrag, der Beklagte setze den Rechtsschein, man könne "große Regresssummen" gegen kleine, ungefährliche Beratungssitzungen "eintauschen", anzudeuten scheint.
Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, kann die Erklärung nach § 123 Abs. 1 BGB ohne weiteres anfechten. Für das Vorliegen einer Täuschungshandlung in diesem Sinne ist die Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen erforderlich. Hierdurch muss ein Irrtum des Erklärenden hervorgerufen und dadurch sein Entschluss zur Willenserklärung beeinflusst worden sein, wobei es ausreicht, wenn die Täuschungshandlung eine von mehreren Ursachen für die Beeinflussung der Entschließung war BeckOK BGB/Wendtland BGB § 123 Rn. 7 m.w.N.). Weder ist erkennbar, welche unwahren Tatsachen der Beklagte in seinem Schreiben vom 28.03.2013 vorgespiegelt noch welche wahren Tatsachen er unterdrückt haben sollte. Das Schreiben ist klar und verständlich formuliert und gab dem Kläger mindestens drei Wochen (28.03.2013 bis 24.04.2013) Bedenkzeit. Es enthält weiterhin das Angebot, sich bei Fragen an einen namentlich, unter Angabe von Emailadresse und Telefonnummer, genannten Vertreter des Beklagten zu wenden.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die hier zugrunde liegenden Regresse rechtswidrig sind oder nicht, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
Hinsichtlich des Einwands, seinerzeit habe niemand Kenntnis über den Ablauf und den Inhalt des Beratungsverfahrens gehabt, da es keinerlei Verfahrensbestimmungen oder Durchführungsanweisungen gegeben habe, wird auf die zutreffende Erwiderung der Beklagten verwiesen, ohne dass das Gericht diesem Aspekt weitergehende Bedeutung zumisst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger seine Zustimmung zur gütlichen Einigung mit dem Beklagten zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens wirksam angefochten hat. Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin in A-Stadt niedergelassen.
Unter dem Datum des 29.09.2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der arztbezogenen Richtgrößenprüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der verordneten Leistungen von Heilmitteln für das Jahr 2008 mit. Beim Kläger liege eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens vor. Sie forderte den Kläger zur substantiierten Stellungnahme auf.
Mit Schreiben vom 14.10.2010 nahm der Kläger hierzu Stellung. Hinsichtlich dessen Inhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 11-13) verwiesen.
Mit Bescheid vom 21.12.2010 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgröße 2008 einen Regress in Höhe von 10.192,74 Euro fest. Hinsichtlich der Begründung des Bescheids wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 60-64) verwiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 29.12.2010 Widerspruch, den er mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei der Prüfungsstelle am 22.03.2011, begründete. Hinsichtlich des Inhalts der Begründung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 70-71) verwiesen.
Unter dem Datum des 09.09.2011 hatte die Prüfungsstelle dem Kläger mittlerweile die Eröffnung eines Verfahrens der arztbezogenen Richtgrößenprüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der verordneten Leistungen von Heilmitteln, nun für das Jahr 2009 mitgeteilt (Bl. 94 – 109 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 16.12.2011 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgröße 2009 einen Regress in Höhe von 7.748,59 Euro fest. Hinsichtlich der Begründung des Bescheids wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 126-129) verwiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 21.12.2011 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 09.02.2012 begründete. Hinsichtlich des Inhalts der Begründung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 133-135) verwiesen.
Mit Schreiben vom 28.03.2013 wies der Beklagte den Kläger auf die Neufassung des § 106 Abs. 5e SGB V hin und bot eine einvernehmliche Regelung betreffend beider Prüfungsjahre, also 2008 und 2009, an. Wörtlich lautet das Schreiben nach dem Briefkopf (Hervorhebungen, Einrückungen etc. aus Original übernommen):
"Betreff: Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009
Sehr geehrter Herr Dr. A.,
zum 01.01.2012 wurde dem Grundsatz "Beratung vor Regress" im Sozialgesetzbuch V (SGB V) ausdrücklich der Vorrang vor der Festsetzung eines Heilmittelregresses eingeräumt. Im Rahmen von Richtgrößenprüfungen ist seitdem grundsätzlich eine individuelle Beratung durchzuführen bevor ein Regress festgesetzt werden kann. In § 106 Abs. 5e SGB V heißt es dazu nunmehr:
"Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden."
Die ursprünglich offene Frage, ob der Grundsatz "Beratung vor Regress" auch rückwirkend anwendbar ist, hat der parlamentarische Gesetzgeber inzwischen geklärt. Mit Wirkung zum 26.10.2012 wurde § 106 Abs. 5e SGB V um einen Satz 7 ergänzt. Danach ist der Grundsatz "Beratung vor Regress" auch auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31. Dezember 2011 vor dem Beschwerdeausschuss noch nicht abgeschlossen waren.
Der Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Hessen prüft aufgrund der veränderten Rechtslage, bei welchen der anhängigen Widerspruchsverfahren die oben zitierte Regelung einschlägig ist. In Ihrem Fall sind die Verfahren der Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009 von der gesetzlichen Neuregelung betroffen.
Im Sinne einer zeitnahen und verwaltungsökonomischen Beendigung der anhängigen Verfahren unterbreitet Ihnen der Beschwerdeausschuss den in der Anlage beigefügten Vorschlag zu einer einvernehmlichen Regelung dieses Verfahrens. Diese vom Beschwerdeausschuss vorgeschlagene Regelung sieht eine ausdrückliche Aufhebung des in der ersten Verwaltungsinstanz festgesetzten Regresses gegen Durchführung einer individuellen Beratung i. S. v. § 106 Abs. 5e SGB V vor Konkret ergeben sich beim Zustandekommen dieser Regelung für Sie folgende Konsequenzen:
1. Es bedarf keiner weiteren Begründungen Ihrer Widersprüche mehr; auch eine persönliche Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss ist nicht mehr erforderlich.
2. Die anhängigen Verfahren werden durch den Vergleich ohne Verhandlung vor dem Beschwerdeausschuss beendet. Die festgesetzten Regresse werden in eine individuelle Beratung umgewandelt.
3. Die Prüfungsstelle vereinbart sodann zu einem späteren Zeitpunkt einen Termin mit Ihnen für eine solche individuelle Beratung.
4. Erst bei erneuter erheblicher Überschreitung (Überschreitung des Richtgrößenvolumen nach Anerkennung von Praxisbesonderheiten um + 25%) kann dann erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung wieder ein Regress ausgesprochen werden (vgl. § 106 Abs. 5e S. 7 SGB V). Da die Beratung voraussichtlich im Jahr 2013 durchgeführt wird und die Richtgrößenprüfung eine Jahresprüfung ist, wäre die Festsetzung eines Regresses erstmals für den Prüfzeitraum des Jahres 2014, welcher im Jahr 2016 von der Prüfungsstelle geprüft wird, möglich. Für die noch nicht von der Prüfungsstelle geprüften Prüfzeiträume der Jahre 2011 - 2013 scheidet die Festsetzung eines Regresses im Falle des Zustandekommens dieser einvernehmlichen Regelung aus.
Im Hinblick auf die große Anzahl an Widerspruchsverfahren, die im Interesse aller Beteiligten zeitnah abgearbeitet werden sollen, erbitten wir Ihre Antwort bis zum 24.04.2013.
Bei Fragen zum Angebot können Sie sich gerne an Herrn C. wenden.
Mit freundlichen Grüßen D.
Daraufhin unterzeichnete der Kläger am 02.04.2013 (Bl. 78 der Verwaltungsakte) die Vereinbarung, die im Wortlaut lautet:
"1. Die Bescheide der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen - Kammer Nord - vom 21.12.2010 (Az.: BA 139/2012 für 2008) und vom 16.12.2011 (Az ... BA 175/2012 für 2009) werden dahingehend abgeändert, dass anstelle der Regresse eine individuelle Beratung i. S. v. § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V festgesetzt wird.
2. Von einer Erstattung evtl. anfallender Kosten wird abgesehen.
3. Damit haben die vorliegenden Verfahren ihre Erledigung gefunden."
Mit Schreiben vom 14.04.2013, eingegangen bei dem Beklagten am 23.04.2013, teilte der Kläger zum Betreff "Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009" wörtlich mit: "aus gegebenem Anlass ziehe ich mein Einverständnis mit der vom Beschwerdeausschuss vorgeschlagenen Regelung, die meine o.g. Verfahren betreffen, zurück.". Das Schreiben trägt seine Unterschrift.
Mit Schreiben vom 10.12.2013 meldete sich der Bevollmächtigte des Klägers beim Beklagten und teilte mit, die unerwartete und plötzliche Möglichkeit, eine belastende, seit Jahren schwebende und wirtschaftlich bedrohliche rechtliche Auseinandersetzung zu beenden, habe in einer Sofortreaktion beim Kläger zu einer Einwilligung hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelung geführt. Bei dieser Regelung sei jedoch der Eindruck erweckt worden, als werde ein Angebot zum Abschluss einer gütlichen Einigung unterbreitet. Stattdessen handele es sich bei dem Vorschlag aber um eine maximale Maßnahme, die nach den geltenden Vorschriften, hier § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V, festgeschrieben sei. Insbesondere erhöhe sich hierdurch das künftige Risiko des Klägers, in einen Verordnungsregress zu geraten. Dies alles sei bei Abgabe der Erklärung durch den Kläger nicht bedacht worden. Insoweit komme vorliegend ein Irrtum über die Bedeutung und Tragweite der Erklärung in Betracht. Der Kläger meinte, seine Zustimmung sei auch ohne schuldhaftes Zögern angefochten worden. Er meint weiter, die Vergleichsregelung sei deshalb als von Anfang an nichtig zu betrachten.
Mit Bescheid vom 08.05.2014 auf den Beschluss vom 26.02.2014 hin stellte der Beklagte fest, dass die Verfahren um die Richtgrößenprüfungen-Heilmittel 2008 und 2009 durch die vom Kläger am 02.04.2013 abgegebene Einverständniserklärung zum Beschluss des Beklagten vom 20.03.2013 ihre Erledigung gefunden haben. Klarstellend hierzu stellte der Beklagte weiterhin fest, dass die Anfechtung der vom Kläger abgegebenen Einverständniserklärung unwirksam sei.
Zur Begründung führte er an, dass nach Erlass der Regressbescheide aufgrund geänderter Rechtslage Regresse bei einer erstmaligen Überschreitung des vorgegebenen Richtgrößenvolumens nicht mehr festgesetzt werden konnten, sondern anstelle eines Regresses nach § 106 Abs. 5e n.F. SGB V (nur noch) die Festsetzung einer individuellen Beratung in Betracht komme. Dies gelte auch für das vorliegende noch nicht abgeschlossene Verfahren, weswegen dem Kläger die einvernehmliche Regelung angeboten worden sei.
Mit dessen Annahme hätten die Verfahren um die Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009 ihre Beendigung gefunden. Die nachträgliche "Rücknahme" dieser Einverständniserklärung sei unwirksam. Es seien dieselben Kriterien anzuwenden, wie sie auch ansonsten für die Anfechtung öffentlich-rechtlicher Verträge gelten. Dabei sei davon auszugehen, dass die von Herrn Dr. A. abgegebene Erklärung eindeutig sei. Er habe ausdrücklich erklärt, mit der vom Beschwerdeausschuss vorgeschlagenen Regelung einverstanden zu sein. Diese Erklärung sei keiner weitergehenden Auslegung zugänglich.
Anfechtungsgründe im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB (Irrtum über wesentliche Eigenschaften), § 120 BGB (Übermittlungsirrtum) oder § 123 BGB (arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung) seien ersichtlich nicht gegeben, was näher erläutert wird. Hiergegen hat der Kläger am 06.06.2014 Klage erhoben.
Er meint, es liege ein sog. Inhaltsirrtum vor, weswegen die Anfechtung durchgreife. Zur Begründung wiederholt er sinngemäß seine Begründung aus dem Schreiben vom 10.12.2013 und ergänzt, erschwerend komme hinzu, dass das vorgesehene Beratungsverfahren für den Kläger keine exkulpierende Wirkung besitze, sondern mit einer Beschwer verbunden sei. Dieser gravierende Umstand sei dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht erkennbar gewesen.
Weiterhin führt näher dazu aus, dass die hier zugrunde liegenden Regresse rechtswidrig seien.
Der Beklagte setze den Rechtsschein, man könne "große Regresssummen" gegen kleine, ungefährliche Beratungssitzungen "eintauschen" [Anm.: Anführungszeichen vom Kläger übernommen].
Zum Zeitpunkt seiner Zustimmung zur individuellen Beratung sei der Kläger im Glauben gewesen, dass er auch im Beratungsverfahren eine plausible Darlegung der Überschreitung der Heilmittelverordnungen und der entsprechenden wirtschaftlichen Aspekte vorbringen könne, ohne das Risiko eines Regresses im Hintergrund fürchten zu müssen. Dass das Beratungsverfahren für den Kläger keine exkulpierende Wirkung habe, sei der Irrtum, dem er unterlegen sei. Die neue gesetzliche Regelung sei ihm nicht bewusst gewesen. Er habe also seiner Willenserklärung einen anderen Bedeutungsgehalt beigemessen. Er sei nämlich der Ansicht gewesen, dass auch in der individuellen Beratung eine Exkulpation seiner Person möglich sei, was aber nicht der Fall sei.
Auch weiterführende Informationen über negativ verlaufende Beratungsverfahren in anderen kassenärztlichen Vereinigungen seien dem Kläger erst später zur Kenntnis gelangt.
Bei Kenntnis der tatsächlichen Sachlage hätte er die Einverständniserklärung nicht abgegeben.
Im Übrigen habe auch niemand Kenntnis über den Ablauf und den Inhalt des Beratungsverfahrens gehabt, da es keinerlei Verfahrensbestimmungen oder Durchführungsanweisungen gegeben habe.
Der Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass im Rahmen der individuellen Beratung eine Prüfung seiner Praxisbesonderheiten nicht erfolgen werde. Mithin sei er der irrigen Ansicht gewesen, dass auch im Falle der Beratung seiner Praxisbesonderheiten im Hinblick auf die Überschreitung des rechtlosen Volumens überprüft würden. Da dies tatsächlich nicht der Fall sei, sei der Kläger einen Irrtum über die Rechtsfolgen erlegen. Die Erklärung des Klägers habe infolge der Verkennung der rechtlichen Bedeutung von der gewollten eine wesentlich verschiedene Rechtswirkung.
Ergänzend weist er darauf hin, dass nach seiner Auffassung der Wortlaut von § 106 Abs. 5 e SGB V unklar sei. Es werde nicht deutlich, ob der Satz 2 ausdrücklich auf Satz 1 Bezug nehme.
Der Kläger beantragt,
1. den Beschluss des Beklagten vom 26.02.2014 in Gestalt des Beschlusses/Bescheides des Beklagten vom 08.05.2014, zugestellt am 09.05.2014, aufzuheben und
2. festzustellen, dass die Einverständniserklärung des Klägers bezüglich der Regelung des Beklagten vom 20.03.2013 unwirksam ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf das Schreiben vom 28.03.2013, in dem der Gesetzeswortlaut von § 106 Abs. 5 e SGB V zitiert worden sei. Aus dessen Wortlaut habe der Kläger entnehmen können, dass bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung erfolge. Auch habe er aus dem Gesetzeswortlaut schlussfolgern können, dass seine Einverständniserklärung zu einer individuellen Beratung zur Konsequenz habe, dass ein Erstattungsbetrag bei künftiger Überschreitung für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden könne. Schließlich sei die Konsequenz unter Punkt 4 in dem betreffenden Schreiben erläutert worden. Diese Formulierung lasse keine Auslegung zu, dass eine einvernehmliche Beendigung der Verfahren eine exkulpierende Wirkung habe könnte. Vielmehr seien die Rechtsfolgen der Einverständniserklärung für den Kläger eindeutig erkennbar gewesen.
Der Beklagte meint, eine Aufklärungspflichtverletzung könne ihm ebenso wenig wie die Verursachung eines Rechtsscheins vorgeworfen werden. Der Kläger habe sein Einverständnis irrtumsfrei abgegeben. Der Beklagte meint darüber hinaus, dass selbst bei einem unterstellten tatsächlichen Irrtum über die Konsequenzen der Einverständniserklärung nur ein unbeachtlicher Irrtum vorliege.
Auch die Annahme des Klägers, dass zum Zeitpunkt der Einverständniserklärung niemand Kenntnis über den Ablauf und den Inhalt des Beratungsverfahrens gehabt habe, sei fehlerhaft. Die Vertragspartner hätten in Anlage 6 zur Prüfvereinbarung gem. § 106 Abs. 3 SG V vom 12.06.2008 "Beratung gemäß § 24 Prüfvereinbarung" u.a. in § 2 Inhalte der Beratung und in § 4 Regelungen zur Durchführung von Beratungen gemäß § 106 Abs. 5 e SGB V vereinbart. Diese Anlage sei mit Wirkung zum 01.01.2013 in Kraft getreten.
Es sei auch nicht zutreffen, dass in der Beratung per se ein eine Beschwerde des Klägers liege. Zweck der Vorschrift sei der Schutz des Vertragsarztes und die Verhinderung von (wiederholten) Überschreitungen des jeweiligen Richtgrößenvolumens.
Der Vortrag des Klägers hinsichtlich des unklaren Wortlaut des der Gesetzesvorschrift von § 106 SGB V treffen nicht zu. Das Bundessozialgericht habe hier eine Klärung herbeigeführt.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind gem. Satz 2 der vorgenannten Vorschrift vorher gehört worden und haben ihr Einverständnis zum Erlass des Gerichtsbescheids ohne weitere Gelegenheit zur Stellungnahme erteilt.
Der Klägerantrag zu 1) war gem. § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass er die Aufhebung des Bescheids vom 08.05.2014 begehrt.
Seinem Wortlaut nach richtet er sich zwar sowohl gegen den Bescheid des Beklagten vom 08.05.2014 als auch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen vom 26.02.2014. Allerdings beschränkt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei Entscheidungen in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich auf den das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheid des Beschwerdeausschusses. Der Beschwerdeausschuss wird mit seiner Anrufung gemäß § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V für das weitere Prüfverfahren, ggf. auch für dessen Wiederholung nach einer erfolgreichen gerichtlichen Anfechtung, ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses, der abweichend von § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Fall der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird. Eine dennoch gegen diesen Bescheid erhobene Klage ist unzulässig (statt vieler: BSG, Urteil vom 19.06.1996, 6 RKa 40/95).
Vorliegend lässt sich aus dem gesamten Vorbringen im Verfahren, entgegen dem Wortlaut des Klageantrags, aber zweifellos erkennen, dass der Kläger sich tatsächlich auch ausschließlich gegen die Entscheidung des Beklagten, nämlich, dass das Verfahren seine Erledigung gefunden hat, wendet. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Diese Klage ist bezogen auf den – ausgelegten – Klageantrag zu 1) nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG und bezogen auf den Klageantrag zu 2) nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, auch ist das Sozialgericht Marburg zuständig.
Die Klage ist aber unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten, dass die betreffenden Richtgrößenprüfungsverfahren ihre Erledigung gefunden haben, ist § 106 Abs. 4a Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 5 und 6 SGB V.
Nach § 106 Abs. 4 Satz 1 bilden die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner bei der Kassenärztlichen Vereinigung oder bei einem der in Satz 5 genannten Landesverbände eine gemeinsame Prüfungsstelle und einen gemeinsamen Beschwerdeausschuss.
Nach Abs. 4a der genannten Vorschrift nehmen die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss ihre Aufgaben jeweils eigenverantwortlich wahr. Nach Abs. 5 Satz 3 der benannten Vorschrift können die betroffenen Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Krankenkasse, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen. Nach Anhängigkeit des Verfahrens beim Beschwerdeausschuss ist dieser auch allein dafür zuständig (BSG, Urteil vom 09.06.1999, B 6 KA 76/97 R). Nach Satz 5 und 6 sind für dieses Verfahren § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes anzuwenden, das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren im Sinne von § 78 SGG.
Nach alledem kommt dem Beschwerdeausschuss neben der Entscheidungskompetenz in den jeweiligen materiell-rechtlichen Fragen als Annexkompetenz zum einen auch die Berechtigung zu, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung des Verfahrens zu treffen. Zum anderen hat er die Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden, so etwa über die Zulässigkeit des jeweiligen Widerspruchs oder – wie vorliegend – die Feststellung zu treffen, dass ein Verfahren seine Erledigung gefunden hat.
Die vorliegende Feststellung des Beschwerdeausschusses ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Denn die das Verwaltungsverfahren beendende Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Kläger ist rechtswirksam und nicht durch die vom Kläger erhobene Anfechtung seiner Willenserklärung rückwirkend unwirksam geworden.
Es ist in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass die Grundsätze der Anfechtung nach § 119 BGB jedenfalls auf Erklärungen des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger und jedenfalls dann Anwendung finden, wenn – wie vorliegend – eine entsprechende öffentlich-rechtliche Regelung konzeptwidrig fehlt, mit der wirksam abgegebene verwaltungsrechtliche Willenserklärungen nachträglich mit "Rückwirkung" für unwirksam erklärt werden dürfen (vgl. statt vieler: BSG, Urteil vom 23.10.2003, B 4 RA 27/03 R), weswegen dahinstehen kann, ob es sich hierbei um unmittelbare Anwendung, entsprechende Anwendung oder Anwendung über Normverweisung handelt (hierzu auch BSG, Urteil vom 22.05.1974, 12 RJ 8/74). Es ist auch kein Grund ersichtlich, die Konstellation des Vertragsarztes, der kein Versicherter im o.g. Sinne ist, gegenüber dem Beklagten anders zu beurteilen. Entscheidend bei dieser Wertung ist nämlich, dass ein Bürger gegenüber der Verwaltung eine Erklärung abgibt.
§ 119 BGB lautet:
(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
Die allgemeine Definition eines Irrtums lautet auf ein unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung (vgl. etwa LG ZM., NJW-RR 1997, 1273 m.w.N.). Die vorgenannte Vorschrift kennt drei unterschiedliche Fälle des Irrtums, den Inhaltsirrtum sowie den Erklärungsirrtum (Abs. 1) und den Eigenschaftsirrtum (Abs. 2).
Der letzte Fall liegt ersichtlich nicht vor. Der Kläger irrt nicht über Eigenschaften einer Person oder einer Sache.
Auch ein Erklärungsirrtum ist nicht gegeben. Hierbei gibt der Erklärende seine Willenserklärung in einer Gestalt ab, in der er sie nicht abgeben wollte. Er unterliegt einem Irrtum in der äußeren (technischen) Erklärungshandlung; es missglückt ihm die praktische Umsetzung seines Erklärungswillens in eine diesen Willen zutreffend kundgebende Äußerung, indem er sich etwa verspricht, verschreibt oder vergreift (ständige Rspr., so schon das Reichsgericht, RGZ 66, 427, 428). Der Kläger aber hatte ein Erklärungsbewusstsein und wollte auch die Erklärung, die er abgab, abgegeben. Lediglich trägt er vor, über dessen Konsequenzen im Irrtum gewesen zu sein.
Damit meint er, einem Inhaltsirrtum, also dem ersten Fall von § 119 Abs. 1 BGB, unterlegen zu sein. Ein Inhaltsirrtum kann nur dann vorliegen, wenn sich der Erklärende zwar nicht darüber irrt, was er inhaltlich erklärt, dem Inhalt seiner konkret gewollten Erklärung aber (subjektiv) eine andere Bedeutung beimisst, als ihr tatsächlich (objektiv) zukommt, das heißt wenn der Wille und die Vorstellung des Erklärenden über das Erklärte und die rechtlich maßgebliche Bedeutung des Erklärten auseinander fallen (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 119 Rn. 30 unter Verweis auf BGH NJW-RR 2009, 630, 632; NJW 2008, 2442, 2443; NJW 1999, 2664, 2665 sowie Palandt/Ellenberger Rn 11). Darunter zu fassen ist auch der sogenannte Rechtsfolgenirrtum, der vorliegt, wenn das Rechtsgeschäft nicht die gewollte, sondern eine von ihr wesentlich abweichende andere Rechtsfolge nach sich zieht (OLG München NJW 2010, 687).
Bereits in der zivilrechtlichen Rechtsprechung wird aber differenziert zwischen den unmittelbaren und den mittelbaren Rechtsfolgen, die eine Willenserklärung erzeugt. Eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtum kommt lediglich bei unmittelbaren Rechtsfolgen, nicht aber bei den mittelbaren in Betracht (BGH NJW 2008, 2442, 2443; NJW 1995, 1484, 1485). Entfaltet ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Geschäft außer der erstrebten Rechtsfolge auch noch eine andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkung, liegt ein unbeachtlicher sog. Motivirrtum vor (BGH NJW 1997, 653).
Diesen Wertungen, also der Differenzierung zwischen unmittelbarer Rechtsfolge (Inhaltsirrtum) und mittelbarer Rechtsfolge (Motivirrtum) hat sich die sozialgerichtliche Rechtsprechung angeschlossen (BSG, Urteile vom 16.09.1998, B 11 AL 17/98 R, vom 16.11.1984, 8 RK 2/84, vom 22.03.1984, 11 RA 9/83, vom 16.12.1980, 11 RA 128/79, vom 19.06.1979 – 5 RJ 128/78, vom 22.05. 1974, 12 RJ 8/74 und vom 26.09.1972, 11 RA 232/71).
Vorliegend unterlag der Kläger, der übrigens die objektive Beweislast trägt, keinem Inhalts-, sondern einem unbeachtlichen Motivirrtum.
Er hat vorgetragen, Grund für die Abgabe der betreffenden Willenserklärung sei die unerwartete und plötzliche Möglichkeit, eine belastende, seit Jahren schwebende und wirtschaftlich bedrohliche rechtliche Auseinandersetzung zu beenden. Bei dieser Regelung sei der Eindruck erweckt worden, als werde ein Angebot zum Abschluss einer gütlichen Einigung unterbreitet. Stattdessen handele es sich bei dem Vorschlag aber um eine maximale Maßnahme, die nach den geltenden Vorschriften festgeschrieben sei. Insbesondere erhöhe sich hierdurch das künftige Risiko des Klägers, in einen Verordnungsregress zu geraten. Dies alles sei bei Abgabe der Erklärung durch den Kläger nicht bedacht worden.
Er räumt damit selber und ausdrücklich ein, mit der Abgabe der Willenserklärung die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Beklagten habe beenden zu wollen. Dies stellt den irrtumsfreien Inhalt und die unmittelbare Rechtsfolge seiner Willenserklärung dar. Die Erkenntnis, dass er aus verfahrenstaktischen Gründen mit der Nichtabgabe der Willenserklärung möglicherweise besser beraten gewesen wäre, weil keine nachteiligere Rechtsfolge bei Fortführung des Verfahrens hätte entstehen können, gleichwohl eine günstigere Rechtsfolge hypothetisch denkbar gewesen wäre, stellt ein Motiv zur Fortführung des Verfahrens dar und berechtigt nach den oben stehenden Erläuterungen nicht zur wirksamen Anfechtung. Das vom Kläger beschriebene künftige Risiko, in einen Verordnungsregress zu geraten, stellt ebenfalls einen unbeachtlichen Irrtum dar, weil es sich um eine mittelbare und im Übrigen ungewisse Rechtsfolge handelt.
Das Bundessozialgericht hat, in Übereinstimmung mit den geschilderten Grundlagen, ausdrücklich ausgeführt, dass eine spätere und nur eventuell eintretende Rechtsfolge für eine wirksame Anfechtung nicht genüge. Es handele sich insoweit um einen Irrtum über die Rechtslage, der unbeachtlich sei (Urteil vom 16.09.1998, B 11 AL 17/98 R m.w.N.).
Hieran ändert auch der Vortrag im Klageverfahren nichts, die Einigung entfalte keine exkulpierende Wirkung für den Kläger und sei mit einer Beschwer verbunden.
Es ist zunächst schon wenig glaubhaft, dass der Kläger diesbezüglich tatsächlich einem Irrtum unterlegen haben soll, weil das Schreiben des Beklagten insoweit klar und verständlich formuliert ist.
Dies kann jedoch dahinstehen. Denn selbst wenn der Kläger sich tatsächlich geirrt haben sollte, ändert dies nichts am gefundenen Ergebnis. Sofern er nämlich die Verpflichtung, an einer individuellen Beratung tatsächlich teilnehmen zu müssen, als Beschwer ansieht, fehlt es zweifellos am Irrtum. Denn dass er diese Verpflichtung eingeht war ihm auch nach seinem eigenen Vortrag bei Abgabe der Willenserklärung bewusst. Sofern er – und dies ist zu vermuten – die Beschwer darin sieht, dass eine erneute Überschreitung des Richtgrößenvolumens mit dem Risiko einer finanziellen Belastung einhergehen kann, handelt es sich wiederum um eine mittelbare Rechtsfolge.
Es handelt sich nämlich auch dann um einen unbeachtlichen Motivirrtum, wenn sich der Betroffene über die konkret geltende Ausgestaltung eines Rechtsverhältnisses oder der Rechtslage irrt (BSG, Urteil vom 16.12.1980, 11 RA 128/79). Der Kläger kann seine Anfechtung also nicht auf seine mögliche Unkenntnis stützen, dass künftig keine weiteren individuellen Beratungen festgesetzt werden, sondern das Risiko eines finanziellen Regresses im Falle der Richtgrößenüberschreitung direkt droht. Das gleiche gilt für seinen Vortrag, er habe angenommen, er könne im Rahmen der Beratung zu den Besonderheiten seiner Praxis vortragen und er habe erst nach Abgabe der Willenserklärung von Verfahren anderer Betroffener erfahren
Es liegt aber auch keine arglistige Täuschung durch den Beklagten vor, was der Kläger mit seinem Vortrag, der Beklagte setze den Rechtsschein, man könne "große Regresssummen" gegen kleine, ungefährliche Beratungssitzungen "eintauschen", anzudeuten scheint.
Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, kann die Erklärung nach § 123 Abs. 1 BGB ohne weiteres anfechten. Für das Vorliegen einer Täuschungshandlung in diesem Sinne ist die Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen erforderlich. Hierdurch muss ein Irrtum des Erklärenden hervorgerufen und dadurch sein Entschluss zur Willenserklärung beeinflusst worden sein, wobei es ausreicht, wenn die Täuschungshandlung eine von mehreren Ursachen für die Beeinflussung der Entschließung war BeckOK BGB/Wendtland BGB § 123 Rn. 7 m.w.N.). Weder ist erkennbar, welche unwahren Tatsachen der Beklagte in seinem Schreiben vom 28.03.2013 vorgespiegelt noch welche wahren Tatsachen er unterdrückt haben sollte. Das Schreiben ist klar und verständlich formuliert und gab dem Kläger mindestens drei Wochen (28.03.2013 bis 24.04.2013) Bedenkzeit. Es enthält weiterhin das Angebot, sich bei Fragen an einen namentlich, unter Angabe von Emailadresse und Telefonnummer, genannten Vertreter des Beklagten zu wenden.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die hier zugrunde liegenden Regresse rechtswidrig sind oder nicht, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
Hinsichtlich des Einwands, seinerzeit habe niemand Kenntnis über den Ablauf und den Inhalt des Beratungsverfahrens gehabt, da es keinerlei Verfahrensbestimmungen oder Durchführungsanweisungen gegeben habe, wird auf die zutreffende Erwiderung der Beklagten verwiesen, ohne dass das Gericht diesem Aspekt weitergehende Bedeutung zumisst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
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